Bonn. Die Klimakonferenzen der UNO sind fester Bestandteil des Vorweihnachtsprogramms: Immer im November oder Dezember treffen sich Tausende von Regierungsvertretern und Diplomaten, um zwölf Tage lang über die Bekämpfung der Erderwärmung zu beraten. Begleitet werden sie jeweils von Zehntausenden von Journalisten und Aktivisten, die die spröden Tagungen zu einem Spektakel machen – die einen mit Sondersendungen, die anderen mit Sondereinlagen: So sangen dieses Jahr in Bonn einige Demonstranten die amerikanische Delegation mit einem Lied gegen den «klimaskeptischen» US-Präsidenten nieder: «Du behauptest, du seist Amerikaner, aber wir sehen deine Gier», bekam die Delegierten-Crew von Donald Trump zu hören.
Die diesjährige Konferenz, die offiziell bis gestern dauerte, stand unter dem Vorsitz des Inselstaats Fidschi. Staatschef Frank Bainimarama hatte an der Eröffnung für Fünf-vor-zwölf-Stimmung gesorgt: «Dies ist der Augenblick der Wahrheit.» Es seien «harte Entscheidungen» gefordert. Man müsse «mit allen vorhandenen Mitteln» eine Antwort auf den Klimawandel geben.
150 Milliarden Euro
Ziemlich alle Mittel hat in den letzten Jahren Deutschland eingesetzt, das trotz des Vorsitzes Fidschis Austragungsort der Konferenz war – dem Südpazifik-Staat fehlten die Kapazitäten, um 25 000 Teilnehmer unterzubringen. Die Deutschen haben sich den Kampf gegen die Erwärmung schon 150 Milliarden Euro kosten lassen. Weite Landstriche sind geprägt von Windrädern und frei stehenden Solaranlagen, die mithilfe von Fördergeldern erstellt worden sind. Kein anderes Land hat verglichen mit seiner Grösse Alternativstrom so stark gefördert. Deutschland gilt als Vorbild, wie der Mensch dank politischen Willens das Klima steuern kann.
Allerdings hat das Image kurz vor der Bonner Konferenz arge Kratzer bekommen: Im Oktober gab das Bundesumweltministerium bekannt, dass die Klimaziele Deutschlands für 2020 weit verfehlt werden. Der Ausstoss an Kohlendioxid (CO2) geht bis dann nicht um 40 Prozent gegenüber 1990 zurück, sondern nur um 32,5 Prozent oder weniger. Eine Abnahme um über 30 Prozent klingt nach viel. Die CO2-Produktion in Deutschland war aber schon 2005 um 21 Prozent gegenüber 1990 zurückgegangen, was vor allem auf den industriellen Zusammenbruch in Ostdeutschland nach dem Mauerfall zurückzuführen war. In den letzten zehn Jahren hat der CO2-Ausstoss nur noch um neun Prozent abgenommen – obwohl in dieser Zeit die meisten der 30 000 Windanlagen und Millionen Solarpanels aufgestellt worden sind.
Inzwischen hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eingestanden, vom Erfolgspfad abgekommen zu sein: «Wir sind ein grosses Stück davon entfernt, es geht um Arbeitsplätze und bezahlbare Energie», sagte die einstige «Klimakanzlerin» am Mittwoch in Bonn. Noch im Wahlkampf hatte sie das Gegenteil versprochen: «Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten», sagte Merkel an einer Veranstaltung.
Deutschland ist kein Einzelfall. Viele europäische Länder verfehlen ihre Klimaziele. Im Oktober haben auch die Niederlande verkündet, die angestrebte CO2-Reduktion bis 2020 nicht zu erreichen. Schon im April ist bekannt geworden, dass die Ziele von Irland nicht realistisch sind. Zuvor war ein Bericht zweier Umweltorganisationen zum Schluss gekommen, dass nur drei der 28 EU-Staaten auf Kurs des Klimaabkommens von Paris seien. Der Bericht zählte nebst Schweden und Frankreich auch Deutschland zu den erfolgreichen Ländern, ausgerechnet. Man muss von Schönfärberei sprechen.
Die Schweiz hat ihr Reduktionsziel für 2008–2012 im Rahmen des Kyoto-Protokolls formell zwar erreicht: acht Prozent weniger CO2-Ausstoss als 1990. Möglich war das aber nur dank der Anrechnung vieler Emissionszertifikate, die im Ausland gekauft wurden. Bis 2020 soll der CO2-Ausstoss der Schweiz nun um 20 Prozent tiefer als 1990 liegen. Auch das bekommt das Land nur hin, wenn es Kompensations-Massnahmen im Ausland veranlasst und finanziert.
In Deutschland zeigt man sich jedenfalls konsterniert darüber, bei den Klimazielen bis 2020 zu scheitern. «Aber natürlich schluckt man, wenn man die Zahlen sieht», sagte der zuständige Staatssekretär Jochen Flasberth der Süddeutschen Zeitung – um gleich den Mahnfinger zu heben: Es gebe «einen ganz grossen Unwillen zu tief greifenden Strukturveränderungen». Die Angst vor «Populisten» sei den «notwendigen Entscheidungen» im Weg gestanden. Es brauche nun «einen konsequenter Einstieg in den Kohleausstieg», forderte Flasberth, der früher Umweltaktivist war.
Unzuverlässiger «Flatterstrom»
Der Diplom-Volkswirt sagte aber nicht, wie sehr ökonomische und physikalische Gegebenheiten seinen Forderungen entgegenstehen: Wind- und Solarenergie sind in Deutschland vordergründig eine Erfolgsgeschichte. Sie machen mittlerweile über ein Viertel der Stromproduktion aus. Allerdings sind Durchschnittswerte kaum von Bedeutung. Entscheidend ist, ob zu jedem Zeitpunkt genug Strom vorhanden ist. Nachgefragt wird dieser vor allem im Winter. Dann aber kommt insbesondere von Solarpanels wenig bis gar keine Leistung. Allgemein ist die Produktion von Solar- und Windenergie stark vom Wetter abhängig. Man spricht deshalb von «Flatterstrom». So schwankten im letzten Januar die täglichen Anteile von deutschen Wind- und Solarstrom zwischen 41,3 Prozent und 2,5 Prozent (siehe Grafik).
An Tagen wie beispielsweise dem 24. Januar 2017 herrscht in Deutschland «Dunkelflaute»: Die Sonne scheint nicht, und der Wind weht kaum. Reservekraftwerke müssen dann jeweils einspringen. Grob gesagt, muss für jedes Kilowatt installierter Solar- und Windleistung ein Kilowatt «Backup»-Leistung bereitstehen. Denn Speicher für Energie aus Elektrizitätswerken, etwa in Form von Pumpspeicher-Stauseen, fehlen in Deutschland weitgehend. Auch Batterien kommen für die Speicherung im grossem Mass technologiebedingt nicht infrage.
Die notwendige Reserve-Leistung kommt überwiegend von Kohlekraftwerken, zum Teil auch von Gas- und Atomkraftwerken. Deutschland will aber bis 2022 ganz aus der Atomenergie aussteigen und alle acht AKW, die noch am Netz sind, abstellen. In Zukunft wird das Land darum noch stärker auf Kohlestrom angewiesen sein. Bestehende Kohlemeiler müssen weiter in Betrieb gehalten werden, mit entsprechendem CO2-Ausstoss. Ansonsten drohen Stromlücken und folglich wirtschaftliche Nachteile.
Kohlekraftwerke kann man aber nicht kurzfristig an- und abstellen. Auch als Reserven müssen sie darum durchgehend am Netz bleiben. Das führt in Deutschland regelmässig zu massiven Stromüberschüssen. Immer mehr kurzfristige Schwankungen destabilisieren das Elektrizitätsnetz. Bei Stromüberfluss, wenn etwa viel Wind geht, bezahlt Deutschland den Verbrauchern mitunter sogar Geld, dass sie Elektrizität abnehmen. Während des Herbststurms Herwart Ende Oktober gingen die Negativpreise bis 8,3 Cents pro Kilowattstunde hoch. Dabei zahlen die deutschen Stromkunden schon für die Produktion jeder Kilowattstunde Strom 6,9 Cents Förderabgabe. Die Allgemeinheit kommt so oft doppelt zur Kasse: einmal für die Erzeugung von Strom, ein zweites Mal für dessen Vernichtung.
Ausserhalb Europas sieht es noch düsterer aus mit der Erreichung der Klimaziele. Zwar ist der weltweite CO2-Ausstoss in den letzten Jahren etwas weniger schnell gewachsen als zuvor – kaum aber wegen Klimaschutzmassnahmen, sondern wegen des gebremsten Wachstums in Schwellenländern wie China. Geht es mit der Wirtschaft dort wieder stärker voran, wird auch die CO2-Produktion weiter steigen. Von einer deutlichen Abnahme des weltweiten Ausstosses, wie es das Abkommen von Paris für die kommenden Jahrzehnte vorsieht, ist die Welt meilenweit entfernt.
Es treffen zwar immer wieder gut klingende Absichtserklärungen auch von ausserhalb Europas ein. Dabei geht es meist aber nur um einen langsameren Anstieg des Ausstosses, nicht um einen Rückgang. China, das 30 Prozent des CO2 in die Luft lässt, hat zwar bekannt gegeben, dass es seinen Ausstoss ab 2030 senken will. Konkret hat es aber nur beschlossen, ab dann die CO2-Menge relativ zur Wirtschaftsleistung zu verringern. Der Ausstoss in absoluten Zahlen steigt bei wachsender Wirtschaft mutmasslich weiter.
Fossile Brennstoffe dominant
Auch Indien, das ebenfalls zu den grössten CO2-Produzenten gehört, will ab 2030 nur die Intensität der Emissionen verglichen mit der Wirtschaftskraft verringern, nicht den absoluten Ausstoss. Indonesien, das zu den global zwölf grössten Emittenten gehört, will seine CO2-Produktion bis 2030 zwar um 29 Prozent verringern – aber nur gegenüber der ursprünglich erwarteten Zunahme. Gemäss eines Berichts des US-Weltressourceninstituts verfehlt Indonesien voraussichtlich auch dieses Ziel. Amerika als zweitgrösster CO2-Emittent verabschiedet sich nach der Kündigung des Paris-Abkommens durch Donald Trump möglicherweise ganz aus dem Klimaschutz.
Heute erfolgt die Energieversorgung der Welt zu über achtzig Prozent durch fossile Brennstoffe. Die Nutzung von Kohle, Öl und Gas ist aber zwangsläufig mit dem Ausstoss von CO2 verbunden. Selbst wenn bei Verbrennungen alle Luftschadstoffe aus der Abluft herausgefiltert werden, entweicht immer eine bestimmte Menge an Kohlendioxid. Technische Fortschritte ermöglichen zwar eine immer bessere Nutzung fossiler Brennstoffe. Aber solche Effizienzgewinne sind viel zu gering, als dass sie einen Totalausstieg in wenigen Jahrzehnten ermöglichen.
Die Verwendung fossiler Brennstoffe innert nur weniger Jahrzehnten zu stoppen, wie im Namen des Klimaschutzes gefordert, ist darum kaum denkbar ohne massive Einbrüche der Wirtschaftsleistung und der Landwirtschaftsproduktion. Selbst wenn alternative Energieformen bereitstünden, die ökologisch und ökonomisch tauglich wären, könnte deren Nutzung kaum so rasch wie nötig hochgefahren werden. Die erneuerbaren Energien machen derzeit nur 13 Prozent der Weltversorgung aus. Davon entfällt der Grossteil auf Biotreibstoffe und Wasserkraft. Die öffentlich hoch gehandelten Solar-, Wind- und Geothermie-Energien sind mit 1,5 Prozent praktisch bedeutungslos.
Es ist das Elend der Klimapolitik: Soll der Ausstoss von Klimagasen schneller abnehmen, als es der technologische Fortschritt erlaubt, geht das praktisch immer auf Kosten der Wirtschaftsleistung. Einen Zusammenbruch der Wirtschaft und den Einbruch des Wohlstands wird die Bevölkerung aber in keinem Land hinnehmen – allen Konferenzen zum Trotz.
Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung hier