Mehrere Medien berichteten über den Fast-GAU der europäischen Stromversorgung am 8. Januar 2021. Telepolis/heise.de nahm das Ereignis zum Anlaß für ein bemerkenswertes Interview, publiziert am 21. Januar.
von Marcus Klöckner
Wie sicher ist eigentlich die Stromversorgung in Deutschland und Europa? Immer wieder sind Meldungen zu vernehmen, wonach es zu einem großflächigen und auch länger andauerndem Stromausfall kommen könne. Erst vor kurzem wurde laut Medienberichten ein größerer Stromausfall in Europa gerade noch verhindert (Europa ist am Blackout vorbeigeschrammt).
Telepolis nahm die Meldungen zum Anlass, ein Interview mit Henrik Paulitz zu führen. Der Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung, der sich seit Jahrzehnten mit der Energiepolitik befasst, legt im Interview dar, was die Hintergründe der Warnungen vor einem „Blackout“ sind. Einen Zusammenbruch der Stromversorgung hält Paulitz für alles andere als realitätsfern – die Folgen wären weitreichend, warnt Paulitz.
„Die seit Jahrzehnten versprochenen Langzeitstromspeicher gibt es nicht“
Marcus Klöckner: Herr Paulitz, Deutschland ist ein hochentwickeltes Land. Die ausreichende Versorgung mit Strom ist elementar. Aber seit geraumer Zeit mehren sich Meldungen, wonach es in Deutschland zu einem weitflächigen, länger anhaltenden Zusammenbruch des Stromnetzes kommen könnte. Was ist an diesen Meldungen dran? Worum genau geht es?
Henrik Paulitz: Wenn die aktuellen energiepolitischen Beschlusslagen zum Abschmelzen von Kraftwerkskapazitäten umgesetzt werden, wird es in Deutschland schon in Kürze keine zuverlässige Stromversorgung mehr geben. Die Bevölkerung ist sich weithin völlig im Unklaren darüber, dass nicht nur „ungeplante Blackouts“ drohen, bei denen es laut
eines Berichts von 2011 des „Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag“ zu zahllosen Todesopfern kommen kann.
Etwa wenn Menschen in Bahnen und Fahrstühlen dehydrieren, es zu einer deutlich erhöhten Zahl von schweren Verkehrsunfällen kommt, die Wasserinfrastruktur nicht mehr funktioniert, das Risiko von Bränden in Wohn- und Gewerbegebäuden steigt, die Kühlung von lebenswichtigen Medikamenten und Lebensmitteln nicht mehr funktionieren, die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen zusammenbricht, Gewaltkriminalität zunimmt und so weiter und so fort.
Strukturell sehr viel zerstörerischer dürften „geplante Brownouts“ wirken, wenn also die Netzbetreiber Industriebetrieben und Privathaushalten regelmäßig den Strom abschalten müssen, weil die Solar- und Windenergieanlagen nachts und bei Windflaute nur wenig Strom erzeugen. Einen Gesetzentwurf für eine solche Strom-Mangelverwaltung hat das Bundeswirtschaftsministerium unlängst vorgelegt, dann aber wieder zurückgezogen, um ihn zu überarbeiten.
Marcus Klöckner: Sie sagen, dass Kraftwerkskapazitäten abgeschmolzen werden. Aber es sollte doch dann einen Ausgleich geben, so dass die Stromversorgung nicht in Gefahr ist.
Henrik Paulitz: Ja, das sollte man meinen. Der Atomausstieg allein wäre nicht das Problem gewesen. Dieser war immer abgesichert, weil bei Bedarf stets Kohle-, Wasser-, Öl-, Biomasse- und Gaskraftwerke die Stromversorgung sichergestellt haben.
Inzwischen befinden wir uns in akuter Gefahr: Die seit Jahrzehnten versprochenen Langzeitstromspeicher gibt es nicht, unter anderem wegen den großen Wirkungsgradverlusten, also aus technisch-ökonomischen Gründen. Kurzzeitspeicher wie Batterien sind unterm Strich zur Lösung des Problems nicht geeignet. Sonne und Wind benötigen daher einen absolut zuverlässigen konventionellen Backup-Kraftwerkspark. Der aber geht uns nun mit dem Atom- und Kohleausstieg in den nächsten Monaten und Jahren verloren.
Marcus Klöckner: Um welche Größenordnungen geht es eigentlich?
Henrik Paulitz: Deutschland braucht heute mehr als 80 Gigawatt absolut zuverlässige Stromerzeugungsinstallation. Wind und Sonne liefern aber häufig weniger als 10 Gigawatt, gelegentlich sogar nur rund 1 Gigawatt.
Marcus Klöckner: Selbst bei einer angenommenen Verdreifachung der Wind- und Solarkapazitäten bliebe das Problem bestehen.
Henrik Paulitz: Einem Bedarf von 80 Gigawatt stünden auch dann zeitweise weniger als 5 Gigawatt gesicherte Wind- und Solarleistung gegenüber. Und es kommt sogar noch schlimmer.
Marcus Klöckner: Wegen der Elektroautos?
Henrik Paulitz: Ja, denn Millionen Elektroautos sollen weiteren Strom beziehen. Hinzu kommen Ölheizungen, die durch Elektrowärmepumpen ersetzt werden sollen. Dadurch könnte der Leistungsbedarf in den kommenden zehn Jahren auf 120 Gigawatt ansteigen. Zusammen mit Wasser- und Biomassekraftwerken kämen die erneuerbaren Energien insgesamt aber nur auf eine Größenordnung von 17 Gigawatt gesicherte Leistung.
Marcus Klöckner:Das hört sich aber nach einer extremen Unterversorgung an.
Henrik Paulitz: Absolut. Die Stromversorgung ist massiv gefährdet.
Marcus Klöckner: Wären Gaskraftwerke eine Lösung?
Henrik Paulitz: Das war die Empfehlung der Kohlekommission! Nach Angaben der Deutschen Energie-Agentur bräuchte man allerdings bei einem Atom- und Kohleausstieg bis 2030 rund 75 Gigawatt Gaskraftwerkskapazität, weit mehr als 100 Gaskraftwerksblöcke.
Marcus Klöckner: Es werden doch aber kaum Gaskraftwerke gebaut?
Henrik Paulitz: Richtig. Das Gegenteil ist sogar der Fall. Durch die EU-Umweltgesetzgebung geraten die bestehenden Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von rund 30 Gigawatt unter Druck, so dass ihnen die Stilllegung droht.
Marcus Klöckner: Wenn es jetzt noch nicht genügend Gaskraftwerke gibt, dürfte es aufgrund der langen Genehmigungszeiten auch nicht so schnell gehen, neue zu bauen.
Henrik Paulitz: Es sind sowohl die Planungs-, Genehmigungs- als auch die Bauzeiten, die Zeit benötigen. Wir reden von vier bis sieben Jahren. Der kritische Jahreswechsel ist aber 2022/2023. Dieser Zug ist also längst abgefahren. Kurzfristig bieten auch Gaskraftwerke keine Lösung.
Marcus Klöckner: Nochmal: Wie real ist es, dass es zu einem Zusammenbruch des Stromnetzes kommen kann?
Henrik Paulitz: Zahlreiche mit der Thematik befasste Institutionen und Fachleute, beispielsweise auch die der Leopoldina, weisen unmissverständlich darauf hin, dass Deutschland wegen der nicht verfügbaren Langzeitspeicher auch weiterhin ein absolut zuverlässiges, konventionelles Backup-Kraftwerkssystem wie im heutigen Umfang benötigt. Selbst der Bundesverband der Solarwirtschaft teilte unlängst mit, dass schon in den kommenden rund zwei Jahren eine Stromlücke von bis zu 30 Gigawatt Leistung droht, was rein rechnerisch der Leistung von mehr als 20 großen Atomkraftwerken oder rund 40 Kohlekraftwerksblöcken entspricht.
2022 gäbe es bereits eine „aufreißende Stromlücke“. Schon 2023 werde der europäische Stromverbund die Stromlücke nicht mehr schließen können. Die Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken werde dann unausweichlich, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesverbands Solarwirtschaft. Wir werden es also vermutlich schon innerhalb der nächsten drei Jahre deutlich zu spüren bekommen, wie sich eine
„StromMangelWirtschaft“ anfühlt, in der nicht mehr genügend Strom erzeugt bzw. importiert werden kann.
Marcus Klöckner: Gab es denn schon mal einen Fall, bei dem es eng wurde?
Henrik Paulitz: Ja. Obwohl wir unlängst noch einen theoretisch „absolut“ zuverlässigen Backup-Kraftwerkspark hatten, wurde es wiederholt schon ziemlich eng. Im Januar 2017 fehlte es sowohl in Frankreich als auch in Süddeutschland an Stromerzeugungskapazitäten, nachdem mehrere Kraftwerksblöcke nicht zur Verfügung standen und die Windenergieanlagen nur wenig Strom erzeugten. Es musste auf Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen zurückgegriffen werden.
Dennoch kam es am 18. Januar 2017 in Deutschland zum stundenlangen Verlust der geforderten Netzsicherheit. Der französische Übertragungsnetzbetreiber musste mit mehreren Sondermaßnahmen reagieren, u.a. wurde die Bevölkerung zum Stromsparen aufgerufen.
„Nicht nur ein deutsches Problem“
Marcus Klöckner: Was war im Juni 2019?
Henrik Paulitz: Da gab es drei sehr kritische Tage, das waren der 6., der 12. und der 25. Juni 2019. Das Problem waren extrem wechselhafte Wetterlagen mit Windverhältnissen, die nur schwer prognostizierbar waren. Es kam zu Winden, die plötzlich abflauten. Deshalb standen weniger Stromerzeugungskapazitäten zur Verfügung, als gebraucht wurden.
Am letzten Tag kamen erschwerend möglicherweise noch Spekulationen hinzu. Um das Stromnetz zu stabilisieren, mussten alle Register gezogen werden. Am Ende konnten nur noch gewaltige Stromimporte die Situation retten, sonst wäre es möglicherweise zum Zusammenbruch des europäischen Stromnetzes gekommen.
Marcus Klöckner: Es geht hier also nicht nur um ein deutsches Problem?
Henrik Paulitz: Nein. Am 9. August 2019 waren weite Teile Großbritanniens von einem Stromausfall betroffen. Deutsche Nachrichtenmagazin-Leser erfuhren nur etwas von zwei fehlerhaften Stromgeneratoren. Bei Bloomberg News war zu erfahren, dass eine Gasturbine gleichzeitig mit einem großen Offshore-Windenergiepark ausgefallen war.
Marcus Klöckner: Wie sieht es denn mit der Bundesnetzagentur aus? Was sagt sie?
Henrik Paulitz: Offiziell dementiert das zuständige Bundeswirtschaftsministerium, dass es ein ganz massives und stetig wachsendes Problem mit der Versorgungssicherheit gibt. Gleichzeitig aber muss die dem Wirtschaftsministerium unterstehende Bundesnetzagentur heute schon regelmäßig geplante Kraftwerks-Stilllegungen untersagen, weil auf die Kraftwerke nicht verzichtet werden kann.
Da man nach den nun sehr unmittelbar bevorstehenden Stilllegungen nicht mehr genügend Strom auf zuverlässige Weise erzeugen kann, sollen die Stromkunden auf Strom verzichten: Das Bundeswirtschaftsministerium hatte unlängst den Entwurf für ein „Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz“ vorgelegt, welches kurz auch als „Schlechtes-Strom-Gesetz“ bezeichnet werden könnte, mit dem die Grundarchitektur für eine „StromMangelWirtschaft“ mit ständigen Stromabschaltungen gelegt werden sollte.
Nach Protesten musste das Gesetz vorläufig zurückgezogen werden: Es war öffentlich kaum zu vermitteln, dass die Bürger Elektroautos kaufen sollen, denen dann aber per Gesetz jederzeit der Strom abgeschaltet werden kann.
Wir dürfen auf den neuen Regelungsvorschlag gespannt sein, mit dem der Strom künftig rationiert werden soll. Es könnte auf so genannte marktbasierte Lösungen hinauslaufen, wonach sich dann nur noch Reiche den Strom fürs Elektroautos leisten können. Vermutlich verschiebt man das Problem jetzt bis nach der Bundestagswahl, um keine Wähler zu verschrecken. Es zeichnet sich jetzt schon ab: In der künftigen „StromMangelWirtschaft“ wird es ein Hauen und Stechen um jede Kilowattstunde geben.
Marcus Klöckner: Das heißt: Wir müssen uns in Zukunft demnach auf regelmäßige Stromunterbrechungen einstellen? Eigentlich ein Kennzeichen von Entwicklungsländern.
Henrik Paulitz: Ja, und das soll nun, wie gerade dargelegt, in Deutschland ganz offiziell eingeführt werden.
Marcus Klöckner: Was wäre denn nun, wenn es zu einer Unterdeckung der gesicherten Stromleistung kommt? Was bedeutet das für die Bürger?
Henrik Paulitz: Die Folgen für die Bürger wären desaströs. Großflächige und lang andauernde Stromausfälle kämen einer nicht beherrschbaren nationalen Katastrophe gleich, wie einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag zu entnehmen ist.
Eine „StromMangelWirtschaft“ mit ständigen Stromunterbrechungen für Privathaushalte, Gewerbe und Industrie, mit einer Wirtschaft im dauerhaften Stop-and-Go-Modus, also im regelmäßigen Teil-Lockdown, würde den wirtschaftlichen Niedergang und die schon längst eingesetzte schleichende Deindustrialisierung Deutschlands beschleunigen. Welcher Industriebetrieb würde noch in Deutschland investieren?
Das hätte möglicherweise sehr weitreichende Folgen für Wohlstand und Arbeitsplätze, für die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme und für die Möglichkeit, die Milliardenschulden, die jetzt aufgetürmt werden, zurückzuzahlen.
„Die Energiepolitik bedarf dringend der Korrektur“
Marcus Klöckner: Wie könnten sich Mobilität und Wärmemarkt entwickeln?
Henrik Paulitz: Wenn in den Städten Kohle-Heizkraftwerke stillgelegt werden oder – wegen politischer Widerstände – eine Umstellung der Anlagen auf Erdgas misslingen würde, dann wären Millionen Haushalte ohne Fernwärme, sie wären ohne Raumwärme und Warmwasserversorgung. Wenn Öl- und Gasheizungen verboten werden würden, wie es zum Teil schon beschlossen und zum Teil gefordert wird, dann wären die Bürger gezwungen, auf Elektroheizungen und Elektrowärmepumpen umzusteigen, ohne dass der dafür benötigte Strom zuverlässig bereitgestellt werden kann.
Die Bürger wären vielfach ohne Heizung und Warmwasserversorgung. Wenn wie gefordert Verbrennungsmotoren verboten werden würden und für die propagierten Elektroautos nicht genügend zuverlässiger Strom bereitgestellt werden kann, was der Fall ist, dann steht das teure und hoch-subventionierte Elektroauto die meiste Zeit fahruntüchtig herum und wartet vornehmlich darauf, dass wieder etwas Strom fließt, der dann unter Umständen sehr teuer bezahlt werden muss.
Anders formuliert: Ein motorisierter Individualverkehr wäre dann nur noch in geringfügigem Umfang realisierbar. Er wäre wohl nur noch für Reiche erschwinglich. Wenn dann in der Konsequenz auch noch Bahnen und Busse völlig überfüllt und unzuverlässig wären, weil sie zum Teil von der Stromversorgung abhängig sind, hätte auch das massive Folgen für diese Volkswirtschaft und die von ihr lebende Bevölkerung.
Marcus Klöckner: Sie zeichnen ein düsteres Bild!
Henrik Paulitz: Ja, leider. Ich beschreibe aber eigentlich nur die aktuelle Politik, die uns im Fernsehen mehr und mehr auch von Philosophen angepriesen wird, die uns auf eine solche Mangelwirtschaft einschwören wollen. Dabei habe ich bei diesen Sendungen den Eindruck, dass nicht wirklich zum Mitdenken und zum eigenständigen Reflektieren angeregt werden soll. Vielmehr bekommen wir Ideologie- und Polit-Häppchen serviert, die vielleicht gut klingen, aber wir wissen meist gar nicht, was das in der Wirklichkeit bedeuten würde.
Marcus Klöckner: Können Sie das vielleicht mal konkret machen?
Henrik Paulitz: Es ist aktuell sehr beliebt, über SUVs zu lästern, Plastik und die Industrie zu verteufeln, und leichtfüßig dem Verzicht das Wort zu reden. Wie aber fühlt es sich wohl an, wenn wir kein funktionierendes Verkehrssystem, ständige Stromausfälle und immer weniger Industrie und Arbeitsplätze haben und wenn wir im Winter in der eiskalten Wohnung sitzen?
Marcus Klöckner: Sie befürchten weitreichende volkswirtschaftliche Schäden?
Henrik Paulitz: Insgesamt zeigt sich, dass viele der längst eingeleiteten Maßnahmen dieses Land massiv verändern und den Wohlstand wohl substanziell verringern würden. Und zwar schon morgen. Letztlich steht das ökonomische Überleben Deutschlands und Europas auf dem Spiel.
Nach Einschätzung des Verbands der Familienunternehmer ist die Versorgungssicherheit, also die zuverlässige Versorgung mit Strom und anderer Energie, vermutlich der letzte große Vorteil des europäischen und deutschen Wirtschaftsstandortes gegenüber den globalen Wettbewerbern.
Das bedeutet: Wenn in Deutschland und Teilen Europas in den kommenden Jahren die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dann wird das massive wirtschaftliche Folgen für Deutschland und für Europa haben.
Marcus Klöckner: Sie haben es schon angesprochen. Die Folgen für unser gesellschaftliches Gefüge wären weitreichend.
Henrik Paulitz: Mit der Mobilität, der Raumwärmeversorgung und vielen Stromanwendungen stünde auf sehr umfassende Weise die Befriedigung von Grundbedürfnissen in Frage. Eine solche Ökonomie des Verzichts wäre auf demokratische Weise auf Dauer nicht durchsetzbar, weil die Menschen das nicht wollen, sobald sie spüren, was das in der Realität bedeutet.
Das heißt: Es müsste zu repressiven, totalitären staatlichen Strukturen kommen, die mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Die Deutsche Bank Research spricht bereits von Öko-Diktatur. Nicht zuletzt wäre auch die innere und äußere Sicherheit massiv gefährdet. Eine solche Entwicklung kann sich eigentlich niemand wünschen.
Marcus Klöckner: Wie erklären Sie sich, dass wir in dieser Situation sind? Was genau hat die Politik falsch gemacht?
Henrik Paulitz: Man hat sich in Deutschland zu lange darauf verlassen, dass die seit Jahrzehnten angekündigten Langzeitspeicher nicht nur versprochen, sondern auch geliefert werden. Heute sehen wir, dass das nicht der Fall ist und dass sich das auf absehbare Zeit technisch wie auch ökonomisch als äußerst schwierig darstellt.
Die Konzeption der Energiewende, wie sie in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren propagiert wurde, ist daher nicht realisierbar. Die Energiepolitik bedarf dringend der Korrektur, und zwar sehr kurzfristig, weil sich zeigt, dass ein Verlust des konventionellen Kraftwerksparks nicht zu verantworten wäre.
Marcus Klöckner: Rechnen Sie mit einer Korrektur der Energiepolitik?
Henrik Paulitz: Das ist schwer zu beurteilen. Die Probleme bestehen darin, dass sich viele Akteure ideologisch sehr festgelegt haben, dass eine kritische Rationalität bei der Beurteilung von technischen und ökonomischen Fragen mehr und mehr blinden Glaubensbekenntnissen gewichen ist und dass jährlich auch sehr viele Milliarden in diesem Bereich fließen, was Strukturen zementiert, so dass ein Umsteuern schwierig werden dürfte.
Andererseits nimmt der Realitätsdruck mit den anstehenden Kraftwerks-Stilllegungen ganz drastisch zu. Das Problem ist einfach nicht mehr wegzudiskutieren. Die Versorgungssicherheit wird daher vermutlich bald schon zu einem, wenn nicht zu dem beherrschenden Thema der Politik.
Marcus Klöckner: Was müsste aus Ihrer Sicht nun getan werden?
Henrik Paulitz: Bei nüchterner Betrachtung gibt es praktisch keine ernsthaft vertretbaren Handlungs-Alternativen mehr, da selbst die Erneuerbare-Energien-Branche sich in den vergangenen Jahren nicht für den Erhalt bzw. für die Gestaltung eines Backup-Kraftwerksparks eingesetzt hat, den sie aber doch so dringend benötigt, sondern stets nur meinte, mit immer mehr Wind- und Solarenergieanlagen alles lösen zu können.
So wurden zuletzt auch die Empfehlungen der so genannten Kohlekommission sträflich missachtet, wonach bei einem Atom- und Kohleausstieg – als einzig mögliche Lösung – sehr schnell Gaskraftwerke in großer Zahl hätten gebaut werden müssen. Die bittere Realität ist nun, wenn man zunächst nur die kommenden Monate und Jahre in den Blick nimmt: Entweder lässt man bestehende Kraftwerke weiter am Netz oder dieses Land versinkt im Chaos einer „StromMangelWirtschaft“.