Klimapolitik: Das Virus ist die Generalprobe (1)
Deshalb habe man zusammen mit Wissenschaftlern und Künstlern einen „Algorithmus programmiert, der Vivaldis Vier Jahreszeiten neu arrangiert“. Uraufführung war am 16. November 2019. Die Temperatur in Hamburg lag bei 5 Grad Celsius, die Sonne ging um 16.22 Uhr unter. Die Zuschauer kamen zum Teil im Nerz, zum Teil in Bade-Shorts; niemand wusste so recht, ob es Frühling, Sommer, Herbst oder Winter war. Aber die Aufführung öffnete allen die Augen, so dass sie endlich der Klimakatastrophe gewahr werden konnten.
Was die Elbphilharmoniker können, das kann ich auch, dachte sich Svenja Schulze und ließ uns via Tagesschau vom 26. November 2019 wissen, Deutschland stecke „mitten drin in der Erderhitzung“. Liest man den an diesem Tag vorgestellten Monitoringbericht der Umweltministerin zu den Folgen des Klimawandels für Deutschland, findet man allerdings nichts wirklich Alarmierendes: kein signifikanter Trend bei Hochwasser, keine vermehrten Dürren (die durchschnittliche jährliche Regenmenge hat sogar zugenommen), Hagel nimmt eher ab als zu, kein signifikanter Trend bei Niedrigwasser, kein Trend beim Schadholz, keine Aussage zum Einfluss des Klimawandels bei Schaderregern möglich, und so weiter. Der größte Coup, den Schulze landen konnte: „Die Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur in Deutschland um 0,3 Grad in nur fünf Jahren ist alarmierend.“ (siehe hier)
Mythos Hitzetote
Das ist allerdings eine vollkommen sinnfreie Aussage. Denn die Veränderung der Durchschnittstemperatur über Jahrzehnte ist oft geringer als die Schwankungen innerhalb weniger Jahre. Je nachdem, von welchem Jahr bis zu welchem Jahr man misst, kann man beliebige Erwärmungen oder Abkühlungen konstatieren: Von 2013 bis 2018 ist es sogar um sage und schreibe 1,75 Grad wärmer geworden (ebenso allerdings von 1846 bis 2018), von 2007 bis 2010 ist es dafür um 2,0 Grad kälter geworden. Das heißt nicht, dass es keine Erwärmung gibt: Vergleicht man Zehn-Jahres-Durchschnittswerte, zeigt sich, dass die Temperatur in Deutschland seit den 1980er Jahren deutlich ansteigt und derzeit bei 9,7 Grad liegt, davor jedoch rund 70 Jahre ungefähr gleich blieb. Die 1910er Jahre lagen bei 8,2 Grad Celsius, die 1930er, 1950er und 1970er ebenfalls. (siehe hier)
Und dann hat Frau Schulze sich noch für einzelne Jahre mit besonders schönem Sommer jeweils tausende von Hitzetoten ausrechnen lassen. Grund: An zehn Tagen im Jahr klettere das Thermometer mittlerweile über die 30 Grad Marke! Auch das nicht wirklich überzeugend. Ist es ein Todestrieb, der Millionen von Senioren ans Mittelmeer oder nach Florida zieht, wo die Temperatur 2019 an 71 Tagen über 33 Grad Celsius lag?
Oder vielmehr die begründete Hoffnung auf ein angenehmeres, längeres Leben mit weniger Krankheit? Tatsächlich sterben an sehr heißen Tagen statistisch betrachtet etwas mehr Menschen. Vorwiegend sehr alte, die dem Tod schon sehr nahe sind. Allerdings darf man nicht vergessen, dass dieselben, nun schon toten Menschen dafür kurz danach nicht mehr sterben. Sie als „zusätzliche Todesfälle“ zu bezeichnen, weil sie ein paar Tage oder Wochen früher streben, ist sehr irreführend.
Egal. Was die Schulze kann, das können wir auch, dachte sich kurz darauf eine Mehrheit von 429 Abgeordneten des Europaparlaments und rief den (symbolischen) Klimanotstand aus.
25 Jahre Klimapolitik: Außer Spesen nichts gewesen
Vor 25 Jahren fand in Berlin die erste UN-Klimakonferenz (COP 1) statt. Vorausgegangen war im Juni 1992 der Umweltgipfel in Rio de Janeiro. Damals, 1995, war Angela Merkel Umweltministerin, und Deutschland versprach, den größten Einzelbeitrag aller Länder zur Treibhausgasreduktion zu leisten. Tatsächlich sind die deutschen CO2-Emissionen seitdem um rund 15 Prozent gesunken. Allerdings erfolgte der deutlichste Rückgang in den Nachwendejahren mit der Abwicklung der DDR-Industrie. Seit 2009 verläuft die Kurve eher flach. Die USA hatten dagegen ihren Höchststand 2007 und konnten ihn in den folgenden zehn Jahren um 14 Prozent reduzieren.
Europa erreichte schon 1989 den Höchststand und konnte bis 2017 einen Rückgang um 28,5 Prozent vermelden. Doch der Großteil der Welt hat in Sachen Wohlstand und damit auch bei der Energienutzung noch großen Nachholbedarf. Der Großteil der Menschheit kann und will sich die künstliche Verteuerung der Energieerzeugung oder die künstliche Verteuerung von Gebäuden und Geräten aller Art, um sie energieeffizienter zu machen, schlicht nicht leisten. Global gesehen steigen die Emissionen also weiter ungebremst an. Seit 1995 haben sie um 57 Prozent zugenommen. Allein China hat um 200 Prozent zugelegt und Indien um 205. (siehe hier) Dennoch emittiert ein Deutscher immer noch mehr als fünfmal so viel CO2 wie ein Inder.
Betrachtet man die globale Entwicklung, so kann man den Eindruck gewinnen, dass 25 Jahre internationale Klimaschutzpolitik tendenziell mit der Bemerkung bilanziert werden können: außer Spesen nichts gewesen. Die Zahl der Menschen, die Jahr für Jahr zu den Vertragsstaatenkonferenzen fliegen, ist von 2.044 registrierten Teilnehmern im Jahr 2005 auf 26.706 im Jahr 2019 angewachsen. Der Treibhausgasausstoß ist keineswegs umgekehrt proportional dazu gesunken, sondern steigt weiter stetig an.
Die verbale Aufrüstung im letzten Jahr, in dem Greta Thunberg die Welt bereiste, einige Schüler immer wieder freitags demonstrierten, sogenannte Extinction-Rebellen gelegentlich auf Straßenkreuzungen allerlei Übungen machten und manche Medien offenbar Richtlinien erließen, wonach nicht mehr von „Klimawandel“ oder „Klimaerwärmung“ die Rede sein darf, sondern nur noch von „Klimaüberhitzung“ oder „Klimakrise“, änderte hieran nichts.
Zum Glück. Denn es gibt Wichtigeres in der Welt. Während im „Klimaschutz“ im Wesentlichen Stagnation zu beobachten war, können wir in vielen anderen Bereichen signifikanten Fortschritt verzeichnen. Die Kindersterblichkeit in Afrika ist seit 1995 um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. Die Lebenserwartung ist in den letzten 50 Jahren im weltweiten Durchschnitt um rund 18 Jahre gestiegen, die verfügbaren Kalorien pro Kopf haben um rund 30 Prozent zugenommen. Die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, ist von 42 Prozent im Jahr 1981 auf 10 Prozent im Jahr 2015 gesunken. Und so weiter. (Alle Zahlen von der Website „Our World in Data“) Dieser Fortschritt kommt nicht von ungefähr. Er ist eng verbunden mit der über lange Zeit stetig verbesserten Fähigkeit der kosteneffizienten Energiebereitstellung in mittlerweile riesigen Infrastrukturen, größtenteils auf Basis fossiler Energieträger.
Unrealistische Ziele
Barack Obama glaubte offenbar sehr an sich selbst und damit auch daran, dass es wohl nicht so schwer sein kann, die Welt zu retten, als er über den Tag seiner Nominierung als Präsidentschaftskandidat sagte:
„This was the moment when the rise of the oceans began to slow and our planet began to heal.“
Auch Richard David Precht stellt sich die Sache recht einfach vor. Wir müssten jetzt „bestimmte Verbote machen“, meint der deutsche Fernsehphilosoph.
Denn: „Wessen Leben wird tatsächlich unglücklicher, wenn er kein nicht-recyclefähiges Plastik (1) mehr hat? Wer wird denn wirklich unglücklicher, wenn es weniger Billigkreuzfahrten gibt?“ (2)
Mit solchen Maßnahmen, glaubt er, unter dem magischen 1,5-Grad-Ziel bleiben zu können, das neuerdings die Grenze zwischen Rettung und Untergang markiert. Offensichtlich hat er keine Vorstellung, was Dekarbonisierung wirklich erfordern und bedeuten würde. Nur ein Beispiel: Würde man den globalen Flugverkehr komplett einstellen, immerhin 45 Millionen Flüge mit 4,5 Milliarden Fluggästen pro Jahr, ergäbe sich dadurch bis zum Jahr 2100 ein um 0,054 Grad geringerer Temperaturanstieg. (siehe hier)
Die Idee, mit genug gutem Willen, ein paar Verboten und einer CO2-Steuer könne man in kurzer Zeit die globale Energie-, Industrie- und Mobilitätsinfrastruktur umbauen, ist irreal. Wir erleben im Moment einen skurrilen Überbietungswettbewerb bei sogenannten „Klimazielen“: CO2-Neutralität bis 2050 (IPCC- „Sonderbericht 1,5°C globale Erwärmung“), bis 2030 (Campact, siehe hier), bis 2025 (Extinction Rebellion, siehe hier)! Wer bietet mehr?
Angebliche Rekorde bei Solar- und Windenergie
Der Umweltwissenschaftler Roger Pielke Jr. hat sich die Mühe gemacht, auszurechnen, was das konkret bedeuten würde. Die Ausgangslage: Im Jahr 2018 verbrauchte die Welt 11.743 Megatonnen Öleinheiten (Mtoe) in Form von Kohle, Erdgas und Erdöl. Die Verbrennung dieser fossilen Brennstoffe führte zu 33,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxidemissionen. Bis zum Jahr 2050 bleiben rund 11.000 Tage. Um bis 2050 weltweit Netto-Null-Kohlendioxid-Emissionen zu erreichen, sei es daher erforderlich, in den nächsten 30 Jahren täglich Erzeugungskapazitäten für gut 1 Mtoe kohlenstofffreien Energieverbrauch aufzubauen. Wenn wir einen moderaten Zuwachs von 1,25 Prozent jährlich für die Armen der Welt erlauben, kommen wir auf 1,6 Mtoe pro Tag.
Laut Pielke entspricht eine Megatonne Erdöleinheiten dem Output des Kernkraftwerks Turkey Points in Florida. Es folgt daraus, dass wir die nächsten 30 Jahre rund zehn Kernkraftwerke dieser Größe (1 GW) pro Woche bauen müssten. (Oder 10.000 Windräder der 2,5-MW-Klasse. Oder 1,3 Milliarden Quadratmeter Solarmodule, siehe hier). Woche für Woche. Gleichzeitig müssten wir noch die gesamte globale Infrastruktur, die auf Verbrennung beruht, ersetzen: Heizungen, Autos, Flugzeuge, Industrieanlagen. Befinden wir uns nach 30 Jahren Klimapolitik denn auf gutem Wege dorthin? Dazu nur eine Zahl: 2018 ist der globale Verbrauch an fossiler Energie um 280 Millionen Tonnen gestiegen. Nicht gesunken.
Unablässig wird durch Meldungen über immer neue Rekorde bei Solar- und Windenergie die Machbarkeit einer Umstellung auf Erneuerbare beschworen. So zeigt zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung in einer Grafik, Finnland gewinne bereits 78,4 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Schaut man genauer hin, wundert man sich. Wind- und Sonnenenergie, um die es in dem Artikel geht, kommen in Finnland zusammen gerade einmal auf 3,5 Prozent. Die großen Brocken machen mit 25,1 Prozent die Wasserkraft aus, die generell nicht mehr viel Steigerungspotenzial aufweist, sowie mit 16,2 Prozent die Biomasse, die weit davon entfernt ist, klimaneutral zu sein, und wegen ihres Flächenverbrauchs eher ab- als zunehmen sollte.
Schließlich wurden offenbar noch 33,7 Prozent Kernenergie mitgezählt. So schafft man es, ein Land, das mehr Elektrizität aus der Verbrennung von Torf als durch Windräder und Solarzellen gewinnt, als leuchtendes Beispiel für den Siegeszug der Erneuerbaren zu präsentieren. Auch in Hinblick auf das „Musterland“ Deutschland muss man immer wieder darauf hinweisen, dass Wind und Sonne derzeit am Primärenergieverbrauch noch immer nur einen Anteil von weniger als fünf Prozent (Wind: 3,0, Solar 1,5) haben (siehe hier). Und in China, das auch immer wieder als Vorbild herhalten muss, steigt seit 2017 der Anteil des Kohlestroms wieder an, während 2019 der Zubau von Solaranlagen im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Prozent eingebrochen ist. Wind und Sonne machen weniger als acht Prozent der Elektrizitätsversorgung und damit etwa zwei Prozent der gesamten Energieversorgung aus (siehe hier).
In Deutschland stehen inzwischen rund 30.000 Windräder, nicht wenige davon schon an Standorten, die aufgrund geringer Windgeschwindigkeiten als weniger geeignet gelten, und an solchen, die eigentlichen zu schade dafür sind, beispielsweise Wälder. Sie erfreuen sich insgesamt nur ausgesprochen geringer Beliebtheit. Die Vorstellung, über Wald und Wiesen verstreut, rund eine Million aufzustellen, ist nachgerade absurd. Und würde den gewünschten Ertrag auch gar nicht bringen, da sich die Windräder dann gegenseitig ausbremsen würden (siehe hier).
Dies ist ein Auzug aus dem Buch: „Schluss mit der Klimakrise: Problemlösung statt Katastrophenbeschwörung“ von Thilo Spahl (Hrsg.), 2020, Edition Novo: Frankfurt/Main, hier bestellbar.
Zuerst erschienen bei Novo Argumente und der Achse des Guten.
Weitere Quellen
(1) Die Realität beim Kunststoffrecycling beschreibt Prof. Rainer Bunge, Fachstellenleiter am Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik UMTEC an der Hochschule Rapperswil: „Das Kunststoffrecycling ist weder effizient noch effektiv. Doch warum will der Konsument trotzdem Kunststoff separat sammeln? Der Konsument glaubt, und er möchte auch daran glauben, dass das Kunststoffrecycling einen wichtigen Beitrag zur Kompensation seiner Umweltauswirkungen leistet – obwohl das nicht stimmt.“ In: Stephanie Thiel et al. (Hrsg.): „Recycling und Rohstoffe“, Bd. 12, 2019, S. 245-58.
(2) ARD Video-Clip zit. n. mr. pip, Twitter, 30.11.2019.