Jubiläum: 10 Jahre alternative Fakten von Claudia Kemfert

So behauptet gerade „Miss Energiewende“, Claudia Kemfert, die finstere Kohlelobby entfache eine Kampagne gegen die Energiewende. Immer dreister würden „alle möglichen Falschbehauptungen“ in die Welt gesetzt.
Deshalb lohnt es sich einmal daran zu erinnern, was Frau Kemfert, Leiterin der Energieabteilung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, auch als „30-Sekunden-Problemlöserin“ bekannt, schon so alles behauptet hat.
Als Mitverfasserin eines  Greenpeace-Papiers und Leiterin des Bereichs Energie, Verkehr, Umwelt am DIW, versicherte sie noch 2012 , es sei „keine Strompreisexplosion zu erwarten“. Demnach sei bis zum Jahr 2020 mit einem Aufschlag von gerade einmal 0,2 bis 0,6 Cent pro Kilowattstunde auf den Großhandelspreis für Strom zu rechnen.
5 Jahre später ergibt die Besichtigung der Fakten: Im Jahre 2017 liegt alleine die EEG-Umlage mittlerweile bei 6,88 Cent. Frau Kemferts als Wissenschaft verkleidete Frohmuts-Phrasen der Vergangenheit  erinnern sehr stark an Jürgen Trittin, der einmal behauptete, die Energiewende koste pro Kopf nicht mehr als eine Kugel Eis. Die Gesamtkosten für die Energiewende werden bis 2025 mittlerweile alleine für den Strombereich auf 520 Milliarden Euro geschätzt. Eine Dame, die unter diesen Umständen anderen „Fakenews“ vorwirft, ist praktisch nicht mehr bildbar. Schon vor fast zehn Jahren schrieb DIE ZEIT:
„Doch sobald sie zu ihrem Kernthema kommt, überrascht Kemfert mit erstaunlich schludriger Arbeit. Das beginnt schon mit den Zahlen und Fakten. Da werden Milliarden mit Millionen verwechselt und Billionen mit Milliarden. Der Handel mit CO2-Emissionsrechten an der Amsterdamer European Climate Exchange wird mit absurden ‚bis zu 34 Milliarden Tonnen pro Tag‘ angegeben. Das wäre mehr als der weltweite CO2-Ausstoß pro Jahr. Ein kurzer Blick auf die Börsen-Website zeigt, dass 2008 höchstens 15 Millionen Tonnen und im Durchschnitt unter sieben Millionen Tonnen Emissionsrechte am Tag gehandelt wurden…“
Da bleibt für Frau Kemferts beeindruckende Karriere eigentlich nur noch der logische Schritt in die Politik.
Der Beitrag erschien zuerst bei ACHGUT




Australien ist mit der Energiewende schon weiter- Stromausfälle über Stromausfälle

Australien mag in manchen seiner Regelungen und Verhaltensweisen ein Vorbild sein – bei der Erzeugung von Strom mittels Windkraft ist es das nicht. Dafür aber ein gutes Beispiel für verrückte Energiepolitik. Dort passiert nämlich, was hierzulande ebenfalls droht, aber bisher immer noch abzuwenden gelungen ist: flächendeckende Stromausfälle. So haben die Bewohner einiger australischer Bundesstaaten im letzten halben Jahr mehrere Zusammenbrüche ihres Stromnetzes und Black-outs erlebt. Das Beispiel zeigt, was geschieht, wenn der Anteil alternativer („erneuerbarer“) Energien an der Stromproduktion über 40 Prozent hinausgeht. Der ist bei uns in Deutschland zwar noch nicht erreicht, soll aber erreicht werden. Die hiesigen selbsternannten Klimaschützer und Weltverbesserer streben sogar 100 Prozent an. Gelänge ihnen das wirklich, dann – im wahrsten Sinn des Wunsches – Gute Nacht, Deutschland. Dann nämlich, wenn’s Licht ausgeht, sollte man die Chance nutzen und sich im Bett auf’s Ohr legen. Schlafen ist gesund. Nur Tiefschlaf nicht in Sachen Politik.
Wegen der Stromausfälle stinksauer, daher jetzt der Schnellbau neuer Gaskraftwerke
Aber die vom Stromausfall schon betroffenen Australier fanden diese Idee wohl nicht so gut und sind wegen der häufigen Netzzusammenbrüche stinksauer. Daher muss jetzt ein Schnellprogramm für neu zu bauende Gaskraftwerke aufgelegt werden,  um die unregelmäßige Stromeinspeisung der Windkraft abzupuffern. Zuvor waren einige Kraftwerke mit Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen sinnigerweise stillgelegt worden –  obwohl Australien in Kohle schwimmt. Aber der „Ökostrom“ beschert den Bürgern in Down under nicht nur Stromausfälle, sondern auch teureren Strom. Der Preis für Strom ist dort auf das Preisniveau in Deutschland  gestiegen und wird weiter steigen. Doch anders als in Deutschland gibt es für stromintensive Unternehmen auf den hohen Preis keinen Rabatt.
Die Dokumentation durch eine französische NGO
Über die Stromkrise im Bundesstaat Süd-Australien gibt es eine sieben Seiten lange Dokumentation der französischen Nichtregierungsorganisation (NGO, französisch ONG) Global Electrification, die sich generell mit Strommärkten beschäftigt. Sie gilt als regierungsunabhängig und frei von Lobby-Einflüssen. Veröffentlicht ist das Dokument im Lettre geopolitique de l‘electricite Nr. 73 vom  27. März 2017. Im Folgenden gebe ich Ausschnitte daraus in der Übersetzung von Günter Unseld (NAEB Verbraucherschutz e.V.) wieder, der mich auf den Beitrag auch aufmerksam gemacht hat. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt. In der Einführung heißt es:
Der erste größere Netzzusammenbruch schon im Februar 2016
„Im Mai 2016 hatte das Bundesland Süd-Australien seine letzten beiden Kohlekraftwerke still gelegt. Der Anteil der Erneuerbaren Energien mit unregelmäßiger Stromerzeugung, d.h. Fotovoltaik und vor allem Windkraft, ging auf fast 50 Prozent zu, was einmalig auf der Welt ist. Der Strompreis erreichte neue Höhen. Nachdem es schon am 28. Februar 2016 einen größeren Netzzusammenbruch gegeben hatte, gab es sieben Monate später den nächsten großen Black-out. Von diesem Zeitpunkt an kam es immer wieder zu Netzzusammenbrüchen. Der daraus resultierende Ärger bei der Bevölkerung beschwor eine politische Krise herauf. Die Unternehmer drohten eine Abwanderung an. Und fünfzig Kleinkinder, die auf eine Transplantation warteten, überlebten das nicht.“
Für die nächsten zwei Jahre 125 Stromknappheiten-Situationen einkalkuliert
„Am 13. März 2017 reagierte die Regierung darauf mit einem außergewöhnlichen Notfallplan. Mit Priorität werden jetzt Gaskraftwerke gebaut und keine Kosten gescheut: Wenn wir den Maßstab von Frankreich anlegen, würde das 13,6 Milliarden Euro kosten und würde auf einen Notfallplan hinauslaufen, zuerst einen Gaskraftwerk-Park zu erstellen mit einer Leistung von 5 EPR Kernkraftwerken (je 1,6 Gigawatt). Innerhalb von sechs Monaten müsste das dastehen vor der nächsten Hitzewelle … und vor den nächsten Wahlen 2018. Am 26.März 2017 hat das Energieministerium für Süd-Australien für die nächsten zwei Jahre etwa 125 Situationen mit Stromknappheiten einkalkuliert und eine hohe Wahrscheinlichkeiten von Black-outs für den nächsten australischen Sommer angekündigt.“
Notstromgenerator nicht schnell genug, fünfzig Kleinkinder gestorben
Des Weiteren schildert das Dokument die Stromversorgung in Süd-Australien  v o r  der Krise, dann das Ausbrechen der Krise und beschreibt anschließend die Stromausfälle vom 28. September 2016, vom 1. Dezember 2016, von Ende Dezember 2016, vom 20. Januar 2017 und vom 8. Februar 2017. Die schon erwähnten fünfzig Kleinkinder starben, weil es nicht gelang, den Notstromgenerator rechtzeitig hochzufahren. Danach ging sofort eine riesige Auseinandersetzung über die unzuverlässige Windkraft los. Vom Stromausfall am 1. Dezember 2016 waren rund 200 000 Haushalten eine Stunde lang betroffen, und BHP Billiton (die größte Bergbaufirma in Australien) hatte vier Stunden lang keinen Strom bei seinen Arbeiten am Olympic Dam Bergwerk.
Weihnachten 2016 ohne Klimaanlagen, Kühlschränke, Internet, Mobiltelefone, Straßenampeln
Vom 23. Dezember an und am Weihnachtstag gingen während längerer Zeiten die Klimaanlagen und die Kühlschränke aus. Die lokalen Zeitungen beschrieben die großen Verluste der Supermärkte, die sich zur Weihnachtszeit mit verderblichen Waren eingedeckt hatten. Am 27. Dezember waren zunächst 155 000 Haushalte betroffen. Außer Betrieb waren das Internet, die Mobiltelefone und die Straßenampeln. Am 20. Januar fand der Netzzusammenbruch während der Nacht statt und betraf 58 000 Haushalte in Adelaide und den Vorstädten. Viele Geschäfte mussten deshalb am nächsten Tag geschlossen bleiben.
Vorsorgliche Netzabschaltung wegen der sommerlichen Hitze, weil Strom fehlte
Am 8. Februar schaltete der Netzbetreiber in kurzer Folge verschiedene Bereiche der Stadt ab, um einen totalen Netzzusammenbruch zu vermeiden. Das wurde schmerzlich verspürt, da der australische Sommer voll zuschlug. Es fehlte eine Stromleistung von 100 Megawatt, die Hitze war groß. Die Regierung beschimpfte die Netzbetreiber, sie hätten grundlos das Netz abgeschaltet, was diese aber in Abrede stellten. Seit 5. Februar waren in der Adelaide-Region über 3000 Haushalte ohne Strom.
CocaCola-Fabrik geschlossen, BHP-Billiton-Bergwerk ohne Gewinn
Weiter liest man in dem Bericht, dass die Netzzusammenbrüche jetzt in einem bisher unbekannten Rhythmus aufeinander folgen. Die Warnungen der Netzbetreiber würden jetzt ernst genommen. Die Bevölkerung sei sich einer neuen Anfälligkeit ihres Stromnetzes bewusst, das ihnen vorher unbekannt gewesen sei. Die Presse registriere unter der Bevölkerung  eine Unruhe und das Bewusstsein von finanziellen Verlusten, z.B. in den Supermärkten. Und die Todesfälle, verursacht durch den großen Netzzusammenbruch im September 2016, führten zu einem gerichtlichen Nachspiel. Der Bergbaukonzern BHP Billiton, einer der größten Arbeitgeber in Australien mit allein 3000 Beschäftigten im Kupferbergbau am Olympic Dam, weist darauf hin, dass durch die hohen Strompreise und die Stromausfälle der Gewinn 2016 in diesem Bergwerk auf Null geschrumpft ist. Die Firma Coca Cola hat ihre Fabrik in Süd-Australien geschlossen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, da der Bundesstaat jetzt die höchsten Strompreise habe und die Stromlieferungen am unsichersten sei.
Das Grundproblem bleibt
Als Grundproblem bleibt: „Auch künftig ist es schwierig, die unregelmäßige Einspeisung in das Netz zu kompensieren. Man muss genügend schnell hochfahrende Kraftwerke zur Verfügung haben. Und das ist offensichtlich in Süd-Australien zur Zeit nicht der Fall. … Der Black-out vom 28. Februar 2016 zeigt auf, dass ein plötzlicher Rückgang der Stromlieferungen über Windkraft nicht sofort kompensiert werden kann durch die anderen Kraftwerke. Kurz vor dem Black-out hatten die fossilen Kraftwerke ihre Stromproduktion heruntergefahren, da die Windkraft mit der Fotovoltaik etwa die Hälfte der Stromnachfrage abgedeckt hat.“
Ein riesiges Experiment, das auf unzuverlässigen Hypothesen beruht
Die Schlussfolgerung in dem Bericht lautet: „Zur Zeit führt Süd-Australien mit seiner 50 Prozent Windkraft-Stromversorgung ein riesiges Experiment durch, da theoretische Studien über diese Art der Stromversorgung nur aus unzuverlässigen Hypothesen bestehen. Im Einzelnen:
–   Wenn man von 35 auf 50 Prozent übergeht mit einer Stromversorgung, die aus unregelmäßigen Stromerzeugern besteht, dann  riskiert man Netzzusammenbrüche, die sowohl den Endverbraucher als auch Unternehmen schwer beeinträchtigen …
–   Die AEMO (Australien Energy Market Organisation) sieht für Süd-Australien in den nächsten zwei Jahren 125 Tage mit Strommangel-Situationen voraus. ‚tatsächlich ist es nicht möglich, bei Sommer Temperaturen über 40 Grad das Netz stabil zu halten’  
–    Schon vor der Krise waren die Strompreise doppelt so hoch wie in Frankreich  und die höchsten in ganz Australien.
–    Die Regierung, deren Vorliebe der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien Wind und Sonne ist, muss jetzt einen kostspieligen Notfallplan verfolgen, dessen Schwerpunkt der Bau von Gaskraftwerken ist. …
–   Das Speichern von Strom über Batterien ist eine nicht reiflich überlegte Lösung und dazu außerordentlich teuer.
–   Der Strompreis für Süd-Australien wird explodieren – einmal durch die Abschaltung der Kohlekraftwerke, aber dann vor allem durch den Crash Plan, der in wenigen Monaten durchgeboxt werden soll.“
Was Süd-Australien exemplarisch vorführt
„Für Frankeich würde derselbe Notfallplan – aber hochgerechnet auf unseren Stromverbrauch – etwa 13,5 Milliarden Euro kosten. Bei den Netzzusammenbrüchen kommen oft verschiedene Ursachen zusammen – die unregelmäßige Stromeinspeisung über Wind und Sonne ist aber ein wichtiger Grund, der mit der immer mehr zunehmenden Stromeinspeisung immer wichtiger wird. In Deutschland, wo der Anteil der Erneuerbaren schon über 30 Prozent am Stromverbrauch beträgt, erfordert eine Windflaute einen massiven Unterhalt von fossilen Back-up-Kraftwerken. Bei der European Physical Society Energy Group hört sich das so an: Die Integration von unregelmäßigen Stromerzeugern wird ab einer Größenordnung von 30 bis 40 Prozent immer schwieriger werden. Süd-Australien führt uns das exemplarisch vor!“
Ein vernichtendes Ergebnis auch für die deutsche Strompolitik
Der Lettre geopolitique de l’electricité der ONG Global Electrification (Homepage hier) erscheint mit seinen Beobachtungen der Strompolitik monatlich. Am 22. Februar (hier) sind dort die Kosten und die Klimarelevanz der deutschen „Energiewende“ analysiert worden – mit einem vernichtenden Ergebnis. Der eigenen (französischen) Regierung wurde empfohlen, dem deutschen Beispiel nicht nachzueifern. Das Gleiche hat die NGO mit der EU-Energiepolitik gemacht und geprüft, ob die Klima- und die Energieausbauziele  überhaupt realistisch und sinnvoll sind. In Deutschland fehlt eine solche unabhängige Institution – leider.
Der Beitrag erschien zuerst bei Blog von Dr. K.P. Krause



Trump: Not with me folks!

Es wird geschätzt, dass die vollständige Einhaltung der Pariser Vereinbarung letztlich das BIP von Amerika um 2,5 Billionen Dollar über einen Zeitraum von 10 Jahren schrumpfen lassen wird.

Das bedeutet, dass Fabriken und Firmen in unserem ganzen Land schließen.

Nicht mit mir, Leute! —

US Präsident Donald Trump, Harrisburg, 29 April 2017

Original:

It is estimated that the full compliance with the Paris agreement will ultimately shrink America’s GDP by 2.5 trillion dollars over a 10-year period. That means factories and plants closing all over our country. No with me, folks! –U.S. President Donald Trump, Harrisburg, 29 April 2017




Atomkraft: Und plötzlich bist Du Menschenverächter

Aus entrüsteten Zuschriften muss ich schließen, dass (vermeintliche) Tschernobyl-Leugner hierzulande Gefahr laufen, auf dieselbe Stufe wie Holocaust-Leugner gestellt zu werden: ich sei menschenverachtend, „relativierend“ und zynisch, so warf man mir vor. Meist sind solche Zuschriften mit Verweisen auf Einzelschicksale im Familien- und Bekanntenkreis versehen, die von den Verfassern auf den Reaktorunfall zurückgeführt werden.
Wie immer in solchen Fällen kann man angesichts solcher unhintergehbarer Leidensgeschichten als Wissenschaftler oder auch Politiker, welcher jenseits des Individualschicksals Bewertungen abgeben und Entscheidungen zu fällen hat, nur verlieren. Denn wer möchte sich dem Vorwurf aussetzen, er oder sie sei hartherzig einem Menschenschicksal gegenüber?
Ich vermute: genau in diesem typischen Diskussionsverlauf liegt die Ursache, warum sich hierzulande niemand mehr zutraut, eine sachlich-kritische Diskussion über die Energiepolitik unter Einbeziehung der nuklearen Option noch durchzustehen: man will sich nicht als nuklearer Volksverräter und Menschenfeind hinstellen lassen.

Machbarkeit und Akzeptanz müssen zusammenkommen

Meine Kritiker, die mit dem wohlfeilen Vorwurf der Gefühlskälte kommen, verwechseln zweierlei Sachverhalte. Man kann einerseits feststellen, dass jedes Opfer einer Industriekatastrophe eines zuviel ist, und man kann einen individuellen Zugang zum Schicksal einzelner Opfer wählen. Das ist legitim, wurde vielfach in vorbildlicher Weise unternommen, und an einigen solcher Unternehmungen war und bin ich als Historikerin Tschernobyls auch beteiligt.
Das enthebt aber andere Menschen, welche allgemeinverbindliche Entscheidungen für viele fällen müssen – das heißt politische Verantwortung tragen – nicht der Konfrontation mit den Tatsachen. Entscheider und ihre wissenschaftlichen Berater müssen durch einen Abwägungsprozess hindurch, in unserem Falle (idealiter) mit dem Ziel, herauszufinden, welche Art Energieversorgung in einem Industrieland funktioniert und auch gesellschaftlich und moralisch vertretbar ist. Machbarkeit und Akzeptanz müssen zusammenkommen.
Und bei dieser Abwägung steht die Kernenergie trotz aller Mythenbildungen immer noch besser da als all das, mit dem sie von den Atomgegnern so eifrig und optimistisch substituiert wird. Diese müssten sich konsequenterweise fragen lassen, was die Atomindustrie und ihre Opfer so heraushebt, was sie so besonders inakzeptabel macht vor anderen Opfergruppen.
Grund des Akzeptanzproblems, so meine These, ist nicht die real existierende Kerntechnik und auch nicht die nachweisbare Opferbilanz der zivilen Kernenergienutzung, die ich gar nicht leugne, obwohl mir das implizit unterstellt wird. Es ist vielmehr der rund um diese Energieform produzierte Diskurs, demzufolge die Kerntechnik als Menschheitsverderber ganz oben in der Hierarchie des Entsetzlichen und Verwerflichen steht.

Die Tendenz zur (Selbst-)Viktimisierung

Hinzu kommt die allgemeine Tendenz zur (Selbst-)Viktimisierung in unseren politischen Diskussionen. Wer nicht Opfer (der Atomkraft oder sonstiger finsterer Kräfte) ist oder für die Opfer zu sprechen vorgeben kann, dessen Argument büßt an Legitimationskraft ein. Wer sich anmaßt, dieses Argument auseinander zu nehmen und nach tatsächlichen Opfer-Verhältnissen zu fragen, ist ein „Relativierer“. Aber das ist nur einer der Wege, Diskussionen im Keim zu ersticken. Neulich hörte ich eine interessante Aussage von der Grünen-Politikerin Gudrun Zentis, die eine Förderung der Kernforschung (es ging um die Möglichkeit, das Volumen hochaktiven nuklearen Abfalls durch Transmutation zu reduzieren) mit der Begründung ablehnte, dies würde ja die Akzeptanz der Kernenergienutzung erhöhen.
Es gibt also in unserem Land Gruppen, die gar nicht an der Schnittstelle von Machbarkeit und Akzeptanz für das Gemeinwohl streiten und arbeiten wollen, um die bestmögliche Entscheidung zu erzielen, sondern die lieber alles dafür tun, eine Option erst gar nicht in die Nähe der Akzeptanz kommen zu lassen.
Das halte ich für fahrlässig. Denn wir leben in einer nicht perfekten Welt. Das bedeutet, dass wir häufig mehrere nicht perfekte Lösungswege eines Problems gegeneinander abwägen müssen. Das ist die Aufgabe von Wissenschaftlern und Politikern, die sich dann Vorwürfe gefallen lassen müssen, sie seien zynisch und respektlos den Opfern gegenüber. Alle moralisch Unanfechtbaren sollten sich freilich überlegen, auf wen sie ihren ersten Stein schleudern.
Sie sollten also ihre eigene Opferfixiertheit bis zum Ende durchhalten und beispielsweise ausrechnen, wie viele Opfer von Atemwegs- und Gefäßerkrankungen ein Kernkraftwerk zu verhindern half, indem es mehrere Kohlekraftwerke ersetzte. Und sodann abwägen, ob sie diese Schicksale akzeptabler finden als die hypothetischen Opfer eines nuklearen Unfalls in unserem Land, die sie auf jeder Demonstration beschwören.

Das Dilemma der Unfallchirurgie

Denn wir sehen, dass bei uns die Kernenergie keinesfalls durch bessere Lösungen ersetzt wird, sondern durch schlechtere – nämlich durch mehr fossile Energieträger. Wind, Sonne und guter Wille allein reichen nicht aus, um ein Industrieland zu versorgen; von den nichtexistenten Speicherlösungen über den irrwitzigen Landschaftsverbrauch bis hin zum akuten Rohstoff- und Sondermüllproblem bei den „Erneuerbaren“ stellen sich für mich so viele Fragen, dass ich den Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie für überhastet und unverantwortlich halte.
In diesem Konflikt zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik haben die Gesinnungsmenschen vorerst die Oberhand. Verantwortungsethikern schlägt ein kalter Wind entgegen. Ihnen wird vorgeworfen, Opfer zu „zählen“ und, noch schlimmer, zu „relativieren“, womit eigentlich „kleinrechnen“ unterstellt wird. Obwohl, wie ein befreundeter Arzt mir schrieb, solche kognitiven Operationen in einer Entscheidungssituation, beispielsweise in der Unfallchirurgie, das höchste Gebot sind: Zählen und Vergleichen, die berüchtigte Triage, hilft dann Leben zu retten, wo es zu retten ist. Aus Sicht der Angehörigen eines unrettbar Verletzten blanker Zynismus und unerträgliche Vorstellung.
Entscheider in Wissenschaft und Politik müssen jedoch den Mut aufbringen, auch gegen schlechte Bilder, auch im Angesicht des Zynismus-Vorwurfs, auch unter einem Schwall von schmähenden Zuschriften ihren Weg zu gehen. Dafür sind sie zu Entscheidern gewählt worden. Dazu gehört im Falle sehr weitreichender Entscheidungen wie der Energiepolitik der Mut, Optionen und Entwicklungspfade abzuwägen, die Gelassenheit, in einer emotional aufgeheizten Atmosphäre Zeit zum Einholen von Expertise einzufordern, und die Zähigkeit, auf die Ergebnisse zu warten. Nichts davon hat man in unserer Energiepolitik nach Fukushima getan.

Man hat mehr zerstört als man aufbauen konnte

Man hat eine hastig berufene und parteiisch besetzte Ethik-Kommission vorgeschoben, wo man eigentlich eine Enquête-Kommission mit wissenschaftlichem Stab gebraucht hätte. In einem solchen Gremium hätte man den Kernverfahrenstechnikern und Fachleuten für Übertragungsnetze die gleiche Stimme einräumen müssen wie den Techniksoziologen und -ethikern. Man hätte mögliche Weiterentwicklungen der Kerntechnik ebenso ernsthaft diskutieren müssen wie die Entwicklungsaussichten von Speichertechnologien und Offshore-Windkraft.
Das hätte Zeit gekostet, die man angesichts grüner Siegeszüge in Baden-Württemberg nicht zu haben vermeinte. Daher hat man Diskussionen abgeschnitten, bevor sie beginnen konnten. Man hat Ergebnisse vorgegeben, statt ergebnisoffen zu beraten. Man hat um der billigen „Befriedung“ der deutschen Atomdebatte willen einen funktionierenden Industriezweig geopfert und ihn durch einen Weg ins Ungewisse ersetzt. Man hat als Kollateralschaden in Kauf genommen, dass deutsche Expertise auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit international an Einfluss verliert, da unsere Experten keine kerntechnische Führungsnation mehr vertreten, sondern ein innovationsmüdes Abwicklungsland. Man hat mehr zerstört als man aufbauen konnte. Denn man wollte nicht herzlos sein – und hat den Verstand abgeschaltet.
Dr. Anna Veronika Wendland forscht zur Geschichte und Gegenwart nuklearer Sicherheitskulturen in Ost- und Westeuropa. Für ihre Habilitationsschrift hat sie in mehreren Kernkraftwerken in der Ukraine, Litauen und Deutschland, zuletzt in den KKW Grafenrheinfeld und Grohnde, Forschungsaufenthalte durchgeführt. Dr. Wendland arbeitet in der Direktion des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg. Sie leitet Arbeitsgruppen im Bereich Technik-, Umwelt- und Sicherheitsgeschichte.
 
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