Über den Frust eines angehenden Wissenschaftlers mit der heutigen Akademia: Eine Resignation
*Siehe Anmerkung des Übersetzers am Schluss!
Zunächst ein paar Dinge zur Klarstellung:
● Ich bin nicht der Autor dieses Textes.
● Ich nenne nicht den Namen des/der Autor/in, da es keine Beweise gibt, ob seine/ihre E-Mail-Adresse gefälscht worden ist.
● Ich glaube nicht, dass sich die beschriebenen Probleme allein auf die EPFL beschränken und auch nicht allein auf irgendeine andere Schweizer Universität: Im Gegenteil, dies ist möglicherweise ein weltweit auftretendes Problem.
● Schließlich möchte ich unmissverständlich klar machen, dass ich in keinem Falle meiner (sehr glücklichen) Tätigkeit an der EPFL diese Erfahrungen gemacht habe. Man ziehe also keine Parallele zu meinem eigenen Werdegang.
● Wie der Autor/die Autorin auch habe ich keine Ahnung, wie man das System in ein Besseres umwandeln kann.
Liebe EPFL,
Ich schreibe dies als Untermauerung, warum ich plane, nach vier Jahren harter, aber Freude bringender Doktor-Arbeit an dieser Schule meine Promotion im Januar abzubrechen, wenige Monate vor dem Abschluss. Eigentlich wollte ich diesen Brief nur an meine Berater und Lehrer schreiben. Allerdings wurde mir beim Verfassen desselben klar, dass er für jeden von Interesse sein könnte, der an der EPFL forscht. Darum habe ich den Verteiler etwas erweitert. Im Besonderen soll dieser Brief an Studenten im Aufbaustudium und solche, die ihre Promotion abgeschlossen haben, sowie an alle leitenden Forscher und Professoren gehen, ebenso wie an die Personen in den obersten Chefetagen des Managements dieser Schule. Bei allen anderen, die nicht in dieser Gruppe sind, entschuldige ich mich für den Spam.
Zwar kann ich eine Vielfalt von Gründen nennen, mein Studium im Stich zu lassen – einige sehr konkret, andere abstrakter – aber die grundlegende Motivation hierfür stammt aus meiner persönlichen Schlussfolgerung, dass ich den Glauben an die heutige Akademia* verloren habe, die eigentlich der Welt, in der wir leben, Vorteile und Verbesserungen bringen soll. Stattdessen sehe ich sie immer mehr als ein großes Geld-Vakuum an, das Zuwendungen einsaugt und im Gegenzug nebulöse Ergebnisse ausspuckt, betrieben von Personen, dessen Hauptsorge nicht darin besteht, das Wissen zu vermehren und eine positive Änderung zu bewirken, obwohl sie von solchen Dingen sprechen mögen, sondern darin, ihren Lebenslauf aufzumotzen und ihre persönlichen Karrieren zu fördern. Aber dazu später mehr.
[*Akademia: Dieses Wort habe ich aus dem Original beibehalten. Mir fiel einfach kein passendes deutsches Wort ein. „Wissenschaft“ trifft es nicht, eher schon „wissenschaftlicher Betrieb“, was ich aber auch irgendwie unbefriedigend finde, weil eher das Establishment gemeint ist. Ich werde dieses Wort im Folgenden weiter verwenden. A. d. Übers.]
Bevor ich fortfahre, möchte ich zwei Dinge sehr klar herausstellen. Erstens, nicht alles, was ich hier schreibe, stammt aus meiner persönlichen Erfahrung aus erster Hand. Vieles basiert auch auf meinen Unterhaltungen mit meinen Kommilitonen, sowohl außerhalb als auch innerhalb dieser Schule. Ich beschreibe hier deren Erfahrungen zusätzlich zu meinen eigenen. Zweitens, irgendwelche negativen Statements in diesem Brief sollten sich nicht alle Leser zu Herzen nehmen. Es ist nicht meine Absicht, irgendjemanden zu dämonisieren, noch irgendjemanden direkt anzusprechen. Ich füge sowohl hier als auch sonst wo hinzu, dass ich einige hervorragende Persönlichkeiten getroffen habe, und ich würde es nie wagen – auch in einhundert Jahren nicht – diese dessen anzuklagen was ich im vorigen Abschnitt geschrieben habe. Allerdings ist es meine Angst und mein Verdacht, dass es nur sehr wenige dieser Persönlichkeiten gibt, und dass alle außer den höchst erfolgreichen durch ein System marginalisiert werden, dass unsere angeborenen Schwächen ausnutzt und immer schneller außer Kontrolle gerät.
Ich weiß nicht, wie viele Doktoranden, die diesen Brief lesen, in ihre Doktorarbeit eingestiegen sind mit dem Wunsch, tatsächlich zu *lernen* und irgendwie in positiver Weise zur Wissenschaft beizutragen. Bei mir persönlich war es jedenfalls so. Falls es bei euch auch so ist, habt ihr möglicherweise zumindest einiges des Frustes selbst erlebt, den ich als Nächstens beschreiben werde.
(1)Akademia: Es geht nicht um Wissenschaft, sondern um das Geschäft
Beginnen möchte ich mit der Voraussetzung, dass es das „Ziel“ der Wissenschaft ist, nach der Wahrheit zu suchen, unser Verständnis des Universums um uns herum zu verbessern und es uns zu ermöglichen, mit diesem Wissen die Welt in ein besseres Morgen zu führen. Zumindest lautete so die Propaganda, mit der wir in jungen Jahren gefüttert worden waren, und es ist die Propaganda, mit der sich Universitäten, an denen Forschung betrieben wird, auf eine erhabene Grundlage stellen, ihre Websites dekorieren und naive junge Menschen wie ich selbst zu rekrutieren.
Ich setze eigentlich ebenfalls voraus, dass die grundlegende Bedingung zur Wahrheitsfindung ist, dass man als Forscher brutal ehrlich sein muss – zuerst und zuallermeist zu sich selbst und über die Qualität der eigenen Arbeit. Hier begegnet man sofort einem Widerspruch, da solche Ehrlichkeit in der Agenda vieler Menschen nur eine sehr geringe Rolle zu spielen scheint. Sehr schnell nach dem Eintritt in die akademische Welt lernt man, dass es schlecht ist, bezüglich seiner Arbeit „zu ehrlich“ zu sein, und seine Schwächen „zu offen“ anzusprechen ist ein großer Fauxpas. Stattdessen bringt man ihnen bei, ihre Arbeit zu „verkaufen“, sich um sein „Image“ Sorgen zu machen und hinsichtlich Wortwahl strategisch vorzugehen. Eine gute Präsentation ist einem guten Inhalt vorzuziehen – eine Priorität, die, obwohl manchmal verständlich, heute sehr übertrieben wird. Die „böse“ Art, sich zu vernetzen (siehe z. B. hier), scheint offenbar ermutigt zu werden. Bei so vielen besorglichen Wissenschafts-Burlesken ist es erstaunlich, dass überhaupt *irgendwelche* Forschung heutzutage noch betrieben wird. Oder auch nicht, da es genau jene noch neuen naiven Doktoranden sind, die fast alles dieser Forschung durchführen.
(2)Akademia: Arbeite hart, junger Paladin, so dass du eines Tages denen Weg gehen wirst!
Manchmal finde ich es sowohl lustig als auch beängstigend, dass die Mehrheit der weltweiten akademischen Forschung tatsächlich von Menschen wie mir betrieben wird, die noch nicht einmal einen Doktortitel haben. Viele Betreuer, von denen man erwarten würde, dass sie wahrheitsgetreu mit ihrer Jahrzehnte langen Erfahrung die Wissenschaft voran bringen, tun überraschenderweise nur sehr wenig und scheinen sich nur mit den Doktoranden abzugeben, die sich hinsichtlich ihrer Studien zu Sklaven machen, wenn die Betreuer ihren Namen darunter setzen als eine Art „Belohnung“ dafür, dass sie sich die Zeit genommen haben, das Dokument zu lesen (Manchmal versuchen sie, sich die Autorenschaft im Falle großer Verzweiflung widerrechtlich anzueignen). Ich höre nur sehr selten von Betreuern, die wirklich mit ihren Studenten mit vollem Ernst und detailliert durch ihre Arbeit gehen, und oft von solchen, die offensichtlich das Motto übernommen haben „falls es gut aussieht, können wir es zur Veröffentlichung einreichen“.
Unabhängig vom Empfinden der groben Unfairness des Ganzen – die Studenten, die die wirkliche Arbeit machen, bekommen dafür erstaunlich wenig Geld, während diejenigen, die alles verwalten, wenn auch nur oberflächlich, erstaunlich viel Geld bekommen – der Doktoranden bleibt oftmals mit der Frage allein, ob er nur jetzt wissenschaftlich tätig ist und sich später selbst verwalten kann. Am Schlimmsten ist es, wenn ein Promovierter danach in Akademia bleiben will, dies alles akzeptiert und dann auf der anderen Seite des Tisches tätig wird. Jeder Doktorand, der das hier liest, wird unvermeidlich jemanden kennen, der das Unglück hatte, an einen Betreuer zu gelangen, der diese Art des Managements akzeptiert hat und das System jetzt auf seine eigenen Studenten anwendet – und sie zwingt, eine Studie nach der anderen zu schreiben und lächerlich lange Zeiten zu arbeiten, damit der Betreuer/die Betreuerin seine/ihre Karriere voranbringt oder, wie es oft der Fall ist, eine Anstellung auf Lebenszeit findet. Das ist unakzeptabel und muss aufhören. Und doch, während ich dies schreibe, werde ich daran erinnert, wie EPFL sein eigenes Beförderungs-System vor nicht allzu langer Zeit eingerichtet hat.
(3) Akademia: Die Rückwärts-Mentalität
Ein sehr traurig machender Aspekt des ganzen akademischen Systems ist das Ausmaß des stattfindenden Selbstbetrugs, der in der „Kunst“ besteht, dass viele neue Anfänger gezwungen werden, ihren Master sehr schnell zu machen … oder unterzugehen. Da viele Doktoranden sich nicht wirklich ihr Forschungsobjekt selbst aussuchen können, werden sie gezwungen, das zu übernehmen, was ihre Berater tun und „etwas Originelles“ dazu beizutragen, das eines Tages in eine These gegossen werden kann. Das ist alles schön und gut, wenn das Thema allgemein von Interesse ist und viel Potential enthält. Bei mir persönlich war das glücklicherweise so, aber ich kenne auch viele Menschen, die rasch erkannten, dass die Forschungsrichtung nur marginal bedeutsam und längst nicht so interessant war, wie es der Berater dargestellt hatte, nachdem man ihnen erst einmal ein Thema gegeben hatte.
Dies scheint den Doktoranden mit einem üblen Ultimatum zurückzulassen. Ganz klar, es funktioniert nicht, wenn man dem Berater einfach sagt, dass die Forschung nichts Wesentliches bringt – der Berater hat schon zu viel seiner Zeit, seines Rufes und seiner Karriere in dieses Thema gesteckt. So jemand wird sich nicht von jemandem, der halb so alt ist, davon überzeugen lassen, einen Fehler gemacht zu haben. Besteht der Doktorand darauf, wird er/sie als „stur“ apostrophiert und, falls er zu stark darauf besteht, seinen Doktortitel nicht erhalten könnte. Die Alternative, so übel sie für einen ist, lautet, sich selbst zu belügen und Argumente zu finden, die es einem moralisch leichter machen zu überzeugen, dass es von bedeutendem wissenschaftlichen Wert ist, was man macht. Für diejenigen, für den der Erwerb eines Doktortitels ein „Muss“ ist (gewöhnlich aus finanziellen Gründen), ist offensichtlich, für was er sich entscheidet, so tragisch das auch ist.
Das wirkliche Problem besteht darin, dass sich diese Gewohnheit leicht auf die Durchführung von Studien nach der Graduierung übertragen kann, bis der Student selbst wie ein Professor wird und mit der Rückwärts-Mentalität aufwartet nach dem Motto „das ist wichtig, weil ich schon zu viele Jahre lang daran arbeite“.
(4) Akademia: Wenn Originalität dir schadet
Die gute, gesunde Mentalität würde sich natürlich Forschungen zuwenden, von der wir glauben, dass sie wichtig ist. Unglücklicherweise stellt die meiste Forschung eine Herausforderung dar und ist schwierig zu veröffentlichen, und das gegenwärtige ‚veröffentlichen-oder-untergehen-System’ macht es schwierig, irgendetwas zu erreichen, wenn man an Problemen arbeitet, die mindestens zehn Jahre Arbeit erfordern, bevor man mit höchst vorläufigen Ergebnissen aufwarten kann. Noch schlimmer, es kann sein, dass die Ergebnisse nicht verstanden werden, was in einigen Fällen gleichbedeutend ist mit der Ablehnung durch die akademische Gemeinschaft. Ich gebe zu, dass das schwierig ist und kann die Leute nicht ultimativ kritisieren, die sich ausgesucht haben, solchen „riskanten“ Problemen zu folgen.
Idealerweise sollte das akademische System diejenigen ermutigen, die schon jetzt gut in der Lage und anerkannt sind, diese Herausforderungen zu meistern, und ich bin sicher, dass einige das bereits tun. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Mehrheit von uns einen Bogen um die grundlegenden Dinge macht und stattdessen unwichtigere, einfachere Probleme verfolgt, von denen wir wissen, dass sie gelöst und veröffentlicht werden können. Die Folge hiervon ist eine gigantische Literatur voller marginaler/wiederholender Beiträge. Allerdings muss das nichts Schlechtes sein, wenn man nach einer Verbesserung seines Lebenslaufes strebt.
(5) Akademia: Das schwarze Loch der Mitläufer-Forschung [Bandwagon research]
Tatsächlich scheint das Schreiben einer Menge Studien mit fragwürdigem Wert zu einem vorgegebenen Thema eine sehr gute Möglichkeit zu sein, seine Karriere heutzutage voranzutreiben. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man muss niemanden mehr überzeugen, dass das Thema sachdienlich ist und dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, öfter erwähnt zu werden, da immer mehr Menschen gewillt sind, an ähnlichen Themen zu arbeiten. Dies wiederum wird deinen Wichtigkeitsfaktor heben und dabei helfen, dich als glaubwürdigen Forscher zu etablieren, egal ob deine Arbeit nützlich/wichtig ist oder nicht. Es fördert auch eine Art Vetternwirtschaft, wo du anderen (genauso opportunistischen) Forschern auf die Schulter klopfst, während sie dir auf die Schulter klopfen.
Unglücklicherweise führt dies nicht nur zu Quantität höher als Qualität, sondern viele Forscher, die von diesem Mitläufertum abhängig geworden sind, müssen Wege finden, diesen Weg weitergehen zu können, selbst wenn der Forschungsbereich zu stagnieren beginnt. Die Folgen sind gewöhnlich katastrophal. Entweder fangen die Forscher an, über kreative, aber völlig absurde Erweiterungen ihrer Methoden nachzudenken auf Anwendungen, für die sie nicht geeignet sind, oder sie versuchen, andere Forscher zu unterdrücken, die originellere Alternativen einbringen (normalerweise machen sie beides). Dies wiederum entmutigt andere Forscher, originalen Alternativen zu folgen, und ermutigt sie, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, der – obwohl ursprünglich von einer guten Idee geleitet – jetzt stagniert und durch nichts als den puren Willen der Gemeinschaft in Fahrt gehalten wird, von dem sie abhängig geworden ist. Es wird zu einem gigantischen, Geld verschwendenden Durcheinander.
(6)Akademia: Statistik im Überfluss!
„Professoren mit Studien sind wie Kinder”, hat mir ein Professor einmal gesagt. Und tatsächlich, es scheint eine ungesunde Besessenheit hinsichtlich der Anzahl ihrer Veröffentlichungen unter den Akademikern zu bestehen, ihres Bedeutungs-Faktors und der Anzahl der Nennungen ihrer Studie. Das führt zu allem möglichen Unsinn, wenn Akademiker „strategische Querverweise“ angeben, „anonyme“ Begutachtungen schreiben, in denen sie die Autoren der begutachteten Studie dazu anhalten, auf die eigene Arbeit zu verweisen. Außerdem versuchen sie auf Konferenzen freundlich, ihren Kollegen von ihrer letzten Arbeit zu erzählen, und manchmal versuchen sie sogar, sich gegenseitig ihre Studien anzuerkennen nach dem Motto „Wenn du meine Arbeit liest, lese ich deine“. Wenn jemand danach gefragt wird, ob er sich um seine Querverweise kümmern würde, wird niemand diese Machenschaften jemals zugeben, und doch kennen diese Leute die Zahlen auswendig. Ich gebe zu, dass ich da mal mitgemacht habe, und dafür hasse ich mich.
An der EPFL sendet uns der Dekan jedes Jahr eine E-Mail, in der er uns mitteilt, welche Rangordnung die Schule einnimmt, und normalerweise sind wir auf einem der oberen Plätze zu finden. Ich frage mich immer, welchen Sinn diese E-Mails haben. Warum sollte es einen Wissenschaftler kümmern, ob seine Institution an zehnter oder elfter Stelle irgendeiner Rangordnung irgendeines Komitees steht? Ist es, um unsere schon jetzt aufgeblähten Egos noch weiter aufzublähen? Wäre es nicht viel schöner, wenn uns der Dekan einen jährlichen Bericht darüber gibt, inwieweit die Arbeit an der EPFL die Welt beeinflusst hat, oder inwieweit die Arbeit zur Lösung eines bestimmten wichtigen Problems beigetragen hat? Stattdessen bekommen wir diese blöden Zahlen, die uns sagen, auf welche Universitäten wir herab schauen können und welchen Universitäten wir nacheifern sollten.
(6) Akademia: Die gewalttätige Landschaft gigantischer Egos
Ich frage mich oft, ob viele Mitarbeiter in Akademia eine unschöne Kindheit hatten, in der sie niemals die stärksten oder die bei ihren Eltern Beliebtesten waren, und die schließlich mehr gelernt haben als ihre Eltern, und jetzt einfach auf Rache aus sind. Ich habe den Verdacht, dass das so ist, weil es die einzige Erklärung ist, warum gewisse Forscher auf üble Weise die Arbeit anderer Forscher angreifen. Vielleicht geht die am weitesten verbreitete Manifestation hiervon über die Begutachtung, bei der diese Leute ihre Anonymität missbrauchen, um Ihnen unverhüllt zu sagen, dass Sie ein Idiot sind und dass Ihre Arbeit auf den Misthaufen gehört. Gelegentlich haben einige sogar die Frechheit, dies während einer Konferenz zu tun, allerdings habe ich persönlich das noch nicht erlebt.
Mehr als einmal habe ich gehört, wie führende Forscher in verschiedenen Fachgebieten andere Methoden als ihre eigenen mit so wunderschönen Bezeichnungen wie „Müll“ oder „Abfall“ belegt haben. Manchmal sogar wurden diese Qualifizierungen auch im weiteren Sinne verwendet, nämlich für Pionier-Methoden, deren einziges Verbrechen es ist, dass sie schon Jahrzehnte alt sind und welche wir als Wissenschaftler eigentlich mit dem gleichen Respekt beachten sollten, den wir den Älteren entgegen bringen. Manchmal machen diese Leute eine Pause, schlimme Dinge über Forscher in ihrem eigenen Fachgebiet zu sagen, und wenden sich anderen Bereichen zu – Ingenieur-Akademien beispielsweise machen sich manchmal lustig über Forschungen im Bereich Geisteswissenschaften, indem sie diese als lächerlich und inkonsequent hinstellen, als ob das, was sie selbst tun, viel wichtiger sei.
(8) Akademia: Der größte Trick der Akademien jemals war es, die Welt davon zu überzeugen, dass ihre Forschung notwendig sei
Die vielleicht grundlegendste und quälendste Frage, die sich die Mitarbeiter in Akademia stellen sollten, lautet: „Werden wir wirklich gebraucht?“ Jahr für Jahr sammelt das System Tonnen von Geld auf allen möglichen Wegen der Zuwendungen ein. Vieles davon geht danach an unterbezahlte und zu wenig beachtete Doktoranden, die mit oder ohne Hilfe ihrer Betreuer ein paar Ergebnisse erzeugen. In vielen Fällen sind diese Ergebnisse unverständlich für alle außer einem kleinen Kreis, was es schwierig macht, den Wert ihrer Arbeiten in irgendwie objektiver Weise zu evaluieren. In einigen seltenen Fällen wird die Unverständlichkeit tatsächlich gerechtfertigt – das Ergebnis könnte sehr bedeutend sein, aber beispielsweise eine Fülle mathematischen Hintergrundwissens erfordern, so dass man einen PhD braucht, um es zu verstehen. In vielen Fällen jedoch ist das Ergebnis trotz einer Menge cooler Mathematik in der Anwendung fast nutzlos.
Das ist schon in Ordnung, weil wirklicher Fortschritt sehr viel Zeit braucht. Nervend ist jedoch, wie lange ein rein theoretisches Ergebnis herhalten kann, um Förderungen zu erhalten, bevor die Forscher sich entschließen, etwas praktisch Nutzbares zu produzieren. Schlimmer, oftmals scheint den Leuten in Akademia jedes Gefühl für die Dringlichkeit zu fehlen, hinzugehen und ihre Ergebnisse auch anzuwenden, selbst wenn dies möglich ist. Dies ist höchstwahrscheinlich der Angst vor dem Fehlschlag geschuldet – man fühlt sich bequem, wenn man an seiner Methode immer weiter arbeitet, solange sie in der Theorie funktioniert, aber nichts wäre schmerzhafter als die Erfahrung, die Methode anzuwenden zu versuchen und dann erfahren zu müssen, dass sie in der Realität nicht funktioniert. Niemand mag gerne Studien veröffentlichen, die zeigen, wie die Methode scheitert (obwohl sie aus wissenschaftlicher Perspektive dazu verpflichtet wären).
Dies sind nur einige Beispiele dessen, die aus meiner bescheidenen Perspektive bei Akademia „falsch“ sind. Andere könnten diesen Beispielen vielleicht noch weitere hinzufügen, und wir könnten hingehen und ein Buch darüber schreiben. Das Problem aus meiner Sicht ist, dass wir nicht sehr viel tun, um diese Dinge anzugehen und dass eine Menge Leute bereits akzeptiert haben, dass „echte Wissenschaft“ einfach ein Ideal ist, das unvermeidlich verschwinden wird, wenn man so weitermacht wie bisher. Und daher, warum sollten wir unsere Karrieren und unseren Ruf aufs Spiel setzen, um aus noblen Gründen gegen etwas zu kämpfen, das Akademia ohnehin niemals würdigen würde?
Ich schließe diesen Brief mit meinem Bekenntnis, dass ich für all das keine Lösung weiß. Mein Doktortitel aufzugeben ist sicher keine Lösung – es wäre lediglich eine persönliche Entscheidung – und ich ermutige niemanden, dergleichen zu tun. Was ich aber ausbringen möchte, ist eine gewisse Beachtung und Verantwortung. Ich glaube, dass viele von uns, jedenfalls sicherlich in meiner Generation, „Akademia“ und „Wissenschaft“ als Synonyme sehen möchten. Ich weiß, dass das bei mir so wäre, aber ich habe den Glauben daran aufgegeben und werde daher echte Wissenschaft auf irgendeinem anderen Weg betreiben.
Zwar gab es einmal eine Zeit, in der ich dachte, stolz auf die Buchstaben „Dr.“ vor meinem Namen zu sein, aber unglücklicherweise ist das jetzt nicht mehr so. Allerdings kann mir niemand das Wissen nehmen, das ich während dieser vier Jahre gewonnen habe, und dafür, liebe EPFL, bleibe ich immer dankbar.
Danke, dass Sie mir bis hier gefolgt sind!
Übersetzt von Chris Frey EIKE
Anmerkung des Übersetzers: Dieser Artikel hat vordergründig nichts mit Klima zu tun, sondern mit Wissenschaft allgemein. Aber ich denke, dass all das hier Gesagte erst recht in der heutigen Klimawissenschaft gilt. Oder finde ich diesen Text nur deswegen so nachdenkenswert, weil ich eher ein Laie bin?
C. F.