SuedLink, Hauptschlagader oder Achillesferse der Energiewende?
Konkret geht es darum, eine sporadisch anfallende Leistung von 30 Gigawatt am bestehenden Wechselstrom-Höchstspannungsnetz vorbei nach Süden zu schaffen. „Diese Gleichstromverbindung stellt die Hauptschlagader für die künftige sichere Stromversorgung in Deutschland dar“, heißt es protzig in einem Prospekt von TenneT.
Der Netzbetreiber im Besitz des niederländischen Staates und die Befürworter des Projekts in deutschen Parteien und Unternehmerverbänden drücken, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, auf die Tränendrüse, wenn sie darauf hinweisen, ohne SuedLink müssten bei Starkwind zahlreiche Windräder im Norden abgeschaltet oder der von ihnen erzeugte überschüssige Strom ans Ausland verschenkt werden, weil ihnen dann die Möglichkeit fehlt, ihn im eigenen Land loszuwerden. Obendrein müssten die deutschen Stromkunden entsprechend dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) auch den nicht gelieferten Strom bezahlen. Da komme es doch billiger, eine Milliarden teure neue Höchstspannungstrasse zu bauen, deren Kosten ebenfalls die Stromkunden übernehmen müssen.
Die betroffenen Bewohner ost- und nordhessischer Landkreise zeigen sich von diesem Argument wenig beeindruckt. Zahlreiche Bürgerinitiativen kämpfen gegen Suedlink. Im Landkreis Fulda zum Beispiel musste sich auf Druck ihrer Ortsvereine auch die Regierungspartei CDU diesen Protesten anschließen. Über 300 Informationsveranstaltungen, die TenneT schon vor dem Beginn des Genehmigungsverfahrens vor Ort organisiert hat, haben offenbar wenig genützt. Nun werden einige der im Rhein-Main-Gebiet angesiedelten Strom-Großverbraucher der Chemie-Branche nervös, denn die Politik hat ihnen versprochen, nach dem Herunterfahren des südhessischen Kernkraftwerks Biblis bringe ihnen SuedLink die nötige Versorgungssicherheit. So sah sich die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) gedrängt, auf dem 6. VhU-Energieforum am 14. April nicht nur über das „Wie“ der Trassenplanung zu diskutieren, sondern die Debatte um das „Warum“ und „Ob“ neu zu eröffnen.
Peter Bartholomäus, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Industrieparks Infraserv Kalle-Albert in Wiesbaden, und als einer der größten Stromverbraucher Hessens gleichzeitig Vorsitzender des VhU-Energieausschusses, versuchte den Bau der SuedLink-Trasse als „zwingende Notwendigkeit“ darzustellen. Die politische Entscheidung für die Umstellung der Stromversorgung von nuklear und fossil auf regenerativ lasse keine Alternative. In diesem Sinne äußerten sich auch Dr. Udo Niehage, der Beauftragte des Siemens-Konzerns für die Energiewende, und Paul-Georg Garmer, der Chef-Lobbyist von TenneT.
Kein Wunder, dass sich der Fuldaer CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand darüber beklagte, den Landbewohnern seien statt echten Dialog-Angeboten von TenneT immer nur Marketing-Argumente geliefert worden. „Wo Dialog drauf stand, war Marketing drin“, bemerkte Brand lakonisch. Das Misstrauen der Landbevölkerung sei durchaus verständlich, zumal durchgesickert sei, dass TenneT in der gleichen Region neben SuedLink gleichzeitig noch weitere Großprojekte plant, worüber das Staatsunternehmen aber nicht offen redet. Jetzt richteten sich die Hoffnungen auf ein faires Verfahren auf die Bundesnetzagentur, meinte Brand. Die Bonner Behörde könne auch der Trassenalternative durch Thüringen eine Chance geben. Aber das sagte er wohl nur, um seine Wähler zu beruhigen.
Der SPD-Abgeordnete Dr. Hans-Joachim Schabedoth aus dem Taunus, Mitglied im Wirtschafts- und Energieausschuss des Bundestages, sprach hingegen offen aus, was wohl viele im Berliner Reichstag denken: „Die Zahnpasta ist aus der Tube! Wenn wir die Energiewende wollen, dann brauchen wir auch den Netzausbau und damit auch SuedLink als zentralen Eckpfeiler des Stromnetzes der Zukunft.“ Ähnlich äußerte sich auch Angela Dorn, die energiepolitische Sprecherin der Grünen im hessischen Landtag.
Es blieb dem ehemaligen hessischen Wirtschaftsminister Florian Rentsch, jetzt Landtagsabgeordneter der FDP in Wiesbaden, vorbehalten, auf die mit SuedLink verbundene gefährliche Illusion der Ersetzbarkeit von Kern- und Kohlekraftwerken durch Wind und Sonne hinzuweisen: „Solange aus technischen Gründen die Kernkraftwerke in Süddeutschland nicht durch unstete Windenergie, sondern nur durch konventionelle Kraftwerksleistung ersetzt werden können, macht es auch keinen Sinn, die 800 Kilometer lange Stromtrasse SuedLink quer durch Deutschland zu bauen. Diese würde letztlich nur dazu dienen, Investoren zu erlauben, weiter subventionierte Windkraftanlagen im Norden zu errichten.“ Das hat offenbar auch die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) begriffen. Der Widerstand ihres Regierungschefs Horst Seehofer (CSU) gegen das SuedLink-Projekt findet hier seine Erklärung.
Auch aus den Ausführungen des Vertreters von Siemens konnte man mit einiger Anstrengung heraushören, dass auch in der Fachwelt erhebliche Zweifel am Sinn von SuedLink bestehen. So wies Dr. Niehage darauf hin, dass die Gesamtkapazität der „Erneuerbaren“ beim Fortgang der derzeitigen Geschwindigkeit ihres Ausbaus schon im Jahre 2023 etwa das Dreifache der derzeitigen Höchstlast von 84 Gigawatt erreichen wird. Die Netzbetreiber versuchen, das Chaos durch eine möglichst realistische Simulation der witterungsabhängigen Einspeisung des Grünstroms zu managen. Schon heute seien fast zu jeder Stunde Eingriffe in die Stromnetze nötig, um die Netzstabilität aufrecht zu erhalten. Das werde in den kommenden Jahren immer schwieriger, weil die Erzeuger, angeregt durch Förderprogramme, einen immer größeren Teil des Grünstroms völlig unvorhersehbar für den Eigenverbrauch und die Eigenspeicherung abzweigen. Niehage deutete an, ohne SuedLink werde der deutsche Strommarkt in einen Nordteil mit Stromüberschuss und einen Südteil mit einer knappen und daher um schätzungsweise um sechs Euro je Megawattstunde teureren Stromversorgung im Südteil zerfallen. Die Überschüsse des Nordens würden größtenteils verheizt. Elektroheizungen spielen in den Zukunftsprojektionen von Siemens eine wichtige Rolle.
Paul-Georg Garmer von TenneT wies darauf hin, dass im Stromimport- und -transitland Hessen schon heute etliche Überlandleitungen an mehr als tausend Stunden im Jahr überlastet sind. In den letzten Jahren seien in ganz Deutschland trotz des durch die Energiewende gestiegenen Bedarfs insgesamt nur 25 Kilometer Höchstspannungsleitungen gebaut worden. Nach dem Netzentwicklungsplan von 2013 müssten in Deutschland aber 2.100 Kilometer Gleichstrom und 1.500 Kilometer Wechselstromverbindungen neu gebaut werden. Der Widerstand gegen den Bau neuer Höchstspannungsleitungen wird aber nicht schwächer. Im Gegenteil.
Da blieb dem VhU-Vertreter Peter Bartholomäus nur der Appell an die Politik: „Für neue Windräder, Bomassekraftwerke, und Photovoltaikanlagen sollten keine Einspeisevergütungen und Abnahmegarantien mehr zugesagt werden. Ihr weiterer Ausbau sollte nur noch indirekt durch ein schrittweises Absenken der europäischen CO2-Obergrenze oder – falls die Politik weiterhin Sonderregeln für Strom zulassen will – durch ein möglichst europäisches wettbewerbliches Mengenmodell gefördert werden.“ Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Der Zug der deutschen Energiewende rast weiterhin ungebremst auf den Abgrund zu.
Edgar L. Gärtner