Erst Kohle, jetzt Kernkraft: Die Schiefer-Revolution krempelt die Energieindustrie um
Block 3 des von Duke betriebenen Crystal River-Kernkraftwerkes (Bild rechts) trifft das gleiche Schicksal wie der von Dominion Resources Inc. betriebene Kewaunee-Reaktor in Wisconsin, der als erstes wegen der steigenden Versorgung mit Schiefergas herunter gefahren wird. Das steht als Signal für Betriebe von Japan bis nach Belgien, wo man sich ebenfalls überlegt, Reaktoren außer Betrieb zu nehmen. Mindestens vier weitere US-Reaktoren stehen ebenfalls auf der Kippe, vorzeitig geschlossen zu werden wegen der neuen Bedingungen auf dem Energiemarkt, sagte Julien Dumoulin-Smith, ein in New York ansässiger Analyst bei UBS Securities LLC in einem Telefoninterview.
„Der Treibstoff des Tages ist Erdgas”, sagte der Funktionär der Regierung von Florida J. R. Kelly in einem Telefoninterview. „Ich persönlich glaube an die Diversität von Treibstoffen. Ich habe nur Bedenken, dass die Kosten neuer Kernkraftwerke unerschwinglich sein werden“.
Die Frage für Duke, dem Marktwert nach größten Unternehmen in den USA, lautet, ob es die Regulatoren in Florida erlauben, den Verbrauchern des [US-Bundes]Staates 1,65 Milliarden Dollar wegen der unnützen Investitionen in den Reaktor in Rechnung zu stellen, während es gleichzeitig die schon jetzt starke Abhängigkeit des Staates von Gas weiter erhöht, um Treibstoff für die Stromerzeuger zu liefern.
Vorteile für den Verbraucher
„Die Public Service Commission von Florida erwartet Anhörungen, um zu entscheiden, ob sich die Entscheidung von Duke, das Kraftwerk zu schließen, für die Verbraucher auszahlt.“ Das sagte die Sprecherin der Kommission Cynthia Muir in einem Telefoninterview.
Kelly sagte, dass er „einen sehr genauen Blick” auf die Anfrage von Duke nach Förderung werfen werde. „Wir werden unsere Zahler nicht im Regen stehen lassen“.
Jim Rogers, der Generaldirektor von Duke, ist einer der Manager, die gewarnt haben, dass eine zu starke Abhängigkeit von Erdgas für die Verbraucher das Risiko von Preissprüngen enthält, wenn die Treibstoffkosten steigen, wie es oft der Fall war in den Jahren, bevor die Erzeuger gelernt haben, es aus dem umgebenden Gestein in den USA und Kanada zu extrahieren.
„Wir betrachten Gas als die brauchbarste kurzfristige Option”, sagte der Duke-Sprecher Mike Hughes in einem Interview. „Die Kosten sind niedrig und wir gehen davon aus, dass das in absehbarer Zukunft auch so bleibt. Langfristig glauben wir, dass man nicht alle unsere Brötchen in den Gas-Korb werfen sollten“.
Gas-Verzerrung [Distortion]
Ein von Schiefergas getriebener Abfall der Gaspreise macht die Energieindustrie diesem Treibstoff zugeneigt, sorgt er doch für fallende Strompreise und Druck auf die Profite von Kohle und Kernkraft. Gleichzeitig machen es steigende Treibstoffpreise und eskalierende Sicherheitsreparaturen an älteren Einheitsreaktoren [single-unit reactors] wie Crystal River immer schwieriger, diese rentabel zu betreiben.
„Erdgas verzerrt wirklich die Märkte”, sagte Margaret Harding, eine Referentin der Kernkraftindustrie in einem Telefoninterview. „Wenn diese kleinen, alten Kraftwerke mit einer Menge Kapital aufgepäppelt werden, wird das schwierig zu rechtfertigen sein“.
Gas wurde in den meisten Regionen der USA zur billigsten Energiequelle, sind doch die Preise um 75% unter den Spitzenpreis von 13,695 Dollar pro Million britischer Thermaleinheiten (Btus) am 2. Juli 2008 gefallen.
Daten zufolge, die von Bloomberg New Energy Finance zusammengestellt worden waren, beliefen sich die Gesamtkosten der Stromerzeugung im vierten Quartal einschließlich Ausgaben für Betrieb und Kapital auf 90,42 Dollar pro Megawattstunde in einem kombinierten Kreislauf-Gaskraftwerk, 140,13 Dollar in einem Kohlekraftwerk und 143,29 Dollar in einem Kernkraftwerk. Dem Energy Department in Washington zufolge kann eine Megawattstunde etwa 800 normale US-Wohnungen für eine Stunde mit Strom versorgen.
Kein Wettbewerb
Der Trend hat Unternehmen veranlasst, eher Gaskraftwerke als eine Serie von neuen Kernkraft-Giganten zu bauen, wie es einst vorhergesagt worden war nach dem 14 Milliarden Dollar teuren Neubau von Reaktoren in Georgia.
„Der Markt sagt uns, dass derzeit nichts wirklich mit Erdgas wettbewerbsmäßig mithalten kann, außer seinen Erneuerbaren, die vollgestopft sind mit Subventionen“, sagte Samuel Brothwell, ein leitender Analyst bei Bloomberg Industries, in einem Telefoninterview. „Die Herausforderung hier besteht darin, dass Erdgas ein großartiger Treibstoff für Kraftwerke sein kann, aber es darf nicht der einzige Treibstoff für Kraftwerke sein“.
Brothwell zufolge nutzt Florida Gas bereits zu etwa zwei Drittel seiner Stromerzeugung und riskiert, zu stark abhängig von einem Treibstoff zu werden, dessen Preis von 2 Dollar auf 15 Dollar pro Million Btus gesprungen und dann wieder auf 2 Dollar seit Anfang dieses Jahrhunderts gefallen ist. Die Abhängigkeit Floridas würde später in diesem Jahrzehnt auf über 70% steigen, falls Duke neue Gaskraftwerke baut, um den havarierten Crystal River-Reaktor zu ersetzen.
‚Humpty Dumpty’
Floridas Regulatoren könnten immer noch bevorzugen, sich auf historisch volatiles Gas zu verlassen, als Milliarden Dollar für die Reparatur eines Reaktors auszugeben, der den Spitznamen „Humpty Dumpty“ wegen der Risse in der Reaktorhülle erhalten hat, ohne Garantie, dass dieser Reaktor je wieder in Betrieb genommen wird. Die staatliche Lizenz für Crystal River läuft im Jahre 2016 aus, und eine Verlängerung um 20 Jahre von der US Nuclear Regulatory Commission zu bekommen ist selbst nach Reparaturen nicht sicher.
„Ich verstehe ihre Entscheidung”, sagte Kelly, der Vertreter der Verbraucher von Duke in Florida. „Wenn sie sich entschlossen hätten, ihn zu reparieren und dann keine Lizenz bekommen hätten, könnten die Ratenzahler noch viel mehr Geld verlieren“.
Duke hat den 36 Jahre alten Reaktor erstanden, als es das Unternehmen Progress Energy Inc. im vorigen Jahr gekauft hat. Das Management von Duke hat dann den damaligen leitenden Direktor Bill Johnson nur Stunden nach der Übernahme seines früheren Unternehmens gefeuert, weil er dazu bestimmt war, Crystal River zu reparieren.
Durchdrehen [Cracking up]
Der bunkerartige Betonbau mit dem 860-Megawatt-Reaktor darin bekam 2009 Risse, als man Dampfgeneratoren austauschen wollte, gewaltige Rohre, die Wärme vom Kernreaktor zu Energie erzeugenden Turbinen leiten. Als das beschädigte Paneel ausgetauscht war, bekamen zwei andere Sektionen Risse, nachdem Ingenieure Stahlseile eingezogen hatten, um das Bauwerk zu verstärken.
Ein Bericht des Unternehmens kam zu der Schlussfolgerung, dass sich die Reparaturkosten des Reaktors auf 1,49 Milliarden Dollar belaufen könnten und damit der größte Versicherungsfall jemals für einen US-Reaktor wäre, und bis zu 3,43 Milliarden Dollar in einem Worst-Case-Szenario, bei dem sich die Risse bis zur Dachwölbung ausdehnen könnten. Bei Duke überlegt man, ein neues, mit Gas betriebenes Kraftwerk zu bauen, um den Ausfall des Reaktors zu ersetzen.
„Gas ist jetzt der Treibstoff und die Technologie unserer Wahl“, sagte Hughes, der Sprecher von Duke. „Es war einer der sehr wichtigen Faktoren bei der endgültigen Entscheidung hinsichtlich der finanziellen Implikationen einer Reparatur oder einer Außerbetriebnahme“.
Die meisten Investoren hatten erwartet, dass Duke Crystal River schließt. Daher hat die alle Ungewissheiten ausräumende Erklärung „als positiv für das Unternehmen und die Aktien gelesen werden“, schrieb Daniel Ford, ein in New York ansässiger Analyst bei Barclays Capital Inc. in einem Forschungsbericht. Duke fiel um 0,4% auf 68,64 Dollar an der Börse in New York.
Wirtschaftliche Überlegungen
Wie das Kenauwee-Kraftwerk von Dominion haben die Generatoren in finanziell höchst angespannter Lage einen einzigen Reaktor und verkaufen Strom an deregulierte Märkte, in denen die Nachfrage unverändert ist, billigere Energiequellen reichlich vorhanden und Zahlungen von den Endverbrauchern zu niedrig sind, um die steigenden Treibstoff- und Wartungskosten aufzufangen, sagte Dumoulin-Smith von UBS.
Während der havarierte Reaktor von Duke einer regulierten Einrichtung gehört, was es ermöglicht, die Reparaturkosten durch staatlich genehmigte Steigerungen der Raten aufzubringen, werden die anderen Kraftwerke in Wettbewerbs-Märkten betrieben von Exelon Corp. und Entergy Corp., wo das Kapital aus Verkäufen stammt. Dumoulin-Smith sagt, dass die Exelon-Kraftwerke Clinton in Illinois und Ginna im Staat New York sowie die Entergy-Kraftwerke Fitzpatrick und Vermont Yankee das größte Risiko aufweisen, geschlossen und fast mit Sicherheit durch Gaskraftwerke ersetzt zu werden.
„Wir tun alles, was wir können, um Clinton weiter zu betreiben, und wir haben noch keine Entscheidung gefällt, das Werk zu schließen”, sagte Joe Dominguez, Vizepräsident bei dem in Chicago ansässigen Unternehmen Exelon, in einem Telefoninterview. „Indem ich dies sage, analysieren wir jedes unserer Kraftwerke auf jährlicher Basis, um ihre weitere ökonomische Brauchbarkeit zu eruieren“.
Reaktoren in Kalifornien
Edison International, dem Kaliforniens zweitgrößter regulierter Versorgungsbetrieb gehört, arbeitet mit den Regulatoren zusammen um zu bestimmen, ob zwei Reaktoren in San Onofre nahe Los Angeles sicher und kosteneffektiv wieder in Betrieb genommen werden können, oder ob sie wegen ungewöhnlicher Abnutzung seiner Dampfgeneratoren für ein Jahr geschlossen werden müssen.
Entergy, ansässig in New Orleans, glaubt, dass sich mit der Zeit die Energiemärkte ausreichend erholen, um Kernkraftwerke außerhalb regulierter Richtlinien zu stützen. „Wir glauben, dass Kernkraftwerke ein wichtiger Bestandteil im Portfolio der Energieerzeugung in den USA bleiben wird“, sagte Mike Burns, ein Sprecher bei Entergy.
„Das Schließen weiterer Reaktoren würde Generatoren und Verbraucher sogar noch abhängiger machen von Schieferbohrungen und dem Gas, das sie fördern“, sagte David Herr, Direktor an der Investmentbank Duff & Phelps.
„Das Risiko, wenn wir all unsere Brötchen in diesen einen Korb werfen, ist Folgendes: Das Schiefer-Phänomen und unsere Fähigkeit, eine riesige Menge billigeren Treibstoffes herzustellen“, sagte Herr, der der Abteilung Energie und Bergbau bei der Bank vorsteht, in einem Interview.
Julie Johnsson & Jim Polson, Bloomberg
To contact the reporters on this story: Julie Johnsson in Chicago at jjohnsson@bloomberg.net; Jim Polson in New York at jpolson@bloomberg.net
To contact the editor responsible for this story: Susan Warren at susanwarren@bloomberg.net
Link: http://www.thegwpf.org/coal-nuclear-shale-revolution-remaking-power-industry/
Übersetzt von Chris Frey EIKE