Zirkulations­anomalien mit heißen Sommern 2003 und 2018 über Europa – eine verglei­chende Betrach­tung

Ähnelten sich die Zirkulationsverhältnisse 2003 und 2018?

Abbildungen 1a und 1b: Zwei Wetterkartenbeispiele von Anfang August. Während am 04.08.2003 (1a, oben) wenigstens in der Höhe (500hPa) meist eine gerichtete Anströmung erkennbar war, in diesem Beispiel aus NW, fehlte diese 2018 (1b, unten) oft völlig. In beiden Fällen herrschte hoher Luftdruck über Mitteleuropa. Bildquellen jeweils wetterzentrale.de


2018 gab es mit 63 Tagen zwischen Februar und Juli fast doppelt so viele Lagen mit unbestimmter Anströmrichtung, wie 2003. Ein weiterer Beleg für die Schwächung der Westwind- Zirkulation ist der in beiden Jahren im Spätwinter/Vorfrühling meist deutlich zu schwache Zonalwind in der 500-hPa-Fläche am Gitterpunkt 50°N, 10°E (entspricht etwa der Mitte Deutschlands). Aber während er ab Mai 2003 deutlich an Stärke gewann, blieb er 2018 auffallend schwach.



Abbildung 2: Fast durchgängig positive NAO- Werte ab Mitte April 2018, Quelle: NOAA


Abbildung 3: Bodenwetterkarte vom 7. Mai 2018, 01 Uhr: Südwestlage nur über dem östlichen Nordatlantik. Weil, ausgehend vom Azorenhoch, eine Zone hohen Luftdrucks über Schottland und die Nordsee bis zur Ostsee reichte, war Mitteleuropa von der Zufuhr feuchter Atlantikluft abgeschnitten. Das zu hohe Luftdruckgefälle zwischen den Azoren und Island (Pfeil) hatte also keine Auswirkungen auf Mitteleuropa, obwohl die beiden farbig markierten „Hauptakteure“ des europäischen Wettergeschehens, Azorenhoch und Islandtief, gut entwickelt waren. Ähnliches konnte man in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten des Unglücksjahres 2018 noch oft beobachten. Bildquelle Metoffice/UKMO, ergänzt von Stefan Kämpfe


Die QBO- ein möglicher Auslöser der Anomalien in beiden Jahren?

Abbildung 4: Die QBO ist der Zonalwind der Stratosphäre der Tropen; hier sind die Verhältnisse in der 40 hPa-Druckfläche dargestellt. Die Windstärke wird in 1/10 m/s angegeben. Weil die QBO verzögert wirken kann, sind hier die QBO- Mittelwerte des Monats Januar zu den Häufigkeiten der Wetterlagen mit unbestimmter Anströmrichtung, Hochdruckeinfluss in 950 und 500 hPa und zu trockener Atmosphäre (XXAAT- Lagen) im Folgezeitraum Februar bis Juli in Relation gesetzt. 2018 waren diese bei negativer QBO deutlich häufiger als im Langjährigen Mittel; 2003 allerdings nicht, doch damals herrschte in dieser Höhenschicht im Januar auch noch kein Ostwind.


Beeinflusst die Sonnenaktivität die Großwetterlagenhäufigkeiten?

Abbildung 5: Sonnenfleckenmittel (Index, dunkelgelb) und Zonalwindmittel in m/s in der mittleren Troposphäre (rot) für den Zeitraum Februar bis Juli 1948 bis 2018 am Gitterpunkt 50°N und 10°E, was etwa der Mitte Deutschlands entspricht.


In den letzten dreißig Jahren nahm das Zonalwindmittel deutlich ab:

Abbildung 6: Seit 30 Jahren wird der Zonalwind zwischen Februar und Juli schwächer und erreichte in diesem Betrachtungszeitraum seinen niedrigsten Wert im Extremwetterjahr 2018.


Die Meeresoberflächentemperaturen des Atlantiks und die AMO

Abbildung 7a und 7b: Ausschnitte der Anomalie-Karte der Meeresoberflächentemperaturen für Februar 2003 (5a, oben) und 2018 (5b, unten). Beide ähneln sich grob (Quelle: IRI, International Research Institute for Climate and Society), Blau bedeutet, gemessen am Langjährigen Mittelwert 1981 bis 2010, zu kalte, gelb-rot zunehmend zu warme Wassertemperaturen. Bezugszeitraum ist also die aktuelle CLINO-Periode 1981 bis 2010. Ein zu kaltes Seegebiet lag vor Westafrika. Zu hohe Wassertemperaturen herrschten nordöstlich der Karibik, aber 2018 viel großflächiger und intensiver, als 2003. In beiden Fällen war der Februar in Deutschland zu kalt, vermutlich auch, weil das Temperaturgefälle zwischen Südwest und Nordost vermindert war, was die Zonalzirkulation schwächte. Diese Situation hielt sich auch im März beider Jahre noch, wobei aber die „kalte Region“ vor Westafrika verschwunden war. In beiden Fällen herrschte außerdem „La Nina“ im Pazifik – aber 2018 viel ausgeprägter.



Abbildungen 8a und 8b (Darstellungen und Bildquelle wie für den Februar): Im Mai 2018 fallen die sehr markanten negativen Anomalien vor Nordwestafrika/Spanien und südlich von Grönland auf; markant zu warm war das Wasser vor Ostkanada, aber auch in Ost- und Nordsee sowie Richtung Arktis. Es verwundert nicht, dass es bei einer solchen Verteilung großräumig keinerlei Lagen mit westlichem Strömungsanteil (nach HESS/BREZOWSKY) gab, dafür 25 Tage mit Ostwetter; während 2003 bei nur geringen Meerestemperatur-Anomalien (nur die Arktis-Anomalie ähnelte der 2018) an 16 Maitagen Westwetter herrschte und Ostwetterlagen gänzlich fehlten.



Abbildungen 9a und 9b: Ringförmige Anomalie-Anordnung der Wassertemperaturen des Nordatlantiks im August 2003 mit einer allseits von positiven Anomalien umschlossenen „Kaltwasserinsel“ zwischen Europa und Kanada (9a, oben, Darstellungen und Bildquelle wie für den Februar und Mai) sowie in der zweiten Augustwoche 2018 (9b, unten, andere Darstellungsform, Bildquelle: NOAA). 2003 fehlten jedoch die 2018 sehr markanten negativen Anomalien im tropischen Atlantik, und es gab insgesamt 2018 viel mehr negative Anomalien.


Abbildung 10: Ähnliche langfristige Entwicklungen (1881 bis 2017) der AMO (grün), der Sommertemperaturen in Deutschland (beige) und der Tage je Sommer mit südlichem Strömungsanteil nach HESS/BREZOWSKY. Stets viel „Südwetter“ am Ende der AMO-Warmphasen. Wegen der sehr unterschiedlichen Größen musste in Indexwerte umgerechnet werden, um sie in nur einer Grafik zu veranschaulichen. Auch wegen der höheren AMO-Werte und häufigerer Südwetterlagen wurden die Sommer wärmer. Die AMO beeinflusst die Häufigkeitsvariabilität der südlichen Wetterlagen zu immerhin gut 20%.


Das arktische Meereis

Abbildung 11: Tendenziell gibt es in Aprilmonaten mit geringer Ausdehnung des Arktischen Meereises weniger meist kalte, höhenzyklonale Großwetterlagen nach der Objektiven Großwetterlagen- Klassifikation in Deutschland.


Abbildung 12: Mit abnehmender Fläche des arktischen Meereises im März wird der April in Deutschland tendenziell wärmer (die Meereis-Ausdehnung wirkt oft verzögert auf unsere Witterungsverhältnisse).


Abbildung 13: Deutlich stärkere Flächenabnahme des arktischen Meereises im Sommer im Vergleich zum Winter seit 1979. Sommer-Werte um 3,5 Millionen Km² angehoben, um beide Jahreszeiten besser in einer Grafik darzustellen.


Etwas deutlichere Zusammenhänge zeigten sich für den Herbst, besonders hinsichtlich der Schwächung der Westlagen. Dies gilt sowohl für die Häufigkeit der Westwetterlagen nach der Objektiven, besonders aber für die von HESS/BREZOWSKY verwendeten subjektiven Großwetterlagenklassifikation:

Abbildung 14: War die Arktische Meereis-Ausdehnung im Sommer gering, so wie auch 2018, dann gab es im Herbst tendenziell weniger Westwetterlagen (GWT West, bestehend aus WA, WZ, WS und WW nach der HESS/BREZOWSKY- Klassifikation).


Abbildung 15: Ausschnitt aus der Wetterkarte vom 21.08.2012, 01Uhr. Auch hier erkennt man einen formschönen Höhenkeil über Europa, flankiert von zwei Tiefs über Osteuropa und bei Island. Doch anders als 2003 und 2018, hatte diese Situation im sehr wechselhaften Sommer 2012 nur für etwa 10 Tage im August Bestand. Wesentlich für die starke Eisschmelze dieses 2012er Sommers (in den Monaten von August bis Oktober wurde damals die bislang geringste Eisausdehnung beobachtet) war die rege Tiefdrucktätigkeit; hier erkennbar an einem Wirbel nordöstlich von Spitzbergen. Bildquelle: wetterzentrale.de


Stefan Kämpfe, Diplomagraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher