Ohne Großkraftwerke kein Strom. Kohlekraftwerke: Ackergäule sind nun mal keine Springpferde
Bild rechts: Der neue 1000-MW-Block im Braunkohlekraftwerk Niederauβem erreicht dank seiner besonders effizienten Anlagentechnologie einen Wirkungsgrad von 43 % (Foto: www.kohlekraftwerke.de)
Vielfach wird von Seiten der Befürworter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) der Vorwurf erhoben, die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken würden sich ohne triftigen Grund weigern, ihre Stromproduktion dem wechselnden Angebot von
Bild 1. Typischer Tageslastgang im deutschen Netz an einem Werktag im Herbst, ohne „erneuerbare“ Energien (Grafik: Wikimedia Creative Commons)
Wind- und Solaranlagen anzupassen. Mit dieser Strategie versuchten sie, den Erfolg der Energiewende zu hintertreiben. Statt die „Kohlemeiler“ bei hohem Aufkommen an Solar- und Windstrom im Netz zu drosseln, lasse man sie auch bei hohem Stromangebot einfach weiterlaufen. Die Folge dieses Überangebots seien Zwangsabschaltungen bei vielen Wind- und Solarkraftwerken sowie Preiseinbrüche an den Strombörsen, wo der überschüssige „erneuerbare“ Strom dann zu Schleuderpreisen verhökert werden müsse. Die niedrigen Kurse an den Strombörsen drückten die Verdienstmöglichkeiten der Windmöller und Solarfarmer, was dazu führe, dass deren Verluste durch EEG-Zahlungen ausgeglichen werden müssten. Es sei dringend an der Zeit, von den Betreibern von Kohle- und Gaskraftwerken zu fordern, dass sie die Erzeugung ihrer Anlagen flexibel an die jeweilige Netzsituation anpassen.
Brauchen wir überhaupt noch fossile Kraftwerke?
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland inzwischen rund eine halbe Billion € (500 Mrd.) in erneuerbare Energien investiert wurde, ist zunächst die Frage zu klären, wieweit Strom aus Sonne und Wind es inzwischen geschafft haben, zumindest einen Teil der fossil befeuerten Kraftwerke überflüssig zu machen. Immerhin sind zur Zeit bereits 66.000 MW EE-Erzeugungskapazität installiert, davon 34.000 MW Fotovoltaik und knapp 32.000 MW Windenergie, also fast schon soviel wie die rund 65.000-75.000 MW, die an einem typischen Werktag zur Spitzenlastzeit zwischen 8:00 und 20:00 Uhr benötigt werden, Bild 1. Beantworten kann diese Frage ein Blick auf die Statistiken der Europäischen Strombörse AG (EEX) in Augsburg, die im Internet unter der Adresse transparency.eex.com frei zugänglich sind. Bild 2 zeigt als Beispiel die Stromerzeugung aus Fotovoltaik und Windenergie für den 22.8.2013.
Bild 2. Erzeugung von Strom aus Wind- und Sonnenenergie in Deutschland am 22.8.2013. Ganz rechts die installierten Gesamtkapazitäten (Datenquelle: transparency.eex.com)
Wie Bild 2 zeigt, ist die EE-Stromerzeugung in der Zeit von 0:00 bis 07:00 Uhr sowie von 19:00 bis 23:00 so gering, dass es in Deutschland vermutlich nicht einmal zum Betrieb der Standby-Schaltungen in den Elektronikgeräten gereicht hätte. Selbst um die Mittagszeit wurde nur rund ein Drittel der insgesamt erforderlichen Menge an Strom produziert. Zwischen 05:00 und 07:00 Uhr lag die gesamte EE-Stromproduktion sogar bei weniger als 600 MW, das ist die Gröβenordnung eines einzigen Gaskraftwerks. Die Erneuerbaren sind also völlig auβerstande, die Stromversorgung der modernen Industrienation Deutschland sicherzustellen. Es kann daher auch keine Rede davon sein, dass man damit konventionelle Kraftwerke ersetzen könne. Diese müssten stattdessen leistungsbereit vorgehalten werden, um jederzeit einspringen zu können, sobald Wind und Sonne schwächeln, was an viel mehr Tagen im Jahr vorkommt, als sich dies die meisten EEG-Befürworter vorstellen können. Daher ist zunächst die Frage zu stellen, wieweit sich fossil befeuerte Kraftwerke überhaupt als Lückenbüβer für derartig schwankende Stromliederenten eignen.
Flexibilität ist eine Frage der Masse…
Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Es gibt eine ganze Reihe von technischen wie auch wirtschaftlichen Gründen, die einen „Spontanbetrieb“ nicht zulassen. Ein Groβkraftwerk kann man nicht einfach ein- und ausschalten oder im Stop-and-Go-Betrieb „fahren“ wie ein Auto. Wichtigster Grund hierfür sind zunächst einmal die schieren Dimensionen der Anlagen, die mit 10.000den von Tonnen durchaus an die von Ozeanriesen heranreichen. Auch von Seeschiffen würde niemand erwarten, dass sie so abrupte Manöver ausführen wie ein Kajakfahrer im Wildwasser. Solche Massen sind träge, abrupte Änderungen sind faktisch nicht möglich. So enthält beispielsweise der Kessel eines Kraftwerksblocks neben enormen Mengen Stahl auch noch mehrere 1.000 Tonnen Wasser, die von Raumtemperatur auf bis zu 600 °C hochgeheizt werden müssen, bevor man die Turbine anlaufen lassen kann. Das macht solche Riesen träge. Bei Kohlekraftwerken, deren Kesselanlagen (Bild3) mehr als 10.000 Tonnen schwer und bis zu 170 m hoch sind, kommen aufgrund ihrer speziellen Technik neben der Masse aber noch zusätzliche technische Aspekte hinzu, die auch nach dem Hochfahren rasche Wechsel des Betriebszustands erschweren.
Bild 3. Schemadarstellung des Dampfkessels eines modernen Kohlekraftwerkes (Bild: VGB PowerTech Germany, Wikimedia Commons)
15.000+ Tonnen lassen sich nicht „mal eben“ von Null auf 1450 °C bringen
Ein modernes Kohlekraftwerk erzeugt Dampf in einem sogenannten „Kessel“. Dies ist jedoch ein völlig irreführender Ausdruck, denn in Wirklichkeit handelt es sich um ein kompliziertes, je nach Kraftwerk bis zu 170 m hohes Labyrinth aus Bündeln dickwandiger Stahlrohre, Bild 4. In einem modernen Steinkohlekraftwerk wie dem Block 10 des Kraftwerks Duisburg-Walsum sind allein 450 km solcher Rohre mit Durchmessern zwischen einigen cm und knapp einem Meter verbaut. In diesen Rohren mit einem Gesamtgewicht von mehr als 10.000 Tonnen befinden sich auβerdem noch groβe Mengen Wasser.
Bild 4. Die Rohrbündel eines vertikalen Dampferzeugers für ein Kernkraftwerk (Bild: Nuclear Regulatory Commission der USA/ Wikimedia Commons)
Im laufenden Betrieb eines solchen Kraftwerks herrschen im Kesselraum Bedingungen, denen sich vermutlich selbst ein Teufel nicht gerne aussetzen würde. Die mit Kohlestaub und Druckluft erzeugten Brenngase erreichen Temperaturen bis zu 1.450 °C und sind darüber hinaus auch noch korrosiv. Auch im Inneren der Rohrbündel erreicht die Temperatur bis zu 620 °C. Zudem müssen sie einem Dampfdruck von bis zu 274 bar standhalten, das ist nahezu doppelt so hoch wie der in einer Pressluftflasche.
Gerade die Anfahrphase bereitet den Betreibern solcher Anlagen daher besondere Kopfschmerzen. Das Herauffahren von Raumtemperatur auf Betriebszustand muss sehr behutsam erfolgen, da sich die gesamte Konstruktion aufgrund der Erwärmung ausdehnt: Während des Aufheizens „wächst“ ein solcher Kessel um einen Meter oder mehr. Wenn die Temperaturverteilung dabei nicht gleichmäβig ist, so kommt es innerhalb der Konstruktion zu zusätzlichen Spannungen, die das Material schädigen können.
An der Grenze der Belastbarkeit
Grund für die extremen Bedingungen im Dampferzeuger ist der Wunsch nach einem möglichst hohen Wirkungsgrad des Kraftwerks, der umso besser ist, je höher man die Temperatur und den Druck des Dampfs treiben kann. Grenzen setzt dem jedoch die Belastbarkeit des Stahls, denn bei diesen extremen Bedingungen kommen selbst moderne legierte Stahlwerkstoffe an ihre Leistungsgrenze. Das Material beginnt sich unmerklich zu verformen und „kriecht“ immer weiter, bis es schlieβlich irgendwann reiβt. Für die Ingenieure besteht die Kunst darin, die Kesselkonstruktion und den Rohrwerkstoff so auszulegen, dass es innerhalb der Lebensdauer des Kraftwerks – etwa 30 Jahre bzw. 200.000 Betriebsstunden – möglichst nicht zu einem solchen Schaden kommt. Besonders nachteilig für die Lebensdauer wirken sich zusätzlich auftretende Spannungen im Material aufgrund z.B. ungleichmäβiger Temperaturen im Kessel aus. Zu letzteren kommt es vor allem dann, wenn der Kessel nicht in einem stabilen Betriebszustand mit langsamen Änderungen der Temperatur- und Druckverhältnisse verbleiben kann, sondern plötzliche Lastwechsel vollziehen muss. Dabei kommt es zu Temperaturunterschieden und damit Materialspannungen, welche die Lebensdauer herabsetzen. Längerfristig kommt es zu Schäden, die zur Stillsetzung des Kraftwerks und teuren Reparaturen am Dampferzeuger zwingen. Jeder zu abrupte Lastwechsel und vor allem jeder unnötige Stillstand kostet den Kraftwerksbetreiber daher viel Geld.
Hohe Kosten im Teillastbetrieb
Weiteres Problem für die Betreiber von Kohlekraftwerken ist der hohe Fixkostenanteil an der Stromproduktion. Der Betrieb dieser riesigen Anlagen erfordert viel Personal, zudem müssen die Kapitalkosten für die hohen Investitionsaufwendungen erwirtschaftet werden. Und last but not least sind solche Anlagen sehr wartungsintensiv, was entsprechend hohe Instandhaltungsaufwendungen bedingt.
Wirtschaftliche Probleme gibt es deshalb vor allem im Teillastbetrieb, auch deshalb, weil die Brennstoffkosten nur einen recht geringen Teil der Gesamtbetriebskosten ausmachen: Bei einem Steinkohlekraftwerk sind es nur etwa 27 % und bei einem Braunkohlekraftwerk sogar nur rund 16 % der laufenden Kosten. Fährt man ein solches Kraftwerk mit nur 50 % Auslastung, dann können sich die Erzeugungskosten pro kWh um bis zu 100 % erhöhen. Zudem verschlechtert sich dann der Wirkungsgrad erheblich, was zu höheren CO2-Emissionen pro kWh erzeugter elektrischer Energie führt. Sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen ist es daher für ein Kohlekraftwerk nicht so ohne weiteres möglich, „mal so eben“ den Launen des Windes und des Wetters zu folgen, nur damit Windbarone und Solarkönige ungeschmälert ihre garantierten Profite einstreichen können. Erzwingen kann man seitens der Politik natürlich (fast) alles – aber die dabei entstehenden Kosten treffen letztlich vor allem den Verbraucher.
Gasturbinen im Abseits
Die immer wieder ins Spiel gebrachten Gaskraftwerke sind keine Alternative, weil der damit produzierte Strom wegen der hohen Gaspreise zu teuer ist. Zunächst einmal muss man bei Gaskraftwerken zwischen „normalen“ Gasturbinen und den zweistufigen sogenannten Gas- und Dampf-Kraftwerken (GUD) unterscheiden. Leider werden beide Kategorien in der Presse immer wieder in einen Topf geworfen, obwohl man dann Äpfel und Birnen vergleicht.
Normale Gaskraftwerke bestehen aus einer groβen Gasturbine mit angeschlossenem Generator. Sie haben keinen Kessel und geringe Massen und können daher innerhalb von Minuten starten, weshalb sie sich hervorragend als schnelle Reserve eignen, wenn das Netz unterversorgt ist. Allerdings ist der damit erzeugte Strom etwa 3-4 Mal teurer als Strom aus einem Braunkohlekraftwerk, weshalb sie meist bald nach Behebung des Notfalls wieder vom Netz genommen werden. Auβerdem ist ihr Wirkungsgrad relativ bescheiden.
Bild 5. Prinzipschema eines Zweiwellen-GuD-Kraftwerks (Bild: Peter Lehmacher/ Wikimedia Commons)
Bei den sogenannten Gas-und-Dampfturbinen (GuD) handelt es sich dagegen im Prinzip um einen Zwitter aus Gasturbine und Dampfturbine, Bild 5. Die Anlagen verfügen zusätzlich zur Gasturbine über einen Kessel, der mit den heiβen Turbinenabgasen auf Temperatur gebracht wird. Mit dem so erzeugten Dampf wird dann zusätzlich eine Dampfturbine betrieben. Vorteil dieser doppelten Nutzung ist ein hervorragender Wirkungsgrad von bis zu 60 %. Dennoch kostet Strom aus einem GuD-Kraftwerk – vor allem auch wegen des hohen Gaspreises – rund doppelt soviel wie der aus einem Braunkohlekraftwerk. Zudem müssen GuD-Kraftwerke den Kessel nach dem Start erst mal hochheizen und können daher längst nicht so dynamisch reagieren wie reine Gaskraftwerke. Sie eignen sich daher eher für die Mittellast, werden jedoch aufgrund ihrer hohen Stromgestehungskosten in letzter Zeit zunehmend unwirtschaftlich. Zurzeit werden deshalb zahlreiche Neubauprojekte gestoppt und sogar bereits in Betrieb befindliche GuD-Kraftwerke stillgelegt.
Fred F. Mueller