„Eisheilige“ und andere Singularitäten – Betrachtungen aus synoptischer Sicht
Bild rechts: Eisheiligen-Wetterlage vom 12. Mai 1978. Links: Temperatur im 850-hPa-Niveau, rechts: Geopotential 500 hPa (bunt) und Bodendruck (Linien). Nähere Erläuterung weiter unten im Beitrag. Quelle: Wetterzentrale.de
Für das Temperaturniveau in unseren Breiten ist es nicht nur zu den „Eisheiligen“, sondern immer von zentraler Bedeutung, welche Luftmasse bei uns gerade vorherrschend ist. Es ist eine Binsenweisheit, dass es bei uns kalte und warme Luftmassen gibt. Ist es bei uns „zu warm“ oder „zu kalt“, in welchem Zeitraum auch immer, heißt das nichts weiter, als dass überwiegend warme bzw. kalte Luftmassen während dieses Zeitraumes wetterbestimmend waren. Es gab Mai-Monate, die insgesamt zu kalt ausgefallen waren, obwohl gerade zu den kalendarischen Eisheiligen warme oder sehr warme Luftmassen bestimmend waren, und umgekehrt. Tritt eine solche Temperaturanomalie sogar in vieljährigen Mittelwerten hervor, spricht man von einer Singularität. Übrigens ist das sog. „Weihnachtstauwetter“ ebenfalls eine solche Singularität, noch dazu viel ausgeprägter als die Eisheiligen weil häufig viel „pünktlicher“. Die Mitteltemperatur am 24. Dezember gemittelt über den Zeitraum 1908 bis 2013 liegt 1 bis 2 K höher als die Mitteltemperatur am 15. Dezember.
Wenn ein Vorgang zu bestimmten Zeiten in 10 von zehn Fällen auftritt (Streuung Null), heißt das nicht, dass dieser gleiche Vorgang auch beim 11. Mal wieder auftritt, sondern nur, dass es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür gibt. Ein solches häufiges Auftreten zu einem bestimmten Zeitpunkt liegt deutlich jenseits der statistischen Streuung, so dass es einen Zusammenhang geben muss. Für die (statistische) Vorhersage spielt jedoch die Natur dieses Zusammenhangs keine Rolle! Es ist eine rein akademische Frage.
(Nebenbemerkung: Jeder erfahrene Synoptiker greift teils unbewusst auf solche Zusammenhänge bei der Vorhersage zurück, und Erfahrung ist ja auch nichts weiter als reine Statistik).
Aber ich schweife ab. Zurück zu den Eisheiligen. Anknüpfend an die obige Aussage bzgl. Luftmassen kann man also präzisieren, dass gerade zu den Eisheiligen besonders häufig kalte Luftmassen wetterbestimmend sind, warum auch immer. Natürlich gibt es Kaltlufteinbrüche zu jeder Zeit des Jahres, auch wenn mir irgendwelche ideologischen Betonköpfe weismachen wollen, dass es diese wegen der Nordverschiebung des Subtropenhochs im Sommer gar nicht gibt. (Komisch! Warum hat dann ein Höhentief über Sizilien [!] im Juli vorigen Jahres dort ein Regenüberschuss von 3000% gebracht, mitten im Subtropenhoch?).
Bekannt in diesem Zusammenhang ist die sog. „Schafskälte“, also Kaltlufteinbrüche Anfang Juni, nachdem die Schafe das erste Mal geschoren worden waren. Außer an extrem ungünstigen Lagen (wie z. B. dem Tegeler Fließ im Norden Berlins oder auch an der Station Hof, wo es selbst im Juli schon mal geringen Frost gegeben hatte) gibt es dabei jedoch keinen Frost mehr. Im Übrigen müssen gerade zu den Eisheiligen mehrere Dinge zusammentreffen; ein einfacher Vorstoß von Meereskaltluft arktischen Ursprungs reicht nicht aus, wenn dieser mit vielen Wolken einher geht.
Interessant ist die Eisheiligen-Wetterlage im Jahr 1978 (siehe Bild oben rechts). Im Zuge der Kaltzeit der siebziger Jahre gab es in Nordeuropa einen sehr kalten und außerordentlich langen Winter. Aus dem dort Anfang Mai immer noch vorhandenen Kaltluftpool löste sich ein Höhentief und zog direkt nach Süden. In der Nacht vom 11. auf den 12. Mai wurde von der Radiosondenstation Lindenberg bei Berlin im 850-hPa-Niveau eine Temperatur von -13°C ermittelt. Zu dieser Zeit war jedoch der Bereich mit einer Temperatur unter -10°C in diesem Niveau bereits so klein, dass er im synoptischen Scale der Darstellung nicht mehr zu erkennen ist.
Es gab tagsüber heftige Schneeschauer, nachts klarte es auf, stellenweise bildete sich sogar Nebel. Am Morgen des 13. Mai wurde im Norden Berlins dadurch Rauhreif beobachtet – im Mai sicher keine alltägliche Erscheinung. Über Schäden in der Landwirtschaft ist mir leider nichts bekannt, bei Temperaturwerten bis -8°C (Station Gardelegen) müssen diese aber erheblich gewesen sein.
Da dieser extreme Kaltlufteinbruch nun wirklich pünktlich zu den Eisheiligen erfolgte, müsste er in den Graphiken von Kämpfe & Kowatsch eigentlich hervortreten. Und siehe da, tatsächlich ist das der Fall. Die folgende Graphik stammt aus dem Beitrag von Kämpfe & Kowatsch:
Man erkennt, dass es nur zu Beginn der vierziger Jahre eine ähnliche Kaltspitze wie 1978 gegeben hatte. Man erkennt aber auch, dass die Kaltspitzen unabhängig dieser Einzeljahre etwa nach 1980 insgesamt niedriger lagen als davor, was natürlich die Aussage der beiden Autoren bestätigt.
Fazit: Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens extremer Kaltlufteinbrüche im Mai dürfte während der nächsten Jahre also zunehmen – egal ob diese nun gerade pünktlich zu den kalendarischen Eisheiligen auftreten oder etwas früher bzw. später.
© Dipl.-Met. Hans-Dieter Schmidt, Anfang Juni 2015