Stromexport = Strommüll ?
Aber wie ist das möglich, wo doch die Experten nach dem schlagartigen Abschalten von acht Atomkraftwerken im Jahr 2011 unisono prophezeiten, dass wir in Zukunft viele Jahre auf Stromimport aus Frankreich angewiesen sein würden, weil die Windräder und Sonnenkollektoren eben nicht so viel Elektrizität hergeben. Nun, die Experten haben sich, wieder mal, geirrt. Volle 34 Terawattstunden (TWh) an Strom hat Deutschland im Jahr 2014 exportiert, die Importe bereits gegengerechnet. Dieser Exportüberschuss sind stattliche 6,5 Prozent des inländischen Jahresverbrauchs von ca. 520 TWh. Dabei sollte man noch wissen, dass eine Terawattstunde einer Milliarde Kilowattstunden entspricht. Also einer ziemlich großen Nummer!
Und genauso bemerkenswert ist, dass der deutsche Stromexportüberschuß seit dem Schicksalsjahr 2011 (Fukushima) kontinuierlich angestiegen ist und in den kommenden Jahren, mit hoher Wahrscheinlichkeit, noch weiter steigen wird. Und, dass wir (Steuerzahler) jedoch an diesen Exportgeschäften nichts verdienen, sondern möglicherweise noch draufzahlen werden. Und, dass wir deshalb unsere nationalen Klimaziele nicht erreichen werden.
Wie konnte so ein volkswirtschaftliches Chaos entstehen? Und wer ist dafür verantwortlich? Nun, ich versuche die Ursachen aufzudröseln, mit einen Schuss Ironie, gelegentlich.
Am Anfang war das EEG
Um zu den Ursachen für die gegenwärtige unbefriedigende Energiesituation vorzudringen, müssen wir uns schlappe 15 Jahre zurückbegeben. Jürgen Trittin, der Grüne, war zu jener Zeit in der Form seines Lebens. Als Bundesumweltminister in Schröders rot-grüner Koalition befand er sich an der Schaltstelle für eine neue "ökologische" Energiepolitik. Er nahm die Stromkonzerne in den Schraubstock, indem er sie zur mittelfristigen Aufgabe ihrer Atomkraftwerke zwang und er komponierte im Jahr 2000 eigenhändig das sogenannte Erneuerbare-Energien-Gesetz, abgekürzt EEG, welches vor allem den Ausbau der Windräder, der Sonnenkollektoren und die Vermaisung der Landschaft – pardon, ich meinte natürlich die Nutzung der Biomasse zur Stromerzeugung – vorsah. Und alles sollte ganz, ganz schnell gehen, deshalb erhielten die Ökofreaks hohe Subventionen für ihre Stromanlagen. Die Photovoltaik-Leute, beispielsweise, satte 57 Cent pro (intermittierend) erzeugter Kilowattstunde.
Doch das hastig zusammengestrickte EEG hatte einige Webfehler. Neben den viel zu hohen Fördersätzen gestattete es den Mini-Stromerzeugern die allzeitige und bevorzugte Einspeisung in das Stromnetz. Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) müssen heute noch jede Kilowattstunde Strom von Wind, Sonne und Biomasse abnehmen – beziehungsweise honorieren, falls ihr Stromnetz die Aufnahme nicht zulässt. Der Ausbau der sogenannten Erneuerbaren Energien vollzog sich im Rekordtempo: die installierte Kapazität für Wind liegt heute bei 35.000 Megawatt (MW), für Solar gar bei 38.000 MW und für Biomasse bei 8.000 MW. Zum Vergleich: Deutschland benötigt im Schnitt eine Stromerzeugungskapazität von etwa 50 bis 80.000 MW.
Die Regeln der Strombörse
Für uns Verbraucher hat Strom im allgemeinen einen festen Preis, nicht aber für die Stromhändler. Diese kaufen ihre Stromquantitäten rechtzeitig u. a. an der Leipziger Strombörse ein, denn dort bieten ihn die vier großen Energieversorgungsunternehmen (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) oder die vielen kleineren Stadtwerke an, welche den Strom an ihren Kraftwerken erzeugen. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, den die Börse zuweilen stündlich festlegt. Die wichtigste Kostenart für diese Stromerzeuger sind die Brennstoffkosten, also für Uran, Kohle und Gas. Dabei sind die – ungefähren – Stromerzeugungskosten bei einem Kernkraftwerk 2 bis 3 Cent, bei einem Kohlekraftwerk 3 bis 6 Cent und bei einem Gaskraftwerk 6 bis 10 Cent. Kann ein Kraftwerk seine Brennstoffkosten nicht mehr an der Börse refinanzieren, dann wird es (normalerweise) aus betriebswirtschaftlichen Gründen abgeschaltet und nach einiger Zeit sogar stillgelegt. Sonne und Wind haben in dieser Beziehung einen Vorteil, weil sie "formal" keine Brennstoffkosten haben. "Die Sonne schickt keine Rechnung" besagt ein nur vordergründig schlauer Spruch. Man müsste hinzufügen: "Die Sonne produziert auch keinen Strom", aber diese defätistischen Aussage ging in der bisherigen Ökoeuphorie mancher Deutscher unter. Wie sieht nun das Stromerzeugungsmanagement bei einem Stromkonzern – wie dem RWE – aus, der Kernkraftwerke, Kohlekraftwerke (Stein- und Braunkohle) sowie Gaskraftwerke betreibt und daneben Sonnen- und Windstrom aufnehmen muss? Nun, normalerweise decken Atom und Braunkohle die erforderliche Grundlast ab, Steinkohle die Mittellast und die Gaskraftwerke, welche man schnell an- und abschalten kann, werden – neben den Pumpspeichern – für die mittägliche Spitzenlast benötigt. Aber das funktioniert neuerdings nicht mehr so, denn die Wind- und Solaranlagen haben die wendigen Gaskraftwerke aus dem Markt gedrängt. Sie dürfen als erste einspeisen. Das sieht man gut am Beispiel des 11. Mai 2014 in der unten platzierten Grafik. Dies war ein Sonntag, an dem wenig Strom gebraucht wurde, an dem aber gleichzeitig der Wind kräftig wehte und die Sonne am wolkenlosen Himmel viel PV-Strom produzierte. Dieser regenerative Strom musste, gemäß EEG, bevorzugt ins Netz aufgenommen werden.
Siehe Bild oben rechts
Das Diagramm veranschaulicht die Situation am genannten Sonntag: Wind und Sonne zusammen erbrachten zeitweise allein schon fast 40.000 Megawatt an Strom. Das Angebot auf dem Strommarkt überstieg die Nachfrage bereits am Vormittag so weit, dass der Strom an der Börse "wertlos" wurde. Sein Preis fiel auf Null. Am frühen Nachmittag war darüber hinaus so viel Strom im Netz, dass die deutschen Produzenten Geld bezahlen mussten, um ihn loszuwerden. Der "negative Strompreis" sank auf 60 Euro pro Megawattstunde, entsprechend 6 Cent pro Kilowattstunde. In der ersten Jahreshälfte 2014 gab es bereits an 71 Stunden negative Strompreise. In wenigen Jahren, nach dem weiteren Ausbau der Wind- und Sonnenenergie, können es tausend Stunden im Jahr und noch mehr werden.
Problematische Kohlekraftwerke
Und was machen die Kohlekraftwerke, insbesondere jene, die Braunkohle verfeuern? (Die Kernkraftwerke lassen wir mal außen vor, da sie in wenigen Jahren sowieso abgeschaltet sein werden.) Sie werden nicht zurückgefahren, sondern produzieren kräftig weiter. Denn lieber verkaufen die Erzeuger ihren eigentlich überflüssigen Kohlestrom zehn Stunden lang (tagsüber) zu negativen Strompreisen, als ihre Braukohlekraftwerke abzuschalten. Warum? Nun, diese fossilen Kraftwerke sind darauf ausgelegt, ohne Unterbrechung zu laufen. Selbst ihre Leistung nur zu drosseln wäre schon zu teuer. Muss nämlich ein Kraftwerk aus irgend einem Grund vom Netz, so bezahlt der Betreiber später allein für den Dieselkraftstoff einen fünf- oder gar sechsstelligen Betrag, um dieses Kraftwerk wieder sicher auf Betriebstemperaturen von über 500 Grad zu bringen. Außerdem vertragen diese Art von Kraftwerken das häufige An- und Abschalten aus Materialgründen nicht gut. Ein weiterer Grund für den fortgesetzten Betrieb der Kohlekraftwerke ist die Sicherstellung der Netzstabilität. Weil der erzeugte Strom sich aber nicht speichern lässt, muss er irgendwo hin. Und dafür gibt es Interessenten. Die Holländer, beispielsweise, nehmen ihn recht gerne um ihre Glashäuser zu heizen – und weil er nicht nur kostenfrei ist, sondern seine Abnahme noch gut bezahlt wird. Dafür legen unsere schlauen Nachbarn sogar gerne einige ihrer Gaskraftwerke still. Mittlerweile verhökern sie den Strom sogar weiter nach England, die Schweiz und Italien. Ein ähnlicher Sekundärmarkt hat sich bei unserem östlichen Nachbarn, den Polen, herausgebildet.
Im Klartext: der exportierte Strom ist heutzutage schon häufig Überschussstrom, für den es in Deutschland keine Abnehmer gibt und den man deshalb – unter erheblicher Zuzahlung – in ausländische Netze einspeisen muss. Er ist vergleichbar mit Müll, den man zur Entsorgung (kostenpflichtig) ins Ausland bringt.
In unserem Fall ist es – man verzeihe das harte Wort – Strommüll.
Fazit
Der im Vorjahr 2014 ins Ausland exportierte Strom von 34 Milliarden Kilowattstunden ist kein Nachweis für unsere wirtschaftliche Potenz. Er ist vielmehr der Beweis dafür, dass mit der nach Fukushima hastig eingeläuteten Energiewende etwas furchtbar schiefgelaufen ist. Das EEG mit seiner radikalen Bevorzugung von Wind- und Sonnenstrom hat die Gaskraftwerke aus Kostengründen aus dem Markt gedrängt. Die Braunkohlekraftwerke hingegen, mit ihrer hohen CO2-Fracht, müssen die Grundlast erbringen, insbesondere, wenn die Kernkraftwerke im Jahr 2022 insgesamt abgeschaltet sein werden.
Unsere Energiezukunft wird also folgendermaßen aussehen:
Sonne und Wind erbringen die Spitzenlast, die Kohle die Grundlast. Reguliert wird die Strommenge, indem man über die nationalen Grenzen hinweg den Überschussstrom exportiert – und dafür noch bezahlt.
Dr.Ing Willy Marth
Der Beitrag wurde vom Blog des Autors übernommen
Über den Autor:
Willy Marth, geboren 1933 im Fichtelgebirge, promovierte in Physik an der Technischen Hochschule in München und erhielt anschliessend ein Diplom in Betriebswirtschaft der Universität München. Ein Post-Doc-Aufenthalt in den USA vervollständigte seine Ausbildung. Am „Atomei“ FRM in Garching war er für den Aufbau der Bestrahlungseinrichtungen verantwortlich, am FR 2 in Karlsruhe für die Durchführung der Reaktorexperimente. Als Projektleiter wirkte er bei den beiden natriumgekühlten Kernkraftwerken KNK I und II, sowie bei der Entwicklung des Schnellen Brüter SNR 300 in Kalkar. Beim europäischen Brüter EFR war er als Executive Director zuständig für die gesamte Forschung an 12 Forschungszentren in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Im Jahr 1994 wurde er als Finanzchef für verschiedene Stilllegungsprojekte berufen. Dabei handelte es sich um vier Reaktoren und Kernkraftwerke sowie um die Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe, wo er für ein Jahresbudget von 300 Millionen Euro verantwortlich war.