Energie als politisches Druckmittel?

Energie als Handelsware

Prinzipiell sind alle Energieträger ganz normale Handelsgüter. Sie liegen in unterschiedlichen Formen vor: Als Rohstoffe (Erdöl, Kohle, Uran usw.), als Halbfertigprodukte (Diesel, Benzin, „Erdgas“ etc.) und als spezielle Endprodukte (Wechselstrom 50 Hz, Super Benzin, usw.). Analog z. B. zu Kupferbarren, Kupferdraht und einer Spule. Die simple Tatsache, daß Energieträger nicht gleich Energieträger ist, ist bereits eine sehr wichtige Erkenntnis. Je spezieller der Stoff ist, je schwieriger ist er zu ersetzen und je enger werden die möglichen Bezugsquellen. Ein Motor, der für Dieselkraftstoff gebaut ist, braucht auch Dieselkraftstoff. Selbst wenn Benzin im Überfluß vorhanden ist, nützt dies dem Betreiber gar nichts. Anders sieht es z. B. in der Elektrizitätswirtschaft aus. Besitzt man — wie in Deutschland — noch einen Kraftwerkspark aus Steinkohle-, Braunkohle, Gas- und Kernkraftwerken etc., sieht die Lage völlig anders aus. Selbst wenn ein Brennstoff nahezu vollständig ausfällt, muß dies noch lange nicht zu Einschränkung führen. Geht man noch eine Ebene höher, ergibt sich noch mehr Flexibilität. Verringert sich z. B. das Angebot an Erdgas, kann man bewußt den Verbrauch in Kraftwerken einstellen um genug Heizgas zur Verfügung zu haben. Ein ganz normaler Vorgang, wie er jeden Winter üblich ist. Es gibt sogar Kraftwerke, die für mehrere Brennstoffe geeignet sind. Da der Anteil vom Erdgas am Primärenergieverbrauch in Deutschland nur rund 21 % beträgt und allein der Lagervorrat etwa 1/6 des Jahresverbrauches beträgt, braucht keine Panik vor einem „Erdgasboykott“ zu bestehen. Da Russland ohnehin nur etwa ⅓ des Verbrauches liefert, könnten sie gern ihre Lieferungen vollständig einstellen. Deswegen würde hier keine Wohnung kalt bleiben oder eine Fabrik stillstehen. Selbst die Auswirkungen auf die Erdgaspreise dürften gering bleiben, weil viele Verbraucher (vor allem Kraftwerke) auf andere Energieträger ausweichen könnten bzw. andere Lieferanten gern die russischen Marktanteile übernehmen würden.

Der Faktor Zeit

Die Frage, ob man einen Energieträger durch einen anderen ersetzen kann, ist nicht so entscheidend, wie die Zeitdauer die hierfür erforderlich ist. Wobei die Zeitdauer weniger technisch bedingt, als eine Frage der Kosten ist. Besonders unflexibel sind Gaspipelines. Bis man neue Leitungen verlegt hat oder einen angeschlossenen Verbraucher umgestellt hat, können Jahre vergehen. Geht man auf die volkswirtschaftliche Ebene, wird man eher in Jahrzehnten denken müssen. Ein Beispiel hierfür, ist der massive Ausbau der Kernkraftwerke als Ersatz für Ölkraftwerke infolge der sog. Ölkriesen (1973 und 1976).

Für kurzfristige Versorgungslücken ist die Lagerung von Brennstoff ein probates Mittel. Auch hier ist Erdgas die technisch schwierigste und damit kostspieligste Lösung. Brennstäbe für Kernkraftwerke nehmen nur wenig Platz ein und ein Kernkraftwerk läuft ohnehin viele Monate, bis eine Nachladung nötig wird. Steinkohle hat auch eine recht hohe Energiedichte und ist relativ einfach zu lagern. Es war nicht zufällig im alten West-Berlin der Brennstoff der Wahl, zur Absicherung gegen „Berlin-Blockaden“.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind Transportwege und Transportmittel. Öltanker und Massengutfrachter kann man noch auf hoher See umleiten. Bei der heute weltweiten Verteilung von Öl und Kohle ist der Lieferboykott eines Landes oder einer Gruppe von Ländern (OPEC) ein völlig stumpfes Schwert. Im Gegenteil, man weitet diesen Zustand auch immer weiter auf Erdgas aus. Überall auf der Welt, entstehen Anlagen zur Verflüssigung und Rückvergasung von Erdgas. Der neuste Trend dabei ist, solche Anlagen komplett auf Spezialschiffen zu installieren, die gegebenenfalls auch noch flexibel verlagert werden können. Nicht zuletzt Russland, hat diesen Trend schon vor der aktuellen  Krise durch seine Preispolitik und seine Lieferunterbrechungen an die Ukraine enorm beschleunigt. Nur Deutschland hat konsequent auf Pipelines nach Russland gesetzt. All unsere Nachbarn haben bereits Flüssiggasterminals in Betrieb oder im Bau. Es geht halt nichts über wahre Männerfreundschaften, nicht wahr, Gerhard und Vladimir?

Der Faktor Geographie

Energieträger sind — mit Ausnahme von Uran und Thorium — Massengüter. Transportmittel der Wahl, ist deshalb das Schiff. Pipelinenetze lohnen sich wegen der enormen Kapitalkosten nur in Verbrauchsschwerpunkten oder bei sehr großen Feldern. Zumindest übergangsweise, dient auch die Eisenbahn als Transportmittel. Rußland ist zur Zeit (noch) der größte Ölproduzent vor den USA und Saudi Arabien. Anders als diese beiden, verfügt es aber über keine bedeutenden Häfen. Die längste Zeit des Jahres liegen seine Küsten und Flüsse unter einem Eispanzer. Für Rußland sind seine Pipelines in den Westen lebenswichtige Adern. Selbst mit seinem Eisenbahnnetz (Breitspur) hat es sich bewußt vom Rest der Welt abgegrenzt. Verglichen z. B. mit dem Iran, eine fatale Situation bei einem Abnahmeboykott.

Der Faktor Wirtschaft

Russland ist kein Industrieland, sondern spielt eher in der Liga von Nigeria, Venezuela etc. Geschätzt zwischen 70 bis 90 % aller Staatseinnahmen stammen aus dem Export von Öl und Gas. Es gibt praktisch keine russischen Produkte, die auf dem Weltmarkt verkäuflich sind. Die Situation ist noch desolater, als in der ehemaligen „DDR“. Die konnte wenigstens einen Teil ihrer Erzeugnisse über Dumpingpreise auf dem Weltmarkt verschleudern um an Devisen zu gelangen. Selbst der einstige Exportschlager Waffen, ist wegen seiner erwiesenen schlechten Qualität, immer unverkäuflicher. Klassische Importeure sind entweder bereits untergegangen (Irak, Lybien, etc.) oder wenden sich mit grausen ab (Indien, Vietnam usw.).

Rußland hat seine „fetten Jahre“ vergeudet. Während im kommunistischen Bruderland China eine Auto-, Computer- und Mobilfunkfabrik nach der nächsten gebaut wurde, hat man sich in der „Putinkratie“ lieber Fußballvereine im Ausland gekauft. Die Angst vor und die Verachtung für das eigene Volk, scheint unvergleichlich höher. Selbst in den Staaten der Arabischen Halbinsel hat man schon vor Jahrzehnten realisiert, daß die Öleinnahmen mal nicht mehr so sprudeln werden und man deshalb einen Sprung in die industriealisierte Welt schaffen muß. Gerade, wenn man die dort — praktisch in wenigen Jahrzehnten aus dem Wüstensand heraus — geschaffene Infrastruktur und Industrie betrachtet, kann man die ganze Erbärmlichkeit der russischen Oberschicht ermessen.

Was dies für die internationalen Energiemärkte bedeuten könnte

Die Selbstisolation, durch militärische Bedrohung der Nachbarn, erinnert an das Verhalten von Potentaten in Entwicklungsländern kurz vor deren Untergang. Wenn Putin nicht einlenkt, wird man ihn stoppen müssen. Er täuscht sich gewaltig, wenn er glaubt, er könne Teile Europas in den gleichen Abgrund, wie Syrien stürzen. Gerade sein Syrienabenteuer wird ihm in der nächsten Zeit auf die Füße fallen. Er hat sich bei allen Staaten — die zufällig zu den größten Gas- und Ölproduzenten zählen — äußerst unbeliebt gemacht. Für die, dürfte es alles andere als ein Zufall sein, daß gerade die muslimischen Tataren auf der Krim am meisten unter seiner „Ukrainepolitik“ leiden. Es könnte sein, daß dies der berühmte Tropfen ist, der das Fass zum überlaufen bringt. Zumindest in Saudi Arabien ist die Erinnerung an die „brüderliche Waffenhilfe der Sowjets“ in Afghanistan und Putins Vorgehen in Tschetschenien noch sehr lebendig.

Wenn Putin nicht einlenkt, wird man ihn wirtschaftlich unter Druck setzen (müssen). Das kann sehr schnell und sehr schmerzhaft geschehen, ohne daß man überhaupt wirtschaftliche Sanktionen beschließen muß. Man muß nur die russischen Preise für Energieträger unterbieten. Jeder Kontrakt, der Rußland vollkommen verloren geht, reißt ein tiefes Loch, jeder gesenkte Preis, ein etwas kleineres Loch, in die Kassen des Kreml. Jeder Verfall des Rubel verteuert darüber hinaus die lebenswichtigen Importe. Ein faktisches Entwicklungsland wie Rußland, hat dem nichts entgegen zu setzen. Eigentlich sollte gerade Rußland aus dem Kollaps des Sowjetreichs seine Lehren gezogen haben: Als es glaubte, die Welt mit Waffengewalt beherrschen zu können (Einmarsch in das sozialistische Bruderland Afghanistan) nahm Ronald Reagen die Herausforderung an und erschuf den „Krieg der Sterne“. Putin mag als guter Schachspieler gelten, aber die USA sind immer noch die Nation der Poker-Spieler. Putin wird noch lernen müssen, wenn man kein gutes Blatt in den Händen hält und nichts in der Tasche hat, sollte man besser nicht, die wirklich großen Jungs reizen.

Kohle

Die russische Kohleindustrie ist durch und durch marode. Das gilt auch und gerade für das Revier im Osten der Ukraine. Die Produktionskosten sind teilweise so hoch, daß jetzt schon mit Verlusten produziert wird. Demgegenüber hat allein die USA schier unerschöpfliche Kohlenmengen verfügbar. Dies betrifft sogar die Transport- und Hafenkapazitäten. Es ist ein leichtes, den Vertrieb zu intensivieren und sich um jeden russischen Kunden zu bemühen. Man muß nur jeweils etwas unter den russischen Preisen anbieten. Dies wird nicht einmal an den Weltmärkten zu Verwerfungen führen. Der Exportanteil Russlands ist einfach zu gering. Für Russland andererseits, ist jede nicht verkaufte Schiffsladung ein Problem.

Öl

Russland, USA und Saudi Arabien sind die drei größten Ölförderländer. Die USA werden in den nächsten Jahren zur absoluten Nummer eins aufsteigen. Schon jetzt liegen die Preise in den USA (WTI) rund zehn Dollar unter den Preisen in Europa (Brent). Es schwelt schon lange ein Konflikt, um die Aufhebung des Exportverbotes. Ein denkbarer Kompromiß, wäre eine Aufhebung für „befreundete Nationen“ in Europa. Geschieht das, rächt sich die Vernachlässigung der russischen Transportkapazitäten. Die USA können zusammen mit Saudi Arabien die Ölpreise in den klassischen Abnehmerländern Russlands in beliebige Tiefen treiben. Dies gilt vor allem für die hochwertigen Rohöl-Qualitäten. Zusätzlich noch ein bischen Konjunkturabschwächung in China und der russische Staatshaushalt gerät aus den Fugen.

Erdgas

Russland besitzt nach wie vor die größten konventionellen Erdgasreserven. Danach folgen Qatar und Iran. Alle drei sind tief im Syrienkonflikt verstrickt. Alle drei aus dem gleichen Grund, wenn auch auf verschiedenen Seiten. Syrien ist das potentielle Transitland für Erdgas aus dem Golf-Gebiet. Rußland schürt mit allen Mitteln den Krieg, um einen geplanten Ausbau des Pipelinenetzes aus Süd-Irak zu verhindern. Ist das Gas erstmal im Irak angekommen, ist der Anschluß an die südeuropäischen Netze nicht mehr weit. Qatar kann die gemeinsamen Gasfelder mit Iran weiterhin günstig ausbeuten, solange dem Iran mangels Transportkapazität der Absatzmarkt fehlt. Iran verfügt genauso wenig wie Russland, über die Technologie für eine LNG-Kette. Iran bekommt keine Unterstützung, solange es an einer Atombombe bastelt. Russland kann sich (noch) mit Importen der Anlagentechnik aus dem Westen im bescheidenen Maße behelfen.

Allein in den USA befinden sich zwanzig Anlagen zur Verflüssigung und anschließendem Export in der Genehmigung. Der Weltmarkt für Erdgas wird sich in den nächsten Jahren völlig verändern. Deutliches Zeichen sind die Verwerfungen in den Preisen. In Europa sind die Preise derzeit etwa doppelt so hoch, wie in den USA. In Asien sogar drei bis vier mal so hoch. Hauptursache in Asien sind die enormen Importe durch Japan als Ersatz für die abgeschalteten Kernkraftwerke. Sobald Japan wieder seine Kernkraftwerke in Betrieb nimmt — was technisch innerhalb weniger Wochen möglich wäre — werden die Erdgaspreise in Asien mangels Nachfrage deutlich sinken. Es bietet sich dann an, diese Ströme nach Europa umzuleiten. Ausgerechnet die Golfstaaten verfügen über die größten Verflüssigungsanlagen und Transportflotten. Ganz schlecht für Putin, wenn er weiterhin den Krieg in Syrien schüren will und die muslimischen Krim-Tataren erneut vertreiben will. Putin wird sich mit den Gaspreisen zufrieden geben müssen, die ihm die USA und die arabische Welt zugestehen werden. Ein Ausweichen auf andere Kunden ist praktisch nicht möglich. Pipelines lassen sich im Gegensatz zu Tankerflotten zwar abschalten, nicht aber umleiten.

Fazit

Energie ist immer auch Politik. Eine Tatsache, die nach den Erfahrungen der 1970er Jahre mit den sog. „Ölkrisen“ gern wieder verdrängt wurde. In den vergangenen Jahrzehnten gehörte es für jeden Linken (Schröder, Fischer etc.) zu den festen Glaubensgrundsätzen, daß die USA nur „Kriege wegen Öl“ führen. Stets von Schule bis Medien in diesem Glauben geschult, hat man in Deutschland einfach nicht wahrnehmen wollen, welche Veränderungen (gerade) durch Präsident Bush in den USA stattgefunden haben. In einer gigantischen Kraftanstrengung wurde das gesamte Öl- und Gasgeschäft praktisch neu erfunden.

Heute, gilt mehr denn je, der „Fluch der Rohstoffe“. Länder, die über billige Energievorkommen verfügen, aber nicht verstehen, etwas vernünftiges mit den daraus resultierenden Devisenströmen an zu fangen, drohen durch zu viel Geld weiter zu verarmen. Nigeria, Venezuela und Russland sind hierfür typische Beispiele.

Länder, die durchaus energieautark sein könnten (Deutschland z. B. gehört zu den zehn Ländern mit den größten Kohlevorkommen weltweit), können es sich erlauben, „hochwertige Waren“ gegen „billigere Energie“ (volkswirtschaftlich) gewinnbringend zu tauschen. Man — meint zumindest — sogar auf neuere Fördermethoden verzichten zu können (sog. Fracking-Verbot in Deutschland und Frankreich).

Stellvertretend für die Energieversorgung (im Sinne von Energiepolitik) des 21. Jahrhunderts ist die Kernenergie: Der Brennstoff Uran ist überall, preiswert und in beliebigen Mengen erhältlich. Er ist einfach zu lagern. Kernkraftwerke können über Jahre mit einer Brennstoffladung betrieben werden. Die „Kunst“ besteht in der Beherrschung der Technik. Die Ersatzteile, das Fachpersonal und der allgemeine industrielle Hintergrund bestimmen die Versorgungssicherheit. Insofern dürfte sich Russland durch seine Abenteuer in der Ukraine auch aus diesem Geschäftsbereich selbst herauskatapultiert haben.

Zuerst erschienen bei NUKEKLAUS