Zu Weihnachten ein Quantensprung

Warum?

Fast so berühmt wie Albert Einstein war in den USA der Physiker Richard Feynman. Er war bekannt dafür, dass er die kompliziertesten Dinge ganz einfach erklären konnte.

Ein Journalist wollte das auf die Probe stellen und fragte ihn in einem Interview, warum sich zwei Magneten manchmal abstoßen und manchmal anziehen würden. Aber anstatt über Magnetismus zu reden, klärte Feynman den Mann über die Bedeutung des Wortes „warum“ auf. Das ging etwa so:

Ein Kind kommt nach Hause und erfährt, dass Tante Minnie im Krankenhaus ist. „Warum?“ fragt das Kind. „Weil die Ambulanz sie da hin gebracht hat“. „Warum?“ – „Weil sie sich die Hüfte gebrochen hat.“ „Warum?“ – „Weil sie ausgerutscht ist und hingefallen.“ „Warum?“ – „Weil es kalt war und der Weg vereist.“

An diesem Punkt wird das Kind vermutlich aufhören zu fragen, denn es ist selbst schon mal auf Eis ausgerutscht. Das überraschende Phänomen, nämlich dass Tante Minnie nicht da ist, wurde also erklärt durch die alltägliche Beobachtung, dass Eis glatt ist. Diese Tatsache ist allgemein akzeptiert und das „warum“ hat damit ein Ende.

Das heißt natürlich keineswegs, dass allgemein bekannt ist, „warum“ Eis glatt ist. Man weiß nur, „dass“ es so ist. Die Wissenschaft nun hinterfragt auch die alltäglichsten Dinge und versucht Gesetzmäßigkeiten zu finden, die möglichst viele unterschiedliche Phänomene gemeinsam erklären.

Feynman machte dem Reporter dann klar, dass die Kraft zwischen den Magneten auf der elektromagnetische Wechselwirkung beruht, und dass letztere auch die Ursache dafür sei, dass sein Arm, trotz Schwerkraft, auf der Armlehne des Sessels liegen bleibt und nicht darin versinkt.

Wir wissen nicht, ob der Journalist mit der Antwort zufrieden war, aber auf jeden Fall hatte er jetzt gelernt, dass man wissen sollte warum man fragt, bevor man fragt „warum“.

Willkommen bei den Quanten

Die Theorie des Elektromagnetismus kann also viele unterschiedliche Phänomene erklären: sowohl die Magneten als auch die Armlehne.

Eine andere wichtige physikalische Theorie beschreibt das Verhalten von Gegenständen unter dem Einfluss der Gravitation: etwa den Lauf des Mondes um die Erde oder den Fall eines Apfels vom Baum. Das wird auch als Newtonsche Mechanik bezeichnet, weil sie von jenem im 17. Jahrhundert entwickelt wurde.

Mit diesen beiden Theorien kann man schon eine ganze Menge erklären, aber noch nicht alles.

Sicherlich haben Sie schon einmal den Begriff „Quantensprung“ gehört. Etwa dass jemand sagt, die Entdeckung von Penicillin sei ein Quantensprung für die Medizin gewesen. Der hat dann zumindest nichts von Physik verstanden. Und zwar deswegen:

Vor gut hundert Jahren zerbrach man sich den Kopf, wie wohl die Atome funktionieren. Die sind ja so ähnlich aufgebaut wie das Sonnensystem: in der Mitte eine schwere Masse, der Atomkern. Um ihn kreisen, wie Planeten, die Elektronen. Was lag da näher, als die ganze Sache mit Newtons Physik zu beschreiben, die sich ja am Himmel schon so gut bewährt hatte. Insbesondere lag das nahe, weil die Anziehungskräfte zwischen Sonne und Planeten, ebenso wie zwischen Kern und Elektronen, mit dem Quadrat der Entfernung abnehmen.

Aber da war die Ähnlichkeit dann zu Ende. Man fand heraus, dass die Elektronen in allen Atomen auf ganz bestimmten Bahnen laufen, während sich die Planeten bei der Schöpfung des Universums diejenige Bahn um die Sonne ausgesucht haben, der ihnen gerade gefiel.

Aber nicht nur bei Atomen, bei allen Objekten die so winzig klein sind fand man heraus, dass sie sich nicht kontinuierlich verändern können, sondern dass ihnen nur ganz bestimmte Zustände zur Verfügung stehen. Ein Apfel im Garten etwa durchläuft bei seinem Fall zum Boden unendlich viele verschiedene Zustände; seine Höhe über Grund nimmt k0ntiunuierlich ab. Wären unsere Apfelbäume aber so winzig klein wie Atome, dann würde der Apfel auf einer Leiter vom Baum steigen, und jede Sprosse wäre ein anderer „Quantenzustand“ und jeder Schritt abwärts ein „Quantensprung“.

Ein Quantensprung ist also die kleinst-mögliche Veränderung, die ein atomares oder sub-atomares Gebilde ausführen kann. Mit solch einem Vergleich würden wir dem Penicillin und seinem Entdecker sehr Unrecht tun, denn das war ein gigantischer Schritt vorwärts.

Die allerkleinsten Teilchen

Die Spielregeln für Atome und Co, genannt Quantenmechanik, wurden vor 100 Jahren entdeckt und sie waren eine gewaltige Bereicherung der Physik über Mechanik und Elektromagnetismus hinaus. Es gab aber, und es gibt immer noch Geheimnisse.

Die alten Griechen dachten, dass wenn man Materie, etwa ein Stück Eisen, in immer kleinere Stückchen teilt, dass man dann irgendwann an einen Punkt kommt, wo das Teilen sein Ende hat. Diese kleinsten, unteilbaren Fragmente nannten sie Atome.

Damit lagen sie einerseits ganz richtig, denn das kleinste Stück Eisen, das es gibt, ist tatsächlich ein Eisen-Atom. Das allerdings kann man dann noch weiter teilen, wobei diese Bruchstücke dann allerdings nicht mehr „aus Eisen“ sind.

Wie oben schon erwähnt besteht ein Atom ja aus Elektronen und dem Kern, und der Kern seinerseits ist aus Neutronen und Protonen zusammengesetzt. Sind das denn nun endlich die allerletzten kleinen Teilchen, sind das die ultimativen Bausteine des Universums oder sind die selbst noch teilbar?

Dieser Frage hat man viele Überlegungen gewidmet und man hat gigantische Maschinen gebaut, so genannte Beschleuniger, um die Sache im Experiment zu untersuchen. Und was hat man gefunden? Mehr als man wollte. Man hat heute einen ganzen Zoo voller mehr oder weniger exotischer Individuen, von denen man annimmt, dass sie unteilbar sind.

Für diesen Zoo hat man eine Gehege gebaut, das so genannte „Standardmodell“, welches 17 Käfige hat für die vermutlich 17 verschiedenen Elementarteilchen. An dieser Stelle eine bedauerliche Nachricht: Protonen und Neutronen, die Bausteine der Atomkerne, sind nicht dabei. Sie bestehen ihrerseits aus drei echten Elementarteilchen, den so genannten „Quarks“.

Das zumindest ist der heutige Stand der Kenntnis. Aber die Wissenschaftler in der Teilchenphysik sind immer offen für neue Ideen und neue Teilchen, denn sie wurden ja immer wieder von der Wirklichkeit überrascht. Das ist ganz anders als bei den Klimaforschern, die sich noch nie geirrt haben, deren Behauptungen in Stein gemeißelt sind, und die daher jegliche Kritiker mit Acht und Bann strafen.

Schnell genug?

Ein Zoo kann verwirrend sein. Da stößt man etwa auf eine Riesenfledermaus vom Amazonas, direkt daneben schläft ein Stachelschwein und im Tümpel versteckt sich ein Waran. Im Teilchenzoo herrscht ein ähnliches Durcheinander. Hier ein Beispiel, das Ihnen zeigen soll, wie bizarr es da zugeht.

Die Teilchen haben, wie jegliche Materie, eine Masse. Dank Einsteins Gleichung E = mc2 wissen wir, dass die Masse zunimmt, wenn sich ein Gegenstand schnell bewegt, weil die Bewegungsenergie selbst Masse hat. Und wenn wir uns der Lichtgeschwindigkeit nähern könnten, das sind ziemlich genau eine Milliarde km/h, dann würde die Masse unendlich groß.

Und dennoch gibt es Teilchen, die genau mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind. Die haben auch Masse, die allerdings nur aus ihrer Energie besteht. Deswegen können diese Kandidaten nicht langsamer werden, sie sind immer mit einer Milliarde km/h unterwegs.

Während Sie gerade lesen treffen Unmengen dieser Teilchen auf Ihren Körper, einige davon in Ihre Augen, landen dort auf der Netzhaut und werden von Ihrem Nervensystem letztlich als Buchstaben in einem Text über Physik interpretiert. Es sind Photonen, Lichtteilchen, die ganz legitim mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind.

Man bemüht sich natürlich, alle Bewohner dieses Zoos unter einen Hut zu bringen. Man versucht zu verstehen, „warum“ es genau diese Teilchen gibt und keine anderen. Dazu wurde die Quantenfeld-Theorie erfunden. Hier hat der eingangs erwähnte Physiker ganz wesentlich beigetragen, unter anderem die berühmten Feynman-Diagramme, von denen eines diesen Artikel ziert.

Diese Theorie hat übrigens behauptet, dass es ein Schwergewicht unter den Teilchen geben müsste, das noch nie jemand beobachtet hat, namens „Higgs-Boson“. Das war 1964. Ein halbes Jahrhundert lang musste man mit den kompliziertesten Apparaturen nach dem Teilchen forschen, bis man es endlich fand. Es ist ein Triumph für die Wissenschaft, wichtig genug, dass auch die Tagespresse davon berichtete.

Bei der nervenaufreibenden Suche fiel sicher auch einmal ein Fluch wie: „Wo versteckt es sich denn, das gottverdammte Teilchen.“ Daraus machten Journalisten dann das „Gottesteilchen“.

Die Entdeckung dieses Higgs Bosons hat vorerst keine Konsequenzen für das alltägliche Leben, es ist nur eine wichtige Ergänzung zur existierenden Kollektion der Elementarteilchen; etwa so wie es ein australischer Wombat im Zoo der Tiere wäre.

The Theory of Everything

Da haben wir uns jetzt einige sehr erfolgreiche physikalische Theorien angeschaut. Aber eine einzige Theorie, die alles beschreibt, das wäre noch schöner, das wäre der Heilige Gral der Physik. Aber auch wenn man diese Weltformel fände ginge das Fragen trotzdem weiter: „Und warum sieht diese Formel nun genau so aus und nicht anders?“

An dieser Stelle hilft dann die Feststellung eines anderen genialen Physikers weiter. Der Entdecker der „Unschärferelation“, Werner Heisenberg erkannte:

„Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft führt zum Atheismus, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten

Ihr Hans Hofmann-Reinecke

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.