Herr Dr. Humpich, sie haben kürzlich das Buch „Atommüll – Der Versuch einer Neubetrachtung“ veröffentlicht, indem es um das Strahlenrisiko der Atomkraft und das Problem des Umgangs mit dem Atommüll geht. Was war ihre Motivation? Jetzt wo der beschleunigte Atomausstieg beschlossene Sache zu sein scheint, kann so ein Buch überhaupt noch eine Rolle spielen?
Gerade die öffentliche Debatte in den letzten Tagen zeigt doch deutlich, dass sich die „reale Welt“ nicht nach irgendwelchen Beschlüssen irgendwelcher Parteien richtet. Deutschland schaltet seine Kernkraftwerke ab, aber wird dadurch weniger „Atommüll“ produziert, wenn man nun „Atomstrom“ aus dem Ausland bezieht? Wird durch einen Ausstiegsbeschluss auch nur ein Gramm des bereits vorhandenen radioaktiven Materials beseitigt? Verweigert Deutschland zukünftig auch die Nutzung radioaktiver Stoffe in Medizin und Forschung? Sind geplante Atommülllager unmittelbar an der deutschen Grenze so viel sicherer, weil sie Schweizer oder französischen Vorschriften genügen? Wie soll der „Anti-Strahlungs-Schutzwall“ aussehen? Ich wage vielmehr zu behaupten, dass sich noch keine Partei in Deutschland ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt hat. Insofern halte ich ein solches Buch für notwendiger denn je. Meine Motivation war, die komplexe Materie möglichst verständlich darzustellen, um sie auch für nicht Fachleute erfassbar zu machen und darüber hinaus aufzuzeigen, in welche Richtungen sich Lösungen des Problems auftun. Ist der Pulverdampf politischer Auseinandersetzungen erst verflogen, wird man sich dem Problem wieder sachlich nähern müssen. Dieses Buch könnte für alle ernsthaft interessierten den Einstieg in die Materie ermöglichen. Es gibt klar gekennzeichnete „Prüfbedingungen“ und mögliche Handlungsanweisungen für die Beurteilung unterschiedlicher Konzepte an. Insofern mag es allen Bürgern, die — dank der neuen „ergebnisoffenen“ Suche –demnächst mit einem potentiellen Endlager in ihrer Nähe konfrontiert werden, etwas nützlich sein.
Sie schreiben viel über relative Belastungen mit radioaktiven Strahlen, über die Strahlung der natürlichen Umgebung, durch unseren Umgang mit Technik und die Kernenergienutzung. Der Laie stößt hier auf paradoxe Zusammenhänge. Natürliche Hintergrundstrahlung, Röntgenuntersuchungen und die Radioaktivität von scheinbar harmlosen Energieträgern wie Kohle belasten uns mehr als die Radioaktivität von Kernkraftanlagen. Haben wir vor der Kernenergie zuviel Angst?
Man sollte im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen sehr vorsichtig mit dem Begriff Angst sein. Ängste sind immer subjektiv und für den, der darunter leidet, sehr belastend. Man sollte daher die Ängste von Menschen stets respektieren und sehr ernst nehmen. Für jemand, der ernsthaft unter Flugangst leidet, ist die Angabe einer Wahrscheinlichkeit für Flugzeugabstürze wenig hilfreich, oft sogar zusätzlich belastend, weil er sich dadurch in seinen Ängsten nicht ernst genommen fühlt und folglich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. In diesem Sinne, habe ich keinerlei Probleme mit der Angst von Menschen vor Strahlung. Etwas völlig anderes ist es jedoch, wenn das schüren von Ängsten als politische Waffe eingesetzt wird. Wenn ein Flugzeug nur noch als das Produkt einer profitgierigen Flugzeugmaffia verunglimpft wird, das jede Woche Millionen armer Fußballfans durch Abstürze auf vollbesetzte Stadien gefährdet, dann muss die Stunde der Aufklärung schlagen. Denn nicht die Menschen mit Angst vorm Fliegen sind verwirrte Geister, sondern die Verbreiter von Gruselgeschichten zur Förderung und Verschleierung ihrer politischen Ziele. Jedenfalls gibt es keine Technik, die durch eine Mixtur aus Halbwahrheiten und tumber Propaganda so verteufelt wurde, wie die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Für mich ist allein der Begriff „Atomexperte“ als Synonym für einen Menschen, der garantiert keine fachliche Qualifikation besitzt, ein in der Welt einzigartiges Phänomen. Wo sonst ist es denkbar, dass sich Bäcker und Schuster wie in deutschen „Qualitätsmedien“ über den Stand bei Herzoperationen verbreitern dürfen und ein ganzes Volk — angeblich — tief ergriffen lauscht? Zugegebenermaßen mag der Anspruch über die Herkunft radioaktiver Strahlung in unserer Umwelt informieren zu wollen und eine Vergleichbarkeit und Gewichtung herstellen zu wollen, etwas arg idealistisch anmuten. Schließlich kommt in Deutschland ja auch der Strom aus der Steckdose und der Staat sorgt für die Arbeitsplätze.
Es mag ja sein, dass der Normalbetrieb von Kernkraftwerken nicht sonderlich gefährlich ist. Was aber, wenn es wie in Fukushima richtig kracht. Ist das nicht auch ein vorstellbares Szenario für Deutschland und Europa? Riskieren wir hier nicht zuviel? Immerhin geht es um zehntausende Tote und eine auf lange Zeit verstrahlte Umwelt. Was sagen Sie zu den Gefahren des Super GAU?
Die „Anti-Atomkraft-Bewegung“ in Deutschland baut auf zwei Axiome auf: (1) Wenn es in einem Kernkraftwerk zu einem Schaden kommt, sterben Millionen Menschen und mindestens eine Region ist für zehntausende von Jahren unbewohnbar. (2) Die „Atommüllfrage“ ist nirgendwo gelöst und wir hinterlassen nachfolgenden Generationen Berge von tödlich strahlendem Müll. Mit diesen zwei Jokern wird seit Jahrzehnten in Deutschland jedwede Diskussion über Energiepolitik erfolgreich auf Stammtisch-Niveau herunter gebrochen. Die gehoben ministerielle Form von (1) und (2) ist neuerdings das Geschwafel vom Restrisiko. Scheinbar müssen sich deutsche Politiker immer ins mystische flüchten, wenn sie über keine rationalen Argumente verfügen können. Lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit und Klarheit sagen: Beide Axiome sind schlichtweg Unsinn und dienen wie der Hexenwahn des Mittelalters lediglich politischen Zwecken. Spätestens seit dem tragischen Experiment Tschernobyl wissen wir, daß es selbst durch eine nukleare Explosion, die einen kompletten Reaktor pulverisiert und wie bei einem Vulkan tausende Meter in die Höhe schleudert, nicht möglich ist Millionen Menschen zu töten und Regionen für zehntausende Jahre unbewohnbar zu machen. Das nähere Umfeld der Ruine hat sich inzwischen zur Touristenattraktion entwickelt. Reaktorunfälle sind zwar sehr kostspielig und die Beseitigung ihrer Folgen nimmt Jahrzehnte in Anspruch, aber sie führen — im Vergleich zu Flugzeugabstürzen, Schiffsunglücken usw. — nur zu geringen Opferzahlen. Wie politisch scheinheilig die Argumentation ist, zeigt gerade wieder Fukushima: Parallel zum Reaktorunglück hat die gleiche Naturkatastrophe beispielsweise zum Niederbrennen einer Raffinerie in der Tokio Bay geführt. Bei den verzweifelten Löscharbeiten sind 30 Feuerwehrleute getötet worden. Hat deshalb ein Deutscher Politiker die sofortige Stilllegung aller Raffinerien in Hamburg gefordert? Wer immer noch nicht einsehen will, dass es sich bei der „Anti-Atomkraft-Bewegung“ um eine Bewegung zur Gesellschaftsveränderung handelt, dem ist nicht mehr zu helfen. Eine Gesellschaft, die sich vor macht, Wohlstand sei ohne jedes Risiko zu haben, ist unweigerlich zum Untergang verurteilt. Der freiwillige Weg zurück ins Zeitalter von Wind und Sonne ist der wahre Super GAU. Geradezu peinlich ist es, wenn man das auch noch als „High Tech“ verkaufen will.
Die Reaktorunfälle in Tschernobyl und in Fukushima wurden in den vergangenen Monaten gern in einem Atemzug genannt. Ist dieser Vergleich überhaupt zulässig. Was war los damals in dem sowjetischen Reaktor? Wie schätzen Sie dagegen die Lage in Fukushima ein?
Technisch und von den Opferzahlen betrachtet, haben diese beiden Ereignisse soviel gemeinsam, wie der Flugzeugabsturz von Lockerbie mit einer Notlandung eines Sportflugzeuges nach einem Motorschaden. Es gibt allerdings eine fatale Gemeinsamkeit, die manchem als trivial erscheinen mag: Entweder man macht es fachlich richtig oder man lässt es wirklich besser ganz bleiben. In beiden Fällen wurde bewusst gegen eindeutige Erkenntnisse verstoßen. Im Falle Tschernobyl hat man um den Preis einer billigen und versteckten Produktion von waffengrädigem Plutonium — gegen massive Kritik — einen Reaktor gebaut, der jederzeit explodieren konnte. Im Falle Fukushima hat man eine Sicherung gegen Flutwellen von rund 6m Höhe gebaut, obwohl man wusste, dass schon mehrfach Flutwellen von über 14 m in diesem Gebiet aufgetreten sind. Ich wage voraus zu sagen, dass nach Fukushima für die japanische kerntechnische Industrie nichts mehr so sein wird wie zuvor. Es wird ähnlich heilsame Konsequenzen geben, wie es sie nach TMI in den USA gegeben hat. Ich hoffe nur, dass man in China und Korea lernfähiger ist, als es die Japaner offensichtlich waren.
Ihr Buch handelt vor allem vom Umgang mit Atommüll, wie er entsteht, woraus er sich zusammensetzt und welche Gefahren von ihm ausgehen. Inwieweit wird unser tägliches Leben dadurch beeinträchtigt?

Man muss sich immer wieder vor Augen führen, welch gewaltige Energie durch die Kernspaltung freigesetzt wird: Ein Gramm Uran erzeugt so viel Wärme, wie die Verbrennung von 3000 kg Kohle. Oder anders ausgedrückt: Die Mengen entstehenden „Atommülls“ sind extrem gering. Damit lassen sie sich auf einfache Weise und zu relativ geringen Kosten lagern. Der radioaktive Zerfall ist ein physikalischer Prozess, der nur in einer Richtung abläuft: Die radioaktiven Substanzen verschwinden mit der Zeit wieder von allein. Ganz anders, als bei biologischen Prozessen: Die Krankheitserreger die in tausenden Biogasanlagen (unbeabsichtigt) gezüchtet werden, können sich durchaus in der „freien Natur“ unkontrolliert ausbreiten. Hier können einige wenige Erreger durch ihre Vermehrung eine gewaltige Katastrophe auslösen.
Aber was fangen zukünftige Generationen mit unserem Atommüll an?

Was zukünftige Generation alles mit dem sog. „Atommüll“ anfangen werden, vermag ich nicht zu sagen. Nur so viel, es fängt alles mit den Begriffen Müll oder Abfall an. Natürlich ist der abgenutzte Brennstab für den Kraftwerksbetreiber Abfall, da sein Geschäftsmodell die Erzeugung von elektrischer Energie ist. In diesem Sinne ist das „abgebrannte Brennelement“ für ihn wertlos und verursacht durch seine kontrollierte Lagerung nur zusätzliche Kosten. Technisch betrachtet, stellt sich die Sache völlig anders dar: Zu dem Zeitpunkt der Entladung, sind lediglich etwa 4% des enthaltenen Urans gespalten worden. In dem Moment, wo Natururan so teuer geworden ist und andererseits die Technologie zur Wiederaufbereitung alter Brennstäbe entsprechend billiger, setzt aus wirtschaftlichen Gründen die Wiederaufbereitung in großem Maßstab ein. Aus heutiger Sicht wird das erst in mehr als hundert Jahren der Fall sein, da die Uranvorräte auf der Welt — anders als man in den 1950er Jahren erwartet hatte — gewaltig sind. Wohlgemerkt, die zu (heutigen) geringen Preisen abbaubaren. Auch bei dieser Fragestellung wird von Laien oft die gewaltige Energiedichte der Kernspaltung völlig unterschätzt. Um mit heutigen Reaktoren etwa 1000 MWe ein ganzes Jahr zu produzieren, werden lediglich rund 200 to Natururan benötigt. Ein pound U3O8 kostet etwa 38 € und enthält so viel spaltbares Uran 235, wie dem Energiegehalt von rund 7,5 to Steinkohle entspricht. Diese Menge kostet aber zur Zeit (Preisbasis Juni 2011) rund 652€. In diesem Zahlenverhältnis liegt ganz neben bei auch die Begründung, warum sich nur Deutschland meint den Luxus leisten zu können, seine Kernkraftwerke sofort abzuschalten.
Das sind alles wirtschaftliche Erwägungen. Was aber ist mit der Strahlensicherheit?

Nun aber noch ein paar Worte zu den Spaltprodukten: Sie sind es, die maßgeblich für die radioaktive Strahlung der abgenutzten Brennelemente verantwortlich sind. Sie machen also die „Gefährlichkeit“ aus. Sie wandeln sich gemäß ihrer verschiedenen Lebensdauern (Halbwertszeiten) letztendlich in stabile — also nicht mehr strahlende — Elemente um. An dieser Stelle muss man sich wieder der Mengen vergewissern: Die Spaltprodukte machen weniger als 4% des Brennelementes aus. Also einen Bruchteil einer ohnehin geringen Menge. Es spricht nichts dagegen, diese äußerst geringen Volumina sicher einzulagern. Nach etwa 300 Jahren wäre dieser Mix praktisch vollständig zerfallen. Es hätte sich also ein sehr „wertvolles Erz“ mit hohen Gehalten an heute schon sehr wertvollen Elementen gebildet. Dies ist die Antwort, warum außerhalb Deutschlands nur noch von „rückholbaren Lagern“ gesprochen wird. Kein Mensch — es sei denn, er ist ideologisch völlig verblendet — will es den nachfolgenden Generationen unnötig schwer machen, an diese (wahrscheinlich schneller als erwartet) sehr wertvollen Lagerstätten zu gelangen. Ganz neben bei, bietet die geplante„Rückholbarkeit“ eine zusätzliche Sicherheit gegen alle möglichen Eventualitäten. Ein Schelm, wer an den Sinneswandel mancher Politiker aus dem Süden der Republik denkt, wenn es um das „Endlager“ Gorleben geht.
Für Sie ist ein Großteil des Atommüllproblems Ergebnis falscher Energiepolitik. Erzählen Sie uns bitte, warum sie dieser Meinung sind und welche Rolle die Wiederaufbereitung von abgebrannten Kernbrennstäben dabei spielt?

Wie gesagt, nach der Verwendung im Reaktor sind erst rund 4% des Urans gespalten, also verbraucht worden. Es lag also von Anfang an nahe, die restlichen 96% auch noch zu verwenden. Am Beginn des Zeitalters der Kerntechnik ging man noch von wenigen (wirtschaftlich) abbaubaren Uranvorkommen weltweit aus. Hinzu kam noch der Bedarf für die nukleare Rüstung. Es erschien daher notwendig, möglichst schnell auf Brutreaktoren überzugehen, um die begrenzten Uranminen zu schonen. Heute hat sich so viel auf dem Sektor der Exploration und Gewinnung getan, dass man mit den (wirtschaftlichen) Uranvorkommen mehrere Jahrtausende Kerntechnik auf dem heutigen Niveau betreiben könnte. Für eine Wiederaufbereitung und Brutreaktoren bestünde nur eine Notwendigkeit, wenn man die Nutzung der Kernenergie erheblich ausweiten würde. So ist man z. B. in den USA der Meinung, für mindestens hundert Jahre auf eine Wiederaufbereitung verzichten zu können, da der offene Kreislauf mit nur einmaliger Nutzung der mit Abstand profitabelste Weg ist. Die Frage ob Endlagerung oder Wiederaufbereitung ließe sich somit weitere hundert Jahre verschieben. Allerdings vergrößert sich dadurch beständig die Menge des zu lagernden Atommülls. Technisch/wirtschaftlich ist das kein Problem. Es entwickelt sich aber immer mehr zu einer ethischen Frage, ob es verantwortbar ist, die Kosten nachfolgenden Generationen ungefragt aufzubürden. Es geht deshalb immer mehr um die Beseitigung des Atommülls als Gefahrenquelle. Durch eine Trennung in stark strahlende Spaltprodukte, langlebige Aktinoide und „harmloses“ Uran lassen sich die zu schützenden Mengen um über 90% verringern. Wenn man aus den Spaltprodukten bzw. dem Resturan 99,9% der Transurane einschließlich des Plutoniums entfernt, erhält man ein Produkt auf dem Niveau von natürlichem Uranerz. Bei den Spaltprodukten handelt es sich um ein Problem von unter 300 Jahren, da sie danach praktisch zerfallen sind. Es gibt sogar Studien, die Anteile mit längeren Halbwertszeiten (Cäsium, Strontium) auch noch abzutrennen und eventuell über Neutronenreaktionen zu beseitigen. Technisch kein Problem, sondern lediglich eine Kostenfrage. Der Atommüll wäre somit ein Problem weniger Jahrzehnte. Die langlebige Fraktion der Aktinoiden einschließlich des Plutoniums würde in Reaktoren mit schnellem Neutronenspektrum „verbrannt“ werden. Je nach Wunsch zur endgültigen Beseitigung oder zur Erzeugung neuen Spaltmaterials.
Wie kam es, dass diese Alternative zur Entsorgung des Kernbrennstoffs in Deutschland so in Misskredit geriet?
Es ist klar, dass dieser Weg in Deutschland — in des Wortes Bedeutung — mit aller Gewalt (Wackersdorf) verhindert werden musste, um das zweite Axiom der „Anti-Atomkraft-Bewegung“ von dem nicht gelösten Atommüllproblem zu erschaffen. Würde man zum „integrierten Entsorgungskonzept“ zurückkehren, wäre das zentrale „Totschlagargument“ wie eine Luftblase zerplatzt. Man darf dabei aber nicht die Rolle der Betreiber außer acht lassen. Während die „Autonomen“ über Monate bürgerkriegsähnliche Veranstaltungen am Bauzaun aufführten, ließen die Vorstände Politik und Polizei im Regen stehen. Unter Anstiftung des späteren Rot/Grünen Ministers Müller (parteilos), zog man sich generös zurück. Der Zucker des Umweltministers Trittin mit der „Konditionierung der Brennstäbe“ und deren Endlagerung in Gorleben erschien einfach zu profitabel. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. In grenzenloser Selbstüberschätzung oder Unterschätzung des strategischen Vermögens K-Gruppen-gestählter Politiker, steht man nun vor einem Scherbenhaufen der Nutzung der Kernenergie in Deutschland. 
Bringt man über die Wiederaufbereitung in Spiel muss man nicht lange auf das Totschlagargument des illegalen Plutoniumhandels mit Terroristen und Schurkenstaaten warten. Was ist an diesem Argument dran? Gibt es eine Alternative?
Bisher ist noch keiner den Weg über „Reaktorplutonium“ zur Atombombe gegangen. Er ist einfach zu aufwendig und wenig zielführend. Man ging bei dem Gedanken der Weiterverbreitung vielmehr von der Verbreitung der Technologien zum Bau einer Atomwaffe aus. Wie die Geschichte inzwischen gelehrt hat, war es nicht möglich „Wissen“ geheim zu halten. Heute ist das Wissen der 1940er Jahre überall auf der Welt frei zugänglich. Selbst die Hürde der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist, wie spätestens Pakistan und Indien bewiesen haben, sehr klein geworden. Wer zusätzliche Kernwaffenstaaten verhindern will muss andere Wege gehen. Wie ineffektiv das Verhindern von Zugang zu Technologie ist, stellt Iran anschaulich unter Beweis. Weit erfolgreicher erscheinen die Abkommen mit den VAE zu sein. Die Emirate verzichten glaubwürdig auf die Entwicklung von Kernwaffen, in dem sie auf den gesamten Brennstoffkreislauf verzichten und sich Brennelemente quasi nur ausleihen. Dafür erhalten sie internationale Garantien zur Belieferung mit Brennelementen und zur Bereitstellung von Wiederaufbereitung. Bei diesem System ist das Plutonium in den abgebrannten Brennelementen durch die Verunreinigung mit Spaltprodukten sicher geschützt. Bevor dieser „Schutz“ zerfallen ist, werden diese Stäbe wieder zurück in einen Vertragsstaat zur Wiederaufbereitung geschafft. All dies geschieht selbstverständlich ohne Deutschland. Obwohl gerade Deutschland besonderes Vertrauen und Ansehen in der arabischen Welt genießt. Wer nicht so unbedingt gerne mit den USA und Russland kooperiert, muss sich notgedrungen nach Asien orientieren. Europa unter (selbst verursachten) Ausschluss von Deutschland generiert immer mehr zum Bio-Bauern-Hof der Welt.
Sie hinterfragen in ihrem Buch die Forderung nach einem „sicheren Einschluss des Atommülls für geologische Zeiträume“. Weshalb? Welche Rolle ordnen sie der Endlagerung überhaupt zu?

Ich bin grundsätzlich ein Gegner von Endlösungen. Die Kerntechnik hat von Anfang an versucht, den Weg der Abfallentsorgung über Deponien zu verhindern. Der Ansatz von Rot/Grün einfach gebrauchte Brennelemente zu verbuddeln ist der Weg ewig gestriger. Er ist genauso kurzsichtig und unüberlegt, wie die „Müllkippen“ der Vergangenheit. Man kann sich zwar für kurze Zeit entsorgen, hinterlässt aber den Nachkommen einen Haufen Probleme, für den diese meist mit Zins und Zinseszins bezahlen müssen. Ehrlich gesagt, erschüttert mich die Skrupellosigkeit von Politikern, die Probleme erschaffen, nur um mit diesem Vehikel ihre Weltsichten durchzudrücken. Wie gesagt, weltweit hängt nur noch die deutsche Linke an dem Gedanken eines endgültigen Lagers. 
Wagen Sie für uns bitte einen Ausblick in die Zukunft. Ist die Kernenergie auch international Auslaufmodell oder handelt es sich wirklich nur um einen deutschen Alleingang?
Sehen wir es ganz nüchtern. Wir haben Kohle, Öl, Gas und Kernenergie als stets verfügbare Energien. Sonnenenergie und ihre Derivate (Wind, Biomasse etc.) sind nur zufällig verfügbar und somit für eine moderne Industriegesellschaft völlig ungeeignet. Da hilft auch nicht das ewige Gefasel von der Wunderwaffe Speicher, die demnächst zur Verfügung steht und den Endsieg sichert. Tatsache ist, es ist nicht einmal ein neuer physikalischer Speicher-Effekt in den letzten hundert Jahren entdeckt worden. Hinzu kommen neben der ohnehin sehr geringen Energiedichte noch die hin und zurück auftretenden Wandlungsverluste bei der Speicherung. Wenn man fossile Brennstoffe nicht mehr nutzen kann oder will, wie es die Klimapolitik von uns fordert, bleibt überhaupt nur die Kernenergie. Wohlgemerkt, wir reden über die großtechnische Nutzung, die den Energiehunger von Milliarden Indern und Chinesen stillen muss! China hat nicht ohne Grund die Kraftwerkstechnik als eine der drei zentralen Technologiebereiche, also neben Automobilindustrie und Informationsverarbeitung, erwählt.
Wenn wir den Stand der Kerntechnik von heute mit der Entwicklung der Schifffahrt vergleichen, schnauben gerade die ersten Kohle verschlingenden Dampfer über die Weltmeere. Hin und wieder explodiert auch mal ein Kessel, aber der Vorteil der Unabhängigkeit von den Launen des Windes überzeugt immer mehr Reeder. Einige besonders weitsichtige Reeder bestellen die ersten Dampfer mit Ölkesseln. Sie laufen demnächst vom Stapel. Auf den Reißbrettern führender Werften werden bereits ganz neue Antriebskonzepte geplant. Völlig neue Häfen entstehen. Nur Käpt’n Blaubär und seine Gefolgsleute halten Dampfer für Teufelszeug und geben ihnen keine Zukunft.
Aber geht das nicht alles auch ohne uns? Käpt’n Blaubär lebt doch auch in seiner Nische.

Spaß beiseite. Das Zeitalter der Kerntechnik (Uran und Thorium) beginnt gerade erst und wird mindestens die nächsten 500 Jahre die Entwicklung der Menschheit vorantreiben. Es sei denn, die Erde wird von einem Meteoriten getroffen. Ob Deutschland nun mitmacht oder nicht, ist dafür völlig unerheblich. Selbstverständlich kann Deutschland sich zu einem Agrarstaat zurück entwickeln, wenn es Atomangst hat. Allerdings waren die Alleingänge in der deutschen Geschichte nie von langer Dauer und noch viel weniger erfolgreich.
Warum China so massiv in die Kerntechnik einsteigt, liegt nicht nur an dem gewaltigen Energiehunger. China hat erkannt, dass die Kerntechnik die Sperrspitze des Kraftwerks- und Anlagenbaues ist. Gerade die deutsche Industriegeschichte der siebziger bis neunziger Jahre hat das eindrucksvoll bewiesen. Sie besitzt ausdrücklich Vorbildfunktion. Was wäre Werkstofftechnik, Schweiß- und Schmiedetechnik, Regelungs- und Automatisierungstechnik, Sicherheits- und Qualitätstechnik ohne den Anschub aus der Kerntechnik? Insofern ist es folgerichtig für jeden „Gesellschaftsveränderer“ hier den Hebel anzusetzen. Eine zeitlang wird es deutschen Zulieferern noch gelingen vorne mitzuspielen. Langfristig ergeht es ihnen, wie der deutschen Werftindustrie. Wo werden noch mal die Spezialschiffe für Nordsee Windparks gebaut? Richtig, nicht in Deutschland. Deutsche Werften haben längst den technologischen Anschluss verpasst. Sie waren zu lange mit dem Verkauf von Blaupausen in sog. Entwicklungsländer beschäftigt. Schiffbau ist doch Saurier-Technologie aus vergangenen Jahrhunderten.
Nicht nur Umweltschützer fordern den raschen Ausstieg aus der Kernenergie aus Sicherheitsgründen, auch einige Liberale halten die Atomkraftnutzung für wirtschaftlich nicht vertretbar. Ist die Kernenergie tatsächlich nicht versicherbar und nur am Tropf staatlicher Subventionen lebensfähig?
Allein ihre Formulierung „wirtschaftlich vertretbar“ lässt schon tief blicken, finde ich. Für Investoren kommt es darauf an, was die kWh kostet, die in einem Kraftwerk erzeugt wird. Kernenergie ist die zurzeit preiswerteste Methode elektrischen Strom zu erzeugen und das weltweit und im Vergleich zu allen anderen Energieträgern. Deshalb investieren die ölfördernden Länder (Saudi Arabien 16 geplant, VAE 4 bestellt), Kohle fördernden Länder (China, Indien, USA) und selbst die traditionellen Nutzer der Wasserkraft (Brasilien, Schweden, Rußland) mehr oder weniger massiv in neue Kernkraftwerke. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die alle nicht rechnen können sollen bzw. trotz teilweise grundsätzlich verschiedener politischer Systeme trotzdem alle zu ähnlichen Ergebnissen kommen? Warum muss sich sonst die deutsche Linke so viel Mühe geben, immer wieder neue „externe Kosten“ zu erfinden, die angeblich „internalisiert“ werden müssen? Wer behauptet, dass Kernkraftwerke nicht versichert sind? Wenn eine höhere Versicherungssumme gewünscht wird, bitte. Nur macht eine Versicherung nur Sinn, wenn sie im Ernstfall auch zahlen kann. Im Falle solcher „Einzelrisiken“, wie sie Kraftwerke, Staudämme, Chemieanlagen etc. darstellen, lassen sich die laufenden Schadensfälle aber nicht aus den entsprechenden Zahlungsströmen der Prämien decken. Deshalb muss das Geld — auf welche Art auch immer — im Topf sein. Also müssen Rücklagen gebildet werden. Ich möchte allerdings sehen, welcher Politiker dafür auf laufende Steuereinnahmen verzichten will. Ich frage zurück: Welche Versicherungssumme erscheint ihnen angemessen und sinnvoll? Eine Milliarde, hundert Milliarden oder lieber doch gleich 1000 Milliarden? Das Finanzministerium kann ihnen sicherlich die dafür erforderlichen Steuerausfälle ausrechnen. Neu sind solche Rechnungen übrigens nicht, es sind die gleichen Methoden, mit denen auch die „Eigenversicherungen“ bei öffentlichen Investitionen begründet werden. Ich wage zu behaupten, dass gerade die linken Parteien sehr schnell von dieser Forderung abrücken werden. Warum angeblich liberale Politiker auf solche Forderungen hereinfallen, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Am wahrscheinlichsten erscheint mir aber, dass es sich schlichtweg um mangelnde Sachkenntnis handelt.
Was ist von dem immer wieder vorgebrachten Widerspruch zwischen großtechnischer Kernenergienutzung und dezentraler Energieversorgung aus erneuerbaren Energien zu halten?

In der Energietechnik gibt es ausgeprägte Skaleneffekte. Das betrifft ein Kernkraftwerk genau so, wie den Windpark im Meer. Je größer die Anlage, je geringer die spezifischen Kosten für Personal und Material. Die Frage „zentral“ oder „dezentral“ muss daher politisch entschieden werden. Allerdings gibt es bei jedem komplexen System ein Optimum. Der Windpark in der Nordsee, der München mit Strom versorgen soll, ist mit Sicherheit genauso wenig optimal, wie (ausschließlich) Kernreaktoren mit über 1700 MWe. Die Zukunft wird zeigen, wohin die Reise geht. Ich bin allerdings persönlich überzeugt, dass in wenigen Jahrzehnten Kernkraftwerke mit kleiner Leistung als „Blockheizkraftwerke“ für die Metropolen und Industrieparks der Welt noch eine ungeahnte Rolle spielen werden. Aber auch auf diesem Gebiet, ist China nicht untätig. Warum sollten wir auch in zwanzig Jahren nicht unsere Kraftwerke aus China importieren? Klappt doch heute schon ganz gut mit Notebooks und Unterhaltungselektronik. Womit wir die dann bezahlen sollen? Natürlich mit Äpfeln vom Biobauernhof, schließlich müssen die leeren Containerschiffe auf ihrer Rückfahrt ohnehin Ballast aufnehmen. In diesem Sinne, glückliches „atomfreies“ Deutschland, denn diesmal muss der Letzte nicht mal mehr das Licht ausmachen.
Herr Dr. Humpich, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Das Interview führte Steffen Hentrich
Das Interview erschien bereits im Juni 2011 bei Freie Welt– Wir betrachten es abe rals sehr wichtig die darin geäußerten Gedanken unserer Leserschaft heute nochmals zugänglich zu machen
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Bog des Interviewten Dr. Klaus-Dieter Humpich hier

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