Über einen möglichen Zusammenhang zwischen winterlichem Polarwirbel und Winterkälte in Mittleren Breiten
Zunächst einmal muss definiert werden, was mit dem Terminus „Polarwirbel“ – oder „Polar Vortex PV“ – eigentlich gemeint ist. Nicht jedes Tiefdruckgebiet in polaren Gebieten ist ein Polarwirbel, und natürlich ist ein Polarwirbel außerhalb polarer Breiten ein Widerspruch in sich.
In der angelsächsischen Literatur ist mit PV immer der winterliche Polarwirbel in der Stratosphäre gemeint. Ein Beispiel desselben zeigt Abbildung 1:
Der winterliche Polarwirbel in der Stratosphäre ist natürlich eine Folge der winterlichen Abkühlung der Troposphäre. Grob vereinfacht erklärt: Die einzelnen atmosphärischen Schichten sacken bei Kälte so zusammen, dass in der Höhe ein Defizit, also „Tiefdruck“, entsteht.
Es gibt aber noch einen zweiten wichtigen Grund: Die Ozonbildung kann in der Polarnacht nicht mehr stattfinden – sie ist aber der Grund, warum es in der Stratosphäre ansonsten relativ warm ist (der kurzwellige Teil des UV wird bei der Ozonbildung in Wärme verwandelt).
So klassisch Breitenkreis-parallel wie in dieser Graphik zeigt er sich nun aber keineswegs immer. Die Beispielgraphik ist eine numerische Simulation vom 23. Februar 2020, 00 UTC (1 Uhr MEZ) für 168 Stunden im Voraus, also für genau eine Woche. Aktuell erscheint er nämlich deformiert:
Derartige Deformationen sind nun allerdings normal, und die klassisch runde Ausprägung wie in Abb. 1 ist eher die Ausnahme. Im bisherigen Winterverlauf jedoch war er fast durchweg in dieser Form ausgeprägt.
Nun gut, das ist alles ziemlich weit oben. Steigen man jetzt ein paar Etagen ab, z. B in die mittlere, Troposphäre (500-hPa-Niveau, ca. 5000 m Höhe), sieht das Bild natürlich anders aus. Die folgende Graphik zeigt die Topographie des 500-hPa-Niveaus vom 23. Februar 2020, 06 UTC:
Man erkennt grob integrierend betrachtet eine ähnliche Struktur wie in der Stratosphäre, jedoch mit viel mehr Mäandern. Das ist normal. Hinzuweisen ist hier aber auf die ebenfalls fast Breitenkreis-parallele Strömung von Neufundland bis nach Russland hinein. Es liegt auf der Hand, dass unter diesen Umständen winterliche Kaltluft aus Osten keine Chance hat, sich westwärts bis nach Mitteleuropa auszubreiten. Dazu später noch mehr.
Der Vollständigkeit halber hier noch die zirkumpolare Strömungsverteilung am Boden:
Da sich am Boden aber lediglich die „Spur des Schlittschuhläufers“ abbildet und der Schlittschuhläufer selbst weiter oben seine Kreise zieht, steigen wir jetzt wieder hinauf.
Zusammenfassung dieses Abschnitts: Der Polarwirbel bezeichnet das Phänomen der Bildung einer zirkumpolaren Zirkulation in der höheren Troposphäre und der Stratosphäre. Im Sommer verschwindet der Polarwirbel oder ist zumindest sehr schwach ausgeprägt. Belegt werden soll das mit der Zirkulation im 50-hPa-Niveau über der sommerlichen Antarktis:
Und damit kommen wir zurück zur eigentlichen Frage: Ist an der in der Überschrift dieses Beitrags aufgestellten Behauptung etwas dran? Gibt es einen Zusammenhang?
Da es dem Autor nicht gelungen ist, historische Reanalysen der Stratosphäre zu finden, beschränken wir uns hier auf den atlantisch-europäischen Bereich. Wie aus den Abbildungen 1 bis 3 hervorgeht, geht ein kräftig ausgeprägter zonaler Grundstrom im 500-hPa-Niveau einher mit einem ausgeprägten stratosphärischen Polarwirbel, so wie es in diesem und auch den vergangenen Wintern fast durchweg der Fall war.
Nun kann der PV aber auch ein ganz anderes Verhalten zeigen. Man betrachte noch einmal die Abbildung 2 mit der aktuellen Deformation des PV. Sie soll sich den Simulationen zufolge wieder zurückbilden zum Zustand in Abbildung 1. Das ist aber nicht immer so. Im Extremfall deformiert sich der PV so stark, dass er sich ähnlich einer sich am Strand brechenden Meereswoge in zwei Teile aufspaltet – es kommt zu einem sog. „Major Warming“. In diesem Falle erscheint der PV nicht nur stark abgeschwächt, sondern auch mit zwei weniger stark ausgeprägten Zentren.
Bekannt ist, dass ein solcher Vorgang in Mittleren Breiten auf der gesamten Nordhemisphäre gravierende Kälteperioden zur Folge hat, so wie letztmalig im Spätwinter 2018. Vergleicht man ein solches „Major Warming“ nun mit der aktuellen Lage, scheint sich die Behauptung aus der Überschrift zu bestätigen.
Betrachten wir noch einmal die im Subheader erwähnte „gefangene“ Kaltluft im Falle stark ausgeprägter PV. Kann man das irgendwie mit Bodendaten belegen?
Das Winterindiz schlechthin ist neben der Meereisbedeckung die Schneedecke, und zwar sowohl deren Ausdehnung als auch deren Volumen. Bei in Mittleren Breiten milder Witterung macht sich die dort fehlende Schneedecke sicher durch eine vergleichsweise geringe Ausdehnung bemerkbar. Das war während der vergangenen Winter auch so. Betrachten wir also die Ausdehnung der Schneedecke auf der Nordhemisphäre:
Man sieht, dass die Ausdehnung in diesem Winter eher noch geringer ist als während der vorangegangenen Jahre. Das überrascht nicht, denn in fast ganz Europa liegt derzeit kaum oder gar kein Schnee.
Exkurs: Gibt es auf der NH vielleicht einen allgemeinen Trend zur Abnahme der Schneedecken-Ausdehnung? Dazu folgende Graphik:
Ende Exkurs
Nun sollte man aber erwarten, dass wenn schon die Kaltluft irgendwie „gefangen“ ist, wenigstens das Volumen der Schneedecke relativ hoch sein sollte, sorgt doch diese Konstellation für große Temperaturgegensätze im Bereich der jeweiligen Frontalzone und damit für mehr Niederschlag, der auf der kalten Seite als Schnee fällt. Dazu betrachte man jetzt Abbildung 8:
Und siehe da: Das Volumen der Schneemenge dieses Winters liegt deutlich über dem Mittel der Jahre 1982 bis 2012 und sogar noch deutlich über dem Band der Standardabweichung 1.
Nun aber zur Frage, ob ein ausgeprägter Polarwirbel (PV) routinemäßig zu milder Winterwitterung in Mitteleuropa führt?
Es wurde schon erwähnt, dass die Temperaturgegensätze zwischen warm und kalt bei stark ausgeprägten PV sehr hoch sein können, während sie bei schwächer ausgeprägten oder gar geteilten PV nicht so groß ausfallen. Große Temperaturgegensätze bedeuten aber in der Troposphäre auch besonders starke Wettervorgänge, hier in Gestalt der Tiefdruckgebiete im Bereich der Polarfront. Da zeigt sich Verschiedenes, was sehr bemerkenswert ist. Zunächst aber einige Anmerkungen zum Kältepol dieses Winters, der praktisch den ganzen Winter über im kanadisch-grönländischen Gebiet zu finden war. Dieser war in diesem Winter so extrem stark ausgeprägt, dass hier in einem Exkurs näher darauf eingegangen werden soll.
Exkurs: Der kanadische Kältepol des Winters 2019/20
Weil es im Zuge der Mainstream-Klimapropaganda keine Kälterekorde geben darf, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in Kanada in diesem Winter gleich reihenweise Kälterekorde gebrochen wurden. Sogar auf der sonst stramm alarmistisch ausgerichteten, sonst aber eigentlich sehr guten Site von Wetteronline.de wurde schon darauf hingewiesen. Temperaturwerte unter -50°C sind nicht so ganz ungewöhnlich in den kanadischen Nordwest-Territorien, aber dass das so wiederholt und regelmäßig in diesem Winter vorkam, ist schon bemerkenswert. Nun ist es dort natürlich in jedem Winter sehr kalt, aber wenn die Temperatur statt der „normalen“ -30°C wiederholt unter -50°C sinkt, ist das selbst für die dortigen kältegewohnten Bewohner beachtlich.
Dazu gibt es auch einen Beitrag, in welchem Ausbrüche aus diesem kanadischen Kaltluft-Reservoir in Richtung USA bis hinunter nach Florida beschrieben werden. Das ist Wetter, nicht Klima, und wird hier nur nebenbei erwähnt. Aber am Ende jenes Beitrags folgen ein paar Bemerkungen, die hier übersetzt werden sollen:
Ersten aktuellen Modellrechnungen zufolge dürfte sich die Lage im März zunächst kaum bessern – und all diese anomale Kälte bedeutet, dass sich im Jahre 2020 der substantielle Abkühlungstrend fortsetzt, der während der letzten 5 Jahre zu verzeichnen war.
Der eigenen, zum Warmen verzerrten und den UHI-Effekt ignorierenden Temperatur-Datensätze der NOAA zufolge kühlte es sich in Nordamerika seit dem Jahr 2015 mit einer Rate von 2,03°C pro Dekade ab* (das ist 29 mal schneller als die Rate der Erwärmung vor dem Jahr 2015):
[*Verdeutlichung: wäre die Abkühlung in dieser Größenordnung 10 Jahre lang erfolgt, würde sie 2,03°C betragen. Während der 5 Jahre aktuell war es also die Hälfte]
Die kalten Zeiten kehren wieder – und das schnell – was auf einer Linie steht mit der historisch geringen Sonnenaktivität, der stärkeren, Wolken erzeugenden kosmischen Strahlung (hier) und meridionalen Strömungsanteilen des Jet-Streams.
Man falle nicht auf falsche politische Agenden herein – unsere Zukunft ist eine der fortwährenden Abkühlung.
Ende Exkurs
Auswirkungen dieser Extremkälte in West- und Mitteleuropa
In dem ausschnittsweise übersetzten Artikel wird wie erwähnt vor zwei gefährlichen Kaltluftausbrüchen bis in den Südosten der USA gewarnt. Das kommt aber seltener vor als Ausbrüche nach Osten auf den Atlantik hinaus. Und hier tut sich in der Tat Bemerkenswertes und etwas, das für uns Synoptiker und Wetterfreaks immer wieder aufs Neue faszinierend ist: Es bilden sich Orkanwirbel der absoluten Spitzenklasse (man sehe dem Autor die etwas überschäumende Wortwahl nach). Am 16. Februar 2020 erreichte diese Entwicklung einen einsamen Höhepunkt: Es bildete sich ein Orkanwirbel mit einem Kerndruck unter 930 hPa! Das ist zwar kein Weltrekord, sinkt doch der Luftdruck im Auge tropischer Wirbelstürme häufig noch tiefer. Aber im Nordatlantik dürfte das schon in die Nähe von Rekordwerten reichen. Die Wetterlage zeigt Abbildung 9:
Vermutlich wird auch Laien schnell klar, dass bei einem solchen Giganten-System, das ja entgegen dem Uhrzeigersinn umweht wird, für Mitteleuropa nur die Südwest-Komponente gelten kann. Kälte ausgeschlossen.
Dieser Wirbel war aber nur die (höchste) Spitze des Eisbergs der Bildung großer Orkanwirbel. Seit Anfang Januar entwickelte sich über dem Nordatlantik ein Wirbel mit Kerndruck unter 950 hPa nach dem anderen. Das ist zwar auch nicht ungewöhnlich, kommt aber auch nicht in jedem Winter vor.
Derartige Entwicklungen sind also im Mittel an einen ausgeprägten Kältepol über Kanada-Grönland gekoppelt. Aber sind so starke Entwicklungen schon ein Indiz, dass es immer so weitergeht, bis dem Kältepol aus jahreszeitlichen Gründen die Puste ausgeht?
Nein! Dem Autor ist nämlich ein ziemlich drastisches Gegenbeispiel erinnerlich. Am 15. Dezember 1986 bildete sich im Seegebiet zwischen Island und Grönland ebenfalls ein Orkanwirbel der Spitzenklasse mit einem Kerndruck deutlich unter 930 hPa:
Tatsächlich waren die ersten beiden Dekaden des Dezember 1986 außerordentlich mild ausgefallen. Die damals 1-jährige Tochter des Autors konnte Anfang Dezember 1986 bei tiefblauem Himmel und einer Temperatur über 15°C leicht bekleidet im Garten herumkrabbeln. Wie jedoch erinnerlich, folgte dann der sehr kalte Winter 1986/87. Auf der Suche nach Unterschieden zur diesjährigen Situation wird man denn auch schnell fündig.
Im Gegensatz zu derzeit lag nämlich damals über Nordosteuropa ebenfalls ein ausgeprägter Kaltluftkörper, dem auch die Mega-Entwicklung bei Grönland nichts anhaben konnte. Kaum hatte sich der Wirbel bei Grönland nämlich stark abgeschwächt, wurde dieser Kaltluftkörper angezapft – der erforderliche hohe Luftdruck über dem nördlichen Mitteleuropa war jedenfalls auch schon vorhanden.
Leider ist es dem Autor wie gesagt nicht gelungen, historische zirkumpolare Stratosphärenkarten zu finden. Dann könnte man schauen, wie der stratosphärische PV zu jener Zeit ausgesehen hat. Falls jemand aus der geneigten Leserschaft hier helfen kann, wäre er dankbar für einen entsprechenden Kommentar mit Links.
Aber zurück zur derzeitigen Lage. Sie ist nämlich gekennzeichnet durch einen „Rekord“, der sich aber nur Fachleuten offenbart, der aber hier kurz erläutert werden soll.
West- und Mitteleuropa sind jedenfalls gegen Kaltluftvorstöße der Art, wie sie derzeit für die USA prognostiziert werden, nachhaltig geschützt, und zwar in Gestalt des Atlantischen Ozeans mit seinen vom Golfstrom erwärmten Gewässern. Momentan kommt noch die AMO-Warmphase im Zentralen Nordatlantik hinzu, welche den Temperaturgegensatz noch etwas steigern könnte. Die aus Kanada auf den Atlantik hinaus advehierten Kaltluftmassen werden auf dem langen Weg über dieses warme Wasser nach Europa so weit aufgeheizt, dass sie hier ihre winterlichen Eigenschaften weitgehend eingebüßt haben – jedenfalls normalerweise. Die Luftmassen, welche vom nordöstlichen Nordamerika aus als extrem kalte Kontinentale Arktikluft (cA) starten, erreichen West- und Mitteleuropa hinter den Kaltfronten der durchziehenden Sturm- und Orkanwirbel nur noch als subpolare Meeresluft (mP), die in den untersten Luftschichten dann meist 3 bis 8°C mild geworden ist. In diesem Winter war es jedoch so, dass es in diesen Luftmassen trotz des langen Weges über die warme Unterlage in Irland zu Schauern kam, die trotzdem noch als Schnee fielen. Auch in den höheren, deutschen Mittelgebirgslagen kam es dann häufig zu Schneeschauern. Natürlich wird es bei einer Nord- oder Ostlage auf der Insel noch sehr viel kälter, aber dass der lange Weg über den Atlantik nicht ausreicht, die kanadische Luftmasse auf das übliche Niveau aufzuwärmen, hält der Autor für bemerkenswert. Im schottischen Hochland, wo sich der wärmende Einfluss der tiefen Luftschichten verliert, wird man vielleicht ein Lied davon singen können.
Es hängt von drei Faktoren ab, mit welchen Eigenschaften eine von Westen kommende Kaltluftmasse aus Kanada in Westeuropa ankommt. Faktor 1: Das Temperaturniveau im Ursprungsgebiet, Faktor 2: Die Länge des Weges über das warme Wasser und Faktor 3: Die Zeit für das Überströmen. Zu Letzterem wird aus Abbildung 11 ersichtlich, dass die Strömung aus den o. g. Gründen sehr stark war und die Luftmasse die Strecke schneller zurücklegen konnte, d. h. dass die Zeit für eine stärkere Aufheizung gar nicht gereicht hat. Da aber dieser spezielle Kaltluftausbruch nun wirklich nicht der einzige dieses Winters war, könnte es sein, dass sich das Wasser des Nordatlantiks durch die gigantischen, zum Aufheizen benötigten Wärmemengen ebenfalls etwas stärker als gewöhnlich abgekühlt hat:
Fazit der Abbildung 12: Das Wasser war gar nicht mehr warm genug, um eine stärkere Aufheizung zu bewirken.
Zum Abschluss dieses Beitrages soll noch auf einen Punkt hingewiesen werden, der natürlich im Mainstream nie erwähnt wird. Die sehr milde Witterung dieses Winters in Mitteleuropa (die übrigens Kämpfe (2019) bereits aufgrund statistischer Auswertungen hier im November 2019 zutreffend prognostiziert hatte!), gab natürlich den Alarmisten jedweder Couleur hierzulande Auftrieb. Allerdings ist es grob falsch, aus der milden Witterung zu schließen, dass es „hier keine Winter mehr gibt“. Denn: Das würde bedeuten, dass man glaubt, dass die Strömung bei uns nie mehr aus einer andere Richtung als West oder Südwest kommen soll. Außerdem haben Kowatsch & Kämpfe in verschiedenen Arbeiten die Häufung winterlicher Westwetterlagen in Mitteleuropa nachgewiesen. Man kann wohl getrost davon ausgehen, dass diese Häufigkeit auch mal wieder abnimmt.
Wenn man wirklich die gegenwärtige Lage im Zusammenhang mit irgendwelchen Klima-Fluktuationen bringen will, dann muss man immer in die Ursprungsgebiete schauen: Wie kalt ist es im Zentrum der hemisphärischen Kältepole geworden? Und nur dann lassen sich Äpfel mit Äpfeln vergleichen!