Bemerkungen zum Winter 2014/15 Europa-Atlantik-Ostteil Nordamerika
Schon bei der Proklamation des Jahres 2014 als “das wärmste jemals” seitens der NASA und anderer politischer oder von politischen Zuwendungen abhängiger Organisationen hatten ja nicht nur die Autoren des o. g. Beitrags auf die Unregelmäßigkeiten dieser Behauptung hingewiesen. Es war eine ungewöhnlich hohe Zahl von Tagen mit einer Südwest-Wetterlage, die das Jahr 2014 in Deutschland in der Tat zu einem der wärmsten Jahre gemacht haben, aber ebenso wie weltweit nicht zum wärmsten jemals, wie inzwischen auch die NASA mit zusammen gebissenen Zähnen einräumen musste.
Im krassen Gegensatz zum Medienecho dieser Behauptungen vor allem hierzulande steht ein anderes Ereignis in einem anderen Teil der Welt, und zwar mit weit gravierenderen Folgen als die milde Witterung bei uns. Der gesamte östliche und zentrale Teil der USA bis hinunter zum Golf von Mexiko erlebte zum zweiten Mal hintereinander einen katastrophalen Eiswinter mit schweren Ernteschäden und wirtschaftlichen Folgen. Besonders der vergangene Februar war in vielen Gebieten im Osten der USA wirklich der kälteste jemals, also seit Beginn von Aufzeichnungen in Reihen, die 50 bis 100 Jahre lang sind. Eine gute Zusammenfassung der Verhältnisse in den USA findet sich hier. Aus diesem Artikel stammt auch die folgende Tabelle, die hier beispielhaft gezeigt werden soll:
Zu dieser Tabelle: Zu beachten ist, dass alle Angaben in Grad Fahrenheit gegeben sind. Man muss die Zahlen durch 1,8 dividieren, um auf Celsius-Grade zu kommen. Aber das ist nicht der wesentliche Punkt. In der Spalte ganz rechts steht die Differenz des neuen Rekordwertes im Vergleich zum bisherigen Rekord. Die Größe dieser Differenz ist wirklich erschreckend, aus einem Grunde, den ich am Ende anspreche.
Und was vernahm man nun in den Medien hierzulande? Dröhnendes Schweigen – was sonst? Wie soll man das nennen? Ist das nun Zensur oder nicht? Lediglich als der Bürgermeister der Stadt New York, aber auch andere Brüder im Geiste aus der Politik, einen gewaltigen Blizzard verkündeten, gab es hierzulande mediales Getöse. Als dieser Sturm aber wie von meinen US-Kollegen erwartet, was sie aber nicht laut sagen durften (!!) deutlich schwächer ausgefallen war, gab es in unseren Medien wieder Schweigen. Merkwürdige Zeiten, die unselige Erinnerungen wecken.
Zusammenhänge der Winterwitterung auf der Nordhemisphäre
Betrachtet man die Anomaliegebiete im großräumigen Maßstab, fallen wie erwähnt der milde Winter in Mitteleuropa bis weit nach Osteuropa hinein sowie die extreme Kälte in der Osthälfte der USA auf. Im Westen der USA, namentlich in Kalifornien, schlossen sich große Gebiete an, die unter einer schon seit Längerem andauernden Dürre leiden. Die Niederschlagsarmut dürfte sich auch weit auf den Pazifik hinaus erstreckt haben, aber über Ozeanen von einer „Dürre“ zu sprechen ist wohl doch fehl am Platze.
In Ostasien und dem Ostteil Sibiriens schlossen sich dann wieder weite Gebiete mit extremer Kälte an. Extrem auch für diese Gebiete, allerdings ist es dort natürlich immer sehr kalt, und ich weiß nicht, ob es ins Gewicht fällt, ob die Temperatur -50°C oder -60°C beträgt.
Wie auch immer, es zeigt sich eine klare Wellenzahl drei: drei große Tröge (kalt) und drei große Hochkeile (warm) rund um den Nordpol. Am Besten spiegelt sich so etwas im 300-hPa-Niveau. Bekanntlich ist ja der mäandrierende Jet Stream die Summe mehrerer Wellenzahlen, die alle eine unterschiedliche Amplitude und Varianz (= Anteil der Einzelwelle am Gesamt-Wellenspektrum) haben.
Eine solche Wellenzahl drei war also ganz offensichtlich im Winter 2014/15 auf der Nordhemisphäre vorherrschend. Der Theorie nach ROSSBY zufolge haben diese sog. Langen Wellen klimatologisch eine statistisch bevorzugte Position, die der Orographie der Nordhemisphäre folgt. So liegt der Hochkeil der Wellenzahl drei im klimatologischen Mittel vor der Westküste Amerikas über dem Pazifik. Der nächste Hochkeil befindet sich dann 130 Längengrade weiter östlich, also über Mitteleuropa und dem östlichen Mitteleuropa. Dazwischen liegt jeweils ein langwelliger Trog. Auf diese Weise lässt sich ziemlich einfach die Witterungs-(!)Verteilung auf der Nordhemisphäre beschreiben.
Diese sog. Klimatologischen langen Wellen (im Winter bis zur Wellenzahl vier, im Sommer fünf) ändern sich immer mal wieder, wie ja alles im ständigen Wandel begriffen ist (Wetter, Witterung und Klima). Lange Wellen verlagern sich auch nicht, sondern bleiben immer mehr oder weniger stationär – es sei denn, die Wellenzahl ändert sich. Das alles sind grob vereinfachte Ableitungen aus der ROSSBY-Theorie. Näheres dazu gibt es hier.
Aus dieser Quelle stammt auch die folgende Abbildung:
Sie zeigt die langen Wellen mit der Wellenzahl drei in ihrer mittleren klimatologischen Position. Im vergangenen Winter war diese Konfiguration um einige Längengrade nach Osten verschoben.
Interessanterweise ist nun die Änderung eines Langwellen-Regimes nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt, sondern es gibt hierbei statistisch bevorzugte Zeiten. Die größte Signifikanz weist der Zeitraum Anfang Juli („Siebenschläfer-Regel“) und Anfang Dezember auf, wobei ein Wellenregime, das sich bis spätestens zum 10. Dezember eingestellt hat, in der Regel bis weit in das meteorologische Frühjahr hinein gehalten wird (mein Freund Chris Frey hat das mal so ausgedrückt: „Anfang Dezember wird der Winter gebacken“).
Die milde Witterung bei uns, die Dürre in Kalifornien und die extreme Kälte im Ostteil der USA sind also dem Wellenregiment dieses Winters geschuldet, das wie zu erwarten war den ganzen Winter über gehalten wurde mit kleineren Schwankungen. Daran ist weder etwas Aufregendes, noch hat das irgendwas mit dem Klimawandel zu tun.
Noch einmal zurück zur Arbeit von Kämpfe und Kowatsch (2015): Am Ende des Beitrags findet sich eine Tabelle, in der die Langfristvorhersagen des Winters bewertet werden, die im Herbst vorigen Jahres abgegeben worden waren. M. E. hat sich Kämpfe dabei zu schlecht beurteilt, denn im Gegensatz zum Autor dieses Beitrags hat er den eher milden Winter erwartet. Warum habe ich diesen Winter kälter erwartet?
Nun, das Wellenregiment dieses Winters hat sich sehr spät eingestellt. An sich ist eine starke und milde Westlage Anfang Dezember fast ein Garant für einen milden Winter bei uns, aber Anfang Dezember 2014 gab es diese Westlage noch nicht. Als sich dann aber in der Ersten Dezemberdekade die ersten Mega-Orkanwirbel auf dem Atlantik bildeten (was im Vorjahr 2013 bereits im September angefangen hatte!) war dies ein Hinweis, dass sich bei uns dauerhaft kalte Witterung wohl nicht einstellen würde. Das allein ist aber noch kein Hinweis, denn am 15 Dezember 1986 hat sich im Seegebiet zwischen Island und Grönland der stärkste, im vorigen Jahrhundert bekannte Orkanwirbel jemals entwickelt mit einem Kerndruck unter 920 hPa! Dennoch gab es bekanntlich 1986/87 in Mitteleuropa einen sehr kalten Winter. Irgendetwas war also damals anders, und zwar etwas sehr Augenfälliges. Ich bekenne, dass ich dies zu Beginn des vergangenen Winters übersehen hatte.
Kalte oder sehr kalte Witterung kann sich bei uns nur bei Ost- oder Nordostlagen einstellen. Dazu ist aber außerdem noch das Vorhandensein eines Kaltluftkörpers über Nordosteuropa erforderlich. Im Dezember 1986 war dieser ausgeprägt vorhanden, während er im Dezember 2014 vollständig fehlte und sich auch bis heute nie eingestellt hatte. Das sollen die folgenden Abbildungen zeigen:
Das Datum stimmt zwar nicht ganz auf den Tag genau, aber in beiden Fällen findet sich auf dem Atlantik ein Orkanwirbel. Man erkennt sehr gut den Kaltluftkörper im Dezember 1986 über Nordosteuropa, der sogar deutlich stärker ausgeprägt war als sein Pendant im Osten Amerikas. Bodennah waren damals dort Temperaturwerte zwischen -20°C und -40°C vorherrschend.
Ganz anders im Dezember 2014: Ein Kaltluftkörper über Nordosteuropa ist nicht einmal rudimentär vorhanden. Dagegen weist die Wetterlage über dem Atlantik Ähnlichkeiten auf.
Fazit bis hier: Aus statistisch-synoptischer Sicht war aufgrund der Strömungsverhältnisse Anfang/Mitte Dezember 2014 kein kalter Winter zu erwarten. Dies gilt auch generell: Sollte sich bis spätestens Mitte Dezember über Nordosteuropa kein ausgeprägter Kaltluftkörper gebildet haben, ist dies statistisch gesehen den ganzen Winter über nicht zu erwarten. Es gibt natürlich Ausreißer dergestalt, dass sich im Januar doch noch ein solcher bildet, aber dieser Fall tritt so selten auf, dass die Aussage signifikant ist. Mit etwas größerer Streuung gilt das auch umgekehrt: Ist ein solcher Kaltluftkörper über Nordosteuropa vorhanden und auch stärker ausgeprägt als sein Pendant am Westatlantik, sind im Winter zumindest einige längere handfeste Kältewellen zu erwarten.
Wobei wir bei einem Punkt sind, der mir als einzigem zu denken gibt: Kältewellen im Osten der USA gibt es immer wieder. Auch ich habe in den siebziger Jahren im US-Bundesstaat Pennsylvania solche Winter erlebt. Aber: Es ist die Intensität der diesmaligen Kältewelle dort, die mich beunruhigt! Sollte sich das nächste Mal wieder ein Kaltmuster für Mitteleuropa einstellen (und das wird mit Sicherheit in naher Zukunft wie üblich wieder der Fall sein, zumal eine die Wellenzahl drei begünstigende Warmphase der NAO in die Kaltphase wechseln dürfte), so dürften auch bei uns die Kälterekorde purzeln – mit allen gravierenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft – also für uns alle!
Und wer weiß? Vielleicht schon im nächsten Jahr im Zuge des (zugegebenermaßen unwissenschaftlichen) Al-Gore-Effektes? Schließlich findet Anfang Dezember das nächste große Klima-Konferenz-Spektakel in Paris statt…
Dipl.-Met. Hans-Dieter Schmidt
Nachwort: In den USA ist das Zufrieren der Großen Seen ebenfalls ein großes Thema. Die Eisbedeckung und -dicke ist noch stärker als vor einem Jahr; auch die Niagara-Fälle sind weitgehend eingefroren. Das ist aber keine Folge noch extremerer Kälte, sondern dem Umstand geschuldet, dass die sommerliche Erwärmung der Seen im Jahre 2014 erst mit großer Verzögerung erfolgen konnte, weil erst im Juni (!) das letzte Eis des Vorwinters verschwunden war. Die Wassertemperatur der Seen lag also eingangs des Winters 2014 deutlich niedriger als eingangs des Vorwinters.