Wie man eine halbe Billion Euro verliert: Europas Stromversorger stehen vor einer existenziellen Bedrohung
Das Problem besteht darin, dass Kern- oder Braunkohlekraftwerke auf Volllastbetrieb angelegt sind und nicht ohne Weiteres ihre Erzeugung verringern können, während die zusätzliche Energie aus Sonne und Wind frei ist. Die Last der Anpassung liegt also bei Gas- und Kohlekraftwerken, deren Output auf lediglich 10% der Kapazität fiel.
Diese Ereignisse waren ein Mikrokosmos der Änderungen, die alle Gebiete betreffen, in denen erneuerbare Energiequellen immer wichtiger werden – Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen. Für Umweltaktivisten sind diese Änderungen ein Triumph. Erneuerbare Low-Carbon-Energie bekommt einen immer größeren Anteil an der Erzeugung. Das hilft, den Großhandelspreis zu senken und könnte eines Tages zu großen Reduktionen von Treibhausgas-Emissionen führen. Für etablierte Unternehmen jedoch ist das eine Katastrophe. Ihre Gaskraftwerke werden durch erneuerbare Energiequellen beiseite gedrängt. Sie verlieren Geld durch die Stromerzeugung. Sie machen sich Sorgen, dass das Wachstum von Solar- und Windenergie das Netz destabilisiert und zu Blackouts führen kann. Und sie weisen darauf hin, dass man keinen normalen Betrieb laufen lassen kann, in dem die Kunden für einen Service abhängig vom Verbrauch zahlen, wenn die Preise negativ werden. Kurz gesagt, argumentieren sie, das Wachstum der erneuerbaren Energie unterminiert die etablierte Stromversorgung und ersetzt sie durch etwas weniger Zuverlässiges und viel Teureres.
Strom schwächer
Die Schwäche der europäischen Stromversorger war mit Sicherheit alarmierend. Auf ihrem Höhepunkt waren die obersten 20 Versorger etwa 1 Billion Euro wert. Jetzt sind sie nur noch die Hälfte wert (siehe Graphik 1). Seit September 2008 haben die Energieversorger im Bereich Verluste des Morgan Stanley-Index’ globaler Aktienkurse am schlechtesten abgeschnitten. 2008 hatten die obersten 10 europäischen Einrichtungen alle eine Kreditwürdigkeit von A oder besser. Jetzt ist dies nur noch bei 5 Unternehmen so.
Am weitesten fortgeschritten ist der Verfall in Deutschland, wo Strom aus erneuerbaren Quellen am schnellsten zugenommen hat. Der größte Stromversorger des Landes, E.ON, musste einen Verfall seiner Anteilspreise um drei Viertel seit dem Spitzenwert hinnehmen, und das Einkommen aus der konventionellen Stromerzeugung (fossile Brennstoffe und Kernkraft) fiel seit 2010 um mehr als ein Drittel. Der Umsatz des zweitgrößten Versorgers RWE ist ebenfalls seit 2010 um ein Drittel zurückgegangen. Der Finanzchef des Unternehmens klagt: „Die konventionelle Stromerzeugung kämpft als Geschäftsbereich um ihr ökonomisches Überleben“.
Die Unternehmen wären in jedem Falle in Schwierigkeiten gekommen, egal was mit den Erneuerbaren ist. Während des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts haben die europäischen Unternehmen zu viel in die Erzeugungskapazität aus fossilen Brennstoffen investiert, was diese Erzeugung um 16% in Europa als Ganzem verstärkt hat. In einigen Ländern war es noch viel mehr (Spanien z. B. 91%). Der Strommarkt ist aber nicht einmal annähernd um diese Größenordnung gewachsen, selbst in guten Zeiten. Dann hat die Finanzkrise auf die Nachfrage durchgeschlagen. Der International Energy Agency IEA zufolge wird die Gesamtnachfrage in Europa zwischen 2010 und 2015 um 2% abnehmen.
Verschärft wurden diese Probleme durch zwei Einflüsse von außerhalb. Das erste war die Havarie in Fukushima. Dadurch war die Regierung von Angela Merkel in Panik geraten und hat die sofortige Schließung von acht Kernkraftwerken und bis 2022 die Schließung der übrigen 9 in Deutschland verfügt. So abrupt kam diese Änderung, dass sich die Nackenschläge für die Unternehmen verstärkten, obwohl viele dieser Kraftwerke später ohnehin geschlossen werden sollten.
Das andere Problem war der Schiefergas-Boom in Amerika. Dies wirkte sich direkt auf die europäische Kohle aus, die zuvor in Amerika verbrannt worden war, und die Kohlepreise sanken im Vergleich zu den Gaspreisen. Gleichzeitig verfiel der Kohlenstoffpreis, weil es zu viele Zertifikate gab, die die Emission von Kohlenstoff im europäischen Emissions-Zertifikatehandel erlauben würden, und die Rezession führte zu einer geringeren Nachfrage. Das hat die Strafen für die Verbrennung von Kohle reduziert, die Umsatzvorteile von Kohlekraftwerken erhalten und Gaskraftwerke ins Hintertreffen geraten lassen. Gérard Mestrallet, leitender Direktor des größten Stromerzeugers der Welt GDF Suez, sagt, dass 30 GW durch Gas erzeugter Kapazität seit dem Spitzenwert eingestampft worden sind, einschließlich brandneuer Kraftwerke. Die Zunahme der Kohleverbrennung hat die Kohlenstoff-Emissionen in Deutschland während der Jahre 2012 und 2013 steigen lassen, also das Gegenteil dessen erreicht, was beabsichtigt war.
Darum wären die Gas- und Kernkraftanteile der Stromerzeuger selbst vor dem Boom der Erneuerbaren in Schwierigkeiten geraten. Das Wachstum von Wind und Solar hat diesen Vorgang nur verstärkt. Die Kapazität der Erneuerbaren (die viel größer ist als der Output) macht fast die Hälfte der Stromerzeugungs-Kapazität in Deutschland aus; in Spanien und Italien ist es etwa ein Drittel. Die Gesamtkapazität einschließlich der Erneuerbaren liegt weit über der Spitzennachfrage in allen drei Ländern. Daher haben die Erneuerbaren ganz stark zu der Überversorgung beigetragen.
Exzessive Erzeugung plus verringerte Nachfrage gleich niedrigere Preise. Die Strompreise sind von über 80 Euro pro MWh zu Spitzenzeiten im Jahr 2008 in Deutschland auf nur noch 38 Euro pro MWh heute (siehe Graphik 2). Das sind Großhandelspreise. Der Preis für die Haushalte beläuft sich auf 285 Euro pro MWh, ist also einer der höchsten der Welt. Teilweise liegt das daran, dass darin die Subventionen für die Erneuerbaren enthalten sind, die pro Energieeinheit eineinhalb mal so hoch sind als der Strompreis selbst). Mit dem Fallen der Großhandelspreise fiel auch die Rentabilität der Kraftwerke. Bloomberg New Energy Finance (BNEF) zufolge verlieren 30 bis 40% der konventionellen RWE-Kraftwerke Geld.
Aber das ist nur die Hälfte. Die Erneuerbaren haben nicht nur die Strommenge unter Druck gesetzt. Sie haben das etablierte Geschäftsmodell der Versorger transformiert. Direktor Michael Liebreich von BNEF vergleicht es mit den Telefon-Unternehmen in den neunziger Jahren oder heutzutage mit den Zeitungen, die durch das Internet unter Druck geraten: „es ist eine existenzielle Bedrohung!“ sagt er.
Maximale Bestrafung
In den achtziger Jahren war die Stromversorgung eine relative einfache Angelegenheit. Man garantierte eine konstante Stromversorgung auf der Basis von Kohle, Kernkraft (falls gewünscht) oder Wasserkraft (falls verfügbar). Diese Kraftwerke konnte man rund um die Uhr in Volllast betreiben. Aus technischen Gründen lassen sich Kohle- und Kernkraftwerke nicht einfach herunter fahren. Das sorgte für die Grundlastversorgung (die stets benötigte Menge). Um zusätzlichen Strom zu Spitzenlast-Zeiten zu erzeugen (beispielsweise am frühen Abend), hatte man Kraftwerke, die einfacher hoch- und herunter geregelt werden konnten wie z. B. Gaskraftwerke. Stellt man sich eine Verteilung der Stromversorgung über einen Tag vor, sieht es aus wie eine Schichttorte: Die unterste Schicht ist flach (Kernkraft, Kohle usw.), die obere Schicht (Gas) ist gewellt.
Die Liberalisierung des Strommarktes hat dieses einfache, geordnete System hinweg gefegt. Kraftwerke erzeugten Strom nur noch angepasst an den marginalen Strompreis. Das Aufkommen erneuerbarer Energie hat diese Änderungen dann wesentlich beschleunigt. Erneuerbare haben „Netz-Priorität“, das heißt, den so erzeugten Strom muss das Netz bevorzugt aufnehmen. Das ist eine legale Forderung, um die erneuerbare Energie in Europa voranzubringen. Aber sie ist auch logisch: Da die Marginalkosten von Wind und Sonne Null sind, würden die Netze diese Energie ohnehin zuerst aufnehmen. Also kommt die erneuerbare Energie am unteren Ende der Schichttorte ins Spiel. Aber anders als die schon bestehenden Grundlastversorger (Kernkraft und Kohle) sind Wind- und Solarenergie unregelmäßig und ändern sich mit dem Wetter. Dadurch wird die Grundschicht der Schichttorte ebenfalls wellig.
Wenn jetzt die Nachfrage schwankt, könnte es nicht ausreichen, lediglich den Output von Gas-Generatoren zu senken. Einige Kraftwerke müssten vielleicht komplett abgeschaltet und Kohlekraftwerke herunter gefahren werden. Genau das passierte am 16. Juni. Das ist teuer, weil es schwierig ist, Kohlekraftwerke herunter zu regulieren. Das macht die Strompreise volatiler. Und es hat auf die Profite verheerende Auswirtungen.
Unter dem alten System war der Strompreis zu Spitzenlastzeiten auf Spitzenwerte gestiegen (um die Mittagszeit und am frühen Abend). Nachts fiel der Preis mit der sinkenden Nachfrage. Die Unternehmen haben ihr ganzes Geld während der Spitzenlastzeiten verdient. Aber um die Mittagszeit ist die solare Stromerzeugung maximal. Dank der erzwungenen Bevorzugung reißt der Solarstrom ein großes Stück aus diesem Kuchen der Spitzennachfrage, was die Preisspitze eliminiert hat. Dem Fraunhofer-Institut für Solarenergie zufolge hatte der Strompreis im Jahre 2008 während der Spitzenlastzeiten 14 Euro pro MWh über dem Grundlastpreis gelegen. Während der ersten sechs Monate des Jahres 2013 betrug dieser Preisunterschied nur 3 Euro. Fazit: der mittlere Strompreis ist seit 2008 nicht nur um die Hälfte gefallen, sondern die Spitzenlastpreise sind um fast vier Fünftel gesunken. Kein Wunder, dass die Versorger derartig in Schwierigkeiten stecken.
Aber es wird noch schlimmer kommen. Die Kombination von Nachfrage in Europa und Investitionen in China haben die Preise für Solarpaneele seit 2006 um fast zwei Drittel abstürzen lassen (siehe Graphik 3). In Deutschland sind die Kosten für die Erzeugung eines Megawatts Strom mittels Solarpaneele auf 150 Euro gefallen. Das liegt über den Großmarktpreisen, aber unter den festgesetzten Preisen für die Erneuerbaren und unter den Preisen für die Haushalte. Das bedeutet, dass die solare Stromerzeugung selbst dann noch steigen kann, wenn die neue Regierung in Deutschland die Subventionen für Erneuerbare kürzt. Die Herausforderungen für die alten Unternehmen steigen.
Mehr noch, während der letzten paar Jahre haben sich die Versorger abgesichert und zwei Drittel ihres erzeugten Stromes ein bis drei Jahre im Voraus verkauft (d. h. sie bekommen die Preise aus dem Jahr 2010 für heute gelieferte Energie). Das hat sie vor der vollen Auswirkung der jüngsten Preisrückgänge bewahrt. Diese Verträge laufen 2014 oder 2015 aus. Der Direktor von E.ON sagte kürzlich: „Für die Jahre 2013 und 2014 ist keine Erholung in Sicht“.
Bereiche Holz und Wind
Die Versorger sind angesichts dieser Probleme nicht machtlos, und sie werden nicht alle gleich stark betroffen. Die sechs großen britischen Versorger beispielsweise waren geschützt durch langfristige Preisabkommen mit dem Regulator, obwohl ihre Profite mager bleiben.
Einige Versorger sind selbst in das Geschäft mit den Erneuerbaren eingestiegen. Drax, früher das größte Kohlekraftwerk in UK, ist konvertiert worden zur Verbrennung von Holzpellets. Andere Versorger investieren in großem Umfang in Offshore-Windparks.
Aber im Großen und Ganzen waren die großen Versorger sehr zögerlich mit Investitionen. In Deutschland beispielsweise gehören nur 7% der erneuerbaren Kapazität den Stromversorgern. Das Problem liegt darin, dass die Solarenergie sich so total von dem unterscheidet, woran sie gewöhnt sind. Der althergebrachte Versorger besitzt ein großes teures Kraftwerk mit einer Kapazität von 1 bis 1,5 GW. Das Kraftwerk befindet sich in der Mitte eines strahlenförmig nach allen Seiten sich ausbreitenden Netzes. Der Solarstrom unterscheidet sich davon. Photovoltaik-Paneele sind billig, klein (ein solches mittlerer Größe kann eine Kapazität von lediglich 10 MW haben) und in einem Netzwerk angeordnet, nicht als Mittelpunkt eines Rades mit Speichen.
Die Versorger könnten die erneuerbare Energie etwas ernster nehmen, aber im Moment ändert sich kaum etwas. Stattdessen reagieren die Versorger auf ihre Probleme, indem sie sich von der Stromerzeugung verabschieden und in „Downstream“-Aktivitäten [?] einsteigen wie z. B. durch das Anbieten von Beratung der Kunden. Während der letzten Monate hat Vattenfall, der größte Versorger Schwedens, 6% seiner Gewinne abgeschrieben, und drei deutsche Stromriesen, E.ON, RWE und EnBW haben angekündigt, ihre Kapazität um über 15 GW zu kürzen. Am weitesten ist EnBW hinsichtlich der Aussichten für die Zukunft gegangen. Das Unternehmen sagt, dass der Verdienst aus der Stromerzeugung von 2012 bis 2020 um 80% zurückgehen wird, abgesetzt von höheren Verdiensten durch Energie-Serviceleistungen und Erneuerbare. „Wir müssen überdenken, welche Rolle wir spielen und welchen Platz wir im Sektor Energie einnehmen“, sagt der Boss Frank Mastiaux.
Saubere Trennung
Für die Unternehmen sind die Änderungen und abstürzende Anteilspreise offensichtlich besorglich. Aber sollte sich sonst noch jemand darum kümmern? Amory Lovins vom Rocky Mountains Institute, einer amerikanischen Denkfabrik, sagt: „In Deutschland hat sich ein Geschäftsfeld mit Low-Carbon-Energie gebildet, und zwar bis zu einem Punkt, an dem der weitere Zubau von Solarenergie wenige Subventionen braucht; an dem Großmarktpreise fallen und die Bedrohung für die Verlässlichkeit des Netzes bisher nicht materialisiert haben“. Wo also liegt das Problem?
Da gibt es viele verschiedene Antworten. Erstens mussten die Versorger massive Verluste bei der Bewertung der Gewinne hinnehmen. Ihr Marktkapital ist innerhalb von fünf Jahren um 500 Milliarden Euro gesunken. Das ist mehr als die europäischen Bankanteile im gleichen Zeitraum verloren haben. Diese Verluste spielen unmittelbar eine Rolle. Für Pensionsfonds und andere Investitionen repräsentieren sie verlorenes Kapital und geringere Verdienste in der Zukunft. Für Beschäftigte bedeuten sie geringere Löhne und Arbeitsplatzverluste. Die Verluste – von denen viele dem Boom der erneuerbaren Energie vorausgegangen waren – addierten sich zu den gewaltigen Summen, die die Europäer auch für die Politik hinsichtlich der Klimaänderung ausgeben. Die Subventionen für erneuerbare Energie bewegen sich um 16 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland (Tendenz steigend); die kumulativen Kosten betragen etwa 60 Milliarden Euro.
Als nächstens haben die Versorger ihre Rolle als Investoren verloren. Einst waren sie gleichmäßig in Betrieb, zuverlässig und resistent gegen Inflation, die Schatzkammer der USA der Kapitalmärkte. Pensionskassen brauchen dieses Kapital, um ihre langfristigen Verpflichtungen auszubalancieren. Aber die Versorger spielen diese Rolle nicht mehr, was nicht nur die kollabierenden Anteilspreise zeigen, sondern auch die Politik bzgl. Dividenden. Bis zum Jahr 2008 folgten die Gewinne von RWE und E.ON den deutschen 10-Jahres-Bonds. Seitdem sind sie auf etwa 10% gestiegen, während die Gewinne der Regierungs-Bonds gleich geblieben sind. Erneuerbare sind nicht die einzigen riskanten Investitionen.
Am wichtigsten ist aber, dass das abwärts gerichtete Schicksal der Versorger verstörende Fragen aufwirft über die Zukunft des Stromsystems in Europa. Vereinfacht gesagt: Die europäischen Staaten fügen allmählich ein System zusammen, in dem es immer mehr Low-Carbon- und schwankende Energiequellen gibt; mehr Energieversorger, mehr moderne Kraftwerke und mehr Energie, die über Grenzen hinweg gehandelt wird. All dies wird zusammengehalten durch „Smart Grids“, die den Verbrauchern sagen, wie viel Energie sie verbrauchen, die Geräte abschalten, wenn sie nicht gebraucht werden und die Nachfrage effizienter gestalten.
In einer solchen Welt spielen die althergebrachten Versorger zwei vitale Rollen. Sie sind einmal die Stromerzeuger, wenn alle Stricke reißen und stellen sicher, dass die Lichter nicht ausgehen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und sie werden Investoren sein, wenn es um den Bau eines ganz neuen Netzes geht. Es ist nicht klar, ob die Lage der Versorger gut genug ist, auch nur eine solche Rolle wahrzunehmen.
Bislang haben sie es vermocht, Backup-Strom zur Verfügung zu stellen, und das Netz ist nicht zusammengebrochen, selbst im sonnen- und windverrückten Deutschland [!]. Tatsächlich ist das deutsche Netz zuverlässiger als die meisten anderen (die Länder führen einen Zuverlässigkeits-Index: Deutschland liegt in Europa mit an vorderster Stelle). Die Grünen weisen daher Bedenken zurück, dass die Erneuerbaren die Stabilität des Netzes unterminieren. Sie verweisen darauf, dass es in einem Netz von Wind- und Solarparks über ganz Europa immer irgendwo Gebiete gibt, in denen es windig oder sonnig genug ist, sie zu betreiben, zumindest tagsüber.
Vielleicht. Aber wie die Preissprünge in Deutschland zeigen, wird es immer schwieriger, die Netzstabilität zu gewährleisten. Die Versorger werden nicht dafür belohnt, die variable Natur von Wind und Solar auszugleichen. Und dies passiert zu einer Zeit, in der die erneuerbare Energie im Mittel etwa 22% der Energienachfrage in Deutschland deckt. Niemand weiß wirklich, was passiert, wenn Erneuerbare einen Marktanteil von 35% erreichen, was das erklärte Ziel der Regierung bis zum Jahr 2020 ist, geschweige denn bei einem angestrebten Anteil von 80% im Jahr 2050. Fast jeder räumt ein, dass sich bei steigendem Anteil der Erneuerbaren die Regulierung des Netzes ändern muss.
Die Rolle der Versorger als Investoren ist ebenfalls bedroht. Die erforderlichen Summen, um das Netz aufzubereiten, sind gewaltig und betragen bis zu 1 Billion Euro bis zum Jahr 2020. Unternehmen mit einem Wert von 500 Milliarden Euro können so etwas nicht einmal ansatzweise finanzieren. Stattdessen kürzen sie ihre Kapitalausgaben. Bei RWE beispielsweise sind sie seit 2011 von 6,4 Milliarden Euro auf 5 Milliarden Euro gefallen. Davon gehen 1,6 Milliarden in die Wartung existierender Kraftwerke, was etwa 1 Milliarde Euro für die Entwicklung übrig lässt – die Hälfte des gegenwärtigen Niveaus. In ihrem jetzigen Zustand können die Versorger das saubere Energiesystem, auf das Europa hofft, nicht finanzieren.
Und das hat Auswirkungen auf die Zukunft. Um den Investitionsausfall durch die Versorger auszugleichen, müssen die Regierungen Andere überreden einzuspringen, wie z. B. Pensionfonds oder Wohlstandsfonds [pension funds or sovereign-wealth funds]. Aber diese Einrichtungen haben schon durch das Halten von Anteilen der Versorger indirekt in Energie investiert und nicht direkt. Und das aus gutem Grund: Sie mögen nicht die politischen Risiken des Besitzes von Projekten, in denen die Regierungen eine Rolle spielen, weder durch Planung noch durch das Festsetzen von Preisen. In einigen Ländern gibt es auch Gesetze gegen das Erwirtschaften von Umsätzen, sowohl stromaufwärts (Erzeuger) als auch stromabwärts (Verteilung.)
Während der letzten 30 Jahre haben die europäischen Regierungen versucht, die Energiemärkte zu deregulieren. Sie haben staatseigene Unternehmen privatisiert und die Stromerzeugung aufgeteilt nach Übermittlung und Verteilung. Ziele waren zunehmender Wettbewerb, Effizienzsteigerungen und Preisabschläge.
Diese Ziele werden immer schwerer zu erreichen sein. Erneuerbare Energie hat sich einen wachsenden Anteil des Marktes gegriffen, hat die Großhandelspreise gedrückt und war erfolgreich hinsichtlich der Verbilligung von neuen Technologien. Aber die Kosten für die Subventionen waren ebenfalls sehr hoch, die erwünschten Umweltauswirkungen nicht existent und der Schaden für die Versorger viel größer als erwartet. Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen sehen sich selbst als Pioniere von Low-Carbon-Energie. Wenn sie das wirklich sind, müssen sie ein deutlich besseres Stromsystem schaffen, dass sich die Low-Carbon-Energie auszahlt ohne Verringerung der Zuverlässigkeit und ohne Entstehung übermäßiger und unnötiger Kosten.
[Leider lässt sich der Autor oder die Autorin nicht darüber aus, wie das gehen soll. A. d. Übers.]
Übersetzt von Chris Frey EIKE