Klima-Alarm im Rückwärtsgang
Es sind bereits Teile dieses 31-seitigen Dokuments durchgesickert, in dem 1914 Seiten wissenschaftlicher Diskussion zusammen gefasst sind, aber dank eines führenden Klimawissenschaftlers konnte ich einen ersten Blick auf die zentrale Prognose in der Mitte des Dokuments werfen. Die große Nachricht ist, dass man diesmal zum ersten Mal seit Erstellung dieser Berichte im Jahre 1990 den Alarm herunter fährt. Es heißt darin, dass der zu erwartende Temperaturanstieg durch die anthropogenen Treibhausgase niedriger ist als vom IPCC 2007 eingeschätzt.
Zugegebenermaßen ist die Änderung gering, und wegen veränderter Definitionen ist es nicht einfach, die beiden Berichte miteinander zu vergleichen, aber ein Rückzug ist es in jedem Falle. Das ist wichtig, weil es auf die sehr reale Möglichkeit zuläuft, dass während der nächsten Generationen die Gesamtauswirkung der Klimaänderung positiv sein wird für die Menschheit und für den Planeten.
Im Einzelnen heißt es in dem Bericht, dass die „Gleichgewichts-Klimasensitivität“ (ECS) – also die eventuelle Erwärmung durch eine Verdoppelung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre, was hunderte Jahre dauern wird – „höchstwahrscheinlich“ über 1°C, „wahrscheinlich“ über 1,5°C und „sehr wahrscheinlich“ unter 6°C liegen wird. Im Jahre 2007 hieß es seitens des IPCC, dass sie „wahrscheinlich“ über 2°C und „sehr wahrscheinlich“ über 1,5°C liegen würde ohne obere Begrenzung. Da „höchst-„ und „sehr“ hier unterschiedliche spezifische und statistische Bedeutungen haben, ist der Vergleich schwierig.
Aber dennoch ist der Abwärtstrend seit 2007 eindeutig, vor allem am Ende der „wahrscheinlich“-Skala. Der wahrscheinlichste Wert (beim letzten Mal 3°C) wird aus irgendwelchen Gründen dieses Mal gar nicht genannt.
Eine unmittelbarer relevante Maßzahl einer wahrscheinlichen Erwärmung wurde ebenfalls zurück gefahren: „Transient Climate Response“ – die erwartete tatsächliche Temperaturänderung in 70 Jahren von jetzt an bei einer Verdoppelung des CO2-Gehaltes ohne die verzögerten Auswirkungen im nächsten Jahrhundert. [?] Im neuen Bericht wird es heißen, dass diese Änderung „wahrscheinlich“ 1 bis 2,5°C betragen wird und dass es „extrem unwahrscheinlich“ ist, dass dieser Wert über 3°C liegt. Auch dies ist niedriger als die letzte Schätzung aus dem Jahr 2007 („sehr wahrscheinliche“ Erwärmung um 1 bis 3°C auf Basis von Modellen oder 1 bis 3,5°C auf der Basis von Beobachtungen).
Die meisten Experten sind der Ansicht, dass eine Erwärmung um weniger als 2°C verglichen mit dem vorindustriellen Niveau insgesamt keine ökonomischen oder ökologischen Schäden verursachen würde. Daher sagt der neue Bericht im Endeffekt (basierend auf den Mittelwerten der Bandbreite der IPCC-Emissions-Szenarien), dass es eine mehr als 50-prozentige Chance gibt, dass bis zum Jahr 2083 die Vorteile der Klimaänderung deren Schäden bei Weitem überwiegen werden.
Eine Erwärmung bis zu 1,2°C während der nächsten 70 Jahre, wovon 0,8°C bereits eingetreten sind und wovon das meiste in kalten Gebieten sowie nachts stattfinden wird, würde den Ackerbau weiter nach Norden ausdehnen, die Ernteerträge verbessern, zu etwas höheren Regenmengen vor allem in ariden Gebieten führen, das Wachstum von Wäldern verbessern und weniger Todesopfer im Winter fordern. Ein zunehmender Kohlendioxidgehalt hat schon jetzt die Wachstumsraten der Pflanzen und das Ergrünen der Erde verursacht und wird das auch weiterhin tun – weil Pflanzen bei höheren Kohlendioxid-Konzentrationen schneller wachsen und weniger Wasser brauchen.
Bis zu zwei Grad Erwärmung – deren Vorteile werden eventuelle schädliche Auswirkungen wie extremeres Wetter oder steigende Meeresspiegel deutlich überwiegen. Von Letzterem nimmt selbst das IPCC an, dass er lediglich noch um 1 bis 3 Fuß [ca. 30 bis 90 cm] während dieses Zeitraumes steigen soll.
Und selbst diese jüngsten IPCC-Schätzungen der Klimasensitivität könnten noch zu hoch sein. Sie reflektieren nämlich nicht angemessen die jüngste Reihe von veröffentlichten Studien, in denen es um die „Gleichgewichts-Klimasensitivität“ und die „Transient Climate Response“ auf der Basis von Beobachtungen geht, von denen die meisten auf eine noch geringere Erwärmung zeigen. Bereits im vorigen Jahr wurde dies in zwei Studien deutlich – von Wissenschaftlern an der University of Illinois und der Oslo-University in Norwegen – die eine geringere ECS ergaben als von den Modellen angenommen. Seitdem kamen drei weitere Studien zu dem Ergebnis, dass ECS deutlich unter der von den Modellen angenommenen Bandbreite liegt. Die wichtigste dieser Studien, die in Nature Geoscience von einem Team veröffentlicht worden ist, in dem auch 14 Leitautoren des demnächst erscheinenden AR 5 mitarbeiten, kam zu dem Ergebnis, dass „der wahrscheinlichste Wert der Gleichgewichts-Klimasensitivität auf der Basis des Energiehaushaltes des letzten Jahrzehnts 2,0°C ist“.
Zwei jüngere Studien (eine im Journal of the American Meteorological Society, die andere im Journal Earth System Dynamics) schätzen, dass der TCR möglicherweise um 1,65°C liegt. Das liegt unheimlich dicht an der Schätzung von 1,67°C aus dem Jahr 1938 von Guy Callendar, einem britischen Ingenieur und einem der ersten Studenten des Treibhauseffektes. Ein kanadischer Blogger und Mathematiker namens Steve McIntyre hat darauf hingewiesen, dass Callendars Modell besser die Temperaturen der Welt zwischen 1983 und jetzt vorhergesagt hat als die „Nachhersage“ der gleichen Daten durch moderne Modelle.
Die Bedeutung hiervon liegt darin, dass Callendar angenommen hat, dass das Kohlendioxid allein agiert, während die modernen Modelle allesamt davon ausgehen, dass dieser Effekt durch Wasserdampf modifiziert wird. Es gibt kaum Zweifel an der Stärke der Erwärmung, die Kohlendioxid verursachen kann. Viel mehr Zweifel gibt es hinsichtlich der Frage, ob die Gesamt-Modifizierung durch Wasserdampf tatsächlich stattfindet oder durch Niederschlag sowie einen Abkühlungseffekt durch Wolken kompensiert wird.
Seit dem letzten IPCC-Bericht 2007 hat sich viel verändert. Seit nunmehr über 15 Jahren ist die Temperatur gar nicht mehr gestiegen. Tatsächlich hat der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri eingeräumt, dass der „Stillstand“ sogar schon seit 17 Jahren im Gange sein könnte, abhängig davon, welchen Datensatz man betrachtet. Eine kürzlich in Nature Climate Change veröffentlichte Studie von Francis Zwiers et al. an der University of Victoria in British Columbia hat ergeben, dass die Modelle die Erwärmung während der letzten 20 Jahre um 100% überschätzt hatten.
Die Erklärung dieses Fehlschlags ist jetzt eine Hausaufgabe der Klimawissenschaft. Zuerst hatte man gehofft, dass eine Unterschätzung der Sulfat-Verschmutzung durch die Industrie (welche die Luft abkühlen kann durch Reflexion von Wärme in den Weltraum) den Stillstand erklären könnte, aber die Wissenschaft bewegte sich in die andere Richtung – sie reduzierte die geschätzte Abkühlung durch Sulfate. Die Daten zur Stützung dieser These kommen von Bojen im Ozean, die auf hundertstel Grad genau messen können und deren Messungenauigkeit viel größer ist als die Messung selbst. Außerdem hat sich die Wärmeaufnahme der Ozeane während der letzten acht Jahre verlangsamt.
Die plausibelste Erklärung des Stillstands ist einfach, dass die Klimasensitivität in den Modellen überschätzt worden war, und zwar infolge falscher Hypothesen über die Gesamtbeeinflussung durch Wasserdampf-Rückkopplung. Dies wird Thema einer hitzigen Diskussion auf der politischen Sitzung sein, die am 23. September in Stockholm beginnt und auf der auch andere Themen als der aktuelle Stand der Klimawissenschaft zur Debatte stehen.
—Mr. Ridley is the author of "The Rational Optimist" and a member of the British House of Lords.
Link: http://online.wsj.com/article/SB10001424127887324549004579067532485712464.html
Übersetzt von Chris Frey EIKE