Der Fukushima-Report (1): Die Fakten, die Mythen
Hier soll nicht relativiert werden. In Fukushima gab es drei Kernschmelzen. 150.000 Menschen wurden evakuiert und von ihrer Heimat entfremdet. Das ist schlimm. Aber es gab keine Strahlungsopfer, es gab keine Meeresungeheuer und es gibt keine auf ewig unbewohnbare Todeszone. Stattdessen gab es „postfaktische“ Berichterstattung und Panikmache in den deutschen Medien. So schlimm die Reaktorkatastrophe von Fukushima auch war, der Weltuntergang ist ausgefallen. Bleiben Se interessiert an dem, was wirklich in Fukushima geschieht.
Der Tsunami, der am 11. März 2011 um 14:47 Uhr (Ortszeit) von dem Tōhoku-Erdbeben ausgelöst wurde, war an der Küste Fukushimas 14 Meter hoch. Die Sintflut hat fünf Jahre nach ihrem Eintreten im fernen Deutschland mehr Reaktoren zerstört als in Japan. Der Unterschied: Japan fährt seine Atomkraftwerke schrittweise nach Sicherheitsverbesserungen wieder an. Sie ungenutzt stehen zu lassen, wird den Japanern zu teuer. Deutschland legt seine Reaktoren, die zu den Besten der Welt gehören, sukzessive still, uns ist nichts zu teuer. Das letzte AKW soll 2022 außer Betrieb gehen. Es könnte ja im Emsland einen Tsunami geben.
„Vorhersehbar und vermeidbar“
Ich möchte diesen Artikel mit einem Statement von Kiyoshi Kurokawa, dem Vorsitzenden der Unabhängigen-Untersuchungskommission des Kernkraft-Unfalls in Fukushima beginnen: „Der GAU des KKW Fukushima war eine zutiefst menschengemachte Katastrophe – die man hätte vorhersehen und vermeiden können. Eine Vielzahl von Irrtümern und absichtlichen Vernachlässigungen führte dazu, dass das AKW Fukushima unvorbereitet von den Ereignissen des 11. März heimgesucht wurde…„.
Diesem Statement stimme ich vollinhaltlich zu. Der Tsunami, der zigtausende Menschen tötete, war nur der Auslöser der folgenden Reaktor-Katastrophe in Fukushima. Die Ursache war, dass die Vorstände des Kraftwerk-Betreibers TEPCO Erkenntnisse von Wissenschaftlern und Ingenieuren mißachtet hatten, die vor den riesigen Flutwellen gewarnt hatten. Zu den Ursachen gehörte auch, dass die japanische Aufsichtsbehörde und die Regierung ihrer Aufgabe der unabhängigen Überwachung der AKW-Betreiber nicht gerecht wurden. Mit Sicherheitsvorkehrungen, deren Kosten überschaubar gewesen wären, hätte man die Turbinengebäude, in denen sich die Notstromdiesel befanden, tsunamifest abdichten können. Niemand von uns würde heute den Namen Fukushima kennen.
Die Vorstände und Politiker haben anders entschieden und damit leichtfertig – und gierig – die nukleare Sicherheit aufs Spiel gesetzt. Sie haben einen Schaden angerichtet, den sie niemals wieder gut machen können, selbst wenn ein Gericht sie dafür hart bestraft. Das Desaster war auch in der japanischen Kultur des Gehorsams, der Unterordnung und des Kuschens vor der Hierarchie begründet – eine Katastrophe Made in Japan. Dies weist der Bericht der Untersuchungskommission in voller Transparenz nach. Den vollständigen Untersuchungsbericht finden Sie hier. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die Helden verhinderten Schlimmeres
Es gibt aber, wie immer, auch eine andere Seite der Medaille. Das Erdbeben überstanden alle japanischen AKW-Anlagen unbeschadet und sie reagierten bestimmungsgemäß mit automatischer Reaktorabschaltung. Als dann aber die 14 Meter hohe Flut die sechs Blöcke der Anlage in Fukushima überrollte, drückten die Wellen quasi mit dem kleinen Finger ihrer linken Hand die Blechtore der Turbinengebäude ein und verwandelten das Turbinenhaus in ein gesunkenes Schiff, in dem das Wasser fünf Meter hoch stand. In diesem Gebäude waren aber auch die Notstromdiesel untergebracht, die dabei überflutet wurden und ausfielen.
Zum Zeitpunkt des Tsunami waren etwa 700 Mitarbeiter im Kraftwerk tätig. Fünf von ihnen ertranken in den Fluten – es waren wohl die mit der Überwachung der Notstromaggregate Beauftragten – einer stürzte beim Erdbeben von einem Kran. Das waren die einzigen Todesopfer der Nuklearkatastrophe. Nach meinem Wissen verließ in der Folge nicht ein einziger Mitarbeiter das Kraftwerksgelände, obwohl ihnen das Schicksal ihrer Angehörigen nicht bekannt war und die Telefone in die Ortschaften nicht mehr funktionierten. Sie blieben, solange es der Einsatzstab von ihnen erwartete, und es gelang ihnen, noch Schlimmeres zu verhindern. Sie versammelten sich unter der Leitung von Masao Yoshida, dem Leiter der Anlage, im Notstandsgebäude. Von hier aus begann der fast aussichtslose Kampf mit den Folgen der Überschwemmung. Sehen Sie sich Yoshida San an, den Mann, der die Helden von Fukushima führte, und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.
Hilflos mussten die Betriebsmannschaften mit ansehen, wie ein Notstromsystem nach dem anderen absoff und sie die Kontrolle über die Reaktoren verloren. Einige der Männer bauten sogar Batterien aus den übereinander geworfenen Autos auf den Parkplätzen aus, um sie an wichtige Messinstrumente anzuschließen, für ein Mindestmaß an Kontrolle über die abgeschalteten Anlagen. Der Brennstoff in den abgeschalteten Reaktoren wurde nicht mehr genügend gekühlt, die Brennstäbe fingen an zu glühen und setzten große Mengen Wasserstoff frei. Wasserstoff ist in Verbindung mit Luft hochexplosiv, der geringste Funke löst eine Explosion aus. Das sollte sich auch in Deutschland jeder vor Augen führen, der auf die Wasserstoff-Technologie für Fahrzeuge setzt.
Vorsorge war TEPCO zu teuer
In Fukushima baute der Wasserstoff Druck in den Sicherheitsgebäuden der Reaktoren auf. Dieser Sicherheitseinschluss musste intakt bleiben, damit keine Radioaktivität entwich. Masao Yoshida, der sich dieser Gefahr bewusst war, stellte mehrere Teams von Freiwilligen zusammen – sie sollten die Ventile des kontrollierten Notablasses des Wasserstoffgases manuell öffnen. Wegen der dabei bestehenden Explosionsgefahr gehörten ältere Mitarbeiter den Teams an.
Mit Taschenlampen kämpften sich die Männer zu den Ventilen durch das dunkle Kraftwerk, vorbei an geborstenen Leitungen, über zerrissene Stromkabel kletternd, von denen sie nicht wussten, ob sie noch Spannung führten. Allen Teams gelang es, die Armaturen zu öffnen und mit hohem Druck strömte der Wasserstoff aus den Reaktorgebäuden durch große Wasserbecken, in denen nicht-gasförmige Radioaktivität aus dem Gas gewaschen wurde und verbreitete sich in der Turbinenhalle. In deutschen Kraftwerken stehen überall Rekombinatoren, die diesen Wasserstoff unschädlich machen würden. In Fukushima hatte TEPCO es nicht für nötig erachtet, sie zu installieren – zu teuer.
Der Wasserstoff gelangte so in die Bedienungsflure der Turbinengebäude und reicherte sich dort an, bis er die Explosionskonzentration von grösser 4 Vol% erreicht hatte und explodierte. Das waren die Explosionen, die als Videobilder um die Welt gingen. Kaum jemand verstand damals, dass auf den Fernsehbildern nicht die Reaktoren explodierten, sondern dass die Mannschaft die Explosionen von abgeleitetem Wasserstoff bewusst herbeigeführt hatte, um die Reaktoren zu schützen. Es gelang allen Teams noch vor den Explosionen, unverletzt ins Notstandsgebäude zurückzukehren. Trotzdem konnten die Reaktoren danach immer noch nicht gekühlt werden und die Brennstäbe wurden teilweise zerstört und schmolzen.
Arbeit unter extremen Bedingungen
Obwohl das Notstandsgebäude auf Grund seiner erdbebenfesten Bauweise auf Federn und Gleitfundamenten unbeschädigt blieb, waren die Bedingungen in dem dreistöckigen Notstandsgebäude für die 700 Mitarbeiter äußerst kompliziert. Die Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familien belastete sie. Es gab nicht genügend zu essen und zu trinken – einen halben Liter Wasser und eine kleine Fertigpackung Nudeln oder Reis wurde die Ration der nächsten Wochen. Nachschub kam nicht, da auch außerhalb des Kraftwerkes die Infrastruktur zusammengebrochen war.
Aus Angst wollte auch niemand von den lokalen Lieferanten etwas in das havarierte Kraftwerk liefern, die Mannschaften mussten alles selbst herbeischaffen. Für die 700 gab es ganze zwei Dixi-Toiletten, man mag sich das gar nicht vorstellen. Geschlafen wurde unter den Tischen und auf den Korridoren des Notstandsgebäudes. Zwei Mann machten nichts anderes, als die elektrischen Eingangstüren manuell zu bedienen. Es gab nicht genügend Gummistiefel, um sich vor dem heißen Wasser zu schützen, Arbeitsschutzkleidung wurde schnell knapp. Von außen kam anfangs kaum Hilfe.
Und trotzdem, Japan ist nicht Russland, Fukushima ist nicht Tschernobyl. Bei allen folgenden Havarie-Bekämpfungsmaßnahmen trugen die Ingenieure und Arbeiter ihre Dosimeter und hielten die von Masao Yoshida festgelegte Maximaldosis von 250 Millisievert ein. So wird es auch in Zukunft keine Strahlentoten als Folge von Fukushima geben. Die „50 von Fukushima“ sind übrigens eine von den Medien erdachte Legende, es waren stets mehrere Hundert Mitarbeiter vor Ort. Und sie sind auch nicht gestorben, wie es die deutschen „Experten“ prophezeiten. „Postfaktisch“ heißt so etwas heute „fake news“.
Panische Führungskräfte, unwürdige Szenen
Eines der größten Probleme Yoshida Sans während dieser Zeit war das panische Verhalten der Führungskräfte im Tokioer Havarie-Stab. Die von TEPCO im Internet veröffentlichten Filme dieser Videokonferenzen – ja, das gab es die ganze Zeit, das Kraftwerk war mit Satellitenfunk dazu ausgerüstet, der auch funktionierte – zeigen unwürdige Szenen: Masao Yoshida teilt die von ihm festgelegte Dosis von 250 mSV mit und Akio Takahasi, eine ranghohe Führungskraft ruft barsch „Eine Dosis von 500 mSv ist in Ordnung, also los“. Masau Yoshida erklärt, dass er Leute zum Beschaffen von Mineralwasser losgeschickt hat und der Vorstand ruft: „Benzin für die Feuerlöschpumpen ist wichtiger.“ Bezeichnend ist, dass ganze 418 Menschen dieses Video überhaupt aufgerufen haben.
In ihrer Angst vor dem bösen Atom vergisst die Welt ganz und gar, von Yoshida San und seinen Männern würdigend Notiz zu nehmen. Niemand denkt über ihren Mut und ihre Umsicht nach. Niemand erkennt ihre Professionalität und ihre Standhaftigkeit. Die Medien machen das Gegenteil, sie verunglimpfen das Havariepersonal von TEPCO. Diese Männer haben es geschafft, dass in Fukushima Daiichi bei drei Kernschmelzen niemand durch Radioaktivität um Gesundheit und Leben kam. Trotz der Führungsschwäche des Krisenstabs und der beteiligten Regierungsvertreter kann heute die Evakuierungszone derzeit wieder besiedelt werden, weil dank Yoshida Sans Männern eine noch stärkere Ausbreitung von Radioaktivität verhindert wurde.
Wir Menschen sind schon eine ungerechte Spezie. Wenn wir Angst haben, setzt das Denken aus. Wir suchen Schuldige, wenn etwas schiefgeht. Dabei wird schon unbedacht gern mal ein Falscher beschuldigt. Oder ein Held wird vergessen. Gerade im Land der berufsmäßigen Besserwisser und Weltenretter wurden von verantwortungslosen Journalisten aus sicherer Entfernung wilde Verleumdungen erfunden: von Obdachlosen und Jugendlichen, die in tödlicher Strahlung verheizt wurden, von Feuerwehrleuten, die gewaltsam in einen Todeseinsatz getrieben wurden. Nichts davon ist wahr, aber wen interessierte das schon?
Wilde Fantasien deutscher Journalisten
In der ARD, die ja bekanntlich jeden verurteilt, der Ängste befeuert, wurden damals abenteuerliche Geschichten „gefunden“: ARD-Reporter Robert Hetkämper: „Wir haben ehemalige Kernkraftwerksmitarbeiter gefunden, die darüber geklagt haben, dass sie mehr oder weniger in früheren Jahren verheizt worden sind und ihnen nie gesagt wurde, wie hoch die Strahlung tatsächlich ist. Sie wurden über die wirklichen Gefahren nicht aufgeklärt. Wenn sie erkrankten, zahlte ihnen niemand Kompensation. Dann haben wir einen Arzt in Osaka gefunden. Er sagte, es sei Usus, in der Kernkraftwerksbranche Obdachlose oder Arbeitslose, Gastarbeiter oder sogar Minderjährige anzuheuern. Wir selber als ARD-Studio Tokio hatten vor vielen Jahren schon mal über Obdachlose in den Straßen von Tokio berichtet. Die hatten uns erzählt, dass sie in Kernkraftwerken eingesetzt wurden. Die Leute sind zu ihnen in den Park gekommen, wo sie lagerten, und haben sie dann für gutes Geld angeheuert, Kernkraftwerke zu reinigen. Da sind offenbar auch viele erkrankt. Das wussten wir.“
Diese Geschichte ist so absurd, dass sie einem ARD-Journalisten sogar nach dem Genuss von mehreren Flaschen Sake hätte seltsam vorkommen können. Weltweit darf niemand in einem AKW arbeiten, der nicht einer umfangreichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurde. Und selbst zum Reinigen eines AKW’s bedarf es einer Qualifikation, die jemand von der Straße mit Sicherheit nicht hat. Und im Kraftwerk gibt es eine Strahlenschutzabteilung, die jeden Ort des Kontrollbereiches ausmisst und kennzeichnet. Außerdem tragen alle Mitarbeiter ein behördlich kontrolliertes Dosimeter und zusätzlich mindestens ein Alarmdosimeter, das sich beim Erreichen einer niedrigen Dosis automatisch mit einem Warnton meldet. In einem AKW wird niemand „verheizt“, sondern nur in der wilden Fantasie des ARD-Korrespondenten Hetkämper. Wobei man zu seiner Ehrenrettung sagen muss, dass seinerzeit die meisten deutschen Journalisten von wilden Fantasien heimgesucht wurden.
Achse-Autor Manfred Haferburg studierte an der TU Dresden Kernenergetik und machte eine Blitzkarriere im damalig größten AKW in Greifswald. Nach der Wende kümmerte er sich für eine internationale Organisation um die Sicherheitskultur von Atomkraftwerken weltweit und hat so viele AKW’s von innen gesehen, wie kaum ein anderer.
In dieser Serie erscheinen in den nächsten Tagen
Der Fukushima-Report (2): Fukushima unter Kontrolle
Der Fukushima-Report (3): Wieder Leben in „Todeszonen“
Der Fukushima-Report (4): Geisterfahrer der Energiepolitik
Zuerst erschienen bei ACHGUT hier