Welt ohne Klimakonferenzen – und sie dreht sich weiter
Vor knapp dreißig Jahren legte das Kyoto-Protokoll den Rahmen für die Senkung der Emission von Treibhausgasen fest. Seither ist der globale CO2-Ausstoß um 50 Prozent gestiegen – kontinuierlich, Jahr für Jahr. Um das zu verhindern, trafen sich die mächtigsten Männer und Frauen der Welt im gleichen Zeitraum insgesamt 25-mal – ganz offensichtlich mit wenig Erfolg.
Das letzte dieser Treffen fand 2019 in Madrid statt. Immerhin kamen damals 27.000 Personen zu der „COP25“ genannten Tagung. Das folgende Meeting wurde für November 2020 in Glasgow anberaumt, es fällt jedoch Covid-19 zum Opfer. Das Kohlendioxid aber lässt sich von alledem nicht beeindrucken.
Was würden Sie sagen, wenn jemand seit 30 Jahren jedes Frühjahr zu einer aufwändigen Fastenkur ins Sanatorium geht und jedes Mal zwei Kilo zunimmt? Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten (A. Einstein). Entweder ist unser Dickerchen also verrückt oder er trifft sich heimlich mit seiner Freundin. Und so müssen die Anstrengungen der Mächtigen zur Rettung der Welt entweder Wahnsinn sein oder aber ein gigantischer Betrug.
Ein Vertrag für einen Gebrauchtwagen
Schauen wir mal hinter die Kulissen solch einer Konferenz, zum Beispiel der COP15, bei der 2009 in der dänischen Hauptstadt 183 Nationen Versprechungen für ihr Wohlverhalten in Sachen CO2 abgaben. Unter den Teilnehmern fanden sich teils bedeutende, teils schillernde Persönlichkeiten wie Jacob Zuma (ZA), Robert Mugabe (ZIM), Lula da Silva (BRA), Barack Obama (USA), Hugo Chavez (VEN), Recep Erdogan (TUR), Angela Merkel (DE), Nicolas Sarkozy (FRA), Shimon Peres (ISR), Ban Ki-moon (UN) und Jose M. Barroso (EU).
Nach zwölf Tagen harter Arbeit verfassten China, Indien, Brasilien, Südafrika und die Vereinigten Staaten eine Vereinbarung, die von Obama als „bedeutungsvolles Abkommen“ beurteilt wurde. In einer Debatte aller Länder wurde das Dokument dann „zur Kenntnis genommen“, aber nicht „angenommen“, und es wurde auch nicht „einstimmig verabschiedet“.
In dem Text wurde anerkannt, dass der Klimawandel eine der größten Herausforderungen der Gegenwart darstellt und dass Maßnahmen ergriffen werden sollten, um Temperaturerhöhungen unter zwei Grad Celsius zu halten. Das Dokument als solches ist aber nicht rechtskräftig, es enthält keine verbindlichen Verpflichtungen.
Wenn Sie schon einmal versucht haben, einen Vertrag für einen Gebrauchtwagen gemeinsam mit dem Käufer zu verfassen, dann wissen Sie, wie schwer so etwas ist. Da darf man sich nicht wundern, dass 183 Nationen Probleme haben, etwas auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Aber das, was in diesem Abkommen stand, das wusste man vielleicht auch schon vor der Konferenz. Es ist ein mageres Resultat angesichts der zwölf Tage harter Arbeit von tausenden Experten.
China ist mörderisch über die Stränge geschlagen
In der Konferenz machten verschiedene Länder unverbindliche Zusagen über die Reduktion des nationalen CO2-Ausstoßes. Man orientierte sich am Niveau vergangener Jahre und gab an, was im Vergleich dazu bis 2020 erreicht sein sollte. Ob das erreicht wurde, dazu können wir heute also etwas sagen.
Zunächst muss man wissen, dass Japan, Russland, Indien, EU, USA gemeinsam ein Drittel des globalen CO2-Ausstoßes produzieren, China alleine fast ebenso viel. Das restliche Drittel teilen sich rund 180 Länder.
Auf besagter COP15 in Kopenhagen versprach die EU, 30 Prozent unter das Niveau von 1990 – 4.500 Millionen Tonnen – zu kommen; heute ist man bei 3.500 Megatonnen. Das ist recht ermutigend.
Die USA versprachen, bis 2020 um 17 Prozent unter den Level von 2005 – 6.000 Mt – zu kommen. Heute sind sie knapp über 5.000 Mt.
Indien versprach, bis 2020 um 20 bis 25 Prozent unter den Level von 2005 – 1,1 Mt – zu kommen. Heute ist man bei 2,8 Mt.
China versprach, dass man 2020 um 1,8 bis 5 Prozent unter dem Ausstoß von 1990 zu liegen käme. 1990 lag China bei 2.500 Mega-t, zum Zeitpunkt der Konferenz im Jahre 2009 bei 8000 Mega-t, und heute wissen wir, dass China jährlich um die 12.000 Mega-t in die Luft pustet.
Der globale CO2-Ausstoß ist seit 2009 von 29.000 auf 34.000 Mt gestiegen, das sind 17 Prozent Zuwachs in zehn Jahren. (Hier für Sie graphisch dargestellt).
Zusammengefasst könnte man sagen, dass „der Westen“ seine Hausaufgaben gemacht hat, dass aber Asien – allen voran China – mörderisch über die Stränge geschlagen hat. Woher kommt das?
Verschiebebahnhof für CO2
Eine Überlegung: Deutschland hat ca. 33.000 Windturbinen installiert, das sind nach Adam Riese rund 100.000 Rotorblätter, von denen jedes ca. zehn Tonnen wiegt. Insgesamt sind das eine Million Tonnen Kohlefaser-Verbundmaterial, die über unseren Köpfen rotieren. Die Herstellung von 1 kg dieses Materials verbraucht ca. 70 kWh Energie. Nehmen wir an, wir würden die in China fertigen lassen, all diese Energie wäre elektrisch und käme aus Kohlekraftwerken, dann würden für jedes Kilogramm Material 70 kg CO2 emittiert.
Bei der Herstellung von einer Million Tonnen Rotorblätter würden also 70 Millionen Tonnen CO2 erzeugt. Das wären 9% der 800 Millionen Tonnen, die Deutschland jährlich produziert.
Die Zahlen hier sind hypothetische Annahmen, und die 100.000 Rotorblätter wurden auch nicht in einem Jahr produziert und nicht alle in China, aber sie machen deutlich, in welchem Umfang die Verlagerung der Produktion von Industriegütern nach China zum Anstieg der dortigen CO2-Emissionen führt – und bei uns zu einem Absinken.
Die jährliche Pro-Kopf-Emission – der „Carbon Footprint“ – ist in China seit dem Jahr 2000 von 3 auf rund 9 Tonnen gestiegen und damit auf deutsches Niveau. Das liegt aber weniger daran, dass die 1,3 Milliarden Chinesen jetzt alle so dicke Autos fahren und drei Klimaanlagen in jedem Haus sind, sondern am Ausbau der Industrie. Und dafür trägt der Rest der Welt eine Mitverantwortung.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass diese Verschiebung kein stärkeres Absinken der CO2-Emissionen im Westen bewirkt hat.
CO2-Produktion ausgelagert
1990 begann ich eine Tätigkeit als Berater für wissenschaftliche Entwicklungsprojekte. Die Mehrzahl meiner Kunden waren Pharmafirmen. Man lud mich dort erst einmal zu einem Rundgang durchs Werk ein: durch Labors, wo Mitarbeiter in weißen Kitteln mit Ratten oder Kaninchen experimentierten, dann kamen Produktionshallen, wo Flaschen auf Förderbändern von Robotern befüllt wurden und wo die Etikettendrucker ihren Dienst taten. Schließlich kamen wir ins Lager, wo LKWs mit dem Logo der Firma vor den Toren warteten.
Heute wäre solch eine Tour langweilig: nur Großraumbüros. Wo sind all die Ratten und Kaninchen geblieben, die Förderbänder und die Lastwagen?
Die Arbeit der Labors macht jetzt ein Start-up-Unternehmen in der Tschechischen Republik, die Wirkstoffe werden in Indien hergestellt und von dort gleich an einen Lohnhersteller in China geschickt, der daraus Pillen und Säfte macht.
Was mich damals beeindruckte war eine gigantische Anlage, in der tausende Plastikflaschen mit Infusionslösung, so wie sie an den Krankenbetten hängen, samt Verpackung bei hoher Temperatur sterilisiert wurden. All das lief automatisch. Unmengen an Energie wurden hier verbraucht, die heute in China aus der Steckdose kommen müssen. Heute braucht man in der Mutterfirma nur noch Strom für die Computer auf den Schreibtischen, aber das sind vergleichsweise Peanuts.
Wenn man uns heute also über den Erfolg der Energiewende erzählt, so müssen wir bedenken, dass wir einen Großteil unserer CO2-Produktion ausgelagert haben: nach Asien und insbesondere China.
Produktion braucht Energie
Die Forderung „weniger CO2“ weltweit ist primär die Forderung „weniger CO2 aus China“. Das wäre schon mehr als die halbe Miete. Ist das realistisch? Die Welt hat sich entschieden, in China die Produktionsstätten für den Großteil ihrer Konsum- und Industriegüter aufzuschlagen. Das funktioniert gut, weil so die „economy of scale“ optimal zum Einsatz kommt. Zudem ist die Bevölkerung dort anspruchslos, gebildet und fleißig, und das politische System gibt Unternehmern kapitalistische Anreize. Unter diesen Bedingungen kann man dort die gleiche Qualität billiger produzieren als sonstwo auf der Welt.
Produktion braucht aber Energie. Die deutsche Energiewende hat bewiesen, dass die Sache mit Wind und Solar bestenfalls ein teures Hobby für eine arrivierte Gesellschaft wie die unsere ist, aber keine Lösung für China. Dort ist man dabei, so schnell es geht und mit eigenem Know-how, die Kernkraft ausbauen. Von den insgesamt 2.000 GW installierter Leistung sind derzeit 43 GW nuklear, elf weitere GW sind im Bau. Vorerst wird man also, wohl oder übel, den Löwenanteil seiner Energie durch Verbrennen von Kohle erzeugen.
Sollte man China das verbieten? Das ist einerseits undenkbar und wäre andererseits nicht gewollt. Dann würde die gut eingespielte Beziehung der Welt zu ihrem wichtigsten Lieferanten zusammenbrechen. Und der unmittelbar fühlbare Vorteil billiger Konsumgüter ist machtvoller als die Furcht vor einer Klimaveränderung, die wir gar nicht wahrnähmen, wenn man sie uns nicht ständig einsuggerieren würde.
An dieser Situation hätte auch COP26 im November 2020 in Glasgow nichts ändern können. Gut, vielleicht hätte man dort mit viel Fanfaren ein Projekt verabschiedet, um in Burkina Faso mit deutscher Entwicklungshilfe drei Windgeneratoren aufzustellen, die hier beim „Repowering“ abgebaut worden waren; oder man hätte den mutigen Vorschlag diskutiert, weltweit die Leistung von Staubsaugern auf 600 Watt zu begrenzen. Aber das kann man ja nächstes Jahr machen, wenn die Gefahr für Leib und Leben der 27.000 Teilnehmer hoffentlich überwunden ist und der Planet bis dahin überlebt hat.
Dieser Artikel erschien zuerst bei www.think-again.org, bei der Achse und im Buch „Grün und Dumm“.