Die Ludwig-Erhard-Attrappe
Es sei natürlich bitter, dass die CDU das Finanzministerium an die SPD habe abgeben müssen, meinte Angela Merkel auf ihrem Parteitag – aber immerhin hätten die Christdemokraten sich doch das Wirtschaftsministerium gesichert, zum ersten Mal seit über 50 Jahren.
Der letzte CDU-Mann auf diesem Posten war Kurt Schmücker, der von 1963 bis 1966 amtierte. Aber natürlich geht es Merkel und dem von ihr schon benannten Ressortchef Peter Altmaier darum, an einen ganz großen Namen anzuknüpfen: Ludwig Erhard, Minister von 1949 bis 1963, Symbolgestalt des Wirtschaftswunders und bis auf seine kurze, unglückliche Kanzlerschaft seinerzeit einer der beliebtesten Politiker Deutschlands. Eine ganze Reihe von Medien stellten schon einmal die grobe Ähnlichkeit der beiden fest, die sich allerdings auf das Körperliche beschränkt. Seit Altmaier in Interviews* verkündet, wie er sich seine Wirtschaftspolitik vorstellt, wird auch für Gutwillige eins deutlich: Mit Ludwig Erhard hat er so viel gemein wie Merkel mit Konrad Adenauer.„’Wohlstand für alle’ – machen Sie sich die Parole Ihres berühmten Vorgängers Ludwig Erhard zu eigen?“, fragte die Berliner Morgenpost den angehenden Minister vor ein paar Tagen.
„Eindeutig ja!“, meldet Altmaier: „Wir haben heute mehr Wohlstand in den breiten Bevölkerungsschichten als zu Ludwig Erhards Zeiten. Trotzdem gibt es Menschen, denen es nicht gut geht. Das sind Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und Rentner mit kleinen Renten.“
Abgesehen davon, dass es Alleinerziehenden nicht per se schlecht geht, und dass Angela Merkel in den letzten zwölf Jahren offensichtlich wenig eingefallen ist, um den Beziehern von Minirenten zu helfen, abgesehen davon also zählt der CDU-Mann Gruppen auf, für die das Familien- beziehungsweise das Sozialministerium zuständig ist. Diejenigen, die den Wohlstand hauptsächlich erwirtschaften, Unternehmer, Selbständige, Facharbeiter kommen in dieser Antwort gar nicht und in dem gesamten Interview nur am Rand vor. Sie spielen in seinem Denken auch sonst keine wahrnehmbare Rolle.
Dabei gibt es drei Fragen, auf die vor allem Unternehmer eine Antwort von der Regierung erwarten. Die erste: US-Präsident Donald Trump setzte vor kurzem eine sehr weitgehende Steuerreform durch. Vor allem die Körperschaftssteuer für Unternehmen sinkt deutlich. Wenn eine derart wichtige Wirtschaftsmacht Steuern reduziert, dann bleibt das nicht ohne Folgen für andere Industriestaaten. Die Regierungen mehrerer europäische Länder haben schon angekündigt, ihrerseits Steuern reformieren zu wollen. Dass so etwas auch in Deutschland passieren könnte – diese Hoffnung beseitigt Altmaier schon, bevor er das Amt antritt:
„Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, den Solidaritätszuschlag um zehn Milliarden Euro zu senken. 90 Prozent der Menschen, die heute den Soli zahlen, werden ihn nicht mehr zahlen müssen.
Ich bin sehr dafür das Wachstum erst zu erarbeiten, bevor wir es verteilen.“
Das bedarf der Dechiffrierung. Im Wahlkampf hatte die Mittelstands-Union eine Steuerentlastung von etwa 30 Milliarden jährlich versprochen, die Union insgesamt immerhin von 15 Milliarden. Heraus kommt eine Mini-Senkung von 10 Milliarden in der gesamten Legislaturperiode bei einer einzigen Steuer. Und die wird noch nicht einmal für alle abgeschafft. Auch der gut verdienende Meister in der Autoindustrie wird noch Solizuschlag abliefern und damit zum Steuerüberschuss des Bundes beitragen, der bei über 36 Milliarden Euro liegt. Ganz nebenbei: die vollständige Abschaffung des Solidarzuschlags bis 1999 hatte schon Helmut Kohl versprochen.
Altmaiers letzter Satz macht klar, dass niemand außer dem Geschraube am Solidarzuschlag noch eine Entlastung bis 2021 erwarten sollte. Und er lässt natürlich unerwähnt, dass die nächste große Koalition gegen alle Beteuerungen die Steuerbelastung an anderer Stelle erhöht, nämlich durch das Ende der Abgeltungssteuer auf Zinserträge, die bei 25 Prozent liegt. Künftig sollen Zinsgewinne wieder nach dem individuellen Satz besteuert werden – und der liegt bei den allermeisten höher.
Die zweite Frage vieler Firmen lautet: bleiben die Strompreise auf Spitzenniveau? Nirgendwo in Europa liegen sie mittlerweile höher. Das treibt vor allem energieintensive Unternehmen dazu, ihr Geld außerhalb Deutschlands zu investieren.
Altmaier kennt die Materie, schließlich amtierte er von 2012 bis 2013 als Bundesumweltminister, und war in diesem Ressort auch für das planwirtschaftliche Großprojekt Energiewende zuständig. Auch hier beerdigt er alle Hoffnungen:
„Wir haben schon in der vergangenen Legislaturperiode die Weichen dafür gestellt, beim Ausbau der erneuerbaren Energie auf mehr Markt zu setzen – ganz im Sinne Ludwig Erhards. Das hat dazu geführt, dass die Ausbaukosten um mehr als 50 Prozent gesunken sind. Das stabilisiert langfristig auch die Strompreise.“
Dechiffrierung: Es gibt mittlerweile tatsächlich einen Hauch von Wettbewerb im Grünstromsektor: Wer neue Windstrom- und Solaranlagen errichten und dafür Subventionen haben möchte, muss sich einem Ausschreibungsverfahren stellen. Damit wird immerhin der günstigste Anbieter ermittelt. Doch dieses preisdämpfende Instrument führte der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein, in dessen Zuständigkeit damals die Energiewende gewandert war. Altmaier dagegen hatte die Politik seines Vorgängers Norbert Röttgen weitergeführt, jedem Wind- und Sonnenstrominvestor staatliche Festpreise weit über dem Marktniveau zu garantieren, und die Branche von jeglichem Wettbewerb zu verschonen. Ganz nebenbei: wenn die Auzsbaukosten, vulgo: die Subventionen für Sonnen- und Windstromanlagen durch das Ausschreibungsverfahren tatsächlich um 50 Prozent gesunken sind und sich die errichtung immer noch lohnt, dann wird erst Recht deutlich, welche risikolosen Extragewinne Röttgen und Altmaier vorher den Investoren beschert hatten.
Über diese Zusammenhänge redet der neue Oberökonom der CDU locker hinweg:
„Die Umlage für die erneuerbaren Energien ist in den vergangenen Jahren jedenfalls kaum gestiegen.“
‚Kaum’ ist eine ziemlich vage Angabe. Die EEG-Umlage betrug
• 2015 6,17 Cent pro Kilowattstunde
• 2016 6,35 Cent
• 2017 6,88 Cent
und sank – durch die von Gabriel eingeführten preisdämpfenden Maßnahmen – zum 1. Januar 2018 minimal auf 6,79 Cent, wobei die steigenden Netzkosten den Rückgang mehr als auffressen. Das sind in der Tat verhältnismäßig kleine Steigerungsschritte, verglichen mit dem größten Sprung von 3,59 Cent pro Kilowattstunde 2012 auf 5,28 Cent. Und dieser Sprung fiel in Altmaiers Amtszeit. Übrigens hatte Angela Merkel 2011 vor dem Bundestag versprochen, die EEG-Umlage werde bis 2020 nicht wesentlich über 3,59 Cent steigen:
Die Versicherung ist praktisch das Pendant zur Ankündigung Kohls, den Solidarzuschlag abzuschaffen.
Im Jahr 2018 erklärt also der erste CDU-Wirtschaftsminister seit über 50 Jahren: Keine Soli-Senkung für alle, keine sonstigen Steuersenkungen, die Strompreise werden „langfristig stabilisiert“, bleiben also auf Rekordniveau. Wer die Zusammensetzung zwischen eigentlichem Strompreis und den darauf lastenden Abgaben ansieht, der erkennt: schon seit vielen Jahren betätigt sich der Staat als Preistreiber. Die Marge der Stromversorger sinkt neuerdings sogar – wovon der Verbraucher allerdings nichts merkt, weil Steuern und Abgaben auf jeder Kilowattstunde steigen und steigen.
An der Entwicklung hatte Altmaier erst als Umweltminister seinen Anteil, dann als engster Vertrauter der Kanzlerin. Gäbe es zwischen ihm und Erhard tatsächlich auch nur die kleinste politische Verwandschaft, dann würde er die sofortige und vollständige Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf die Agenda setzen. Das EEG trat am 1. April 2000 in Kraft, ausdrücklich, um Sonnen- und Windenergie eine “Anschubfinanzierung” zu geben. Selbst, wenn das Gesetz und die dadurch in Gang gesetzte Subventionsmaschine 18 Jahre später zu ihrem Ende kommen sollten, würden die letzten Zahlungen noch bis in das Jahr 2038 reichen. In 18 Jahren ist keine Anlage ans Netz gegangen, die ohne Subventionen auskommen würde. Von einem Ende des EEG kann nach den Ankündigungen des Saarländers keine Rede sein. Im Gegenteil, er stellt fest, die “Energiewende” sei eine “Daueraufgabe”. Und damit für die Bürger eine Dauerabgabe.
Es gibt noch einen dritten Punkt, den ein Wirtschaftsminister zur Priorität erklären müsste, Unternehmern zuliebe, aber auch im Interesse aller Bürger: Das Versprechen, die lausige deutsche Netzinfrastruktur wenigstens auf den europäischen Durchschnitt zu heben. Nach den Zahlen der OECD liegt der Anteil von Glasfaseranschlüssen an allen Breitbandanschlüssen in
Lettland bei 62,3 %
Schweden 58,0 %
Norwegen 40,6 %
Spanien 40,00 %
Portugal 35,4 %
Slowakei 28,7 %
Dänemark 26,9 %
Ungarn 19,6 %
Tschechien 17,7 %
Polen 9,3 %
Deutschland 2,1 %
In dem Interview mit der Berliner Morgenpost lässt Altmaier dieses Thema gleich ganz aus. Stattdessen umreißt er, wie er sich Wirtschaftspolitik vorstellt: Er wünsche sich von einheimischen Unternehmen, „dass vermehrt in Deutschland investiert wird. Dafür werde ich werben in meinen Gesprächen mit den verantwortlichen Unternehmern.“
Nun sind Unternehmer – zumindest erfolgreiche – per Definition Leute, die rechnen können. Die Wacker AG weihte 2014 ein neues Werk für Polysiliziumin Charleston, Tennessee ein, und nannte auch den Grund für den neuen Standort: dort liegen die Stromkosten 30 Prozent unter den deutschen. Im vergangen Jahr entschied der Konzern, seinen Standort in Südkorea auszubauen. Aus dem gleichen Grund investierte BASF eine Milliarde Euro in ein neues Ammoniak-Werk in Texas. Siemens entwickelt seine neue Gasturbinen-Generation in den USA – weil die Menge des subventionierten Grünstroms hierzulande die Börsenstrompreise so weit nach unten drückt, dass mit Gaskraftwerken in Deutschland kein Geld mehr zu verdienen ist. Jetzt kommen als zusätzliches Argument die günstigen Unternehmenssteuern in den USA dazu.
Genau an diesen Punkten entscheiden sich Unternehmer, ob sie lieber in Deutschland oder woanders investieren: Wie stark greift der Staat ein? Wie entwickeln sich die Steuern? Wie teuer ist die Energie? Wie gut ist das Internet? Gutes Zureden eines Ministers wird sie nicht dazu bringen, die Kostenrechnung einfach zu ignorieren. Bisher profitiert die deutsche Wirtschaft von vier Umständen, für die weder Merkel noch ihr engster Gefolgsmann Altmaier etwas können: Und zwar von den sozialkostendrückenden Reformen Gerhard Schröders, den Nullzinsen der EZB (die gleichzeitig die Sparer enteignen), dem niedrigen Ölpreis und dem geringen Außenwert des Euro. Der neue Ressortchef wettet ganz offensichtlich darauf, dass die Konjunktur einfach weiter läuft, ohne dass er dafür etwas unternehmen müsste.
Es gab den legendären Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, den exzellenten Fachmann Karl Schiller und noch einige nicht so schlechte Amtsinhaber. Sollte die neue große Koalition zustande kommen, dann dürfte Peter Altmaier der etatistischste und antiliberalste Ressortverwalter werden, den die Bundesrepublik je hatte.
Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Alexander Wendt Publico hier
*am 28. Februar 2018