Thomas Alva Edison erfand 1880 das Prinzip des Motorzählers, das Galileo Ferraris am Ende des 19. Jahrhunderts praxisreif machte. Bis heute nutzt man die Bauweise, um die Kilowattstunden abrechnungssicher zu registrieren. Der gute alte Ferraris-Zähler gab mit seiner stoischen, schweigenden und zuverlässigen Tätigkeit mehreren Generationen ein Gefühl von geordneter Welt und Versorgungssicherheit. Geräuschlos in Kellerecken oder anderen tristen Anschlussräumen wartete er geduldig, dass einmal im Jahr jemand durch die Scheibe blinzelte und die Zahlenfolge emotionslos aufschrieb. Nie wurde bekannt, dass einer explodiert wäre, auch Abstürze sind nicht überliefert, weder von der Wand noch die seiner zutiefst elektromechanischen Software.
Nun soll er aufs Altenteil. 2009 fasste die EU den Beschluss 72 zur Einführung digitaler Zähler als wichtigem Bestandteil künftiger intelligenter Netze. Deutschland untersetzte mit dem „Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“, dem wiederum das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) im August 2016 folgte. Dieses ist eine Freude für jeden Ministerialbürokraten und ein Graus für die Praktiker. 77 ordentliche Paragrafen schmücken es, dazu eine Anlage und satte 28 Begriffsbestimmungen, damit erst mal klar ist, worum es überhaupt geht.
In diesem Jahr beginnt der zwangsweise Zählertausch, zunächst bei Kunden mit mehr als 10.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch. Ab 2020 sind die Verbraucher ab 6.000 Kilowattstunden dran, die anderen folgen. Meist lässt sich das Gerät nicht einfach tauschen, sondern die Zählerplätze müssen umgebaut und ganze Zählerschränke gewechselt werden. Kosten von mehr als tausend Euro fallen dann an. Eigentümer werden zwangsabkassiert, können sich die Kosten aber über die Mieter wiederholen, wenn vorhanden. Die laufenden Kosten sollen bei Kunden mit mehr als 6.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch nicht mehr als 100 Euro pro Jahr betragen, bei den geizigen Kleinverbrauchern nicht mehr als zwanzig Euro. Bei unseren Haushaltsstrompreisen fällt das nicht mehr ins Gewicht, mag sich die Planbürokratie denken.
Weniger Eigenverbrauch versprechen die neuen digitalen Zähler ELD21 und bringen zunächst keinerlei Nutzwert. Sie schreiben kalte Zahlen aufs Display. Lieferte der Ferraris-Zähler noch ziemlich einheitlich runde zwei Prozent Messfehler mit, gehen die Digitalen beherzter zu Werke. Messfehler von -32 bis zu +582 Prozent können nach einer Studie der Universität Twente schon vorkommen. Zum Beispiel, wenn ein sinusförmiger Verlauf des Verbrauchs durch sprunghafte Änderungen unterbrochen wird – was beim Zuschalten stärkerer Verbraucher eben passiert. Besserung wird versprochen, aber die bisher produzierten Geräte mit mangelhafter Pflichtauffassung baut man schon mal ein.
Digitalisierung ohne Nutzen
Bisher gibt es keine informationstechnische Vernetzung, praktische Vorteile für den Kunden sind nicht erkennbar. Wendebegeisterte und manche Stadtwerke versprechen „einen besseren Überblick über Ihren Stromverbrauch“ und schließen daraus auf ein utopisches Einsparpotenzial. Wenn aus dem digitalen Zähler in Verbindung mit einem Gateway ein so genanntes intelligentes Messsystem entsteht, gibt es mehr Möglichkeiten. Über eine Datenschnittstelle gehen Messwerte nach außen und der Kunde hat die Möglichkeit, seinen Verbrauch am heimischen PC oder Smartphone vom Wohnzimmer aus zu verfolgen. Dies eröffnet neue Optionen, etwas Brisanz ins manchmal langweilige Familienleben bringen. Der Sohnemann gab an, um 11 von der Disco zurück gewesen zu sein. Die Kurve zeigt aber erst um zwei einen Ausschlag. Wann ging die Dame des Hauses zu Bett, als der Gatte auf Dienstreise war? Dienstag nach 18 Uhr keine Reaktion mehr an der Verbrauchskurve. War sie überhaupt zu Hause??
Das interessiert den Versorger natürlich nicht. Die Daten, die in die vernetzte Welt hinausposaunt werden, können nach Paragraf 49 des MsbG folgenden Stellen zugänglich gemacht werden: Messstellenbetreiber, Netzbetreiber, Bilanzkoordinatoren, Bilanzkreisverantwortlichen, Direktvermarktungsunternehmen nach EEG, Energielieferanten und jede weitere Stelle, die über eine Einwilligung des Anschlussnutzers verfügt. Diese berechtigten Stellen können die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten auch externen Dienstleistern übertragen. Die Zeiten, als die Wohnung als geschützter, sicherer und anonymer Raum galt, gehen dem Ende entgegen.
Der organisierten Kriminalität dürfte es ein leichtes sein, mit einer angemessenen Menge an Geld über eine dieser Stellen an gut „brauchbare“ Informationen zu kommen. Aber auch der Ehrgeiz der Nutzer selbst dürfte geweckt werden, eine Software zu finden, mit der man vom heimischen PC aus seinen eigenen Stromverbrauch zurücksetzen kann.
Verbraucherschützer laufen Sturm gegen „die Zwangsdigitalisierung durch die Kellertür“. Die smarten Zähler sind ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Wie viel Glättung oder Einsparung die intelligenten Messsysteme tatsächlich bringen werden, ist unklar. Beruhigend ist, dass bisher das Smartgrid fiktiv ist, es also auch noch kein unsicheres Smartgrid geben kann.
Seit mehr als zehn Jahren wird über das intelligente Netz diskutiert, geforscht und manchmal auch fantasiert. Die Idee wurde als Folge des zunehmend volatilen und mit Vorrang zu behandelndem Strom aus Wind und Sonne geboren und entwickelt. Der Gedanke dahinter sagt, dass nicht nur auf der Erzeugerseite auf schwankende Nachfrage reagiert wird, was nur konventionelle Kraftwerke tun, sondern auch auf der Verbrauchsseite eine Glättung des Bedarfs durch Verbrauchersteuerung (demand site management – DSM) erfolgt.
Dafür sind viele Randbedingungen erforderlich. Digitaler Zähler und Gateway sind stockdoofe Drahtaffen wie anderes elektrisches Gerät auch. Erzeuger, Übertragungsnetzbetreiber und Verteilnetzbetreiber müssen untereinander datentechnisch über alle Spannungsebenen hinweg vernetzt sein und nötig ist ein Lastmanager, ein Zentralrechner, der die Strompreise permanent anpasst. Dieser stellt die „Intelligenz“ dar, die beschworen wird. Er kann aber auch nur auf der Basis entsprechender Programme vorgegebene Routinen erledigen. Die Infrastruktur zum Betrieb des Smartgrid verursacht jedenfalls zusätzliche Kosten.
Sichere Kanäle zu allen Beteiligten und vor allem Tarife mit Vorteilen für die am DSM teilnehmenden Kunden sind zu erstellen. Diese erwarten natürlich Vorteile davon, wenn sie einen Teil ihrer Verbrauchersouveränität, nämlich die Entscheidungshoheit, wann sie welche Haushaltsgeräte betreiben, an eine zentrale Steuerstelle abgeben. Dies funktioniert nur, wenn die Kunden ihren Strom in Summe oder zu bestimmten Zeiten billiger erhalten, das heißt, ihre Änderung im Verbraucherverhalten vergütet bekommen. All dies gibt es bisher nicht, auch belastbare Pläne zur Einführung sind nicht zu sehen. Praktische Vorteile hat zunächst nur der Versorger: Kein Außendienst mehr zum Ablesen, Sperrkassierer sind zumindest teilweise nicht mehr nötig, wenn die schaltbaren Lasten eingeschränkt werden können. Als Warnschuss vor einer Abschaltung sicher hilfreich.
Vision und Realität
Dabei wird hier das Rad nicht neu erfunden. In der Praxis gibt es das bereits seit vielen Jahren für Elektro- und Wärmepumpenheizungen. Ein Funksignal des Energieversorgers schaltet die Versorgung einzelner Heizungen auf vertraglicher Basis in Zeiten erfahrungsgemäß hoher Netzlast ab. Dafür ist der Strompreis pro Kilowattstunde geringer. Auch mit Großverbrauchern wie Aluminiumhütten gibt es Vereinbarungen, zeitvariabel abzuschalten und auf diese Weise zur Netzstabilität beizutragen.
Dennoch wird ein Smart Grid in Gänze unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum funktionieren. Knackpunkt ist ein niedrigerer Tarif in Schwachlastzeiten, der Verbrauch anreizt. Bläst also viel Wind den Börsenpreis in den Keller, könnte der Versorger den Preisvorteil an den Endkunden weitergeben. Aber: Die reinen Strombezugskosten machen weniger als zwanzig Prozent am Haushaltsstrompreis aus. Wenn der Spotpreis an der Börse von 4 auf 0 Cent pro Kilowattstunde sinkt, würde der Haushaltsstrompreis auf vielleicht 25 Cent pro Kilowattstunde sinken. Das spart bei einem Waschgang mit 60 Grad und einer normalen 6-Kilogramm-Waschmaschine etwa 5 Cent. Kaum jemand dürfte deshalb in Erwägung ziehen, seine Gewohnheiten zu ändern („Ich wasche immer Samstag vormittags“).
Vielleicht muss man mit dosierten Abschaltungen nachhelfen?
Als Fazit bleibt: Der Einbau elektronischer Zähler ist möglich, aber teuer und für die Kunden auf absehbare Zeit ohne Vorteil respektive aus Kostensicht ein Nachteil. Die Datenschutzprobleme sind nicht hinreichend gelöst. Das Hacker – Szenario im Thriller blackout-das-buch hat genau dies zur Grundidee.
Solange es absehbar kein Tarifsystem mit deutlichen Anreizen für das Verbraucherverhalten gibt, bleibt das Smartgrid Vision. Die offene Frage bleibt auch: Wie wird gesichert, dass das DSM nicht zur Rationierung verkommt oder Bestandteil einer Kaskadierung wird?
Die zwangsweise Einführung digitaler Zähler bei Haushaltskunden ist ungefähr so sinnvoll, wie einem Bauherrn vorzuschreiben, Blumen ins Fenster zu stellen, obwohl das Dach noch nicht fertig ist.
Zurück zum modernen Zähler. Stadtwerke stellen heraus, dass der Kunde ohne Gateway den Digitalzähler auch vor Ort ablesen kann (!). Sogar mehr Werte als bisher, wenn man eine Taschenlampe zur Hand hat (nicht im Lieferumfang). Aber die gehört ohnehin zur im Zivilschutzkonzept empfohlenen Ausrüstung in jedem Haushalt.
Durch zyklisches Anleuchten eines Fotoelements, ähnlich der Übertragung von Morsezeichen mit Signallampen, kann durch ein- bis neunfaches Blinken die Anzeige vom Verbrauch über verschiedene Zeiträume bis hin zur PIN-Eingabe getätigt werden. Zu langes Anleuchten löst allerdings eine Nullstellung aus, der richtige Rhythmus ist wichtig. Zu beachten ist auch, dass man eine Punktlichtquelle verwenden muss. Die Raumbeleuchtung ein- und ausschalten hilft nicht, ebenso wenig ein Kerzenlicht, dass man mit der Hand abdeckt.
Sollten Sie am Monatsende, wie ich, Ihren Ferraris-Zähler im Keller ablesen, vergessen Sie die Taschenlampe nicht. Sie müssen nicht blinken, nur leuchten.