Fukushima-Evakuierung ohne Nutzen
Die Studie ergab, dass der Nutzen der Evakuierung sehr gering war. Als theoretisch gewonnene Lebenszeit wurden Werte zwischen einem und 21 Tagen ermittelt. Das ist viel zu wenig, um die körperliche, soziale und psychische Belastung durch die Evakuierung auch nur annähernd zu rechtfertigen — insbesondere bei den älteren Menschen, von denen viele früher gestorben sind, als zu erwarten gewesen wäre, hätte man sie weiter in ihren Heimatorten leben lassen. Auch die 1500 Patienten, die aus Krankenhäusern evakuiert wurden, waren besonders hart betroffen. Mindestens 21 ältere Patienten starben schon beim Transport an Unterkühlung oder Dehydrierung.
Auch in Hinblick auf die Katastrophe in Tschernobyl vor 30 Jahren kommt die Studie zu dem Schluss, dass nur bei 31.000 der damals 336.000 Evakuierten die Umsiedlung rational war, weil sie durch die erhöhte Strahlung statistisch mit einem um über 8 Monate verkürzten Leben hätten rechnen müssen.
Nach Angaben der Forscher verlieren Bewohner Londons durch die Luftverschmutzung im Durchschnitt 4,5 Monate ihres Lebens, also mindestens sechs Mal mehr als die Menschen in der Präfektur Fukushima. Eine Forderung, London zu evakuieren, wäre dennoch ziemlich absurd. Auch beim regelmäßigen Feinstaubalarm in Stuttgart hört man von deutschen Atomkraftgegnern niemals den Ruf nach einer Evakuierung der Stadt.
Keine ungewöhnliche Strahlenbelastung
Die Umsiedlungen in Japan kamen nicht von ungefähr. Die Gefährdung durch Radioaktivität wird gemeinhin erheblich überschätzt. Radioaktivität ist krebserregend. Aber wie wir wissen, sind auch viele andere Dinge krebserregend, etwa Alkohol, Wurst, Feinstaub, usw. Es kommt immer darauf an, wieviel man davon abbekommt. Genauso wie wir unbesorgt ein Wurstbrot essen können, brauchen wir uns bei einem gewissen Maß an Strahlung keine Sorgen zu machen. Und auch bei hoher Strahlenbelastung haben wir noch gute Chancen, unbeschadet davonzukommen. Die Strahlenwirkung ist inzwischen sehr gut erforscht. Insbesondere nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wurde über Jahrzehnte sehr genau untersucht, wie sich die Strahlung auf das Krebsrisiko auswirkt.
Selbst die Detonation einer Atombombe führt bei den Überlebenden nur zu einem geringen Anstieg des Krebsrisikos aufgrund der Strahlenbelastung. Nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz wurden bis Ende 2007 in der Gruppe der 105.000 Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki rund 850 zusätzliche, durch Strahlung verursachte Erkrankungen an soliden Tumoren beobachtet. Hinzu kommen etwa 85 Leukämietodesfälle. Insgesamt hat also bei weniger als einem Prozent der Betroffenen die Strahlenbelastung (meist einige Jahrzehnte später) zu einer Krebserkrankung geführt. Zum Vergleich: Rund 25 Prozent der Bevölkerung erkrankt irgendwann im Leben aus anderen Gründen an Krebs. Wichtig ist aber auch, dass sich bis zu einem gewissen Strahlungswert überhaupt keine Auswirkungen auf das Krebsrisiko zeigten. Es wurden Betroffene mit Belastungen zwischen Null und über 2000 Millisievert (mSv) erfasst. Dabei ergab sich für solide Tumoren in der Gruppe bis 100 mSv und bei Leukämien in der Gruppe bis 200 mSv kein statistisch signifikanter Anstieg. Der größte Anstieg ergab sich erwartungsgemäß bei der sehr kleinen Personengruppe mit extrem hoher Belastung von über 2000 mSv. Hier starben von 905 Betroffenen 20 an Leukämie.
Von solchen Dosen ist die Präfektur Fukushima weit entfernt. An den beiden am stärksten betroffenen Orten lag die Dosis im ersten Jahr laut WHO bei zwölf bis 25 mSv. Auch in Deutschland treten je nach Wohnort und Lebensstil Werte bis zehn mSv auf. Bei Arbeitern, die 2013 mit Sondergenehmigung in Iitate, einem der am stärksten belasteten Orte, arbeiteten und sich an fünf Tagen in der Woche jeweils zehn Stunden dort aufhielten wurden eine jährliche Dosis von durchschnittlich 1,73 und max. 3,6 mSv inklusive natürlicher Strahlung ermittelt. Das ist deutlich weniger als viele Menschen im Zuge von medizinischen Untersuchungen wie der Computertomographie erhalten. Eine Studie in den USAan knapp einer Million Menschen hat ergeben, dass 1,86 Prozent der Versicherten jährlich einer Strahlenwirkung von mehr als 20 mSv und 0,19 Prozent sogar mehr als 50 mSv durch medizinische Diagnostik ausgesetzt waren. Hochgerechnet ergibt sich, dass etwa vier Millionen Amerikaner jährlich mit mehr als 20 mSv belastet sind – jenem Wert, der in Japan als Grenzwert für die Evakuierung genommen wurde.
Wenn Aktivisten mit Geigerzählern rumlaufen
Vergleichsmessungen bei 216 Schülern in der Präfektur Fukushima (außerhalb der Evakuierungszone) an anderen Orten in Japan, Frankreich, Polen und Weißrussland, die im Jahr 2014 zwei Wochen lang ein Dosimeter trugen, ergaben 0,63 bis 0,97 mSv in Fukushima und 0,51 bis 1,10 mSv in den europäischen Orten. Das zeigt, wie lächerlich es ist, wenn irgendwelche Aktivisten europäischer NGOs in Japan mit Geigerzählern herumlaufen, um in irgendwelchen Ecken „erhöhte Strahlung“ aufzustöbern.
Auch die natürliche Hintergrundstrahlung, der Menschen an ihrem jeweiligen Wohnort ausgesetzt sind, ist sehr unterschiedlich. Im globalen Durchschnitt sind es 2,5 Millisievert pro Jahr. Es gibt aber auch Orte, wo es bis zu 260 mSv sind, die Strahlenbelastung also zehn bis 20 Mal so hoch ist wie in der Evakuierungszone um Fukushima. Ein erhöhtes Krebsrisiko konnte jedoch bisher auch dort nicht festgestellt werden. Insgesamt gibt es nach wie vor keine klaren Hinweise darauf, dass Belastungen unter 100 bis 200 mSv sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Für Werte unter 100 mSv wird sogar eine positive Wirkung diskutiert. Eine umfassende Auswertung von Studien zur Wirkung niedrig dosierter Radioaktivität haben kürzlich koreanische Forscher vorgestellt.
Die „Atomkatastrophe“ von Fukushima hatte somit keinerlei negative Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung, die Schutzmaßnahmen allerdings schon.
Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Novo-Argumente-Redakteur, wo dieser Beitrag zuerst veröffentlicht wurde.