Gute Nachrichten aus dem Pazifik: Meeresspiegel in Kiribati in den letzten 20 Jahren ohne langfristigen Anstieg
Im Vorjahr war im Warmschreiben für die Lima-Klima-Konferenz so einiges schief gelaufen. So titelte Die Zeit am 30. November 2014:
Klimawandel: Vor dem Untergang
In der Südsee zeigt der Treibhauseffekt schon massive Folgen. Hilft der Klimagipfel?
Aus der Luft betrachtet, ist Tarawa ein Paradies, aber seine Bewohner kämpfen gegen den Untergang. Hier, auf dem Hauptatoll der Inselrepublik Kiribati, spüren sie die Auswirkungen des Klimawandels schon lange. Weltweit lässt er den Meeresspiegel steigen, doch in der tropischen Südsee erhöht sich der Pegel besonders schnell. Die Erosion frisst an den Korallenriffen, das Grundwasser versalzt, Krankheiten breiten sich aus, Sturmfluten wüten immer heftiger. Der größte Teil Kiribatis ist nicht einmal zwei Meter hoch. Stünde Dirk Nowitzki am Strand von Tarawa, er könnte problemlos über das Atoll hinwegschauen – noch. Denn schon in wenigen Jahrzehnten könnte Kiribati zerstört sein.
Die Idee des Untergangs gefiel einem Inselbewohner Kiribatis so gut, dass er auf die Idee kam, einen Asylantrag im Land seiner Träume – Neuseeland – zu stellen. Begründung: Er wäre Klimaflüchtling und bald würde das Meer seine Heimat überfluten. Der Antrag wurde mittlerweile abgelehnt. Vermutlich machte sich der Mann nicht so sehr Sorgen wegen des Klimawandels, sondern es gab vielmehr handfeste wirtschaftliche Gründe für seinen Auswanderungsversuch. Die Mitteldeutsche Zeitung brachte es vor einige Jahren auf den Punkt:
Kiribati – klein, heiß und bitter arm
[…] Danach beträgt die Wirtschaftsleistung der Inselgruppe mit der Weihnachtsinsel Kiritimati derzeit 152 Millionen US-Dollar (knapp 114,7 Millionen Euro). Das entspricht in etwa der Summe, die allein die sechs deutschen Teilnehmer der Champions League und Europa League in der vergangenen Saison bei den Wettbewerben an Prämien kassierten. Das Handelsdefizit Kiribatis gehörte mit 92 Prozent im abgelaufenen Jahr zu den höchsten der Welt.
Der Präsident Kiribatis sonnt sich mittlerweile im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und ist immer für einen Publicity Stunt gut. So erwarb er letztes Jahr (2014) zu einem stark überhöhten Preis ein Stück Land auf einer Fidji-Insel, auf das die Einwohner Kiribatis im Fall der Fälle flüchten sollen. Klimaretter berichtete am 22. Juni 2014:
Kiribati kauft Land für Klimaflüchtlinge
Anote Tong, der Präsident des Inselstaates Kiribati im Pazifik, hat auf den Fidschi-Inseln Land erworben. Dorthin sollen mehrere Tausend Kiribatier ziehen, wenn ihre Heimat wegen des Klimawandels im Meer untergeht. Doch der Plan sorgt für Verunsicherung und Streit.
Natürlich sind die aktuellen Bewohner der betroffenen Fidji-Insel alles andere als froh über die mögliche bevorstehende Invasion aus Kiribati. Auch auf Kiribati selber ist man entsetzt über den fragwürdigen Landkauf, wie dem guten Klimaretter-Artikel ebenfalls zu entnehmen ist:
Tongs Amtsvorgänger Teburoro Tito hat sämtliche wissenschaftlichen Abhandlungen über die Folgen des Klimawandels für die Atolle gelesen. Er hält den Landkauf für unsinnig. “Die Forscher sagen, unsere Korallenriffe sind gesund und können mit dem Meeresspiegelanstieg Schritt halten. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, Land auf den Fidschi-Inseln oder sonst irgendwo zu kaufen”, sagt Tito und fügt verärgert hinzu: “Wie können wir um ausländische Hilfe bitten, wenn wir unser Geld für so unsinnige Dinge ausgeben?” Auch Paul Kench, ein Geomorphologe an der University of Auckland, findet die Sorgen überzogen. “Wir wissen, dass die gesamte Riffstruktur um zehn bis 15 Millimeter im Jahr wachsen kann – schneller als der erwartete Meeresanstieg”, sagt der Atoll-Experte. “Solange das so ist und der Nachschub an Sand gesichert bleibt, brauchen wir keine Angst zu haben.”
Der Präsident Kiribatis hat offenbar die fundamentalen Grundlagen eines Korallenriffs nicht verstanden. Hat er im Geographie- und Biologie-Unterricht vielleicht gefehlt, als das Thema Korallenriffe durchgenommen wurde? Vielleicht hätte er vor dem Inselkauf auch einmal die Meeresspiegelkurven für Kiribati anschauen sollen. Zu finden ist eine solche in einer Arbeit von Than Aung und Kollegen, die 2009 im Fachblatt „Weather“ der Royal Meteorological Society erschienen ist (Abbildung 1). Ein Anstiegstrend ist nicht zu erkennen. Der höchste Stand des Meeresspiegels wurde vielmehr 1995 erreicht.
Abbildung 1: Meeresspiegelentwicklung Kiribatis 1994-2008. Quelle: Aung et al. 2009.
Präsident Tong hätte aber auch die Satellitenkurve des Meeresspiegels für seine Region anschauen können (Abbildung 2). Diese umfasst immerhin die vergangenen 22 Jahre. Auch hier ist kein Trend zu erkennen.
Abbildung 2: Meeresspiegelentwicklung der Region um Kiribati auf Basis von Satellitenmessungen. Quelle: University of Colorado.
Der im Klimaretter-Beitrag erwähnte Wissenschaftler Paul Kench leistet vorbildliche Aufklärungsarbeit und steuert dringend benötigte wissenschaftliche Daten zum Thema bei. Im März 2015 erschien ein weiterer Artikel von ihm im Fachblatt Geology zum Funafuti Atoll. Im Bereich dieses Atolls stieg der Meeresspiegel in den letzten 60 Jahren besonders stark an, nämlich mit einer durchschnittlichen Rate von etwa 5 mm pro Jahr. Trotz des Meeresspiegelanstiegs ist keine Insel des Atolls untergegangen, im Gegenteil, viele Inseln haben sich in dieser Zeit sogar vergrößert, wie Analysen der Küstenlinienentwicklung im Rahmen der Studie zeigten. Auch konnten keine Gebiete gefunden werden, in denen größere Erosion herrschen würde. Im Folgenden die Kurzfassung der neuen Arbeit:
Koralleninseln trotzen dem Anstieg des Meeresspiegels während des vorigen Jahrhunderts: Aufzeichnungen aus einem Atoll im zentralen Pazifik:
Die geologische Stabilität und Existenz niedrig liegender Atoll-Nationen wird bedroht durch den Anstieg des Meeresspiegels und den Klimawandel. Das Funafuti-Atoll im tropischen Pazifik war Schauplatz einer der höchsten Raten des Meeresspiegelanstiegs (∼5.1 ± 0.7 mm/Jahr) mit einer Gesamtzahl von ∼0.30 ± 0.04 m während der letzten 60 Jahre. Wir haben sechs Zeitabschnitte der Küstenlinie während der letzten 118 Jahre auf 29 Inseln des Funafati-Atolls analysiert, um ihre physikalische Reaktion auf den jüngsten Meeresspiegel-Anstieg zu bestimmen. Trotz der Größenordnung dieses Anstiegs sind keine Inseln verloren gegangen, die Mehrzahl hat sich vergrößert, und es gab eine Zunahme um 7,3% der Gesamt-Inselfläche im vorigen Jahrhundert (genauer von 1897 bis 2013). Es gibt keine Beweise für eine erhöhte Erosion während der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts trotz der Beschleunigung des Meeresspiegel-Anstiegs [?]. Riffe in Funafati passen ihre Größe fortwährend an, ebenso wie sie ihre Größe, ihr Aussehen und ihre Lage anpassen an Variationen der Grenzschicht-Bedingungen einschließlich Stürme, Sediment-Ablagerungen und dem Meeresspiegel. Die Ergebnisse ergeben eine optimistischere Prognose für die Bewohnbarkeit von Atoll-Nationen und zeigen die Bedeutung der Auflösung jüngster Raten sowie der Art und Weise der Inselveränderungen bei der Entwicklung von Abschwächungs-Strategien.
Lesenswert in diesem Zusammenhang ist ein Artikel von Ulli Kulke auf Donner + Doria:
Das Atoll lebt. Und verschwindet eben nicht im Ozean
Es gibt neue Nachrichten von den untergehenden Inseln: Sie gehen nicht unter. Der Blog Donner und Doria hat bereits mehrfach thematisiert (hier nur einer von mehreren Beiträgen), dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wenig bis nichts dafür spricht, dass der Meeresspiegelanstieg die Atoll-Inseln im indischen und pazifischen Ozean einfach verschluckt. Jetzt ist zum Thema in der renommierten Wissenschaftszeitschrift “Science” ein lesenswerter Report erschienen, den ich hier zur Lektüre empfehlen will. Science-Autor Christopher Pala, der sich gerade in dem pazifischen Inselstaat Kiribati aufhält, setzt sich darin mit dem öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzten Schritt des Präsidenten Kiribatis, Anote Tong, auseinander, der im Mai 22 Quadratkilometer Land auf der recht bergigen zweitgrößten Insel Fidschis, Viti Levu, für seine Landsleute gekauft hat, weil er meint, dass sein Staat demnächst untergehe. Teburoro Tito, früher selbst Präsident Kiribatis und jetzt Oppositionspolitiker, bezeichnete Tongs Schritt als reinen “Publicity-Gag”. Christopher Plea begründet, warum.
Weiterlesen auf Donner + Doria.
Auch populärwissenschaftliche Zeitschriften wie Spektrum der Wissenschaft haben mittlerweile genug von der laienhaften Panikmache zum angeblichen Absaufen der Pazifikinseln (siehe unseren Blogbeitrag „Spektrum der Wissenschaft über angeblich vom Untergang bedrohte Südseeatolle: “Noch keine der betroffenen Inseln ist in nächster Zeit von Überflutung bedroht. Einige vergrößern sich sogar auf Grund natürlicher ökologischer Vorgänge”“). Bereits Ende 2012 hatten wir an dieser Stelle über Kiribatis gute Überlebenschancen berichtet (siehe „Kiribati geht unter – oder vielleicht doch nicht?“).
Wie in vielen Teilen der Erde, spielen auch im Pazifik Ozeanzyklen eine Rolle, die im 60-Jahrestakt den Meeresspiegel beeinflussen. Im Dezember 2013 publizierte hierzu ein Team um Jae-Hong Moon im Journal of Geophysical Research. Sie berichteten, dass die Satellitenmessreihe seit 1993 viel zu kurz sei, um die Effekte längerfristiger Ozeanzyklen zu identifizieren und herauszurechnen. Mithilfe von Küstenpegelmessungen konnten die Autoren die längerfristige Entwicklung seit 1958 auswerten. Dabei fanden sie Mitte der 1970er und Anfang der 1990er Jahre zwei Geschwindigkeitsveränderungen im Meeresspiegelanstieg, wobei sich der Anstieg auf der einen Seite des Pazifiks beschleunigte und auf der anderen Seite im Gegenzug verlangsamte. Hinter dem Multidekadische regionale Meeresspiegel-Verschiebungen im Pazifik von 1958 bis 2008:
Altimeterdaten haben unser Verständnis der regionalen Meeresspiegel-Variabilität und deren Trends deutlich verbessert, aber ihre relativ kurzen Aufzeichnungs-Zeiträume erlauben weder die Evaluierung des Zustandes vor dem Jahr 1993 noch von multidekadischen Signalen geringer Häufigkeit im Ozean. Hier charakterisieren und quantifizieren wir den multidekadischen Anstieg des Meeresspiegels (rSLR) und den damit verbundenen ozeanischen Wärmegehalt im Pazifik mittels eines ozeanischen Nicht-Boussinesq-Zirkulationsmodells [?] im Vergleich mit Datensätzen von Altimetern, zwei Rekonstruktionen des Meeresspiegels und in-situ-Ozeanprofilen von 1958 bis 2008. Wir zeigen, dass die rSLR-Trends zwei Verschiebungen durchlaufen haben, und zwar Mitte der siebziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre mit einer Ost-West-Dipol-Verteilung im tropischen Pazifik. In jeder dieser Phasen hat sich der rSLR auf einer Seite des Pazifiks beschleunigt, auf der anderen Seite aber verlangsamt. Die multidekadischen Verschiebungen des Meeresspiegels können erklärt werden durch die dynamischen Reaktionen der oberen Ozeanschichten durch den Wind-Antrieb in Zusammenhang mit der PDO mit vernachlässigbaren Beiträgen von inneren (tiefenintegrierten) Änderungen der Ozeanmasse. Zusätzliche Modellexperimente bestätigen außerdem, dass der Windstress-Trend im Pazifik während der letzten beiden Jahrzehnte eine wichtige Rolle gespielt hat bei der Verstärkung des rSLR im westlichen Pazifik, während der rSLR im östlichen Pazifik unterdrückt wurde. Die klimagetriebene großräumige rSLR-Variabilität wird wahrscheinlich einen langfristigen und verschieden starken Einfluss auf küstennahe Gemeinden haben.
Beitrag zuerst erschienen im Blog „Die Kalte Sonne“. Übersetzung der englischen Abschnitte von Chris Frey EIKE