Ist wärmeres Klima besser für die Lebenserwartung?
Professor Roland Rau (Uni Rostock)
Der deutschlandweite Befund einer um 4,8 Jahre höheren Lebenserwartung von Frauen bestätigt sich auch auf der Kreisebene ausnahmslos. Selbst im Kreis mit der höchsten Lebenserwartung von Männern (Landkreis München), liegt diese mit 81,2 Jahren immer noch ein gutes halbes Jahr unter der niedrigsten Lebenserwartung von Frauen (Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt). Im Kreis mit der geringsten Lebenswartung für Männer (Bremerhaven) sterben diese mit 75,8 Jahren gar 9,9 Jahre früher als die Frauen im Kreis mit der höchsten weiblichen Lebenserwartung (Starnberg).
Welche Ursachen für die je nach Kreis und Geschlecht mehr oder weniger unterschiedlichen Lebenserwartungen konnten die Autoren ermitteln? Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf und die Arztdichte – Anzahl der Allgemeinmediziner pro 100.000 – erklären jeweils nur einen recht geringen Anteil dieser Unterschiede. Was in Bezug auf die ärztliche Versorgung auch nicht verwundert, denn ab einer bestimmten Schwelle dürfte eine weitere Zunahme der Arztdichte kaum noch zu messbaren Auswirkungen auf die Volksgesundheit führen.
Die von den Autoren gewählten sozioökonomischen Indikatoren erfassen zu einem erheblichen Anteil jeweils dasselbe. Insofern überrascht es nicht, dass sowohl die Arbeitslosenrate als auch der Anteil von Hartz-IV-Beziehern oder Kinderarmut jeweils einen recht bedeutenden Anteil der unterschiedlichen Lebenserwartung zwischen den Kreisen erklären – bei den Männern stärker als bei den Frauen. Sogenannte Lifestyle-Faktoren wie Rauchen und Alkoholkonsum berücksichtigten die Autoren nicht.
Zwei internationale Vergleiche
Hätten Sie gedacht, dass die deutschlandweit höchste Lebenserwartung von Männern (Landkreis München), gerade einmal der durchschnittlichen männlichen Lebenserwartung in Australien entspricht? Und das, obwohl die Arbeitslosigkeit in Down Under gut doppelt so hoch ist wie im Umland von München. Und vor allem: Wie passt das zu den schrillen Warnungen einschlägiger Kreise über die ganz, ganz schlimmen gesundheitlichen Folgen, sollte es in Deutschland während der nächsten Jahrzehnte ein halbes oder auch ein ganzes Grad wärmer werden? Also mitnichten so warm, wie es in Australien längst ist.
Aber die Autoren erwähnen noch einen weiteren, sehr viel krasseren Vergleich, in dem das Sultanat Oman eine tragende Rolle spielt. Dort hat mit dem Anstieg des BIP, der Verbesserung von Hygiene und Gesundheitsversorgung sowie dem Aufbau eines – für deutsche Verhältnisse – bescheidenen sozialen Sicherungssystems die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugelegt. Mittlerweile haben die omanischen Männer tatsächlich die Lebenserwartung ihrer Geschlechtsgenossen in Bremerhaven erreicht. Und das, obwohl im Bundesland Bremen, zu dem Bremerhaven ja gehört, das BIP pro Kopf immer noch mehr als dreimal so hoch ausfällt und das Gesundheitssystem im Oman deutlich schlechter aufgestellt ist. Die Statistiken zur Arbeitslosigkeit sind widersprüchlich, weisen aber insgesamt auf eine höhere Quote bei den Omanis hin.
Die klimaalarmistische Perspektive
Ist dieser Anschluss des Omans an die Lebenserwartung in Deutschland auf Basis der sozioökonomischen Indikatoren also kaum nachvollziehbar, gilt das erst recht, wenn man dieses Land aus einer klimaalarmistischen Perspektive betrachtet: Der im Südosten der arabischen Halbinsel gelegene Oman weist schließlich eine um satte 16,8 Grad (25,6 vs. 8,8) höhere jährliche Durchschnittstemperatur als Bremerhaven auf. Aber vielleicht wird umgekehrt ein Schuh daraus: Wärme fördert die Lebenserwartung.
Das schließt natürlich weitere Erklärungen nicht aus. Vielleicht hat der im Oman während der letzten 50 Jahre bis vor kurzem regierende Sultan Quabus seinen Job deutlich besser gemacht als die Riege der SPD-Bürgermeister, die seit nunmehr 75 Jahren durchgehend die Geschäfte im Bundesland Bremen führen. Oder die Untertanen des Sultans pflegen einen gesünderen Lebensstil und nehmen sich zudem die Arbeitslosigkeit nicht so zu Herzen – nach dem Motto: Allah nimmt und Allah gibt.
Wie dem auch sei: Angesichts dieses australischen und vor allem omanischen Vergleichs ist es doch wohl an der Zeit, sich bei der Suche nach den Treibern und Bremsern der menschlichen Lebenserwartung auch mit der Rolle von Klima und vor allem der Temperatur zu beschäftigen. Abgesehen von der fehlenden politischen Korrektheit ein möglicherweise auch methodisch nicht ganz einfach zu lösendes Problem, da die Stärke des Temperatur-Effekts zwischen verschiedenen Klimazonen variieren könnte und zudem eingebunden sein dürfte in ein Geflecht sozioökonomischer Bedingungen.
Zuerst erschienen bei der Achse, mit freundlicher Genehmigung.
Wolfgang Meins: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.