255.366 Fälle sind es zum Beispiel am 10. September 2020, darunter angeblich (so wörtlich) „9.341 Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“.
Diese Zahlen sind falsch. Denn die Zählweise des RKI entspricht nicht der deutschen Gesetzeslage, dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Was und wie gezählt wird, steht nicht im Belieben des RKI (eines Bundesinstituts im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministers) sowie der Gesundheitsminister und -behörden von Bund und Ländern.
Das RKI zählt alle SARS-CoV2-positiven Testergebnisse als COVID-19-Fälle und setzt sie COVID-19-Infektionen/Erkrankungen gleich (siehe unten 1). Diese Gleichsetzung widerspricht jedoch dem IfSG (siehe 2.). Denn positive Testergebnisse belegen keine Infektion und erst recht keine Erkrankung im Sinne des IfSG (siehe 3. u. 4.).
Ein gesetzlich korrekter Ausweis der Fallzahlen wäre um so wichtiger, als die Infektionszahlen Dreh- und Angelpunkt für staatliches Handeln sind, insbesondere für die Beibehaltung und Verschärfungen von COVID-19-Maßnahmen, und auch von den Gerichten wie eine gottgleiche Offenbarung behandelt werden. Wie gerade erst in einem Verfahren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof festgestellt wurde, gibt es bei den zuständigen Behörden, zumindest im Land Bayern, keine Akten über die Entscheidungsfindung zu den Corona-Maßnahmen; man hat sich dort ausschließlich auf die Lageberichte des RKI und des Landesgesundheitsamts verlassen (siehe hier).
1. Wie das RKI Infektionen definiert
a) Im RKI-Lagebericht heißt es auf S. 2:
„In Einklang mit den internationalen Standards der WHO und des ECDC wertet das RKI alle labordiagnostischen Nachweise von SARS-CoV-2 unabhängig vom Vorhandensein oder der Ausprägung der klinischen Symptomatik als COVID-19-Fälle. Im folgenden Bericht sind unter „COVID-19-Fällen“ somit sowohl akute SARS-CoV-2-Infektionen als auch COVID-19-Erkrankungen zusammengefasst.“
Auf S. 10 heißt es ganz ähnlich:
„Im Lagebericht werden die bundesweit einheitlich erfaßten und an das RKI übermittelten Daten zu laborbestätigten COVID-19-Fällen (COVID-19-Erkrankungen und akute SARS-CoV-2-Infektionen) dargestellt. COVID-19-Verdachtsfälle und -Erkrankungen sowie Nachweise von SARS-CoV-2 werden gemäß IfSG an das zuständige Gesundheitsamtz gemeldet.“
Das RKI zählt also labordiagnostische SARS-CoV-2-Nachweise als COVID-19-Fälle, wobei es darunter akute Infektionen und Erkrankungen zusammenfasst. Kurz gesagt: Labornachweise = akute Infektionen / Erkrankungen. Eine unzulässige, weil dem IfSG widersprechende Gleichsetzung (siehe unten).
Labordiagnostischer Nachweis bedeutet, dass ein positives Ergebnis eines COVID-19-Labortests vorliegt. Üblicherweise handelt es sich dabei um sogenannte PCR-Tests. Mittels dieser Tests werden für ein Virus charakteristische Genabschnitte vervielfältigt und damit das Vorhandensein von Virusmaterial festgestellt.
2. Wie das Gesetz Infektionen definiert
Was sind nun Infektionen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)?
Infektion ist gemäß § 2 IfSG
„die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus“. Der zentrale Begriff ist hier der des Krankheitserregers. Und ebenfalls gemäß § 2 IfSG ist „Krankheitserreger ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) …, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann.“
Das hier entscheidende Kriterium ist die Vermehrungsfähigkeit: Ein Virus ist nur dann ein Krankheitserreger im Sinne des Gesetzes, wenn es vermehrungsfähig ist. Und eine Infektion besteht nur, wenn ein vermehrungsfähiges Virus aufgenommen worden ist.
Anmerkung: Genau genommen reicht es nach der juristischen Kommentarliteratur (Kiessling, § 2 IfSG, Rz. 5) für eine Infektion noch nicht einmal, dass ein vermehrungsfähiger Krankheitserreger in den Körper aufgenommen wurde; erforderlich ist auch eine Entwicklung oder Vermehrung im Körper. Darauf soll es hier aber nicht ankommen.
Labornachweise sind somit nur dann COVID-19-Infektionsfälle im Sinne des IfSG, wenn vermehrungsfähiges Virusmaterial vorhanden ist.
Zwischenbemerkung: Das RKI beruft sich für seine Zählweise auf die Falldefinition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ob das statthaft ist, erscheint höchst fraglich. In der Falldefinition werden die bestätigten COVID-19 Fälle wie folgt definiert:
„Eine Person mit Labornachweis einer COVID-19-Infektion unabhängig von klinischen Anzeichen und Symptomen“ (im Original: „A person with laboratory confirmation of COVID-19 infection, irrespective of clinical signs and symptoms.“).
Es besteht ein kaum merklicher, aber um so wesentlicher und vor allem juristisch bedeutsamer Unterschied zwischen WHO und RKI: Die WHO fordert den Nachweis einer Infektion, das RKI lässt den Nachweis von SARS-CoV-2 (also des Virus) genügen. Das RKI hat das Wort „Infektion“ einfach weggelassen.
3. Was positive PCR-Tests nachweisen und was nicht
Ob ein Virus vermehrungsfähig ist und damit ein Krankheitserreger im Sinne des IfSG ist oder nicht, wird durch die PCR-Tests jedoch nicht festgestellt. PCR-Tests können von ihrer Konzeption her nicht zwischen vermehrungsfähigem und nicht vermehrungsfähigem Virusmaterial unterscheiden.
Das dürfte mittlerweile Allgemeinwissen sein. Wem das klar ist, der kann die nachfolgend vorsorglich aufgeführten Zitate überspringen.
Firma Roche (Hersteller des cobas SARS-CoV-2-PCR-Tests):
„Positive Ergebnisse deuten das Vorhandensein von SARS-CoV-2 RNA hin, aber nicht unbedingt auf das Vorliegen eines übertragbaren Virus.“
Firma Creative Diagnostics (Hersteller des SARS-CoV-2e Coronavirus Multiplex RT-qPCR Kits):
„Das Nachweisergebnis dieses Produkts dient nur zur klinischen Referenz, und es sollte nicht als einziger Nachweis für die klinische Diagnose und Behandlung verwendet werden.“
Institut für medizinische Mikrobiologie der Universität Mainz:
„Ein positives PCR-Ergebnis ist nicht beweisend für das Vorliegen einer floriden Infektion bzw. einer andauernden Besiedlung, da die PCR-Untersuchung nicht zwischen vermehrungsfähigen und nicht mehr vermehrungsfähigen Organismen unterscheidet.“
Science Media Center:
„Der PCR-Test detektiert das Erbgut des Virus in Proben; er reagiert damit nicht nur auf das vermehrungsfähige Virus, sondern auch auf verbleibende Reste.“
Ein Labor für klinische Diagnostik:
„Mittels PCR werden für die jeweiligen Erreger charakteristische Genabschnitte vervielfältigt und nachgewiesen – ggf. auch von nicht mehr vermehrungsfähigen Keimen.“
Ein anderes Labor für labormedizinische und mikrobiologische Analysen:
„Innerhalb weniger Stunden gelingt hier der parallele Nachweis einer Vielzahl der in Frage kommenden viralen Erreger. Allerdings erlaubt der Nukleinsäurenachweis keine Aussage über die Vermehrungsfähigkeit oder Infektiosität der Erreger.“
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charite Berlin laut einem Artikel im Spiegel:
„Deshalb bringt Drosten einen sogenannten Freitest ins Spiel, der nachweist, ob jemand noch infektiös ist. Ein PCR-Test allein reicht dafür nicht aus, weil er nur aussagt, ob eine Probe Erbgut des Coronavirus Sars-CoV-2 enthält oder nicht.“
Deutschlandfunk (DLF):
„Doch am Ende der Infektion wird die Empfindlichkeit [der Tests, Anm.] zum Problem: Dann finden sich im Rachen vielleicht noch Bruchstücke von SARS-CoV-2, die sich nicht mehr vermehren können, aber trotzdem reagiert die extrem empfindliche PCR. In exakten Versuchen wurde nachgewiesen, dass sich bei Patienten kein aktives Virus mehr isolieren ließ, die PCR aber noch einige Tage weiter positiv blieb.“
Hier ist der DLF begrifflich etwas ungenau: Wenn es kein vemehrungsfähiges Virus mehr gibt, befindet man sich nicht am Ende einer Infektion, sondern nach einer Infektion, gemäß IfSG besteht also keine Infektion.
4. Positive PCR-Tests weisen keine Infektion nach
Ergebnis: Der Labornachweis von SARS-CoV-2(-Virusmaterial) belegt noch keine COVID-19-Infektion. Oder anders gesagt: Wer Coronavirus-Material in sich hat, ist längst nicht infiziert im Sinne des Gesetzes. Auch dann nicht, wenn die Tests ordnungsgemäß funktionieren. Es geht hier nämlich ausdrücklich nicht um die Problematik etwaig fehlerhafter Fallzahlen (sogenannte falsch-positive Tests) wegen falscher Meßergebnisse infolge von Laborfehlern und dergleichen.
Mittels PCR-Tests läßt sich nur das Vorhandensein von SARS-CoV-2-Erbguts feststellen, nicht, ob aktuell vermehrungsfähiges Virenmaterial und damit ein Krankheitserreger tatsächlich vorhanden ist und eine Infektion im Sinne des deutschen Infektionsschutzgesetzes besteht. Um dies festzustellen, bedürfte es weiterer Tests, die aber regelmäßig nicht durchgeführt werden.
Ob man aus einem (ordnungsgemäß zustandegekommenen) positiven PCR-Test zumindest schlussfolgern kann, dass irgendwann eine Infektion vorgelegen hat oder auch Fälle denkbar sind, bei denen niemals eine Infektion erfolgt war, ist unklar. Das ist aber auch unerheblich, da das RKI positive Tests als akute Infektionen zählt.
Man kann allenfalls anhand der Zahl der Vervielfältigungszyklen beim PCR-Test auf das Vorhandensein von vermehrungsfähigem Virusmaterial mutmaßen. Je weniger Vervielfältigungen erforderlich sind, um Virusmaterial festzustellen, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch vermehrungsfähiges Virusmaterial vorhanden ist. Man ist sich aber in der Wissenschaft nicht einig, wie viele Zyklen dazu erforderlich sind. Die Labore übermitteln zumeist keine Informationen zur Anzahl der den Tests zugrundeliegenden Zyklen an RKI und Gesundheitsämter, und wenn doch, werden diese nicht ausgewertet.
Mit anderen Worten: Niemand weiß, wie viele der positiv Getesteten Infizierte im Sinne des IfSG sind. Angaben zu steigenden Infektionszahlen und Neuinfektionen sind zwangsläufig falsch.
Noch ärger ist die Falschzählerei des RKI übrigens bei den Todeszahlen. Das RKI schreibt von Todesfällen „im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung“. Auch der Begriff „Kranker“ ist in § 2 IfSG geregelt (= Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist)“. Im IfSG-Komnentar von Eckart/Winkelmüller heißt es etwas konkreter zu § 2 Rz. 25:
„Erkrankt ist die Person, wenn sie Symptome einer bestimmten übertragbaren Krankheit aufweist und diese Symptome diagnostisch bestätigt sind.“
Es bedarf also einer diagnostischen Bestätigung der Symptome. Ein positiver PCR-Test bestätigt aber nicht das Vorhandensein von Symptomen. Ein Zusammenhang mit einer Erkrankung besteht also aufgrund eines positiven Tests nicht.
5. Unzureichende Tatsachengrundlage für staatliche Corona-Maßnahmen
Die Zahl der positiven Corona-Testergebnisse zu veröffentlichen, ist an sich nicht zu beanstanden. Schließlich sind gemäß IfSG – worauf das RKI zutreffend hinweist – positive (und negative) Testergebnisse an die Behörden zu melden.
Nicht mit dem IfSG vereinbar ist es aber, die positiven Tests allesamt auch als (akute) COVID-19-Infektionen auszugeben, ohne zu wissen, bei wie vielen überhaupt eine Infektion vorliegt. Insofern ist es letztlich auch unerheblich, ob sich die Falldefinitionen von WHO und RKI unterscheiden (siehe oben). Das IfSG ist maßgeblich. Und das erfordert, die Zahl der positiven Tests und die Zahl der Infektionen strikt auseinanderzuhalten. Das RKI nimmt diese Unterscheidung nicht vor. Und vermeldet überdies Todesfälle als angbelich im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung stehend, ohne Rücksicht darauf, ob eine COVID-19-Erkrankung vorgelegen hat, wie es das IfSG verlangt.
Natürlich kennen RKI und der Bundesgesundheitsminister ebenso wie die Gesundheitsminister und -ämter der Bundesländer die gesetzliche Definition von Infektion und Erkrankung. Und sie wissen natürlich auch, dass positive PCR-Tests allein keinen Nachweis für akute COVID-19-Infektionen oder -Erkrankungen erbringen. Dennoch zählen sie solche bloßen Virusnachweise als akute COVID-19-Infektionen und als Todesfälle im Zusammenhang mit einer VOVID-19-Erkrankung. Das kann man somit je nach Gusto als Lüge, Irreführung, Täuschung oder politischen Betrug bezeichnen.
Die meisten Medien – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat – beteiligen sich daran und erweisen sich als Claqueure der Regierung. Sie übernehmen diese Zahlen kritiklos und sprechen von bestätigten Infektionen, nachweislich Infizierten oder Corona-Toten (siehe beispielhaft hier, hier oder hier).
RKI und Gesundheitsbehörden berufen sich bei der Beibehaltung und Verschärfung von Maßnahmen häufig auf steigende Infektionszahlen (wie kürzlich in Berlin, als die Verschärfung der COVID-19-Verordnung ausdrücklich mit steigenden Infektionszahlen begründet wurde) oder auf eine bestimmte Zahl von Neuinfektionen (zum Beispiel 50 Neuinfektionen pro Landkreis) und greifen dabei auf die Daten der Lageberichte von RKI und Landesgesundheitsbehörden zurück. Derartig begründete Gefahrenprognosen sind wegen unzureichender bzw. fehlender Tatsachengrundlage hinfällig, darauf gegründete Maßnahmen rechtswidrig. Die tatsächliche oder angebliche Sorge um den Gesundheitsschutz entbindet die Behörden nicht von ihrer Pflicht, das Gesetz zu beachten.
Ansgar Neuhof, Jahrgang 1969, ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in Berlin.
Der Beitrag erschien zuerst bei ACHGUT hier