Die apokalyptischen Reiter der Klimapolitik – zum Zweiten
So jedenfalls in der Theorie und in den Augen der Gutgläubigen, die es immer geben wird. Bestimmt allerdings der Vorwurf der Lüge die öffentlichen Zuweisungen, dann bekommt auch Wissenschaft zu spüren, dass ihre Verlautbarungen und Profile im Bewusstsein der Öffentlichkeit kein Extra-Abteil besetzen, sondern, hineingeworfen in die allgemeine Debatte, Verdächten ausgesetzt sind und unter Verzerrungen leiden, denen niemand ungeschoren entkommt. Auch Klimawissen ist eine soziale Größe, ein „fait social“. Das begrenzt seinen Wahrheitsanspruch empfindlich.
Man muss nicht lügen, um zu lügen. Es genügt, einer öffentlichen Lüge die Ehre zu geben. Um das zu verstehen, muss man begreifen, wo das öffentliche Lügen beginnt und warum es unabweislich der Fall ist. Es gehört zu den Gemeinplätzen der Sozialwissenschaft, dass es leichter ist, in der Gemeinschaft unterzugehen, denn als Einzelner gegen sie aufzustehen. Das gilt in existenziellen Lagen, in denen materieller Widerstand gefragt ist, es gilt aber auch in Lagen, in denen nichts weiter gefragt wäre als Sicherheit und Persistenz des eigenen Urteils (der Mut, es öffentlich zu bekunden, käme als Komplikation noch hinzu).
Man weiß, dass sich gestandene Zeugen eines Verbrechens ihre Erinnerung abschwatzen lassen, sobald der soziale Preis sichtbar wird, den sie für ihre Standhaftigkeit entrichten müssten, dass das persönliche Gedächtnis selbst eine elastische Komponente besitzt, die sich ungemein leichtfertig den kurrenten Erzählungen anzuschmiegen weiß, gleichgültig, ob es um Prominentenklatsch oder um Fragen von Krieg und Frieden geht, dass Abgeordnete einstimmig Gesetzespakete beschließen, deren Auswirkungen sie – einzeln befragt – im Ernstfall ablehnen würden, dass Wissenschaftler, um an Forschungsgelder zu kommen, sich Lehrmeinungen beugen, von deren Nichtigkeit sie insgeheim überzeugt sind – und wären sie es nicht, so genügte es, wenn sie selbst ihre Indifferenz „Darüber habe ich kein Urteil“ als Zustimmung auslegten und als Stand der Wissenschaft sich und anderen andrehten, was bei näherer Betrachtung nur eine Forschungsmeinung unter anderen darstellt.
Umwertung aller Werte
Wer vom „selbstreinigenden“ Prozess der Wissenschaft überzeugt ist, der sollte darüber doch nicht vergessen machen wollen, dass die Scientific Community zu allererst community ist, ein soziales Gebilde, innerhalb dessen Wissenschaft betrieben wird. Auch in ihr gilt, dass niemand lügen muss, um zu lügen. Hypothesen lügen nicht, sie werden widerlegt und zu den Akten gelegt oder auch nicht, insbesondere nicht, solange sie Geld, Ruhm und Einfluss generieren. Manche unter ihnen sind längst in einem ignorierten Winkel des wissenschaftlichen Universums widerlegt und werden künstlich am Leben gehalten, solange die Quelle munter weitersprudelt. Wozu gäbe es schließlich Schulen?
Man muss sich, schon aus Gründen der Lehrbarkeit seines Fachs, in vielerlei Hinsicht einigen können, ohne sich einig zu sein. Wer mag, kann das „weitgehenden Konsens“ nennen oder Leitauffassung oder führende Theorie oder „Erzählung“: keine Gesellschaft ohne Prämiensystem, kein Prämiensystem ohne einen Anflug von Schwindel. Verhandelt erst die Diskursgesellschaft ihre Schwierigkeiten im kontroversen Benennen dessen, was ist, unter dem Etikett „Lüge“, dann hält das Wort – und die darin enthaltene Unterstellung – über kurz oder lang auch Einzug in die Wissenschaft und ist auf kaum eine erdenkliche Weise mehr aus ihr zu entfernen.
Lägen die Dinge umstandslos so, wie Greta Thunberg – und mit ihr die Leute von Extinction Rebellion sowie eine weitere nicht exakt zu bestimmende Anzahl von Zeitgenossen – zu wissen glaubt, dann hätte sie einfach recht. Das zu konstatieren, verlangt die intellektuelle Redlichkeit. Recht hätten die Klimakämpfer nicht unbedingt mit dem einen oder anderen Maßnahmenkatalog, wohl aber in der Unbedingtheit ihres Appells, also gerade in dem, was wohlwollende Kommentatoren, das „Machbare“ fest im Blick, Gretas New Yorker Auftritt als „überzogen“ ankreiden. Die Paradoxie des Augenblicks besteht darin, dass diejenigen, die ihr gern glauben wollen (und dabei ebenso viel oder wenig wissen können wie sie selbst), die praktische Uneinlösbarkeit dieses Glaubens weiterhin als Richtschnur ihres Alltagshandelns und – sofern sie Politiker sind – ihrer Entscheidungen benützen.
Während all diejenigen, die mit ihr glauben, dass angesichts des drohenden Untergangs nur noch die radikale Umwertung aller Werte greift, also die „wahrhaft Wissenden“ nolens volens ein Gemeindeleben entfalten, durch das sie sich als Sekte vom Rest der Gesellschaft, die sie doch auf ihre Seite bringen wollen, isolieren – und zwar bereits vor jedem „Kampf“. Hier wie dort kommt damit ein unkontrolliertes und offenbar unkontrollierbares Element ins Spiel, das dem guten Willen partout nicht zur Verfügung stehen möchte – ein schlechtes Element demnach, dem einen eigenen Willen und Daseinszweck zu unterstellen bei gehöriger Motivation nicht schwerfällt, also ein „böses“.
Auslassung des „Wandels“
Zur Logik des „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich“ gehört unbedingt die Figur des Bösen, des Widersachers, die verbal im Englischen deutlicher noch als im Deutschen zutage tritt: der climate denier (deutsch: „Klimaleugner“) ist primär Verneiner (und nicht einfach „Leugner“, wenngleich auch hier die Parallele zum „Gottesleugner“ und, wer weiß, „Holocaust-Leugner“, stärkste Assoziationen verspricht). Dies vor Augen, liest sich eine Liste der „TOP 10 CLIMATE DENIERS“ im Netz wie die handverlesene Auflistung hochdekorierter Handpuppen der Macht, die, wie gesagt wurde, stets das Böse will und stets das Böse schafft: Lobbyisten einer Ölindustrie, die das Ende der Menschheit willentlich zu Profitsteigerungszwecken in Kauf nimmt – während man doch andernorts nachlesen kann, dass auch sie längst in Klimaprojekte investiert.
Allein die Auslassung des „Wandels“ („climate change denier“), der dem offenkundig unsinnigen Ausdruck eine halbwegs fassbare Bedeutung verleihen würde, deutet an: Mit solchen Leuten diskutiert man nicht, schon gar nicht ergebnisoffen (so wie Greta den in New York versammelten Repräsentanten des so oder so dem Untergang geweihten Systems grotesk überspitzte Anklagen ins Gesicht schleudert, statt sich der geschmeidigeren Sprache der Werbung zu bedienen). Man bekämpft sie mit allen Mitteln. Die einzig verbleibende Frage ist: erlaubt und/oder unerlaubt?
Seit die These vom menschengemachten Klimawandel existiert, hantieren einige ihrer Vertreter mit Schreckensszenarien. Das Angebot reicht von unfassbaren Massenkatastrophen über den Untergang der Spezies Mensch bis hin zur Auslöschung der gesamten Biosphäre auf diesem Planeten. Das ist deshalb bemerkenswert, weil – von unwesentlichen Vorläufern abgesehen – die Erstellung computergestützter Welt-Klimamodelle und die allgemeine Propaganda für jene Theorie sowohl zeitlich als auch praktisch miteinander Hand in Hand gehen. Ein nüchterner Zeitgenosse könnte einfach konstatieren, dass die schleichend zum Schulstandard avancierte „Treibhaus-Theorie“ des weltweiten Klimawandels das Geld und Prestige zusammentrommeln musste und muss, das die Wissenschaft benötigt, um einerseits die teure Rechnerleistung für das überwölbende Projekt eines allgemeinen Klimamodells bei den Förderern anfordern und andererseits all die Institute und Forschungsprojekte finanzieren zu können, ohne deren Zuarbeit die schönste Modelliertätigkeit rasch an Aussagekraft verliert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Realismus ist ein schlechter Ratgeber
Das wäre auch gar nicht nötig, gesetzt, man bliebe sich der forschungspragmatischen Implikationen dieser Interessenverbindung stets hinreichend bewusst. Fest steht: Ein Klimamodell, dessen ein für allemal fixierte Aufgabe darin besteht, die These der vom menschlichen CO2-Ausstoß ursächlich bewirkten Erderwärmung mit allen möglichen katastrophalen Folgen auf unverrückbare Füße zu stellen, ist „vom Ansatz her“ etwas fundamental anderes als eines, das ohne dogmatische Ausgangsorientierung und Prognoseabsicht das klimarelevante Geschehen auf dem Planeten in all seinen bekannten und noch zu erforschenden (und zu gewichtenden) Komponenten abzubilden versucht.
Das bliebe auch dann richtig, wenn – gesetzt, es gäbe die Alternative – beide eine Zeitlang zu vergleichbaren Ergebnissen kämen. Modelle, die auf einer gemeinsamen Ausgangshypothese beruhen, besitzen eine Familienähnlichkeit, die man tunlichst nicht mit Wahrheit oder Verlässlichkeit verwechseln sollte. Der Grund für sie kann ebenso gut auch die eine Hypothese zuviel sein, die irgendwann zur Berichtigung ansteht. Das gilt übrigens unabhängig vom Bemühen, ein „möglichst realistisches“ Bild der Klimaverläufe zu erstellen. Realismus ist ein schlechter Ratgeber, sobald es um theoretische Grundsatzentscheidungen geht, wie die Liste der wissenschaftlichen Revolutionen von Kopernikus über Newton bis zu Einstein und seinen Nachfolgern eindrucksvoll belegt.
Auch Forschung beruht, wie alles menschliche Tun, auf vorgängigen Entscheidungen, dem gern so genannten „Framing“: Wer einen anderen Ausschnitt als seine Vorgänger und Konkurrenten ins Zentrum seiner Untersuchungen rückt, der findet in der Regel auch etwas anderes, und sei es das berühmte Haar in der Suppe. Ein Mammutprojekt, finanziell alternativlos aufgestellt, mit einer Überlast an Verantwortung gegenüber Geldgebern, in deren Augen interesseloses Forschen noch hinter einem Grippe-Impfprogramm für Polarfüchse rangiert, gestartet mit dem Versprechen, den Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nichts weniger in die Hand zu geben als den ultimativen „big stick“, mit dem sich buchstäblich jede unpopuläre Maßnahme begründen und durchziehen lässt, sofern man sie propagandistisch nur richtig anfasst – ein solches Projekt darf sich, einmal in Gang gesetzt, nicht auf das übliche wissenschaftliche Hypothesenspiel von „trial and error“ verlassen. Es benötigt die härtere Gangart: Trial and horror.
Dies ist der zweite Teil einer vierteiligen Serie.
Dank an den Autor. Zuerst erschienen bei der Achse des Guten.