Der Umstieg auf die Elektromobilität stellt besondere Anforderungen. Mal auf dem Nachhauseweg schnell an die Tanke, das geht so nicht. Es sei denn, man verbindet den Einkauf von Antriebsenergie mit einem ausgedehnten urbanen Abendprogramm, was aber im Wiederholungsfall gegenüber daheim ausharrenden Lebenspartnern erklärungsbedürftig ist und generell die Freizeitgestaltung einengt.

Schon immer haben neue Technologien auch Marktlücken geöffnet. Findige junge Leute gründen dann Firmen – heute Startups genannt – um in eine Lücke zu springen und mit Innovationen ein Geschäft zu machen. Üblicherweise, so der in den Qualitätsmedien verbreitete Eindruck, gründen IT-affine Nerds die Startups, um dann Computerspiele zu kreieren, Apps zum Auffinden freier Parkplätze zu programmieren oder ähnliche oft auch sinnvolle elektronische Helfer an potenzielle Kunden zu bringen. Ob die Gründer davon leben können, entscheidet der Markt und nicht alles, was funktioniert und durchaus sinnvoll ist, wird auch gebraucht und nachgefragt.

Eine besondere Idee haben drei Gründer umgesetzt, sie soll der Verbreitung der Elektromobilität helfen. Ihre Firma „chargery“ bringt den Strom zum E-Fahrzeug. Und zwar mit einem Fahrrad, samt Anhänger. Dieser ist 150 Kilogramm schwer und e-getrieben, um dem Pedalisten nicht zum Schwerstarbeiter zu machen. In diesen 150 Kilogramm sind dann 24 Kilowattstunden Strom sauber gestapelt, was nach einem etwa vierstündigen Ladevorgang in einer Berliner Nebenstraße für 160 Kilometer Fahrt reichen sollte.

Im Hänger ist – natürlich – Ökostrom. Standort der kleinen Firma ist Berlin-Mitte. Das nächstgelegene Kraftwerk ist das (Gas-)Heizkraftwerk Mitte an der Spree. Dem Kirchhoffschen Gesetz folgend, dürften alle Verbraucher in Mitte zum allergrößten Teil von diesem Heizkraftwerk mit Strom versorgt werden. Steht es in lastschwachen Zeiten still, kommt der Strom aus anderen Berliner Kraftwerken oder aus Brandenburger Braunkohle mit Windanteilen. Vertragspartner der „Chargery“ ist Lichtblick, die dann buchen, aber kein eigenes Sauberstromnetz betreiben. Na gut, wenn es dem Gewissen hilft. Bahnkunden mit Bahncard fahren ja auch mit 100 Prozent Ökostrom, während der Nachbar ohne Bahncard . . . na ja.

Zwei große Kunden haben die radelnden Batterietransporter schon, es sind Carsharingfirmen. Für sie ein denkbares Modell, denn die vielen Kurzzeitkunden dürften sich wenig Gedanken um das Nachladen machen und das Gerät halt dort abstellen, wo sie wollen und nicht ladesäulenoptimiert.

Zu Preisen und Kosten ist noch nichts zu erfahren, die Privatkundenbelieferung soll erst 2019 starten. Ein billiges Vergnügen dürfte es nicht werden, den elektrischen Tankwart kommen zu lassen. Die Investitionskosten für die e-betriebenen Hänger, der Mindestlohn für die Pedalritter, der Zeitaufwand und der Ladestrom dürfte sich bezogen auf die geladene Kilowattstunde solide aufsummieren.

Generell helfen die Gründer, den rot-rot-grünen Koalitionsvertrag umzusetzen. Dort ist im „Citylogistikkonzept“ erwähnt, dass die Letztverteilung von Waren über Lastenfahrräder erfolgen soll. Auch andere Erfinder, von Medien gern als „progressive Kräfte“ bezeichnet, setzen auf den chinesischen Weg mit Pedal und Kette. Die „last mile delivery“ sowie die „returns“ sollen mit Lösungen wie der Tretbox gesichert werden. Diese Kombination aus Cityhubs (abnehmbare Container) und elektrischen Lastenrädern ist hochskalierbar und umweltfreundlich. Eine andere Variante sieht die Lieferung an örtliche Geschäfte vor, von wo dann die Fahrradkuriere ausschwärmen.

Die ostasiatisch anmutende Zukunftsvision, wonach tausende Fahrräder samt Hänger, Fahrradrikschas, E-Bikes und Tandems Berliner Straßen verstopfen, dürfte dennoch nicht eintreten. Prinzipiell sollte zwar die nötige Anzahl radfahrender Billiglöhner bei der rekordverdächtig großen Zahl Berliner Schulabbrecher zu finden sein. Allerdings ist traditionell in der Logistik das Geld nur schwer zu verdienen, so dass die potenzielle Zielgruppe sich anderen Geschäftsbereichen zuwenden könnte, eventuell dem Kleinhandel mit Cannabis (der natürlich mit der Fahrradlogistik kompatibel, aber bedeutend einträglicher ist).

Die Universität in Berkeley (Kalifornien) forscht erfolgreich an Kleinstantrieben, die im Nanometerbereich arbeiten. Eine Amerikanerin und eine Französin erfinden die Gentechnik-Schere CRISPR, die völlig neue medizinische Horizonte eröffnet. Die Amerikaner lassen Raketenstufen nach dem Start wieder landen. Die Russen haben den Schnellen Brüter praxistauglich gemacht. In Deutschland fahren wir Batterien im Fahrradanhänger zu Elektroautos.

Der Fortschritt hat viele Gesichter.

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