So werden Rosinen zu Ruinen

Von Silvio Borner (Red. WELTWOCHE Zürich)*
„The problem with an ideology is that it gives 
the answer before you look at the evidence. So you have to mold the evidence to get the answer that you’ve already decided. It doesn’t work that way.“ Bill Clinton, 2012
Diese Aussage des früheren US-Präsidenten umschreibt gut, woran die De­batten über Klimawandel und politische Massnahmen kranken. Die Schweiz ist einer Art ­Klimahysterie verfallen, die jegliche wissenschaftliche, aber auch wirtschaftliche Kritik an der Klimapolitik nicht mehr zu Wort kommen lässt. Die Ver­leihung des Benoist-Preises an den Weltretter Professor Thomas Stocker und die neueste ETH-Studie zur Versorgungs­sicherheit sollen auch noch die letzten und ­leisesten Zweifel im Keime ersticken. Ganz anders sieht es aus, wenn man ohne jegliche Klimahysterie und Öko-­Euphorie die grundsätzlichen Fragen erörtert und dabei die ­ökonomische Vernunft zu Wort kommen lässt. Hier ein Überblick über die wichtigsten ­Fragen.

1 – Was sind unbestrittene Tatsachen?

Das Klima erwärmt sich, und der menschen­gemachte (anthropogene) Einfluss existiert – aber ob er «eindeutig überwiegt», wie ETH-­Professor Reto Knutti kürzlich in der NZZ schrieb, ist nach wie vor wissenschaftlich ­offen. So ist die Frage, ob die Klimamodelle so gut abgestützt sind, dass man damit den Versuch einer exakten Steuerung der Erwärmung auf Jahrzehnte hinaus legitimieren kann, zu verneinen. Schliesslich ist die Fokussierung bei den anthropogenen Treibhausgasen (THG) auf das an sich lebenswichtige CO2 und bei ­diesem vor allem auf die Energie primär politisch, nicht wissenschaftlich bestimmt. Die ­Berechnung eines exakten CO2-Budgets, um die Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, ist ein Missbrauch von Wissenschaft.

2 – Was folgt daraus und was nicht?

Klimaforscher sind frei in ihren Modellpro­gnosen, aber sie können daraus keine Reduk­tionsziele in absoluten Zahlen ableiten, ohne die grossen Unsicherheiten offen zu deklarieren und die damit verbundenen Fehlerrisiken zu beziffern. Noch relevanter ist aber die Vernachlässigung anderer Probleme wie der Bevölkerungsexplosion in Afrika, Armutsüberwindung, Erschöpfung von Ressourcen, die noch knapper sind als Energieträger.
Selbst gemäss den Modellberechnungen des Weltklimarats (IPCC) würden die in Paris unverbindlich abgegebenen Versprechen bloss eine Reduktion der Erwärmung um 0,1 bis 0,2 Grad Celsius bewirken. Das Abkommen von Paris ist daher selbst für die IPCC-Promotoren reine Augenwischerei, aber mit gewal­tigen Opportunitätskosten für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden.

3 – Was ist falsch am Pariser Abkommen?

Bei einem (vermeintlichen) globalen Umweltproblem wie bei den menschengemachten THG sind nationale Reduktionsziele per se ­ineffizient, wettbewerbsverzerrend und somit konfliktträchtig. Entsprechende Spannungen werden noch verstärkt durch enorme Inte­r­essenkonflikte zwischen reichen und armen Ländern. Die Armen können ihre Defizite ­ohne einen Mehrverbrauch an fossiler Energie nie aufholen. Und solange sie nicht ein ge­wisses Wohlstandsniveau erreicht haben, werden sie die Ziele der Nachhaltigkeit vernachlässigen. China und Indien dürfen deshalb den CO2-Ausstoss weiterhin massiv erhöhen. Die ärmeren Länder wurden mit einem (leeren) Versprechen von 100 Milliarden Dollar Entschädigung pro Jahr gekauft.

4 – Was wäre global richtig?

Die Atmosphäre ist der klassische Fall von weltweitem common property, also eines globalen Gemeingutes, dessen Belastung, aber auch Entlastung völlig unabhängig davon sind, wo sie stattfinden. Und wenn wirklich wissenschaftlich geklärt werden kann, dass das CO2 zentraler Verursacher der anthropogenen Erwärmung ist, dann ist eine globale Emis­sions-obergrenze in Kombination mit einem Handel von Emissionsrechten der richtige Ansatz – ­also eine möglichst weltweite Deckelung des CO2-Ausstosses, verbunden mit einem Handelssystem für CO2-Zertifikate. Effizienz verlangt, die Reduktion global über den Preis so zu steuern, dass weltweit die billigsten Methoden zur Anwendung gelangen. Sobald es – ­allenfalls auch nur in einem begrenzten Raum wie demjenigen der EU – ein effizientes ­Pricing von CO2 gibt, sind zusätzliche Ein­griffe wie Subventionen, Gebote oder Verbote nutzlos, wenn nicht gar kontraproduktiv.

5 – Wo steht die Schweiz?

Wir verrennen uns klimapolitisch in das weltweit weitaus schlechteste Kosten-Nutzen-­Verhältnis. Wir wollen als einziger Staat den Ausstoss von CO2 um 50 Prozent reduzieren, obwohl andere Industrieländer mit ihren ­Zukunftsversprechen nicht einmal unser ­heutiges Niveau (pro Kopf) erreichen würden. Der Schweizer Weltanteil am CO2-Ausstoss beträgt ein Promille. Damit sind wir pro Kopf in der OECD (nebst Chile) die Besten, und im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, also pro BIP-Einheit, liegen wir mit unseren Emis­sionen auf dem ebenfalls hervorragenden Platz 184. Bei der CO2-Steuer sind wir bereits heute Weltspitze und wollen diese jetzt im ­Alleingang noch massiv hochfahren.
Zudem schafft unsere Politik einen Widerspruch zwischen der CO2-Reduktion und dem Ausstieg aus der Kernenergie. Die deutsche Energiewende zeigt, dass die Flatterhaftigkeit des Stroms aus unstetig liefernden erneuer­baren Quellen wie Solar- und Windkraft einen praktisch hundertprozentigen Back-up durch flexible fossile Kapazitäten erfordert. Deutschland hat deshalb als einziges Industrieland den CO2-Ausstoss nicht reduzieren können.
Unsere anvisierte Vorbildfunktion entspringt einer gefährlichen Mischung aus schlechtem Gewissen, moralisierendem Sendungs­bewusstsein und einem korrumpierenden Geldstrom für Propaganda und leider auch aus gekaufter Forschung. Die Musterschülerrolle dürfte spätestens dann auf Ablehnung stossen, wenn die Wohlstandsverluste spürbar werden. Spielzeug­innovationen wie der Staubsauger von Hinwil, der pro Tonne CO2, die er reduziert, tausend Franken kostet, belasten volkswirtschaftlich nur uns selber und wirken international abschreckend bis erheiternd.

6 – Welche Lehren kann man daraus ziehen?

(a) Wenn ideologische oder moralisierende ­politische Programme bei der Umsetzung den Wohlstand spürbar schmälern, kippt die ­Stimmung schnell und radikal.
(b) Bei erfolgreichen technologischen «Wenden» erzeugen die ersten Schritte grossen ­Nutzen mit geringen Kosten und nicht umgekehrt, wie wir das planen. Rückblickend ist es besser, dass die Energiestrategie 2050 angenommen wurde, weil so die Stunde der Wahrheit schneller kommt.
(c) Die Forcierung von Solar- und Windenergie sowie vor allem von Biomasse bei gleichzeitigem Nuklearverbot ist ein zivilisatorischer Rückschritt: technisch, ökonomisch und selbst ökologisch. Die Luftverschmutzung gerade auch aus Biomasse ist für die menschliche Gesundheit ein viel grösseres Problem als das CO2. Und gerade in der Schweiz ist die Verschandelung der Landschaft besonders heikel.
(d) Revolutionäre Erfindungen werden auch den Energiesektor umkrempeln, können jedoch nicht vorausgesehen oder gar politisch be­fohlen werden. Innovations-Rosinen kann man nicht aus politisch-ideologischen Wunschträumen picken, sondern sie entwickeln sich – marktgetrieben – aus der ergebnisoffenen und freien Forschung. Sonst werden aus den Rosinen schnell Ruinen. Edison hatte mit der Glühlampe weltweit sofort einen Riesenerfolg, sein Elektroauto wartet aber noch hundert ­Jahre später auf den Durchbruch.
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)* Anmerkung der EIKE-Redaktion : Dieser Artikel ist zuerst erschienen in WELTWOCHE Zürich :
So werden Rosinen zu Ruinen | Die Weltwoche, Ausgabe 46/2017 | 16. November 2017 ; http://www.weltwoche.ch/
EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE und dem Autor Silvio Borner für die Gestattung des ungekürzten Nachdrucks. Silvio Borner ist Mitglied im Carnot-Cournot-Netzwerk, einem Interdisziplinären Think Tank für Politikberatung in Technik und Wirtschaft [ http://www.c-c-netzwerk.ch/ ].
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