Endlager, Radioaktivität, Wissenschaft
Natürlich wird sie nicht von Fachleuten geleitet, sondern von Politikern. Vorsitzender ist Stefan Studt (Jurist), „Managing Director“ Steffen Kanitz (Dipl. Kaufmann).
Der von dieser Behörde vorgestellte Zeitplan, von dem natürlich niemand annimmt, dass er eingehalten wird, sieht so aus: Bis 2031 hat man einen Standort gefunden, und ab 2050 kann eingelagert werden. Ähnliche Zeitpläne hatte man beim Bau der gotischen Kathedralen. Auch diese dienten keinem praktischen Bedürfnis, sondern wurden rein aus Gründen des Glaubens errichtet. Allerdings müssen auch Nichtchristen zugeben: Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Das wird beim Endlager nicht der Fall sein.
Neben der Politik soll es eine umfangreiche Beteiligung der Öffentlichkeit geben. Man wird wohl auf die entsprechenden Forderungen des BUND eingehen: „Es braucht für einen Verständigungsprozess tatsächliche Mitbestimmung im Sinne von klar definierten Mitentscheidungsbefugnissen der Betroffenen, die deutlich über eine Konsultation hinausgeht. Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sie Anwält*innen und Gutachter*innen in den Begleitprozessen finanzieren können (Gleiche Augenhöhe).“
Alle an der Endlagersuche Beteiligten, oder solche, die sich beteiligen möchten, streiten ab, rein einem Glauben zu dienen. Nein, im Gegenteil, sagen sie, alles soll nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden werden.
Aber welche wissenschaftlichen Gründe könnte es geben, das bereits vorhandene Bergwerk Gorleben abzulehnen und einen anderen Standort zu suchen? Medizinische? Höhere Sicherheit vor Strahlen, weniger Krankheiten und Todesfälle? Da müsste man erst einmal zu einer rationalen, wirklich wissenschaftlichen Beurteilung biologischer Strahlenwirkungen kommen.
Leider gibt es ein Spektrum von Meinungen, und in der Öffentlichkeit liebt man die schrecklichsten Szenarien.
Hier eine Liste der Grundauffassungen. Alle werden von Leuten vertreten, denen man nicht absprechen kann, Wissenschaftler zu sein. Die Mehrzahl hat den Doktortitel, viele sind Professoren.
- Grüne
Ionisierende Strahlung gehört zu den gefährlichsten Einwirkungen auf Mensch und Natur. Schon die natürliche Hintergrundstrahlung verursacht epidemiologisch nachweisbare Gesundheitsschäden. Zeitschrift „Strahlentelex“: „Krebserkrankungen und Säuglings-sterblichkeit nehmen auch mit der Höhe der natürlichen Hintergrundstrahlung zu. Dabei beobachteten Dr. Alfred Körblein und Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann in Bayern ein fünffach höheres Krebsrisiko, als von der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) geschätzt.“
Daher ist es verantwortungslos, kerntechnische Anlagen zu betreiben, welche dieses Risiko noch erhöhen. Zu ermitteln, welche Steigerung der Strahlenintensität (Strahlungsleistung, Dosis pro Jahr) von solchen Anlagen ausgeht, wäre das falsche Vorgehen. Man muss die meist schlimmen Wirkungen betrachten. Diese lassen sich durch kreative Auswertung medizinischer Statistiken finden. Da die Verursacher bekannt sind, erübrigen sich Dosismessungen. Ein Beispiel sind die Erkenntnisse von Dr. Hagen Scherb, Helmholtz-Zentrum München: „Im Umkreis von 35 km um Anlagen in der Schweiz und in Deutschland ist der Verlust von 10.000 bis 20.000 Lebendgeburten bei Mädchen im Verlauf der letzten 40 Jahre nachweisbar.“Ähnliches finden Scherb und Mitarbeiter auch in anderen Ländern. Herr Scherb wird viel zu Tagungen eingeladen und genießt die Beachtung der Medien.
- IPPNW
(International Physicians for the Prevention of Nuclear War)
Diese Vereinigung gehört zur grünen Wissenschaft, d.h. sie ist an Dosis-Wirkungs-Beziehungen weniger interessiert. Sie hat aber doch einen Risikofaktor definiert, nämlich 0,2 tödliche Krebsfälle pro Sievert (Sv). Das bedeutet: Erhalten 100 Personen je eine Strahlendosis von 1 Sv, dann ist mit 20 zusätzlichen Krebsfällen zu rechnen. Die Vorstellung, dass Strahlung statistisch wirkt, den einen erwischt es, den anderen nicht, wird auch sonst anerkannt. Nicht jedoch das daraus abgeleitete Konzept der Kollektivdosis, welches für IPPNW und andere ein Dogma darstellt.
Am besten lässt sich dies Konzept anhand einer Lotterie erklären. Dem Risikofaktor entspricht die Gewinnwahrscheinlichkeit.
Lose ∙ Faktor = Gewinne.
100 Lose: 100 ∙ 0,2 = 20 Gewinne.
Nun wird bei Strahlung, und hier hört der Konsens auf, angenommen: Der Faktor sinkt linear mit der Dosis. Bei 0,1 Sv = 100 mSv ist der Faktor 0,02, bei 1 mSv = 0,0002. Sind aber um so mehr Menschen betroffen, bleibt die Zahl der Strahlenopfer gleich. Bei der Lotterie stimmt die Überlegung. Gewinnerwartungen seien 0,2; 0,02 und 0,0002, Zahl der Lose 100, 1.000 und 100.000.
100 Lose: 100 ∙ 0,2 = 20 Gewinne
1.000 Lose: 1.000 ∙ 0,02 = 20 Gewinne
100.000 Lose: 100.000 ∙ 0,0002 = 20 Gewinne
Auch ist es ganz egal, ob die Lose an einem Tag oder im Verlauf eines Jahres verkauft werden. Die Strahlendosis mag noch so klein sein, multipliziert mit der nötigen Anzahl der Betroffenen erhält man doch die gewünschte Anzahl von Toten. So lässt sich aus öffentlichen Strahlenmessungen noch einiges herausholen.
- ICRP
(International Commission on Radiological Protection)
Das ist die Dachorganisation aller offiziellen Einrichtungen zum Strahlenschutz. Deren Empfehlungen liegen der Strahlenschutz-Gesetzgebung aller Staaten zugrunde. Auch ICRP verwendet einen Risikofaktor. Mit abnehmender Dosis wird das Risiko proportional geringer. Allerdings ist der Faktor nur ein Viertel so groß wie bei IPPNW, nämlich 0,05 Fälle pro Sv. Er wurde aus den äußerst umfangreichen Daten über die Folgen der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki abgeleitet.
ICRP setzt eine lineare Abhängigkeit der Effekte bis zum Nullpunkt voraus. Daraus folgt die LNT-Hypothese: Linear no threshold, also keine untere Schwelle der Strahlenwirkung. Daher muss die Strahlenexposition von Menschen so klein wie möglich sein:
ALARA: As low as reasonably achievable
Nach dieser Vorstellung ist auch die natürliche Umgebungsstrahlung schädlich. Das hierdurch bedingte zusätzliche Risiko für Krebs wurde u.a. von Dr. Jacobi, Helmholtz-Zentrum, auf der Grundlage der ICRP-Annahmen errechnet. Sein Ergebnis: Ein zusätzliches Risiko ist anzunehmen. Es ist aber zu klein, um sich in epidemiologischen Studien zu zeigen. Das gilt auch für Gegenden auf der Welt mit erheblich höherer natürlicher Umgebungsstrahlung. „Die Ergebnisse dieser (weltweiten) Studien lassen keine Korrelation mit der natürlichen Strahlenbelastung erkennen.“
- Praktiker
Die LNT-Hypothese wird abgelehnt. Es hat keinen Sinn, mit Strahlenschäden zu rechnen, die sich nicht nachweisen lassen. Das Konzept der Kollektivdosis wird abgelehnt. Der Vergleich mit Lotterielosen ist für biologische Systeme nicht anwendbar, da diese kleine Einwirkungen vertragen oder bald reparieren.
Beispiel Schnaps (Dr. Lutz Niemann): Trinkt jemand an einem Tag 2 Liter, ist er anschließend tot. Werden die 2 l als 20 ml-Schnäpschen an 100 Personen verteilt, dann sind das zwar zusammen wieder 2 l, aber gibt es deswegen einen Todesfall? Oder unser Schnapsfreund gönnt sich an 100 Tagen je einen 20 ml-Schnaps, stirbt er davon?
Bei einmaligen Dosen von 150 mSv findet man keine Wirkungen. Es wurde gefordert: Werden Personen irgendwo geringeren Jahresdosen als 250 mSv ausgesetzt, so sollte sich keine Behörde darum kümmern (Norbert T. Rempe).
Im Jahr 2015 wurde von einer großen Gruppe US-amerikanischer Strahlenwissenschaftler eine Petition an die zuständige Behörde NRC (Nuclear Regulatory Commission) gerichtet, man solle LNT und ALARA nicht mehr den Strahlenschutzstandards zugrunde legen.
Die Behörde lehnte ab. Aber ihre Ablehnung war vorsichtig formuliert, es war keine kategorische Ablehnung für alle Zeiten, sondern: „For the time being and subject to reconsideration.“
- Hormesis
(Positive Strahlenwirkung)
Es gibt mehrere tausend Untersuchungen, in denen positive Wirkungen niedriger Strahlendosen gefunden wurden. In Deutschland machte dies besonders Prof. Feinendegen, Düsseldorf. Ein bekannter amerikanischer Wissenschaftler, James Muckerheide, schrieb 2001 (nach seiner Pensionierung): „It‘s Time to Tell the Truth About the Health Benefits of Low-Dose Radiation: (übersetzt) „Es wurde nachgewiesen, dass Strahlung im niedrigen Dosisbereich positive biologische Wirkungen verstärkt. Dies betrifft Immunsystem, enzymatische Reparatur, physiologische Funktionen, Eliminierung von Zellschäden, einschließlich der Verhinderung und Entfernung von Krebs- und anderen schädlichen Zellen. Trotzdem erkennen Strahlenschutzpolitik und Strahlenpraxis diese vertrauenswürdigen Daten nicht an. Sie stützen sich stattdessen auf unzuverlässige, nicht eindeutige, falsch interpretierte und manipulierte Daten.“
Die Vorstellung der positiven Wirkung kleiner Dosen führt zu dem Schluss, dass die natürliche Umgebungsstrahlung für uns gut ist, mehr wäre besser. Ganz ohne Strahlung ginge es uns schlechter. Das konnte natürlich nie an Menschen nachgewiesen werden. Es gibt aber Untersuchungen an Mikroorganismen und Fischlaich, welche in sehr strahlenarmer Umgebung, nämlich in Salzbergwerken, Schäden zeigten. Eine solche Untersuchung wurde von H. Bühringer und H.-J. Kellermann, Bundesforschungsanstalt für Fischerei, in der Asse durchgeführt.
Soweit die Strahlenbiologie. Sie könnte die Frage beantworten: „Warum?“ Muss man mit radioaktiven Stoffen wirklich so aufwändig umgehen? Die Frage „wie“ betrifft die Geologie. Da sind die Ansichten nicht so unterschiedlich, oder doch?