Die Früchte dieser langfristigen Strategie, die Nutzung der Kernkraft zu einem Schwerpunktbereich der russischen Industrie zu machen, führten letztlich auch zu Exporterfolgen, da ihre Kernkraftwerke zu den modernsten und sichersten im weltweiten Angebot gehören – und nicht zuletzt weil diese Exportoffensive auch durch attraktive Finanzierungsangebote begleitet wird.
Außer diesem Gesamteindruck hätte man gerne etwas Genaueres über diese Strategie gehört, weil der Blick auf die Vielfalt der Entwicklungen dazu keine Erkenntnisse brachte. Dass man dort schlicht alles, was irgendwie eine nutzbare Anwendung der Kerntechnik zu versprechen scheint, auch fördert, konnte eigentlich nicht stimmen.
So war es auch nicht.
Der wohl größte Unterschied in der Bewertung der Kerntechnik zwischen Russland – und inzwischen auch China – gegenüber den westlichen Industrieländern zeigte sich bereits nach dem schweren Unfall von Tschernobyl. In den westlichen Ländern und besonders in Deutschland, wo die Anti-Kernkraft-Bewegung mächtigen Auftrieb erfuhr, reagierte die Elektrizitätswirtschaft fast schuldbewusst und weinerlich. Man hoffte wohl in den Vorstandsetagen, dass die unbestreitbaren Vorteile ihrer Kernkraftwerke der Politik wohl bewusst waren und man nach einer gewissen Zeit der Kritik und der Angstmacherei wieder zum ruhigen Tagesgeschäft zurückkehren würde. Diese Haltung hatte sich bereits vor dem Unfall in Fukushima als völlige Fehleinschätzung herausgestellt – und das Ergebnis ist heute ein Absturz der größten Energiekonzerne mit realer Aussicht auf den vollständigen Bankrott.
Auch in den anderen westlichen Industrieländern – insbesondere in Japan – hat Fukushima zu einer Zurückhaltung beim weiteren Ausbau der Kernkraft geführt. In den Ländern Osteuropas hingegen überhaupt nicht: Dort hofft man mit Hilfe neuer Kernkraftwerke weniger vom russischen Erdgas abhängig zu werden – aber diese neuen Reaktoren kommen auch aus Russland…
Betrachtet man die russische Energiepolitik, so gibt es offenbar eine doppelte Strategie:
- – Mit dem Erdgas werden harte Devisen in Europa verdient. Besonders die Deutschen mit ihrem Atomausstieg brauchen immer mehr davon. Sie sind Putins beste Verbündete – und daran ändern auch gelegentliche, für die Medien gedachte Mahnungen in Bezug auf die Menschenrechte nichts.
- – Russlands Energiezukunft ist die Kernenergie. Dafür will man technologisch führend sein und investiert massiv in Forschung und Entwicklung. Die fortschrittliche Kerntechnik deckt den eigenen Energiebedarf und erobert zugleich einen beachtlichen Teil des Weltmarktes für den Neubau von Kernreaktoren.
Russlands Einstieg in die Suche nach der besten Lösung
Russland hat die Unglücke von Tschernobyl und Fukushima keineswegs als weniger wichtige Episoden betrachtet. Im Gegenteil: Man hat dort sofort diese Vorkommnisse in allen Aspekten analysiert und daraus seine Schlüsse gezogen. Im Gegensatz zu der linken Anti-Atom-Hysterie und der von der CDU als letztes Fünkchen Widerstand gegen den totalen Ausstieg erfundenen Nonsens-Begriff der „Brückentechnologie“ hat man sich in Russland auf die Frage konzentriert:
„Wie muss eine zivil nutzbare neue Kerntechnologie konzipiert sein, die kein einziges hohes und unakzeptables Risiko mehr aufweist – und damit unstrittig als sicher und ungefährlich gelten darf, was dann ihre Akzeptanz in der Gesellschaft ermöglicht und rechtfertigt ?“
Russische Ingenieure haben auf diese Frage eine präzise Antwort gefunden. In einem Artikel in der Zeitschrift ATW Nr.4 / 2017; S.237-243 mit dem Titel „Development of Innovative Technological Base for Large-Scale Nuclear Power“ („Eine innovative technologische Basis für leistungsstarke zukünftige Kernkraftwerke“) lieferten E. O. Adamow, A.V. Dedul, W. W. Orlow, V.I. Rachkow und I.S. Slessarew den beeindruckenden Beweis.
Die Reaktion der russischen Regierung auf den Unfall in Fukushima unterschied sich erheblich von der deutschen. Die Planung war, 26 neue Kernkraftwerke bis zum Jahre 2030 zu bauen. Präsident Putin erklärte: „Wir werden unsere Pläne nicht ändern, aber natürlich unsere Schlüsse daraus ziehen.“ Ferner stellte er fest: „Zu Öl und Gas gibt es nur eine starke Alternative. Das ist die Atomenergie.“ Alles andere seien „Spielereien“.
Deutschlands panischer Ausstieg
In Deutschland hatte dagegen folgendes stattgefunden:
Die seit 1998 regierende Rot-Grün-Koalition vereinbarte mit den Energieunternehmen im Atomgesetz von 2002 den Ausstieg aus der Kernenergie; der Reaktorneubau wurde verboten und der Ausstieg auf die Wiederaufbereitung der benutzten Brennelemente eingeleitet. Aber auch die mit diesem Gesetz noch zugestandene Restlaufzeit der Reaktoren war keine Garantie: Der Regierung Merkel genügte dann ein weiterer Unfall in Fukushima im März 2011, um im Erdbeben- und Tsunami-freien Deutschland der friedlichen Nutzung der Kernkraft mit noch nie dagewesener Eile den Rest zu geben: Nur 4 Tage nach dem Unfall verhängte sie ein 3-monatliches Atom-Moratorium und ordnete die Abschaltung der 8 ältesten Kernkraftwerke an – als ob diese besonders gefährlich wären, und die übrigen (noch) nicht. Weil die Reaktorsicherheitskommission – ein äußerst kritisches und wachsames Gremium, das mit Atom-Lobbyismus nicht das Geringste zu tun hatte – den deutschen Kernkraftwerken eine sehr hohe Sicherheit bescheinigte, setzte Frau Merkel eine merkwürdige „Ethik-Kommission“ ein, der kein Energiewirtschaftler oder Kerntechnikexperte angehörte, dafür aber mehrere Kirchenvertreter , die auftragsgemäß den Atomausstieg befürworteten.
Dass sich das Parlament diese dreiste Überrumpelung gefallen ließ, sagt vieles über die Courage und die Unabhängigkeit der angeblich nur ihrem Gewissen verpflichteten Abgeordneten aus.
Ende Juni 2011 folgte der Beschluss, die übrigen, noch nicht stillgelegten Kernkraftwerke schrittweise abzuschalten.
Der Ausstieg hat Folgen
Inzwischen ist die Abschaltung der Kernkraftwerke der Grund für die Jahr für Jahr steigenden CO2-Emissionen Deutschlands, denn den Grundlaststrom müssen nun Braunkohlekraftwerke liefern. Damit geht das Hauptargument der ganzen Energiewende – der sogenannte Klimaschutz – verloren. Deutschland ist nun kein Vorreiter mehr, sondern selbst „Klimakiller“, wie die Klimaangst-Fraktion das nennt. Alle Selbstverpflichtungen Deutschlands, die immer die Zahlen der EU übertrafen, waren also Angeberei, der nun das Scheitern folgt. Dafür nimmt jetzt die Gefahr eines großen Netzzusammenbruchs (Blackout) weiter zu, weil die für dessen Stabilität notwendigen Kraftwerke fehlen und die extremen und unberechenbaren Schwankungen der „erneuerbaren“ Stromerzeuger mit deren teurem Ausbau immer stärker werden.
Mit anderen Worten: die Bundesregierung hat die deutsche Energiewirtschaft ruiniert, die Stromversorgung gefährdet, die Stromverbraucher ausgeplündert und ihre realitätsfernen „Klimaschutz“-Ziele verfehlt. Sie ist mit der Demonstration dieses Desasters, der Präsentation eines wirtschaftlichen Selbstmordes, in der Tat ein Vorreiter. Alle sind nun gewarnt.
Bevor auf die Arbeit der russischen Experten eingegangen wird, noch ein Wort zum Stand der Kerntechnik im Vergleich zu alternativen Technologien.
Sie ist eine sehr junge Technik, die heute vor einer außerordentlichen Auffächerung in immer neue Systemtypen steht. Ein gutes Beispiel stellt die von 14 Nationen getragene internationale Arbeitsgemeinschaft für die Entwicklung der Kernreaktoren der IV. Generation (GIF) dar, die 6 Hauptlinien der Reaktorsysteme in ihrer Entwicklung bis zur Marktreife verfolgt. EURATOM ist zwar Mitglied; Deutschland (zwar EURATOM-Mitglied) beteiligt sich jedoch als einziges Industrieland der Welt nicht an der GIF.
Zu den 6 Hauptlinien der GIF-Arbeitsgemeinschaft gehört auch der in Russland in der Entwicklung befindliche Bleigekühlte Schnelle Reaktor (LFR), von dem noch die Rede sein wird.
Die Erneuerbaren Energien – eine Scheinlösung
Deutschland hat sich aus der Kerntechnik verabschiedet und setzt stattdessen auf Wind- und Solarstrom als Schwerpunkte der zukünftigen Stromversorgung.
Die immer weiter ausgebaute Windkraft ist eine Technik aus dem Mittelalter, die ihre prinzipiell schwankende Leistungsabgabe der Physik verdankt, was auch ideologischer Eifer nicht ändern kann. Sie ist für die Stromerzeugung in einem Industrieland ungeeignet. Die für einen Ausgleich ihrer Schwankungen erforderlichen weit über 1000 Pumpspeicher-Kraftwerke sind eine Illusion.
Die Photovoltaik ist von der Sonneneinstrahlung und somit auch vom Wetter abhängig – und fällt nachts aus. Und sie ist teuer. Neu ist diese Technik keineswegs und ihre Entwicklungschancen sind bescheiden. Für ein Industrieland, das außerdem eher sonnenarm ist, vollkommen ungeeignet.
Die Verstromung von Biogas führt zu hohen Kosten. Und der Flächenverbrauch ist enorm. Für die Artenvielfalt katastrophal und durch Überdüngung eine Umweltgefahr.
Die Bundesregierung weiß das selbstverständlich; es fehlt aber am Mut, diese desaströsen Fehler einzugestehen und zu einer rationalen Energiepolitik zurückzukehren. Offenbar wartet man darauf, dass die unweigerlich kommenden Probleme das Parlament – nach Sturz der Regierung – zu einer Kehrtwende zwingen:
- – Längere, totale Blackouts mit zahlreichen Toten.
- – Unerträglich gewordener Exodus von großen Industrieunternehmen wegen der untragbar gewordenen Strompreise.
- – Aufstand der privaten Stromverbraucher gegen die „große Abzocke“ über die Strompreise und die jährlich 25 Milliarden betragende Umverteilung von unten nach oben – mit Blick auf die Propaganda der Parteien über ihr Bestreben nach Gerechtigkeit.
Brückentechnologie oder Zukunftstechnik ?
Angesichts der unbrauchbaren „erneuerbaren“ Stromerzeuger ist die im Atomgesetz von 2009 nachzulesende Abwertung der Kerntechnik als „Brückentechnologie“ durch die damals regierende christlich-liberale Regierung ein Beleg für vollständige Ahnungslosigkeit. Die Beendigung der zivilen Nutzung der Kerntechnik war auch bei dieser schwarz-gelben Bundesregierung das Ziel. Das erklärt das heute noch andauernde Schweigen der CDU/CSU-Fraktion angesichts der überbordenden Probleme, die die Energiewende verursacht. Den anderen Parteien im Bundestag geht der Atomausstieg nicht schnell genug.
Der Artikel der 5 russischen Autoren vermittelt eine bislang unbekannte Erklärung über ihre systematische und rationale Herangehensweise an die bisherigen Probleme der zivilen Nutzung der Kernenergie – und sie formulieren die zwingend erforderlichen Eigenschaften einer Kerntechnik, die eine künftige Chance auf eine breite und nicht mehr umstrittene Anwendung haben will. Und sie präsentieren die von Russland gefundene und bereits weit entwickelte Lösung.
In Russland ist die Kerntechnik jedenfalls keine Brückentechnologie.
Wie dort die Fachleute auf den schrecklichen Unfall im Kraftwerk Tschernobyl im April 1986 reagiert haben, erklärt den gewaltigen Unterschied zwischen ihren Schlussfolgerungen und der ausschließlich auf Angst beruhenden Reaktion in Deutschland, wo man nicht einmal die Ursachen dieses Vorfalls benannte oder gar diskutierte.
Der russische Weg zu einer risikoarmen Nukleartechnologie
Die folgenden Ausführungen stammen wörtlich – und gelegentlich sinngemäß – aus dem Artikel der 5 russischen Experten.
Bereits kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe stellten die Professoren A. Weinberg und W. Orlow (Mitautor des hier besprochenen Artikels) ihre Kernidee über die Zweckmäßigkeit des Erreichens der Inhärenten Sicherheit vor und behandelten dabei die technisch möglichen Verursacher schwerer Unfälle.
Bei den Reaktortypen der vorausgegangenen Generationen wurde Wert auf eine einfache Kernenergieproduktion gelegt; das Risiko von Unfällen wurde durch evolutionäre Verbesserungs-Maßnahmen auf Kosten vielfacher und komplizierter Ingenieurarbeit so weit wie möglich verringert, was allerdings die Kosten der Energieerzeugung beträchtlich in die Höhe trieb. Dennoch blieben wesentliche, grundlegende Risiken auf dem Niveau von Ungewissheit, wodurch manchmal die Notwendigkeit der Kernkraft aufhörte, einleuchtend zu sein.
Diese nicht grundsätzlich weiterentwickelte Energieerzeugung führt zu einer Verschwendung von Mitteln und wissenschaftlich-technischer Anstrengungen bei der Schaffung einer unnötigen Vielfalt von Reaktortypen, die jedoch nahezu die gleiche „Nuklearenergie-Effizienz“ besitzen und auch immer noch von den wesentlichen Risiken und Bedrohungen begleitet werden.
Es ging somit darum, ein strategisches Szenario zu entwickeln, das auf einer innovativen wissenschaftlichen und technologischen Grundlage gründet. Dieses Szenario wird dadurch realisiert, dass mindestens ein Basiselement künftiger Kerntechnik gesucht wird, das in erster Linie ein hohes Maß an Selbstschutz besitzt sowie ein ausreichendes Potenzial von dessen Verstärkung. Dadurch kann das entscheidende Niveau an Selbstschutzfähigkeit erreicht werden, das ausreichend ist, um diese Kerntechnik gegen alle wesentlichen Bedrohungen und Risiken zu sichern.
Risiken und Bedrohungen der bisherigen Kerntechnologien
Eine Eliminierung aller wesentlichen Risiken und Bedrohungen (oder ihre Umwandlung in die Kategorie gewöhnlicher Risiken und Bedrohungen) bedeutet, dass diese Aufgabe eine Fokussierung auf folgende Punkte verlangt:
- Garantierte Verhinderung schwerer Unfälle, die durch mögliche Anlagen-interne „Initiatoren“ bzw. Urheber verursacht werden.
- Unterdrückung potenzieller Bedrohungen durch eine Abschirmung der gefährlichsten nuklearen Spaltmaterialien und radioaktiven Materialien gegen Proliferation (Ausbreitung).
- Eliminierung der Notwendigkeit zu einem Vergraben und/oder einer teuren, langen Überwachung der gefährlichsten langlebigen Abfälle, um die sogenannte „radiologische Balance“ auf dem Planeten zu unterstützen.
- Deutliche Verringerung der Drohung einer raschen Erschöpfung der natürlichen Ressourcen von Kernbrennstoff.…und alle Lösungen zu diesen Punkten haben die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit der Kerntechnik sicherzustellen – oder sie sogar zu erhöhen. Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit kann als eine besondere Bedrohung für die ökonomische Akzeptanz der Kerntechnik angesehen werden, weshalb das in die Liste der wesentlichen Risiken gehört.
Näheres zu den o.g. Risiken und Bedrohungen:
Die in der Vergangenheit entwickelten Nukleartechnologien enthalten Risiken, die vermutlich niemals eliminiert werden können, offenbar weil sie anfänglich, jedoch nicht absichtlich, in die wissenschaftliche und technische Grundlage der heutigen Reaktoren eingefügt worden sind. Es ist einfach, eine Vielfalt von wesentlichen Risiko-Quellen aufzufinden, wenn man das Sicherheitsproblem in Bezug zu schweren eingetretenen Unfällen analysiert.
Eine Liste von Bedrohungen, deren Herkunft auf ihrer „nuklearen Natur“ beruht, enthält den Spielraum der sog. „gespeicherte Reaktivität“ (die z.B. die Reaktionsgeschwindigkeit enthält) in Bezug auf verzögerte (thermische) Neutronen; langzeitig und recht intensiv auftretende Restwärme; gefährliche Isotopenumwandlungen und Neutronen-„Poisoning“ (Überflutung) eines Reaktors; mehrfache Rückkopplungen, die die Dynamik des Reaktors beeinflussen und die imstande sind, einen nahezu augenblicklichen und unkontrollierbaren Anstieg der Leistung zu verursachen. In einigen Reaktortypen können solche Reaktivitätseffekte zu sofortigem und gefährlichen Reaktivitätsanstieg führen.
(Anm.: Hiermit ist offenbar der Druckröhren-Reaktortyp gemeint, der in Tschernobyl den Unfall verursachte. Dieser ursprünglich für die Kernwaffenproduktion gebaute Reaktor – der nur im Bereich der ehemaligen Sowjetunion und dort nur in wenigen Anlagen existierte – war durch einen geradezu „kriminellen“ Reaktivitätsverlauf gekennzeichnet, denn seine Leistung stieg mit steigender Kerntemperatur weiter an. Schwere Bedienungsfehler der Betreibermannschaft führten dadurch zur Katastrophe. Die Leichtwasserreaktoren in den westlichen Ländern weisen hingegen eine fallende Reaktivität bei steigender Kerntemperatur auf. G.K.)
Unter den nichtnuklearen potenziellen Bedrohungen gibt es die Möglichkeit multipler chemischer Reaktionen (zumeist exothermisch, also Wärme erzeugend), die in einem Reaktor während eines Notfall-Betriebsmodus auftreten können. Ferner hoher innerer Druck; Veränderung des Phasenzustands des Kühlmittels (z.B. Sieden), etc.
Ein offener Brennstoffkreislauf kann zur Ansammlung des benutzten Brennstoffs, toxischer Spaltprodukte und der Notwendigkeit zu extrem langen Lagerungs- und Überwachungszeiten führen, was als ein weiteres wesentliches Risiko betrachtet werden kann – ebenso wie die Verbreitung gefährlichen radioaktiven Materials mit den damit zusammenhängenden Möglichkeiten des Terrorismus. Dies betrifft alle Technologien, die reale konzentrierte Freilassung von Spaltprodukt-Isotopen bei irgendeiner Phase der Brennstoffmanipulation erlauben.
Berücksichtigt man auch die große Kapitalbindung der Kernkraft-Technologien, dann ist das ökonomische Risiko einer raschen Erschöpfung relativ billiger Brennstoffressourcen sehr bedeutsam, falls das Potenzial der Brennstoff-Erbrütung nicht realisiert wird. Dieses Risiko ist für thermische Reaktoren (mit einem thermischen, langsamen Neutronenspektrum) nicht zu überwinden, weil ihre Brennstoff-Verbrennung unzureichend ist. (Anm.: So bleibt in den „abgebrannten“ Brennstäben der üblichen Leichtwasserreaktoren (LWR) der weitaus größte Teil des eingesetzten Natururans U-235 im „Abfall“, der tatsächlich ein wertvoller Brennstoff ist – allerdings nicht für die LWR. G.K.). Selbst für den heutigen relativ bescheidenen Gesamtbestand an thermischen Reaktoren rechnet man damit, dass die Reserven des billigen U-235 nur ca. 50 Jahre reichen. Dieses Risiko der Erschöpfung der Brennstoffressourcen kann nur durch den raschen Übergang zu schnellen Reaktoren mit geschlossenem Brennstoffkreislauf überwunden werden.
Schließlich besteht ein weiteres ökonomisches Risiko durch zu erwartende Versicherungskosten wegen realer aber recht ungewisser Bedrohungen durch schwere und katastrophale Unfälle.
Um diese Risiken zu eliminieren (im Sinne von „ausreichend unterdrücken“) reicht es nicht, mit Wahrscheinlichkeits-Analysen zu arbeiten – und zwar aus zwei Gründen:
Wegen des katastrophalen Ausmaßes der Schäden für den Fall, dass der Unfall eintritt; und wegen der beträchtlichen Unsicherheiten, die durch eine sehr karge Statistik derartiger Ereignisse bestehen. Deshalb schafft allein eine wissenschaftliche und technische Bestimmung im Sinne des Determinismus, die für eine gerechtfertigte Beschreibung und Eliminierung der Gründe für die Risiken und Bedrohungen benutzt wird, eine notwendige Garantie, „um uns aus diesem Schlamassel herauszuholen“.
Es gilt daher, eine „Inhärente Sicherheit für Kernenergie“ (NP-IS) zu erreichen, wobei man die direkte Anwendung der Naturgesetze, eine von Anfang an zweckmäßige Wahl spezieller Technologien und Strukturmaterialien, Gestaltung der Reaktorstruktur und des Fabrik-Designs für den Reaktor sowie für den Brennstoffkreislauf. Das NP-IS-Prinzip schließt „Selbstschutz“-Eigenschaften der Reaktoren wie auch passive Sicherheits-Hilfsmittel ein, wie sie schon jetzt teilweise eingesetzt werden.
Bei einigen Kernreaktortypen kann NP-IS derart auf Effizienz „designed“ werden, dass alle oder der Hauptteil der technisch möglichen Unfallauslöser – einschließlich des menschlichen Faktors – durch einen Selbstschutz blockiert werden kann, und das ohne die Aktionen von
aktiven Sicherheitsmaßnahmen und ohne das Eingreifen des Personals.
Das Ergebnis der Arbeiten: Ein sicherer Reaktortyp
Diese Bewertungen der bisherigen nuklearen Technologien und die daraus abgeleiteten Anforderungen an eine inhärent sichere Technologie – in dem Artikel der 5 Autoren als Basiselement bezeichnet – haben in Russland direkt nach dem Tschernobyl-Unfall begonnen und zu einem konkreten Ergebnis geführt, an dessen Realisierung intensiv gearbeitet wird. Die Forderung nach einem Selbstschutz-Verhalten führte zur Wahl eines schnellen Reaktors mit einem besonders harten Neutronenspektrum und einem geschlossenen, im Gleichgewicht befindlichen Brennstoffkreislauf als das o.g. „Basiselement“. Die „klassischen“ schnellen Reaktor-Brüter vom französischen Superphenix-Typ (Anm.: …und ebenso der deutsche schnelle Brüter in Kalkar) kamen nicht in Frage, weil sie nur für die Eliminierung einer der besonderen Bedrohungen – die rasche Erschöpfung der Brennstoffressourcen – konzipiert wurden und kein ausreichendes Selbstschutz-Potenzial besitzen.
Wenn der Reaktor mit hartem Neutronenspektrum als das strategische Basiselement gewählt wird, kann dessen Selbstschutzfähigkeit durch folgende Maßnahmen erreicht werden:
– Ersatz der Natriumkühlung durch das chemisch inerte Blei mit hoher Siedetemperatur und reduzierter volumetrischer spezifischer Leistung.
– Das Wachstum der Neutronen-Erzeugungsrate (durch Kernspaltung) wird begünstigt durch einen dichten Brennstoff mit hoher Wärmeleitung.
– Eine Reduzierung des Levels der Brennstoff-Erbrütung mit dem Ergebnis einer Stabilisierung der Reaktivität.
– Die Verwirklichung eines im Gleichgewichtszustand befindlichen geschlossenen Brennstoffkreislaufs mit dem Wegfall von Anreicherung bzw. erneuter Anreicherung der Brennstoffzufuhr.
– Positive Reaktivitätseffekte werden radikal verringert, was den Selbstschutz-Eigenschaften zugutekommt – dies ist nur bei dem Kühlmittel Blei der Fall.
Die Realisierung
Somit wurde der schnelle, bleigekühlte Reaktor als die beste Lösung gewählt.
Im Jahre 2010 startete die russische Regierung ihr Forschungsprogramm „Entwicklungsstrategie der Kernkraft in Russland in der ersten Hälfte des 21-ten Jahrhunderts“ als innovative Plattform. Es enthielt das Zielprogramm „Nukleartechnologien der neuen Generation von 2010-2015-2020“. Es wurde weiterhin unterstützt im Projekt der Präsidenten-Kommission für die Modernisierung und die technische Entwicklung der russischen Wirtschaft – „Neue technologische Plattform: Geschlossener Brennstoffkreislauf und schnelle Reaktoren“.
Die Realisierung:
In der 1. Stufe (2010-2014):
– Technische Designs von bleigekühlten schnellen Reaktoren wurden entwickelt.
– Der Technik-Plan für den Forschungsreaktor MBIR wurde entwickelt.
In der 2. Stufe (2015-2020):
– Weiterentwicklung der Dokumentation des Designs für das Forschungs-Demonstrationskraftwerk mit bleigekühltem schnellen Reaktor (BREST-300) und dessen Konstruktion;
– Entwurf einer Fabrik zur Produktion dichten Brennstoffs für schnelle Reaktoren.
– Abschluss von F&E zur Technologie für eine Industrieanlage zum Recycling von gebrauchtem Kernbrennstoff.
– Abschluss von F&E zur Technologie für die Fabrik zum Recycling von gebrauchtem Kernbrennstoff von schnellen Reaktoren.
Das Projekt zielt insbesondere auf die Konstruktion des bleigekühlten Demonstrationsreaktors BREST-300 und die Unternehmung für die Schließung des Gleichgewichts-Brennstoffkreislaufs.
(Ende der Zitate aus dem o.g. Artikel).
Zusätzliche Anmerkungen:
Russland ist Mitglied beim Internationalen Forum IV. Generation (s.o.) und der bleigekühlte schnelle Reaktor ist einer der 6 technologischen Schwerpunkte dieser Arbeitsgemeinschaft, den selbstverständlich Russland mit seiner Entwicklung des BREST-300 weitgehend ausfüllt. Dieser Prototyp-Reaktor, der 300 MW elektrische Leistung besitzt, soll bis 2020 fertiggestellt sein. Damit steht das Land m.E. an der Spitze der kerntechnischen Entwicklungen in der Welt,
denn mit seiner eindrucksvollen und konsequenten Sicherheitsphilosophie kann die zivile Nutzung der Kernkraft eine sehr viel größere gesellschaftliche Akzeptanz erhalten.
Eben das war von vornherein das Ziel der russischen Ingenieure und ihre gründliche Problemanalyse, ihr sich daraus ergebender Anforderungskatalog und schließlich die Auswahl der geeignetsten Technologie mit anschließender Entwicklung und dem Bau eines Demonstrationskraftwerks lässt alle westlichen, durchweg auf einzelne Verbesserungen abzielenden Aktivitäten nicht gerade im besten Licht dastehen.
Ein Grund für diesen Vorsprung könnte sein, dass schon seit vielen Jahren in allen russischen – und früher sowjetischen – Regierungen der technische Sachverstand auf der höchsten politischen Ebene auffallend stark war. Das war eine gute Voraussetzung dafür, dass vorausschauende Planwirtschaft bestens funktionierte.
In Deutschland haben wir inzwischen auch eine Planwirtschaft im Energiesektor; nur ist sie leider eine Katastrophe, weil niemand in der Regierung auch nur eine schwache Ahnung von Wirtschaft und Technik hat.
Ist das Votum der Ethik-Kommission am Ende eine Zustimmung zur Kernkraft ?
Zufällig erschien in der gleichen Ausgabe der ATW ein Artikel von Dr. Dieter Herrmann über die historische Einordnung der Kernenergie. Er behandelt darin eingangs die merkwürdige Rolle, die die „Ethik-Kommission“ 2011 mit ihrer Empfehlung zum Ausstieg aus der Kernenergie zu spielen hatte. Dieses Energieexperten-lose aber dafür mit Kirchenvertretern stark besetzte Gremium (das diese Zumutung nicht etwa ablehnte, sondern sich wichtig vorkam) hat immerhin einige Sätze zum Risiko verfasst, die im Lichte der oben beschriebenen russischen „Wende“ in der nuklearen Entwicklung sehr interessant werden.
Aus dem Artikel von Dr. Herrmann:
„Besagte Ethikkommission berief sich mit ihren Empfehlungen vor allem auf ein „absolutes und nicht abwägbares Risiko“, das mit der Kernenergienutzung verbunden ist, und das nicht zu verantworten sei, wenn es zugleich risikoärmere (und gesellschaftlich weniger umstrittene) Methoden der Energieerzeugung gibt. Für Viele – Gegner wie Befürworter der Kernenergie – galt diese Empfehlung als das perspektivisch endgültige Aus für jede Art nuklearer Energieerzeugung in Deutschland. Und selbst das eine oder andere Mitglied der Ethikkommission könnte sie so verstanden haben. Dabei kann diese Empfehlung im Umkehrschluss auch heißen, dass Kernenergie dann grundsätzlich zu verantworten ist, wenn sich dieses Risiko durch technische Weiterentwicklung unter jene Schwelle des „Absoluten“ und „Nicht-Abwägbaren“ senken lässt. Sobald dies (mit oder ohne deutsche Beteiligung) gelungen ist, aber auch wirklich erst dann, hängt die Zukunft der Kernenergie weltweit ausschließlich von ihrer Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit bei der Deckung des künftigen weltweiten Energiebedarfs ab. Darauf zu setzen, dass dies nie geschehen wird, hieße wesentliche Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten solcher hochkomplexen und langwierigen Entwicklungsprozesse zu verkennen.“
(Ende des Zitats).
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Spätestens wenn BREST-300 am Netz ist, hat sich das Verdikt der Ethikkommission in ein Votum für die Kernenergie verwandelt. So führen russische Ingenieure die Mitglieder der Ethikkommission vor. Deren Gesichter – und auch das der Kanzlerin – möchte man sehen, wenn sie diese Botschaft erhalten – und sie verstehen.
Günter Keil; Dr.-Ing.