Ein Plädoyer für die Industriegesellschaft

Die Länder Asiens, die in den letzten Jahrzehnten eine gewaltige industrielle Entwicklung hingelegt haben, sind wesentlich erfolgreicher ans Werk gegangen. Wer sich nicht auf China beziehen möchte, nehme sich andere asiatische Länder zur Anschauung wie z.B. Südkorea: vorbereitet, modern, schnell, effektiv und insgesamt ziemlich beispielhaft.
Der Westen hat die Warnungen der letzten 18 Jahre, das nämlich immer wieder auftretende Phänomen neuer virulenter Erreger, einfach nicht zur Kenntnis genommen. Und dies, obwohl es auch hier von weitsichtigen Personen wie dem Lungenarzt Prof. Köhler schon im Jahr 2005 einen sehr brauchbaren Pandemieplan gegeben hat. Auch danach gab es genügend Anzeichen und Warnungen, dass so etwas jeder Zeit auf uns zu kommen könnte.
Stattdessen schürte man hier das Phantom einer bevorstehenden Klimakatastrophe und bereitete Schritt für Schritt den Ausstieg aus der Industriegesellschaft vor. Inzwischen liegt der ganze Plan dazu bei der Europäischen Union in Form des „New Green Deal“ auf dem Tisch, und Angela Merkel stellte das als große Errungenschaft in Davos persönlich vor, mit der Ankündigung, man müsse nun alles ablegen, woran wir uns im Industriezeitalter gewöhnt hätten.
Sie hatte damals in Davos aber vor lauter Klimawahn übersehen, dass die Liste des bereits Abgelegten schon gefährlich lang ist: moderne makellose Straßen und funktionierende Bahnverbindungen, einsturzfeste Brücken, moderne Telekommunikation, preiswerte und sichere Energieversorgung, Beatmungsgeräte, ausreichendes Pflegepersonal, Schutzkleidung, Masken, Tests und was sonst noch alles dazu gehört.
Die Industriegesellschaft aufgeben zu wollen, ist vergleichbar nur mit den wahnsinnigsten Modellen von „Kulturrevolution“, die wie Mahnmale in die Geschichte eingegangen sind.
Haben wir vergessen, dass viele Generationen vor uns dafür gekämpft haben, dass die erfolgreiche und stetige Anwendung unzähliger Erfindungen und Verbesserungen die Grundlage unseres Wohlstands und unserer gesellschaftlichen Freiheit sind? Freiheit ist keine nur individuelle und auch keine nur akademische Frage. Schön, wenn Frau von der Leyen ein Video über die richtige Methode des Händewaschens macht und dazu aus Beethovens Neunter etwas summt, aber in manchen Regionen Afrikas gibt es nicht einmal die Freiheit, sich die Hände waschen zu können und an vielen anderen Orten auch nicht. Und hier, wollen wir es etwa Freiheit nennen zu entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht, nur weil die Krankenhaus-Kapazitäten wegrationalisiert wurden? Wollen wir demnächst entscheiden, wer wann etwas Strom abbekommt und wer wieviel Rohstoffe verarbeiten darf ? Ist es Freiheit, Spekulationsgewinne aus dieser Krise zu ziehen und sich damit zu brüsten, diese einzigartige Corona- Gewinn- Chance geschickt genutzt zu haben? Unbequeme Fragen, die sich aufdrängen.
Industrie wurde zu unseren besten Zeiten verstanden als eine Kraft, gesellschaftliche Werte zu schaffen, die der Freiheit aller dienten. Dazu gehörte neben vielen anderen Errungenschaften eine wetterunabhängige Energieversorgung, moderne Verkehrstechnik, eine leistungsfähige Produktion und ein hervorragendes Bildungs-und Gesundheitssystem.
Seit dem Geschwätz von den Grenzen des Wachstums und der Forderung nach System-Veränderung ist dieser Freiheitsbegriff nicht nur ins Wanken geraten, sondern sogar systematisch uminterpretiert und verdreht worden und das seit nun 50 Jahren.
Diejenigen, die schon 1972 im letzten Kapitel der „Grenzen des Wachstums“ die grundlegende Veränderung unserer Wertmaßstäbe und die Änderung der Gesamtstruktur unserer Gesellschaft forderten oder beklatschten, zielten von Anfang an auf den Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Sie meinten dabei nicht irgendwelche Länder, sondern vorzugsweise Deutschland, das in den Jahren 1955 bis 1972 eine erstaunlich schnelle Aufbauarbeit nicht nur in Sachen Kerntechnik geleistet hatte. Viele, die ihnen sozialistische Motive, kommunistische Unterwanderung oder sogar ehrliche Umweltschutzgründe unterstellten, hatten nie wirklich begriffen, dass die Bewegung von Anfang an und mit aller Konsequent gegen die Fortschrittstradition gerichtet war.
Einer dieser schon damals fanatischen Systemveränderer war Prof. Dr. Amory Lovins, der über Jahrzehnte hinweg zusammen mit Ernst Ulrich von Weizäcker in diese Richtung wirkte. Bei einem hochrangigen Expertengespräch in Bonn im Jahr 1977 mit dem Thema: „Schnelle Brüter -Pro und Contra“ kam er ausführlich auf den systemrelevanten Unterschied zwischen sogenannter „harter Energie“ und „weicher Energie“ zu sprechen. Dabei sagte er: „ Kurz gesagt wird beim „softpath“-Ansatz die Energie nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern als Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele und diese Ziele sollen erreicht werden, indem Energie eingespart….. und andere Ressourcen sparsam verwendet werden“ [1]. Aus seiner Zusammenarbeit mit Häfele beim Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIAS) in Laxenburg ist bekannt, dass Lovins schon damals der Ansicht war, dass eine unbegrenzte Energieversorgung dem Systemwechsel im Wege stehe und dass deshalb die Zerschlagung zentral organisierter Strukturen wesentlich sei.
Die Energieumwandlung sollte deshalb in kleinen, dezentralisierten Einheiten, beruhend auf regenerativen Energiequellen erfolgen [2]. Amory Lovins gründete 1982 das Rocky Mountain-Institut. Gemeinsam mit seinem Gesinnungsgenossen Ernst Ulrich von Weizäcker , der das berüchtigte Wuppertal-Institut mitgründete, arbeiten sie jetzt schon 50 Jahre an der sogenannten großen Transformation, dem Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Über das 1995 gemeinsam publizierte Buch mit dem Titel „Faktor 4 — doppelter Wohlstand- halbierter Naturverbrauch“ heißt es in der kürzlich erschienen neuen Schrift von Prof.Schneidewind (Wuppertal-Institut) mit dem Titel „Die große Transformation– Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“, dass die Einschätzung ganz falsch gewesen sei. Nachhaltigkeit sei nicht alleine mit mehr Effizienz möglich. Nun müsse demnächst alles begrenzt und zugeteilt und der Primärenergieverbrauch in Deutschland müsse bis 2050 halbiert werden. Es wird dann nicht nur an Masken fehlen……
Die These des Club of Rome von den begrenzten Ressourcen ist längst widerlegt. Dennoch werden schamlos neue Thesen in die Welt gesetzt, deren Gültigkeit man abermals widerruft, andere aufstellt und das ganze als die „Kunst des gesellschaftlichen Wandels“ vermarktet. Was wollen wir mit diesen Leuten, die sich nie auf die Realität beziehen? Man kann ja nur hoffen, dass die gegenwärtige Krise früher oder später zu einer Zäsur wird, dass die Realität stärker wirkt als die Ideologie und dass wir uns rechtzeitig an die eigentliche Tradition Europas erinnern. Hier ist ein schönes Zitat von Alexander von Humboldt aus dem Kosmos:
mehr, wenn benachbarte Staaten, in denen Wissenschaft und industrielle Künste in regem Wechselverkehr miteinander stehen, wie in erneuerter Jugendkraft vorwärts schreiten“ [3].
Die politischen Systeme waren zu Humboldts Zeiten andere. Das, was über Fortschritt und Wohlstand und Zukunft entscheidet, ist gleich geblieben.
Quellennachweise
[1] Hans Matthöfer (Hrsg.), Argumente in der Energiediskussion Band 1 – Schnelle Brüter Pro und Contra. Protokoll des Expertengesprächs vom 19.5.77 S.19, im Bundesministerium für Forschung und Technologie, 1977, Verlag: Villingen, Neckar-Verlag.
[2] Peter Penczynski, 1978, Welche Energiestrategie können wir wählen?, Siemens-Aktiengesellschaft (Abt. Verlag).
[3] Alexander v.Humboldt, 1978, KOSMOS, Hanno Beck, Brockhaus Stuttgart, S.25.