Fahrverbot für Diesel?
So oft, dass sich der baden-württembergische Verkehrsminister Franz Untersteller (der Partei der Grünen angehörend) zu der Drohung veranlasst sah, dass er bei Fortbestehen dieser Situation die Stuttgarter Innenstadt demnächst für ältere Dieselfahrzeuge- ohne blaue Euro 6 Plakette – sperren werde. Nach derzeitigem Stand wären von den 113.000 Dieselautos in Stuttgart nicht weniger als 93.000 von einem Fahrverbot betroffen! (Unterstellers Chef, der Ministerpräsident Winfried Kretschmann, denkt jedoch wegen der heftigen Reaktionen bereits über eine Rücknahme dieser Ankündigung nach.)
Neben dem Stickoxid stehen auch die Feinstaubemissionen der meist betagten Diesel-PKW am Pranger. Der Dieselruß und die Dieselpartikel sind schon lange ein Feindbild der Lungenärzte und der Beatmungsmediziner. Aber beim Staub gibt es noch viele andere Quellen, beispielsweise den Reifenabrieb aller Autotypen und insbesondere die Holzöfen der Bürger bis hin zu den „Komfort“- Kaminen. Von letzteren soll es in Stuttgart mehr als 20.000 Anlagen geben, welche die Romantikgefühle ihrer Besitzer beflügeln. Weil diese nicht so ohne weiteres zu sanktionieren sind, beschränken sich die Behörden beim Feinstaub vorläufig auf Fahrverbote für die Autobesitzer. Ist einfacher.
Das Stickstoffdioxid: ein altbekanntes Problem
Stickoxide gelangen aus Dieselfahrzeugen vor allem in Form von Stickstoffmonoxid (NO) in die Atmosphäre, wo sie mit Sauerstoff zum giftigen Stickstoffdioxid (NO2) reagieren. Dieses ätzende Reizgas kann Atemnot, Kopfweh und Herzbeschwerden auslösen. Bereits 1999 führte die Europäische Union (EU) dafür Grenzwerte ein, inklusive langer Übergangszeiten. 240 verkehrsnahe Messstellen wurden deshalb in Deutschland eingerichtet. Sie beweisen, dass die Dieselfahrzeuge mit 67 Prozent am gesamten NO2-Austoß beteiligt sind, die Benziner nur mit 4 Prozent. An den Hauptverkehrsstraßen, z. B. am Stuttgarter Neckartor, werden seit fast 20 Jahren die NO2-Grenzwerte drastisch überschritten. Geschehen ist dort seitdem nur wenig.
Inzwischen klagen die Bürger nicht nur verbal, sondern zunehmend vor den zuständigen Verwaltungsgerichten. Das Bayerische Verwaltungsgericht verlangte bis Ende des Jahres 2017 für München von den Behörden entsprechende Fahrverbote, falls andere Maßnahmen nicht wirken. Die Städte stehen vor einem Dilemma: auf der einen Seite gilt das Recht der Bürger auf saubere Luft, auf der anderen Seite gibt es die Ansprüche der modernen mobilen Gesellschaft mit Pendlern, Gewerbe und Besuchern. Die Hauptschuld an dieser Situation trägt jedoch die (hohe) Politik: sie hat die Brüsseler Richtlinien jahrelang praktisch negiert und nicht in entsprechende Gesetze umgewandelt. Gleichermaßen zu kritisieren sind die Autohersteller: sie haben ihre Dieselmotoren technisch nicht gesetzesgemäß ausgestattet. Inzwischen wird eine neue Norm, dargestellt durch die E 6-Plakette, propagiert, mit der jeder Dieselbetreiber sein Fahrzeug angeblich überall gesetzeskonform nutzen kann. Jedenfalls nach den Behauptungen des Verbands der Deutschen Automobilindustrie.
Das wird vom Automobilclub ADAC aber bereits bestritten. Seine Messungen (bei Straßenbetrieb!) beweisen, dass gut ein Drittel der Diesel-PKW, welche mit der bereits seit Jahren bestehenden E 5-Plakette ausgestattet sind, im realen Straßenverkehr besser sind als das schlechteste Drittel der zukünftigen E 6-Norm. Beispiel: der Volvo V 40 mit E 5-Plakette stieß bei ADAC-Messungen 12o Milligramm pro Kilometer aus, der Volvo S 60 mit E 6-Plakette dagegen satte 1167 mg/km! Letzterer dürfte also in Stuttgart das Neckartor durchfahren, der weitaus sauberere V 4o hingegen nicht. Die Experten des ADAC erwarten, dass erst mit der im Straßenverkehr überprüften E 6-Norm die Kunden hinreichend sicher sein können, dass sie ihr neues Fahrzeug überall benutzen dürfen. Diese Dieselkategorie wird jedoch in den meisten Fällen erst im Herbst bei den Händlern stehen.
Fazit: Bis dahin müssen die Dieselnutzer Fahrverbote oder City-Maut (wie in Köln) fürchten. Außerdem droht ihnen auf jedem Fall ein hoher Wertverlust ihres Fahrzeugs beim Wiederverkauf. Das Aussperren von knapp 13 Millionen Diesel-Autos in der City wirkt sich wie eine kalte Enteignung aus. Für die Automobilindustrie ist es gleichzeitig ein gigantisches Konjunkturprogramm.
Das Feinstaubproblem: dem Autofahrer zugeschoben
Eine andere Sau wird seit Jahren mit dem Feinstaubproblem (PM10) durchs Dorf getrieben. Feinste Staubteilchen mit einem Durchmesser bis zu 10 Mikrometer können bis in die Lungenbläschen vordringen. Dort lagern sie sich ab und rufen Entzündungen hervor, bzw. erhöhen das Risiko für einen Herzinfarkt. Noch in den 70er Jahren lagen in Deutschland ganze Regionen unter einer Smog-Wolke, wie heute noch Peking oder Schanghai in China. Hierzulande ist das Feinstaubproblem inzwischen drastisch gesunken. Das liegt vor allem an den Partikelfiltern, die mit Einführung der E 4-Norm in die Dieselautos eingebaut sind.
Im Stuttgarter Talkessel jedoch, wo sich der Feinstaub bei Inversionswetterlagen sammelt, werden diese Grenzwerte weiterhin alljährlich überschritten. Die Stadtverwaltung setzt nun um, was die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann Anfang 2017 beschlossen hat: sie verhängt Fahrverbote für alle Diesel-PKW, welche die neueste Abgasnorm E 6 nicht erfüllen. Zehntausende Autofahrer müssen, nach Abschätzungen des ADAC ,vor den Toren der Stadt bleiben. Sogar all jene, die sich noch 2015 einen Neuwagen mit der Norm E 5 zugelegt haben.
Inzwischen ist wohl bekannt, dass Feinstaub nicht nur in KFZ-Motoren, sondern auch in Industrieanlagen, wie Kraftwerken, und vor allem in den kaum zur Gänze überprüfbaren Holzöfen vieler Bürger entstehen. Aber auch durch den Abrieb an Reifen und Bremsen der Autos, wie oben bereits erwähnt. Deshalb hat ein anderer Grüner, der Stuttgarter OB Fritz Kuhn, eine neue Variante der „Schwäbischen Kehrwoche“ angekündigt: spezielle Kehrfahrzeuge durchfahren nun die Stuttgarter Innenstadt und kehren maschinell den dort abgelagerten Feinstaub (samt Dreck) auf. Offensichtlich mit Erfolg, denn der Stadtrat hat bereits eine Ausschreibung zur Beschaffung weiterer Kehrmaschinen veranlasst.
Das Ende des Diesels?
Die anhaltende Diskussion über die Zukunft des Dieselmotors sorgt bereits für sinkende Verkaufszahlen. Die Deutschen kaufen wieder mehr Autos mit Benzinmotoren. Im März sind die Neuzulassungen für Dieselneuwagen um fast 3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gefallen. Der Dieselanteil liegt damit nur noch bei 40 Prozent, früher waren es fast 50 %. Die Experten erwarten, dass die Verkaufszahlen für Diesel weiter zurück gehen werden, u. a. wegen der strengen Abgasvorschriften , welche die Fahrzeuge verteuern werden.
Das Problem mit den Millionen alter Dieselmodelle der Abgasnormen E 4 und E 5 wird jedoch bleiben. Ihre Besitzer werden happige Wertverluste erleiden, denn die eventuelle Nachrüstung mit Motoren der Klasse E 6 wäre viel zu teuer. Ein Abgesang auf den Dieselantrieb kommt jedoch noch zu früh: denn noch trägt der Dieselmotor wegen seiner Sparsamkeit viel zur Einhaltung der Grenzwerte beim Kohlendioxid bei.
Einigen Trost findet die verunsicherte Dieselgemeinde einstweilen bei der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beim saarländischen Wahlkampf in St. Wendel hat sie den Diesel wie folgt gelobt:
Wenn ihr ein Dieselauto kauft, dann kauft ihr ein Auto, das umweltfreundlich ist. Für den Klimaschutz ist das Dieselauto heute ein genauso gutes Auto, wie es gestern und vorgestern war“
Die Kanzlerin muss es wissen. Sie fährt Diesel – neben Benzinern.