Die (un-) freie Meinung der Bürger zum Klima: Wer nicht dafür ist, ist ein Unmensch
Handelsblatt, 19.09.2016 (Auszug): [1] Jeder Dritte will Kohlekraftwerke schnellstmöglich abschalten
Jeder dritte Bundesbürger will die deutschen Kohlekraftwerke so bald wie möglich abgeschaltet sehen – für den Klimaschutz. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Naturschutzorganisation WWF hervor. … Jeweils neun Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, die Kohlekraftwerke bis maximal 2050 weiterlaufen zu lassen oder gar nicht abzuschalten.
Die Meldung des WWF dazu ist umfangreicher
WWF, 19. September 2016 (stark gekürzte Auszüge): [4] Deutsche wollen Push für den Klimaschutz
In einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov im Auftrag des WWF Deutschlands erteilten die Befragten dem aktuellen Engagement der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz schlechte Noten:
Jeder Fünfte (20 Prozent) beurteilte es als schwach oder sehr schwach,
44 Prozent als mittelmäßig.
Gerade einmal 3 Prozent schätzten es als sehr gut ein.
Mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) sagte, dass Deutschland viel mehr tun müsse, um international Vorreiter im Klimaschutz zu bleiben.
Dabei ist gut ein Drittel der Bürger (34 Prozent) dafür, die dreckigsten Kohlekraftwerke schnellstmöglich abzuschalten, die restlichen dann mittelfristig, zum Beispiel bis 2035.
Fast ebenso viele (33 Prozent) finden, dass alle Kohlekraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden sollten.
Nur 9 Prozent sind der Meinung, dass Kohlekraftwerke gar nicht abgeschaltet werden sollten.
80 Prozent der deutschen Bevölkerung halten die Verankerung der nationalen Klimaschutz- und Energiewendeziele etwa in einem Klimaschutzgesetz zumindest für wichtig, etwa jeder Vierte (23 Prozent) sogar für äußerst wichtig.
Das ist zwar noch nicht so viel Zustimmung wie im Bundestag. Dort stimmten 100 % der Abgeordneten einschließlich der gesamten Opposition für den Klimavertrag. Ein Novum, wie es sonst nur Diktaturen oder sozialistische Staaten kennen. Aber immerhin, für eine Demokratie lieferte die Befragung eindeutige Meinungen.
Wer bei der vom WWF initiierten Befragung allerdings anderer Meinung war, musste sich innerlich überwinden, als Unmensch angeprangert zu sein [2]. Leider ist die Studie selbst nicht im Internet zu finden, deshalb anbei die Kritik dazu von einer Stelle, der sie wohl komplett vorlag:
rwi: [3] Wie man in den Wald hineinruft …Unstatistik vom 28.09.2016
Mit der richtigen Fragestellung zum Wunschergebnis: Wie bereits im August zeichnen die Professoren Gerd Gigerenzer, Walter Krämer und Thomas Bauer auch im September ein Umfrageergebnis mit dem Negativtitel „Unstatistik des Monats“ aus. 53 Prozent aller Bundesbürger meinen, Deutschland sollte viel mehr tun, um auch weiter Vorreiter im Klimaschutz zu sein. Und für das „schnellstmögliche“ oder „so bald wie mögliche“ Abschalten aller Kohlekraftwerke plädieren 67% der Befragten. So ein Ergebnis des britischen Meinungsforschungsinstitutes YouGov, über das viele Medien berichtet haben, unter anderem das Handelsblatt.
Dieses Mal liegt der Missstand nicht in der Interpretation, sondern in der Art der Fragestellung. Die Antworten waren in die Fragen quasi eingebaut.
Die Frage zum Klimaschutz lautete:
„Beim Klimagipfel in Paris wurde 2015 ein internationales Abkommen für den Klimaschutz beschlossen. Anfang des Monats September haben die USA und China dieses Abkommen ratifiziert. Deutschland hat den Prozess noch nicht abgeschlossen und einen schwachen Klimaschutzplan für 2050 vorgelegt. Sollte Deutschland Ihrer Meinung nach mehr tun, um Vorreiter im Klimaschutz zu bleiben?“
Die Frage zu den Kohlekraftwerken lautete:
„Die Stromproduktion aus Kohle allein ist die größte Einzelquelle für die deutschen Treibhausgasemissionen. Was sollte Ihrer Meinung nach mit den Kohlekraftwerken passieren?“
Derart suggestive Fragen lenken die Antworten systematisch in eine vorbestimmte Richtung. Bei neutraler Fragestellung wäre das Ergebnis wahrscheinlich anders ausgefallen. Und bei einem direkten Vergleich mit Atomkraft ebenfalls.
In der Umfrageforschung unterscheidet man zwischen ergebnisorientierter und erkenntnisorientierter Demografie. Die YouGov–Umfrage steht für ersteres. Auftraggeber war der WWF (World Wide Fund for Nature). Was immer man von Kohlekraftwerken hält, die Meinung der Öffentlichkeit dazu sollte man neutral erfassen statt zu versuchen, diese systematisch in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen.
Quellen
[1] Handelsblatt, 19.09.2016: Jeder Dritte will Kohlekraftwerke schnellstmöglich abschalten
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energie-jeder-dritte-will-kohlekraftwerke-schnellstmoeglich-abschalten/14568118.html
[2] Achgut: Unstatistik des Monats: Fragen mit eingebauter Antwort
http://www.achgut.com/artikel/unstatistik_des_monats_fragen_mit_eingebauter_antwort
[3] rwi: Wie man in den Wald hineinruft …Unstatistik vom 28.09.2016
http://www.rwi-essen.de/unstatistik/59/
[4] WWF, 19. September 2016: Deutsche wollen Push für den Klimaschutz
http://www.wwf.de/2016/september/deutsche-wollen-push-fuer-den-klimaschutz/