Die gesammelten Märchen der Gebrüder Grün!
In den letzten Monaten hat sich in journalistischen Kreisen der Begriff der „Generation G“ etabliert, wobei G hier für Greenpeace, Gender und Gerechtigkeit steht. Etwas ironischer ist schon der Begriff des Bionade-Biedermeier, der von Henning Sussebach 2007 für die urbane Szene des Prenzlauer Bergs geprägt wurde. Für das Massenphänomen der Vergrünung des Zeitgeistes sind das zwei passende Beschreibungen. Für den einzelnen Menschen erlaube ich mir jedoch, den Begriff der „grünen Seele“ zu prägen.
Man muss weder Mitglied bei Greenpeace sein, noch im Prenzlauer Berg wohnen, um sich selbst als grün und fortschrittlich zu halten. Ein ausgeprägter deutscher Ordnungssinn und die Überzeugung, die Welt vor der Klimakatastrophe retten zu müssen, reichen schon völlig aus, um das rechtschaffene grüne Gewissen unabhängig von Partei- und Milieuzugehörigkeit zu besitzen. Die grünen Seelen sind unter uns, einkommens- und schichtenübergreifend. Was alle grünen Seelen verbindet, ist der elitäre Standesdünkel zu den Gerechten, Engagierten und Wissenden zu gehören.
Es gibt einige Begriffe, die sind so deutsch, dass sie auch in andere Sprachen Einlass gefunden haben. Das Waldsterben gehört ebenso dazu wie der Begriff des Spießers. Nun verbindet man gemeinhin mit dem Spießer einen Menschen, meistens männlich, mit hässlichen Socken und fleischfarbenen Sandalen, der sich mit Inbrunst Regelwerken unterwirft und aus dieser Unterwerfung das Gefühl der eigenen Rechtschaffenheit zieht. Der Spießer ist ausgestattet mit dem Wohlgefühl des guten Gewissens, fühlt sich von den nachlässigen Menschen jedoch ständig bedroht und in Frage gestellt, weswegen sein gutes Gewissen sehr schnell in Aggressivität umschlagen kann, sollte er eines Regelverstoßes ansichtig werden.
Dieser deutsche Spießer wurde von den grünen Seelen perfekt internalisiert, verjüngt und modernisiert. Er trägt jetzt markenbewusst Treckingschuhe von Jack Wolfskin und das Regelwerk, dem er sich mit Inbrunst unterworfen hat, dient der Rettung der Welt: Mülltrennung, Energieersparnis, CO2-Vermeidung. Und eine weitere Veränderung ist eingetreten: der grüne Spießer ist mindestens so weiblich, wie er auch männlich ist. Das gute Gewissen, das sich ständig bedroht fühlt, und die jederzeit abrufbare Aggressivität sind geblieben.
Wie bei allen Seelenfragen, die das Innere des Menschen berühren, sind die Übergänge vom Wahn zum sozialen Konsens fließend. Erst der gesellschaftliche und parteiübergreifende Konsens des grünen Gewissens bereitet den Rahmen, in dem Wahnvorstellungen schleichend immer mehr Raum zugestanden wird, bis schließlich der Wahn als Konsens gilt. Die Vergrünung aller gesellschaftlichen Schichten und fast aller Parteien hin zum grünen Wahn ist die viel interessantere Geschichte, als die Grüne Partei als Singulärphänomen zu begreifen.
Der grünen Seele ist das Wahnmoment bereits eingepflanzt, lange noch bevor es gesellschaftlich konsensfähig ist. Es ist eine Mischung aus Verschwörungstheorie und Verfolgungswahn. Denn die grüne Seele wähnt sich zwar moralisch überlegen, mit ihrem durch und durch basisdemokratischen und moralisch- integrem Instrumentarium aber lebt sie in ständiger Angst vor den Mächtigen, die ja vermeintlich keine Moral haben, dafür aber – wie der Begriff schon vermuten lässt – die Macht. Denn eines der entscheidenden Merkmale der grünen Seele ist das der Rolle des verfolgten Opfers, das sich zu wehren beginnt. Erst dieses Merkmal gibt Greenpeace, Gender und Gerechtigkeit den „Drive“, den sie inzwischen gesellschaftlich erhalten haben. Es ist der Kampf Davids gegen Goliath, der vor allem in unseren postheroischen Zeiten noch den einzigen Anlass bietet, sich als Held fühlen zu können.
Anlässlich des schlechten Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl 2013 meinte der Spitzenkandidat Jürgen Trittin erklären zu müssen, dass „in diesem Wahlkampf wir Grünen nicht nur von Seiten der politischen Konkurrenz, sondern auch und gerade von mächtigen Interessengruppen in diesem Lande einem massiven Gegenwind ausgesetzt“ waren. Dabei ignoriert er beflissentlich, dass nicht nur die deutsche Journaille überproportional grünenfreundlich eingestellt ist, sondern auch mit der Energiewende ein ständig wachsender ökologisch- industrieller Komplex entstanden ist, der durchaus gegen die im Verschwinden begriffene „Atom-Lobby“ anstinken kann.
Es ist nicht der reale Opferstatus, der die Grünen auszeichnet, sondern der gefühlte. So entsteht in der grünen Seele die merkwürdige Mischung, zum einen den Pazifismus als glücksbringendes Ideal ausgerufen zu haben, zum anderen aber – sozusagen als Triebabfuhr – sich in einem permanenten Kriegszustand mit den bösen Mächten aus Industrie und Politik zu befinden. Unter Zuhilfenahme der dem imaginierten Opfer spezifischen Angst vor Unterlegenheit wird ein schreckliches Zukunftsszenario an die Wand gemalt, das jeden Kampf in die religiöse Sphäre des „Gut oder Böse“ erhebt. Die emotionale Inbrunst, mit der selbst läppische Probleme angegangen werden – von der Mülltrennung bis hin zur Gendergerechtigkeit -, erinnert an die pubertär geführten Taschengeldauseinandersetzungen der Adoleszenz. Dieser leicht infantile Schrecken über die vermeintlichen Ungerechtigkeiten des Lebens lebt in der grünen Seele fort.
Dabei ist die grüne Seele nicht notwendigerweise jung. Definiert man Jungsein als Dynamik, unbändige Kraft und Bejahung aller Lebensprozesse, ist die grüne Seele eher sogar eine alte und verschlissene Seele, die dem Fortschritt und der Moderne kritisch gegenüber steht und in der Lebenslust etwas Gefährliches, Unmoralisches und Verschwenderisches sieht. Kein Wunder also, dass es die Partei der Grünen geschafft hat, vor allem in bürgerlichen Kreisen stark zuzulegen und die überwiegende Zahl ihrer Anhänger aus der Beamtenschaft rekrutiert.
Über den Autor
Markus Vahlefeld
geboren 1966 in Hong Kong – aufgewachsen in Hamburg – Abitur in Washington, D.C. – Studium der Philosophie in Bonn, Barcelona und Berlin – tätig als Fotograf, Texter und Autor vornehmlich in der Genussbranche – wohnhaft in Köln und einem beschaulichen Weindorf im Rheinhessischen
Mehr dazu auf: http://www.der-gruene-wahn.de