Die merkwürdige Logik des Zuordnungs (attribution)-Statements des IPCC
Ja, wir befinden uns mitten in (oder vielleicht am Ende, oder vielleicht am Anfang) eines Stillstands hinsichtlich des globalen Temperaturanstiegs. Die Beweise scheinen zuzunehmen, dass die natürliche Variabilität bedeutender ist als in den IPCC-Berichten zuvor angenommen. Und doch wächst das Vertrauen des IPCC in die anthropogene globale Erwärmung.
Nun kenne ich nicht die Findungsprozesse im IPCC dergestalt, dass man von einer komplexen Organisation vielleicht gar nicht sagen kann, ob es überhaupt einen Findungsprozess gibt. Allerdings seien all jene, die glauben, dass das IPCC bei diesem speziellen Thema unwissenschaftlich arbeitet, an etwas Wichtiges erinnert: Trotz der wachsenden Divergenz unterstützen die Beweise zunehmendes Vertrauen in das IPCC-Statement.
•Fehlende Erwärmung seit 1998 und die wachsenden Diskrepanzen zwischen Beobachtungen und Klima-Modellprojektionen.
•Beweise für eine geringere Klimasensitivität auf zunehmende atmosphärische CO2-Konzentrationen
•Beweise, dass der Anstieg des Meeresspiegels zwischen 1920 und 1950 von gleicher Größenordnung ist wie zwischen 1993 und 2012.
•Sich ausdehnende Eisbedeckung um die Antarktis
Auch den folgenden Aussagen aus meiner Anhörung stimmt Nielsen-Gammon zu:
„Viele Beweislinien im AR 5 zeigen, dass der Fall anthropogene Erwärmung schwächer ist als noch im Vorbericht AR 4 aus dem Jahr 2007 dargestellt. Die anthropogene globale Erwärmung ist eine vorgeschlagene Theorie, dessen grundlegender Mechanismus gut verstanden, dessen Größenordnung jedoch höchst ungewiss ist. Die wachsenden Beweise, dass die Klimamodelle das Klima als zu sensitiv hinsichtlich CO2 zeigen, haben Auswirkungen auf die Zuordnung der Erwärmung zum Ende des 20. Jahrhunderts und den Projektionen des Klimas im 21. Jahrhundert.
Wenn der gegenwärtige Erwärmungs-Stillstand natürlicher Variabilität geschuldet ist, dann erhebt sich die Frage, bis zu welchem Grad die Erwärmung zwischen 1975 und 2000 ebenfalls durch natürliche Variabilität verantwortlich ist“.
Nielsen-Gammon gibt dann relativ langatmige Ausführungen zur möglichen Bedeutung der natürlichen internen Variabilität, die ich hier kurz zusammenfasse:
Falls natürliche Zyklen regelmäßig und wiederholt auftreten, wird die Temperaturänderung insgesamt über einen vollständigen natürlichen Zyklus etwa Null sein. Die Erwärmungsphase des Zyklus‘ wird durch die Abkühlungsphase kompensiert. Übrig bleibt der langzeitliche Anstieg verursacht durch den Menschen.
Warum kommt das IPCC zu dem Ergebnis, dass der langzeitliche Anstieg vom Menschen verursacht ist? Die primäre Logik ist wirklich einfach. Von allen Antrieben, die das Klimasystem steuern, war bei weitem der größte während der letzten 60 Jahre die Treibhausgase. An zweiter Stelle auf der Liste steht die Verschmutzung durch Aerosole, die teilweise den Treibhausgasen entgegen wirken. Während der letzten 60 Jahre hatten natürliche Antriebe (Sonne, Vulkane) ebenfalls einen abkühlenden Effekt. Also spielt die Frage über die relative Bedeutung unterschiedlicher Antriebe keine wirkliche Rolle, um den Temperaturanstieg der letzten 60 Jahre zu erklären: der einzige große Antrieb auf der positiven Seite sind die Treibhausgase.
Natürlich reicht es nicht zu sagen, dass Treibhausgase die Temperatur in die richtige Richtung lenken. Die Größenordnung spielt natürlich auch eine Rolle. Auch hier sagt uns der Stillstand, dass es einen bedeutenden positiven Antrieb außer Treibhausgasen gibt. Je kleiner die Erwärmungsrate, umso geringer die Möglichkeit, dass ein separater, zusätzlicher Grund für die Erwärmung übersehen wird. Daher ist die meiste oder die gesamte Erwärmung den Treibhausgasen geschuldet.
Curry hat recht mit ihrer Aussage, dass der Stillstand und die zunehmenden Abweichungen zwischen Modellen und Beobachtungen beweisen, dass die Modelle die Antriebsanteile, vor allem CO2, zu sensitiv modellieren. Sie hat auch recht, dass die Beweise dafür immer stärker werden, dass vieles der Erwärmung vor dem Jahr 2000 natürlichen Ursprungs war, je länger und größer die Abweichung wird. Gleichzeitig werden auch die Beweise dafür immer stärker, dass die Modelle die zukünftige Erwärmung überschätzen. Um diese Fragen zu klären, bedarf es der Evaluation aller verfügbaren Beweise, nicht nur die letzten 60 Jahre des Temperaturverlaufs. Dazu wird einen weiteren Blogbeitrag geben.
Aber der Punkt ist Folgender: Falls sich über 60 Jahre die natürliche Variabilität zu Null mittelt, spielt es keine Rolle, wie stark diese natürliche Variabilität zu Buche schlägt im Vergleich zur vom Menschen verursachten Klimaänderung – übrig bleibt der menschliche Anteil. Folglich kann und sollte das IPCC es als extrem wahrscheinlich ansehen, dass der menschliche Einfluss den Gesamt-Temperaturanstieg während der letzten 60 Jahre dominiert.
Falls man an eine starke natürliche Variabilität glaubt und man das IPCC kritisieren möchte, könnte man sich darüber beklagen, dass sie ihre Schätzungen der Klimasensitivität nicht ausreichend reduzieren, oder dass sie nicht angemessen auf die zunehmenden Beweise für die natürliche Variabilität eingehen, wenn es um deren Einfluss auf die Temperatur von Jahrzehnt zu Jahrzehnt geht. Aber nichts davon, und keine der von Curry oder wem auch immer angeführten Beweise, die ich gesehen habe, reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Temperaturänderung während der letzten 60 Jahre oder so zumeist anthropogenen Ursprungs war.
Kommentar von J. C.: Hier auf die Schnelle ein Kommentar zu dem genannten Argument relativ zu dem Wellenstadium [stadium wave {?}]. Erstens ist das Wellenstadium ein Element der natürlichen internen Variabilität, speziell für multidekadische Zeiträume (es sagt nichts über die interne Variabilität in längeren Zeiträumen). Selbst im Maßstab von dekadischen bis multidekadischen Zeiträumen gibt es eine zusätzliche natürliche Variabilität, die nicht vom Wellenstadium erfasst wird, namentlich die NAO/AO (die auch nicht vollständig ein rein interner Zustand sein kann).
Erörterung der Klima-Ungewissheit
Nielsen-Gammon und ich stimmen hinsichtlich der Beweise erster Ordnung überein, die ich in meiner Anhörung vorgebracht habe. Wie kommt es dann, dass wir hinsichtlich des Zuordnungs-Statements des IPCC bzgl. der Erwärmung seit 1950 so weit auseinander liegen? Diese Aussage von N-G bringt es auf den Punkt:
Nun kenne ich nicht die Findungsprozesse im IPCC dergestalt, dass man von einer komplexen Organisation vielleicht gar nicht sagen kann, ob es überhaupt einen Findungsprozess gibt.
Die IAC-Begutachtung des IPCC beanspruchte Transparenz bei der Erörterung zur Abschätzung des Vertrauens. Ich stimme N-G zu, dass dieser Vorgang beim IPCC nicht transparent war.
Also zurück zur ursprünglichen Frage: wie können verschiedene Individuen oder Organisationen auf die gleichen primären Beweise schauen und zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen? Einsicht gibt hier meine 2011 veröffentlichte Studie in einer Sonderausgabe zur Klimaänderung mit dem Titel Reasoning about Climate Uncertainty, die ich in einem Satz zusammen fassen kann:
Wie man Ungewissheiten im komplexen Klimasystem und seiner Computer-Simulationen analysiert, ist nicht einfach oder offensichtlich.
Argumentation von J.C. über die Zuordnung
Die Logik hinter meinen Ausführungen ist Folgende:
Nach der Art und Weise, mit der das Zuordnungs-Argument des IPCC ausgebreitet wird, gibt es zwei mögliche Gründe der Klimaänderung seit 1950: anthropogener Antrieb und natürliche Variabilität. Die Summe dieser beiden Beiträge ist 100%; das Hauptinteresse ist die jeweilige relative Prozentzahl zwischen anthropogenem und natürlichem Antrieb.
Das IPCC äußert sich mit extremer Sicherheit, dass ‚der größte Teil‘ der Erwärmung anthropogenen Antrieben zugeordnet werden kann, und ich verstehe unter ‚der größte Teil‘ eine Bandbreite von 51 bis 95 Prozent. Das IPCC erkennt implizit, dass das Thema Zuordnung ungewiss ist, weil keine Verteilung der Werte oder eine ‚beste Schätzung‘ angegeben wird. Vielmehr nennen sie einen eingeschränkten Bereich mit etwa 44%.
In Abwesenheit eines überzeugenden theoretischen Grundes für die untere Grenze 51% gehe ich davon aus, dass das IPCC eine Wahrscheinlichkeit von unter 60% für den anthropogenen Antrieb gar nicht betrachtet; anderenfalls wäre es schwierig zu argumentieren, dass die untere Grenze nicht gebrochen werden würde. Zur Zeit des Erscheinens des AR 4 hatte ich in Gesprächen mit den IPCC-Leitautoren das Gefühl, dass die meisten Wissenschaftler dachten, der anthropogene Beitrag läge über 90% (das ist meine subjektive Einschätzung; ich wäre interessiert an anderen Bewertungen hiervon).
Um nun also irgendwo mit meiner Argumentation anzufangen, möchte ich mit diesem Abriss aus dem IPCC AR 5-Statement zur Zuordnung seit 1950 beginnen:
anthropogen: 75%
natürlich: 25%
Die Elemente größter Sicherheit in diesem Argument sind die Komponenten des anthropogenen Antriebs. Die Elemente größter Unsicherheit sind die Sensitivität von CO2 (und die schnellen thermodynamischen Rückkopplungen), die natürliche interne Variabilität sowie auch Unbekannte wie z. B. solare Effekte.
Die Ungewissheit hinsichtlich der Sensitivität von CO2 wird vom IPCC anerkannt durch die Herabsetzung der unteren Grenze in ihrer ‚Wahrscheinlichkeits‘-Bandbreite; dies deutet auf eine Verringerung des Anteils des menschlichen Beitrags bei der Zuordnung. Der ‚Stillstand‘ lässt die Bedeutung der natürlichen internen Variabilität zunehmen. Andere Daten reflektieren die Bedeutung der natürlichen internen Variabilität, die N-G als nicht relevant eingestuft hat: Die Bedeutung der natürlichen Variabilität des Meeresspiegel-Anstiegs im 20. Jahrhundert, angezeigt durch die Spitze (bump) zur Mitte des Jahrhunderts, und die Bedeutung der natürlichen internen Variabilität bei der Bestimmung der Meereis-Ausdehnung in Arktis und Antarktis. Hinsichtlich des Rückgangs des arktischen Meereises habe ich im AR 5, Kapitel 10, das folgende Statement entdeckt:
Der Vergleich vom CCSM4-Ensemble mit beobachteten Trends zeigt, dass die interne Variabilität etwa die Hälfte des Eisrückgangs zwischen 1979 und 2005 ausgelöst haben könnte.
Also … All diese Beweise sprechen für eine Verringerung des anthropogenen Beitrags und für einen höheren Beitrag der natürlichen Variabilität, und ich würde sagen, dass diese Erniedrigung nicht als trivial angesehen werden sollte. Ja, die 44% bieten viel Raum für Spekulation, aber es ist nicht unvernünftig, auf der Grundlage der vom IPCC gelieferten Beweise zu sagen, dass die anthropogene Komponente unter 70% und sogar unter 60% gefallen ist. In dieser Hinsicht scheint das Setzen einer Untergrenze des extremen Vertrauens auf 51% unhaltbar. Vor allem im Hinblick auf Unbekannte wie indirekten solaren Einflüssen.
Die Betrachtungsweise von N-G hinsichtlich der Relativ-Beiträge von natürlichen bzw. anthropogenen Antrieben habe ich hier in etwa auch angewandt, aber nicht genau. Ich bin folgendermaßen vorgegangen: Man betrachte zwei Perioden: 1975 bis 1998 (Erwärmung) und 1998 bis 2013 (Stillstand). Jetzt bringe man die Prozentanteile der natürlichen Variabilität (unter der Annahme von Erwärmung in der ersten und Abkühlung in der zweiten Periode) und den anthropogenen Antrieb ins Spiel, berücksichtige die relative Länge beider Perioden und schaue dann, welcher Prozentanteil-Rückgang für beide Perioden bedeutet. Und welche Implikationen sich aus einer weiteren Verlängerung des Stillstands um 10 Jahre ergeben. Man wird keine Zahlen erhalten, die über 75% für anthropogene Antriebe liegen.
Falls man mir eine Bandbreite von 44% als Arbeitsgrundlage gegeben hätte, würde ich die anthropogene Bandbreite zwischen 28% und 75% ansetzen. Meine Bandbreite überlappt sich mit der IPCC-Bandbreite von 51% bis 70%, aber ich lasse auch Zahlen unter 50% zu. Die hauptsächlichen Unsicherheiten scheinen alle in Richtung eines zunehmenden Beitrags durch natürliche Variabilität zu deuten.
Unter dem Strich: Mit der wachsenden Erkenntnis über die Bedeutung der natürlichen Variabilität ist es immer schwieriger, die unterste Grenze von 51% für den anthropogenen Antrieb aufrecht zu erhalten. Folglich sehe ich die behauptete Vertrauenszunahme auf ‚extrem wahrscheinlich‘ als nicht gerechtfertigt an.
Aktualisierung: N-G ist am Ende seines Beitrags auf diesen Essay eingegangen. Er klärt definitiv die Unterschiede in unserer Argumentation. Ohne über seine neuen Antworten ins Detail zu gehen, folgen hier einige seiner Statements.
Die relevante Frage für Politiker lautet, wie viel der jüngsten Erwärmung natürlichen natürlichen bzw. anthropogenen Ursprungs ist. Angesichts des Umstands, dass der anthropogene Antrieb sowohl positiv als auch negativ wirken kann, und dass auch die natürliche Variabilität zu verschiedenen Zeiten positiv oder negativ wirken kann, ist es wenig sinnvoll, die Relativbeiträge von Mensch bzw. Natur hinsichtlich der Erwärmung seit 1950 abzuschätzen (und die Erwärmung hat nicht vor 1975 begonnen).
Die Bedeutung des Wörtchens ‚most’ bietet viel Spielraum zur Interpretation. Klugerweise heißt es im AR 5 ‚über die Hälfte‘ anstatt ‚most‘. N-G sagt, dass dies bis zu 100% geht und dass der AR 5 als beste Schätzung 100% für den natürlichen Beitrag feststellt. Falls das stimmt, warum hat der AR 5 dann nicht von ‚nahezu alles‘ anstatt ‚über 50%‘ gersprochen?
N-G sagt: Wenn man beiden eine Bandbreite beimisst, haben sie ihren wahrscheinlichsten Wert irgendwo in der Mitte dieser Bandbreite. Um des Argumentes willen würde 51% bis 135% eine vernünftige Bandbreite sein.
Diese Art der Argumentation, bei der der anthropogene Beitrag 100% übersteigen soll, scheint mir sinnlos, selbst wenn man lediglich auf den Zeitraum 1975 bis 2000 schaut, in dem es einen eindeutigen Erwärmungstrend gibt. Es ist etwas, das aus der Übersensitivität der Modelle hinsichtlich des CO2-Antriebs kommt in Verbindung mit einer Übersensitivität bzgl. Aerosole.
Link: http://judithcurry.com/2014/01/23/the-logic-of-the-ipccs-attribution-statement/
Übersetzt von Chris Frey EIKE