Der Elefant ist China, wo niemand Greta kennt und wo Kohle immer noch eine große Zukunft hat. Ob Deutschland mit der Braunkohle seine einzige heimische Energiequelle aufgibt oder in China ein Sack Reis umfällt, ist deshalb egal. Den Klimawandel lässt das kalt.
Vor sieben Jahren verschickte Donald Trump, damals angehender Präsidentschaftskandidat der Republikaner, eine Twitternachricht, die ihm seine verdrießlichen Gegner heute noch gerne anhängen. „Die Idee der Erderwärmung“, so schrieb er, „wurde von und für die Chinesen geschaffen, um die amerikanische Industrie wettbewerbsunfähig zu machen.“ Trumps plakativer Tweet trug ihm viel Häme ein. Damit leugne er, so meinten (und meinen) schlichte Gemüter, die Erderwärmung. Genau das besagt Trumps Tweet nicht, vielmehr dies: Erstens, die Idee des „Global Warming“ schade der (amerikanischen) Wirtschaft. Zweitens, China profitiere von dem Schaden.
Wohlgemerkt, Trump bezog sich nicht auf eine reale, mögliche Erwärmung, sondern auf die Idee, das Konzept, das der globalen Klimapolitik zugrunde liegt. Dieses kommt, angesichts der Komplexheit des Klimageschehens, bemerkenswert simpel daher: Vom Menschen durch Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas freigesetztes Kohlendioxid führe zu einer gefährlichen Erderwärmung. Deshalb müsse die Nutzung fossiler Brennstoffe so rasch wie möglich beendet werden.
Inzwischen hat sich dieses einfache Strickmuster zu einem eisernen Glaubenssatz, dem Klimadogma, verfestigt. Das Dogma verlange nun Null-Kohlendioxidemission; an die Stelle von teuflischer Kohle sollen Sonne und Wind treten. Damit sind wir beim zweiten heute herrschenden Dogma, dem Dogma der grünen Energie. Es besagt, dass Sonnenschein und mäßig bewegte Luft die fossilen Brennstoffe tatsächlich ersetzen können.
Nun sind Klima und Energie zwei Welten. Die moderne Energieversorgung liegt in unseren Händen; wir können sie zu unserem Nutzen gestalten. Klima hingegen ist eine grundlegend größere Sache als Energietechnologie. Das Klima wandelt sich fortwährend; wir können es nicht kontrollieren. Die Zukunft der Energieversorgung vom Klima abhängig zu machen, wie es das grüne Dogma verlangt, ist im besten Fall sinnlos, im schlimmsten schädlich. Die chinesische Führung weiß das. Für sie sind eine sichere, billige Energieversorgung und wirtschaftliche Entwicklung wichtiger als ein (vergeblicher) Klimaschutz.
Gutes Leben mit Kohle
Ohne Energie kein Leben, und mit wenig Energie kein gutes Leben. Schlecht gelebt hat die Menschheit über viele Jahrtausende – mit erneuerbarer Energie: Holz, Muskelkraft, ein bisschen Wasser, ein bisschen Wind. Wenig Energie bedeutete für das Gros der Menschen Kälte, Dunkelheit, Hunger, Krankheit, früher Tod. So war die Welt ohne Kohle. Alles änderte sich mit dem Beginn des Kohlezeitalters im 18. Jahrhundert. Kohle, später auch Erdöl und Erdgas, liefern gespeicherte, jederzeit mittels Technik nutzbare Leistung in den großen Mengen, die heutige Gesellschaften brauchen.
Aus fossilen Brennstoffen stammte in den vergangenen zwei Jahrhunderten über 90 Prozent der weltweit genutzten Energie; sie sind die Grundlage von gut temperiertem Wohlleben, von Gesundheit, Kultur, Technik, Bildung, Freizeit. Ohne sie gäbe es heute nicht nur keine „Fridays for Future“, sondern gar keine Zukunft für Greta und den grünen Jetset. Auch sie leben gut dank Kohle, Erdgas und Erdöl, die immer noch dominieren mit 85 Prozent der weltweit genutzten Energie. Aus Wasserkraft und Kernenergie kommen weitere 11 Prozent. Und Wind und Sonne? Nun ja, bemerkenswerte zwei bis drei Prozent.
Große Mengen an billiger, stets verfügbarer Energie sind die Quelle des heutigen Wohlstands für viele, nicht nur einige wie in der Vorkohlezeit. Darauf beruht auch Chinas Aufstieg, den Deng Xiaoping 1978 mit dem Übergang zu einer Art von sozialistischer Marktwirtschaft einleitete. Kohle aus einheimischen Bergwerken befeuerte die erstaunliche Entwicklung des Landes. Zu Beginn der Deng’schen Reformen betrug Chinas Bruttoinlandsprodukt etwa 150 Milliarden US-Dollar; 2017 lag es bei rund 12 Billionen Dollar! 1980 lieferten chinesische Kraftwerke rund 200 Terawattstunden (TWh) an Strom; 2017 waren es 6.600 TWh. Rund drei Viertel davon liefert die Kohle.
Wirtschaft und Elektrizitätserzeugung, so zeigen diese Zahlen, wuchsen (und wachsen) im Gleichklang, mit jährlichen Raten um die zehn Prozent. In nur drei bis vier Jahrzehnten hat dieses Wachstum rund 700 Millionen Chinesen aus bitterer Armut befreit.
Trotz dieser Erfolge hat China noch einen längeren Weg vor sich, will es das Niveau moderner Industriestaaten erreichen. Kohle wird dabei weiterhin eine tragende Rolle spielen – sehr zum Verdruss der Befürworter „grüner“ Energie. Ebenso verdrießlich dürfte sie stimmen, dass Chinas erfolgreiche Entwicklung heute ein Beispiel für andere Länder ist. Indien, Indonesien, Bangladesch, Vietnam und andere setzen ebenfalls auf fossile Brennstoffe – oft mit „Entwicklungshilfe“ durch China. „Alternative“ Energien, die westliche Politiker und NGOs den armen Ländern schmackhaft machen wollten, haben ihren Reiz verloren.
Chinas Aufstieg – dank Kohle
Seit einer Dekade ist China weltweit der größte Verbraucher von Primärenergie. 2017 nutzte das Land, so die Zahlen von BP, etwa 3,1 Milliarden Tonnen Öläquivalent (TOE), gefolgt von den USA mit 2,2 und Indien mit 0,75 Milliarden TOE. Die Kohle trägt 60 Prozent davon bei, wie übrigens auch in Indien. Offensichtlich ist Kohle für sich entwickelnde Länder die erste Wahl. Nicht ohne Grund, denn die „Schöpfung“ hatte bei der Kohle ein glücklicheres Händchen als beim Erdöl.
Billiges, leicht zugängliches Erdöl sprudelt vor allem in den dünnbesiedelten arabischen Wüsten und erlaubt dort den früheren Nomaden ein luxuriöses, stumpfsinniges Leben ohne Arbeit. Kohle hingegen ist in riesigen Mengen da, wo man arbeitet, wo man sie braucht, wo die meisten Menschen leben, wie in Indien und China. Chinesische Bergleute fördern heute mit Abstand weltweit mehr Kohle als jedes andere Land. Pro Jahr verbraucht China mehr Kohle als der Rest der Welt zusammengenommen.
Ein paar Zahlen: 2017 holten die Bergleute weltweit, nach drei Jahren Rückgangs, 7,7 Milliarden Tonnen Kohle aus der Erde. Zur Jahrtausendwende waren es erst 3,6 Milliarden Tonnen; soviel liefern heute allein die chinesischen Kohlegruben. Gefördert wird vor allem im Norden und Süden des Landes. Shanxi, auch „Land der Kohle“ genannt, birgt 30 Prozent des Gesamtvorkommens. Immer größere Bedeutung erlangt die Provinz Xinjiang, die früher mehrheitlich vom Volk der (heute unterdrückten) Uiguren bewohnt war. 150 Milliarden Tonnen sind dort mit heutiger Technik gewinnbar. Auf mehr als zwei Billionen Tonnen werden die vielleicht später nutzbaren Ressourcen geschätzt.
330 Milliarden Tonnen an direkt abbaubarer Kohle finden sich im ganzen Land. Damit ließe sich der gegenwärtige Bedarf rund hundert Jahre lang decken – genügend Brennstoff für die absehbare Zukunft. Mehr als tausend Jahre könnten die geschätzten Ressourcen von über 4,5 Billionen Tonnen reichen. Nur die USA sind besser bestückt.
Elektrizität, der Lebenssaft einer modernen Gesellschaft
Die chinesischen Stahlwerke benötigen Kohle, um Stahl zu herzustellen. Kohle liefert die Hitze, um Zement für den gigantischen Bauboom im Land zu brennen. Große Mengen werden immer noch in Haushaltsöfen und Herden zum Kochen und Heizen verfeuert. Vor allem aber erzeugt Kohle in etwa dreitausend Kraftwerken Elektrizität – der Lebenssaft einer modernen Gesellschaft. Strom ist ein Alleskönner, praktisch, sauber, vielseitig verwendbar und leicht zu handhaben. Vor allem in aufsteigenden Ländern wächst der Stromanteil am Energiemix deshalb stärker als andere Energieformen. Aber billig muss er sein, zuverlässig und in großen Mengen verfügbar. Das liefert die Kohle.
Seit 1990 hat sich die chinesische Stromerzeugung mehr als verzehnfacht. Nahezu jeder Bewohner des Landes hat heute Zugang zur Elektrizität. „Die Elektrifizierung Chinas“, so lobte die Internationale Energieagentur (IEA), „ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte … und ein Beispiel für die sich entwickelnde Welt.“ Das war 2007. Da war die IEA noch nicht ergrünt, und China baute Kohlemeiler praktisch am Fließband. Pro Woche kamen zwei, drei neue Kraftwerke hinzu. Kohle lieferte damals um 80 Prozent des Stroms. Heute sind es etwa 70 Prozent.
Inzwischen, Stand Ende 2018, verfügt das Land nach Angaben des China Electricity Council über Kohlekraftwerke mit einer installierten Leistung von tausend Gigawatt (GW). Zum Vergleich: in Deutschland sind es 45 GW. Der Löwenanteil, nämlich über 800 GW, kam seit der Jahrtausendwende dazu. Inzwischen wird etwas weniger gebaut; nach westlichen Maßstäben aber immer noch reichlich: In den vergangenen sechs Jahren fügten chinesische Kraftwerker jedes Jahr so viel an neuer Leistung hinzu, wie Deutschland insgesamt hat.
Man sieht: Ob die deutsche Regierung, wie geplant, aus der Kohle aussteigt oder nicht, kann dem Klima vollkommen egal sein. Nicht jedoch der heimischen Wirtschaft. Sie wird kräftig dafür zahlen müssen.
Moderne Kraftwerke
China hat heute nicht nur viele, sondern auch sehr moderne Kohlekraftwerke. Das Land hat klein begonnen, wie auch England oder Deutschland zu Beginn ihrer Industrialisierung. Noch 2004 waren dort 3.800 Kleinkraftwerke mit maximal 50 MWe in Betrieb. Mit einer Gesamtkapazität von 47 GWe stellten sie zehn Prozent der gesamten installierten Leistung. Kleine Kraftwerke sind teurer, schmutziger und ineffizienter als große. „Groß ersetzt klein“ wurde deshalb zum ersten Leitmotiv der Stromerzeuger. Heute sind nur noch ein Fünftel der Anlagen kleiner als 300 MW; die Hälfte hat über 600 MW. Jung ist die Kraftwerksflotte auch; über neunzig Prozent der installierten Kapazität sind nach der Jahrtausendwende dazugekommen.
Nicht nur jung, sondern auch modern. In Chinas Kraftwerkspark dominieren neue superkritische (SC) und ultra-superkritische (USC) Kohlekraftwerke. Die Vorläufergeneration besteht aus sogenannten unterkritischen Anlagen, deren Wirkungsgrad im Durchschnitt bei 37 Prozent liegt. Die neuen Generationen verbrennen Kohle, dank neuer Werkstoffe, bei höherer Temperatur und höherem Druck und erreichen einen Wirkungsgrad von bis 45 Prozent. Das bedeutet weniger Kohle, weniger Asche, weniger Abgase. Und, wenn man es aus der Greta-Perspektive sieht, weniger Kohlendioxid. Erheblich weniger. Hätten alle Kohlekraftwerke der Welt den Wirkungsgrad eines SC-Meilers (40 Prozent) anstatt des globalen Durchschnitts von 34 Prozent, so berechnete die IEA 2017, könnte man jährlich rund zwei Gigatonnen an CO2 vermeiden.
China oder Japan – man kann darüber streiten, wer die modernste Kohleflotte der Welt hat. Japans Kohlekraftwerke sind zu 95 Prozent SC und USC-Meiler, in China „nur“ etwas mehr als 50% – allerdings von installierten über tausend GW, verglichen mit 35 GW in Japan. Der Autor konnte vor ein paar Jahren das damals weltbeste USC-Kraftwerk besichtigen – das Isogo-Kohlekraftwerk in Yokohama. Seine zwei Blöcke, jeder mit 600 MW, stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadtgebiet. Der erste Eindruck war der von fast klinischer Reinheit. Nichts deutete daraufhin, dass in den Kesseln pro Tag zehntausend Tonnen Kohle verfeuert werden: kein Lärm, kein Geruch, kein Kohlestaub, kein Rauch. Isogo gilt als eines der saubersten Kohlekraftwerke der Welt; seine Abgaswerte sind vergleichbar niedrig wie die eines modernen Erdgas-Kombikraftwerks.
Und die Entwicklung ist noch lange nicht am Ende. In China, Japan und den USA entwickelt man derzeit AUSC-Anlagen (A steht für advanced) mit 50-prozentigem Wirkungsgrad.
Über ein Dutzend „Kohlezentren“
China hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche kleine Kohlekraftwerke und Kohlegruben geschlossen. Förderung und Nutzung des schwarzen Goldes konzentrieren sich mehr und mehr auf über ein Dutzend „Kohlezentren“ im Norden und Nordwesten des Landes, wo auch die großen Vorkommen liegen. Zwei Drittel der Stromnachfrage kommen allerdings aus den Ballungsgebieten im Südosten und Zentralchina, die 1.000, 2.000 und mehr Kilometer von den Zentren entfernt sind. Kohle auf dem Landweg über diese Entfernungen zu transportieren, ist aufwendig. Deshalb wird sie vor Ort in Strom und zunehmend auch in Synthesegas und Synthesebenzin umgewandelt.
Die Kohlechemie hat für China strategische Bedeutung. Im Land finden sich (bislang) nur geringe Öl- und Gasvorkommen; China ist deshalb weltweit größter Ölimporteur. Bei der Einfuhr von Flüssiggas steht es auf Rang 2. Ein großer Teil der Importe passiert die Straße von Malakka, eine der am stärksten befahrenen Schifffahrtswege der Welt. Sollten Militär oder Terroristen die Meerenge schließen, hätte das gravierende Folgen auch für die chinesische Energieversorgung. Der Bau großer Chemiekomplexe, die synthetisches Gas und Benzin erzeugen, ist für die chinesische Führung deshalb auch ein „geostrategischer Imperativ“, wie die amerikanische Zeitschrift Fortune 2014 schrieb.
Der Strom aus den Kohlezentren (ebenso wie Elektrizität aus den großen Wasserkraftwerken im Süden Chinas) gelangt mittels relativ verlustarmer Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) in die Verbrauchszentren. Vier immense West-Ost-Strom-Transversalen sind teils fertig, teils im Bau. Anfang des Jahres ging die bislang weltweit stärkste HGÜ-Stromtrasse in Betrieb. Sie verbindet bei einer Länge von 3.300 km Changji (Xinjiang) mit Guquan (nahe Shanghai) und überträgt bei einer Spannung von 1.100 Kilovolt eine Leistung von 12 GW. Bauzeit zwei Jahre. Dereinst sollen die großen Stromkorridore je vierzig Gigawatt Leistung in die Großregionen Peking, Yangtze-Delta und Pearlfluss-Delta übertragen.
Kohle ist in China offensichtlich kein Auslaufmodell wie hier in Deutschland. Im Gegenteil: „König Kohle“ regiert im Reich der Mitte, sorgt für Wohlstand und Entwicklung. Kaum vorstellbar, dass die chinesische Führung diesen nützlichen Herrscher einmal aufs Abstellgleis schicken könnte – Pariser Klimaziele hin oder her.
Im Teil 2, der morgen folgt, geht es um Chinas Umweltpolitik und die Zukunft mit Kohle- und (vielen) Kernkraftwerken.
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