Atomare Endlagerplanung: Ein endloser Akt politischen Unwillens
UNGLAUBLICH: 35 Jahre nach Auswahl und Erforschung zweier Endlagerstandorte – Gorleben und Konrad – legte die Bundesregierung den Entwurf eines Standortauswahlgesetzes vor, unter anderem mit der Absicht, weitere Standorte erkunden zu lassen.
Dagegen heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26.10.2009 unter Nukleare Entsorgung:
„Eine verantwortungsvolle Nutzung der Kernenergie bedingt auch die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wir werden deshalb das Moratorium zur Erkundung des Salzstockes Gorleben unverzüglich aufheben, um ergebnisoffen die Erkundungsarbeiten fortzusetzen. Wir wollen, dass eine International Peer Review Group begleitend prüft, ob Gorleben den neuesten internationalen Standards genügt. Der gesamte Prozess wird öffentlich und transparent gestaltet.“
Doch die nachstehende Bestandsaufnahme belegt den Widerspruch zwischen politischen Absichten und politischem Handeln. An ihrem Ende stehen nur Fragezeichen und mit ihnen der Verdacht gewollter Verzögerungen.
Was ist mit Endlagerung gemeint?
Endlagerung bedeutet in unserem Land den sicheren und dauerhaften Einschluss von radioaktiven Abfällen und gefährlichem Sondermüll im tiefen Gestein. Diese Art der Endlagerung wird in Deutschland als die beste Entsorgungsoption angesehen, um alle Arten radioaktiver Abfälle und gefährlichen Sondermüll extrem langfristig von der Biosphäre fernzuhalten. Nicht alle Staaten wählten den gleichen Entsorgungsweg. Frankreich und Großbritannien zum Beispiel endlagern schwach- und mittelradioaktiven Abfall kontrollierbar oberirdisch.
Wer ist zuständig für die Endlagerung und wie wird sie finanziert?
Die Verantwortung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle liegt beim Bund. Mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 30. August 1976 wurde dem Bund die Verpflichtung zugewiesen, Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten. Im Bund liegt die Zuständigkeit für Planung, Errichtung und Betrieb von Endlagern beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter. Das BfS kann sich zur Bewältigung der Aufgaben Dritter bedienen. Seither sind 36 Jahre vergangen, ohne dass der Bund seine Verpflichtung erfüllt hat. Von dem wiederholt geäußerten politischen Bekenntnis, dass jene Generation die Endlagerung zu bewerkstelligen hat, die auch den Nutzen der Kernenergie hatte, sind wir allerdings meilenweit entfernt.
Sämtliche Kosten für Planung, Errichtung und Betrieb haben nach dem Verursacherprinzip die Unternehmen zu tragen, bei denen radioaktive Abfälle anfallen. Für die radioaktiven Abfälle besteht Ablieferungspflicht. Die Kosten werden vom BfS jährlich auf der Basis der so genannten Endlagervorausleistungsverordnung erhoben. Für den Standort Gorleben belaufen sich die Kosten bislang auf rund 1,5 Milliarden Euro. Für das Endlager Konrad sind bis zum Beginn des Umbaues zu einem Endlager im Jahr 2007 Kosten in Höhe von fast 1 Mrd. Euro angefallen. Diese Kosten sind nicht mit Gorleben vergleichbar, weil ein bestehendes Bergwerk auf seine Eignung zur Endlagerung untersucht wurde.
Warum wurden Eisenerzgestein und Steinsalz für die Endlagerung in Deutschland ausgewählt?
International besteht Einvernehmen, dass die Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen in tiefen geologischen Formationen die beste Option darstellt. Die Auswahl des Gesteins ist wesentlich von der geologischen Situation des jeweiligen Landes abhängig. Weltweit werden Untersuchungen an Steinsalz, Granit, Basalt, Tuffstein, Kalkstein und Ton vorgenommen.
In der Drucksache 16/1963 des Deutschen Bundestages heißt es: „Die Auswahl des Standortes Schacht Konrad (Anm.: in Salzgitter/Niedersachsen) erfolgte aufgrund seiner speziellen, für sehr günstig bewerteten geologischen Gesamtsituation. Als sich Mitte der70er Jahre abzeichnete, dass die Gewinnung von Eisenerz eingestellt werden würde, wurde vom Betriebsrat der Schachtanlage und anderen vorgeschlagen, die auf Grund der speziellen geologischen Gegebenheiten des Standortes außergewöhnlich trockene Grube auf ihre Eignung für ein Endlager für radioaktive Abfälle zu untersuchen. Voruntersuchungen im Jahre 1975 ergaben keine Aspekte, welche die Eignung der Schachtanlage Konrad für die Endlagerung nicht wesentlich wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle ausschlossen (eignungshöffig). Wesentliche Merkmale waren dabei die Lage des vorgesehenen Wirtsgesteins (Eisenerzhorizont) in ca. 800 Meter bis 1300 Meter unter der Geländeoberfläche und die gute Abdichtung gegen oberflächennahe Grundwasserleiter durch ein mehrere hundert Meter mächtiges Deckgebirge aus tonigem Gestein mit sehr geringer Wasserdurchlässigkeit, ohne potenziell grundwasserführende Klüfte und Störungen. Die Auswahl des Standortes wurde durch einen Erlass des Planfeststellungsbeschlusses im Jahre 2002 und durch das Gerichtsurteil des OVG Lüneburg vom 8. März 2006 bestätigt.“ Die Schachtanlage wird zurzeit zu einem Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle umgebaut. Ursprünglich geplanter Betriebsbeginn war 2013. Inzwischen wird von einem Betriebsbeginn in 2019 ausgegangen. Das Einlagerungsvolumen wurde im Planbeschluss auf 303.000 Kubikmeter begrenzt. Dieses Volumen entspricht dem zu erwartenden Abfallaufkommen einschließlich der Abfälle aus der Stilllegung sämtlicher kerntechnischer Anlagen und Einrichtungen.
Bereits 1963 empfahl die Bundesanstalt für Bodenforschung (heute: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR) die Endlagerung in Steinsalzformationen und begründete dies mit den hervorragenden Stoffeigenschaften von Steinsalz[1]. Steinsalz besitzt insbesondere für hochradioaktive wärmeentwickelnde Abfälle gute Isolationseigenschaften. Unter natürlichen Lagerungsbedingungen ist die Durchlässigkeit gegenüber Gasen und Flüssigkeiten äußerst gering. Die heute im Salzstock vorgefundenen Salzlösungseinschlüsse sind genauso alt wie die den Salzstock aufbauenden Salzgesteine selbst –also älter als 200 Millionen Jahre. Dies ist ein Indiz dafür, dass das Steinsalz als praktisch undurchlässig angesehen werden kann.[2]
Steinsalz verhält sich bei den in der Endlagertiefe vorhandenen Drücken plastisch, das bedeutet, dass die eingelagerten Abfälle im Laufe der Zeit von Salz fest umschlossen sind, ebenso auch Spalten und Risse sich wieder schließen. Fernerhin besitzt Steinsalz eine hohe spezifische Wärmeleitfähigkeit, wodurch die Ableitung der Wärme von hochradioaktiven wärmeentwickelnden Abfällen im Vergleich zu anderen Gesteinen (z.B. Ton oder Granit) begünstigt wird.
Von erheblichem Vorteil ist die hohe Standfestigkeit des Steinsalzes, die die Herstellung großer Hohlräume ohne speziellen bergmännischen Ausbau ermöglicht. Steinsalz-Lagerstätten weisen eine extrem hohe Beständigkeit über Millionen von Jahren auf, obwohl die Überflutung der norddeutschen Tiefebene und Eiszeiten über sie hinweg zogen. Die meisten Vorkommen in Deutschland sind wie der Gorlebener Salzstock über 240 Millionen Jahre alt. Zusammen mit einer über hundertjährigen Erfahrung im Salzbergbau sind dies die wesentlichen Gründe für die Empfehlung der BGR, hochradioaktive Abfälle in Steinsalz endzulagern.
Wann und wie kam es zu dem Standort Gorleben als Endlager?
Immer wieder taucht in der Debatte um den Salzstock Gorleben die Behauptung auf, dass der Standort Gorleben ausschließlich aus politischen Motiven ausgewählt worden sei und dass fachliche Gründe dabei keine Rolle gespielt hätten. Dies trifft nicht zu! Die Geschichte der Auswahl des Salzstocks Gorleben macht deutlich, mit welchem hohen wissenschaftlichen und methodischen Aufwand vorgegangen wurde[3]. Der Auswahlprozess wird am ausführlichsten in einer Expertise des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz[4] beschrieben.
Die Standortsuche für ein Endlager in Steinsalz muss im Zusammenhang mit der Suche eines Standortes für das ursprünglich geplante Nukleare Entsorgungszentrum (NEZ) gesehen werden, die im Jahre 1973 begann. Die radioaktiven Abfälle sollten möglichst am Ort ihrer Entstehung endgelagert werden können. Eine erste Bestandaufnahme des Kenntnistandes über Salzstrukturen in Deutschland enthielt eine neun Jahre zuvor von der Bundesanstalt für Bodenforschung vorgelegte Studie. Die vertiefte Suche begann mit der Beauftragung der Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft (KEWA) durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie, Standorte für ein NEZ auszuweisen. Dabei lag der Schwerpunkt der Standortsuche auf atomrechtlichen Standortanforderungen für den Betrieb kerntechnischer Anlagen, das Endlager selbst stellte dabei eine zusätzliche Anforderung dar[5]. Dabei wurden zunächst auch Standorte in Betracht gezogen, die zwar aus atomrechtlicher Sicht günstige Beschaffenheit aber kein Steinsalz als Endlagergestein aufwiesen.
Der Bund brachte 26 Gebiete als potenzielle Standorte in ein Auswahlverfahren ein. Das Land Niedersachsen begann sein Auswahlverfahren in einem ersten Selektionsschritt mit 140 Salzstöcken.
Aus diesen Standorten in ganz (West)Deutschland wurden in einem mehrstufigen Auswahlprozess bei zunehmender Verfeinerung der Auswahlkriterien zunächst 23 Standorte ausgewählt, von denen im nächsten Schritt 13 und zum Schluss 4 Standorte im Bereich der Salzstöcke Wahn, Lichtenhorst, Gorleben und Höfer in die engere Wahl kamen. Im BMWI – Bericht[6] heißt es. „Für die entscheidende Sitzung des Landeskabinetts am 22. Februar 1977 wurden in einer Kabinettvorlage der Auswahlprozess und die Vor- und Nachteile der vier übrig gebliebenen Standorte ausführlich dargelegt. Dabei wurde der Standort Höfer als eher nachteilig angesehen, da dort bereits ein Salzbergwerk existierte. Am Standort Wahn bestanden Bedenken wegen eines Übungsgeländes der Bundeswehr, das diese nicht aufgeben wollte. Der Salzstock Lichtenhorst hatte den Nachteil, dass er im Grundwasservorranggebiet von Hannover lag. Der Vorteil von Gorleben bestand in der Ausdehnung des Salzstockes (ca. 40 Quadratkilometer), in seiner Tiefenlage von 300 bis 3500 Meter sowie in seiner Unverritztheit (Anm.: Unberührtheit des Salzstockes).“ Zwar wurde auf Wunsch der Region eine Unterstützung der Wirtschaftsförderung in einem besonders wirtschaftsschwachen Teil des (ehemaligen) Zonenrandgebietes bei der Entscheidung berücksichtigt, es ist aber weit verfehlt und nicht haltbar, zu behaupten, die Auswahl sei vor allem unter politischen und nicht unter technisch-wissenschaftlich fundierten Gesichtspunkten durchgeführt worden. (Die Planung des NEZ am Standort Gorleben wurde aus politischen Gründen 1979 eingestellt, Jahre später am Standort Wackersdorf erneut aufgegriffen und 1989 endgültig aufgegeben.)
Hat Deutschland Erfahrungen mit der Endlagerung?
Eindeutig JA mit internationaler Anerkennung und Wertschätzung. Deutschland verfügt über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Endlagerforschung und über praktische Erfahrungen mit der Einlagerung von Abfällen in Bergwerken.
Als Forschungsstätte für die Endlagerung radioaktiver Stoffe erwies sich das stillgelegte Salzbergwerk Asse als geeignet. Im Auftrag des Bundes erwarb die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung am 12. März 1965 das Salzbergwerk. In der Zeit von 1967 bis 1978 wurden ca.124.500 Gebinde mit schwachradioaktiven Abfällen eingelagert.[7] In dieser Zeit wurden verschiedene Techniken für die Einlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen angewandt und erprobt. Die bei diesen Arbeiten ermittelten Ergebnisse wurden von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in die Gorleben-spezifischen Endlagerplanungen eingebracht. In der Zeit von 1979 bis 1995 wurden Einlagerungsmethoden und sicherheitstechnische Fragen für wärmeentwickelnde hochradioaktive Abfälle entwickelt und erprobt. Ferner wurden Techniken zur Verfüllung und zum Verschluss von Bohrlöchern, Kammern, Strecken und Schächten in einem Endlager entwickelt und erprobt[8].
Weiterhin beteiligt sich Deutschland an Forschungsarbeiten in Untertagelaboren im Ausland. Diese sind für Ton/Tonstein Mont Terri in der Schweiz, Mol in Belgien, Tournemire und Meuse-Haute Marne (Bure) in Frankreich. Für das Wirtsgestein Granit werden die Labore Grimsel in der Schweiz und Äspö in Schweden genutzt.
Mit dem Wiedervereinigungsvertrag ging die Dauerbetriebsgenehmigung für das Endlager Morsleben (ERAM) aus DDR-Zeit als befristete Errichtungs- und Betriebsgenehmigung auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) über. Klagebedingt wurde die Einlagerung radioaktiver Abfälle ab 1998 ausgesetzt. 1999 gab das BfS bekannt, die Einlagerung nicht wieder aufzunehmen. Seither betreibt das BfS das Planfeststellungsverfahren für die Stilllegung des Endlagers.
In Herfa-Neurode in Hessen betreibt das Unternehmen Kali & Salz seit 1972 die weltweit erste Untertage – Deponie für Sondermüll. Nach Angaben in Wikipedia lagern in der Deponie etwa 2,7 Millionen Tonnen Giftmüll, davon 220.000 Tonnen quecksilberhaltige Abfälle, 127.000 Tonnen Cyanid-Abfall, 690.000 Tonnen Abfall und 83.000 Tonnen arsenhaltiger Abfälle. Eine zweite Untertage – Deponie wird seit 1995 ebenfalls von Kali & Salz in Zielitz bei Magdeburg betrieben. Besonders bemerkenswert hieran ist, dass die Endlagerung von giftigem Sondermüll in einem ehemaligen Salzbergwerk zu keinen bedeutenden Protesten in der Öffentlichkeit geführt hat. Im Unterschied zu radioaktivem Abfall zerfällt der Sondermüll nicht und behält für immer und ewig seine Toxizität.
Welche Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung gibt es?
Es besteht die politische wie ethische Verpflichtung, die bei der Nutzung der Kernenergie entstandenen radioaktiven Abfälle möglichst zeitnah und schadlos dauerhaft aus der Biosphäre zu entfernen. Radioaktive Abfälle dürfen weder die damit umgehenden Menschen, noch die allgemeine Bevölkerung und die Umwelt schädigen, noch dürfen sie künftigen Generationen zum Schaden gereichen oder ihnen unzulässige Lasten auferlegen. Künftige Generationen sollen dabei gegenüber den heutigen Nutznießern nicht schlechter gestellt sein. Eine derartige Denkweise ist nicht selbstverständlich und in der Kultur- und Technikgeschichte ziemlich neu. Belege dafür, dass heutzutage nicht danach gehandelt wird, sind beispielsweise die Abgabe von klimaschädlichen Stoffen in die Atmosphäre oder auch der Verbrauch von in Jahrmillionen entstandenen Kohle-, Mineralöl- und Gasvorräten innerhalb weniger Generationen. Was scheinbar als selbstverständlich hingenommen wird.
Gleichartiges Bemühen vieler Nationen um einheitliche Sicherheitsstandards führte zur Verabschiedung der Entsorgungskonvention durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) in Wien. Deutschland ist seit 1998 Vertragsstaat. In der EU ist fernerhin die Richtlinie 2011/70/ EURATOM des Rates vom 19.7.2011 heranzuziehen.
Die Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung radioaktiver Abfälle sind erstmals im Jahr 1983 vom Bundesumweltministerium im Bundesanzeiger unter dem Titel „Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk“ veröffentlicht worden. Diese wurden im Jahr 2010 dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik angepasst. Sie dienen als Bewertungsmaßstab für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen eines Endlagers im Rahmen eines Standortauswahl- und Planfeststellungsverfahrens[9].
Wesentliche Elemente der Anforderungen[10] sind unter anderem:
- Es muss ein Mehrbarrierensystem realisiert werden können, das den im kerntechnischen Bereich üblichen Prinzipien der Redundanz (doppelte Sicherheitssysteme) und Diversität (unabhängige Wirkungsmechanismen) folgt.
- Für eine Million Jahre muss gezeigt werden, dass allenfalls sehr geringe Schadstoffmengen aus dem Endlager freigesetzt werden können. Hierzu muss in einer Langzeitsicherheitsanalyse die Dichtheit des einschlusswirksamen Gebirgsbereiches nachgewiesen werden.
- Die Sicherheit des Endlagers muss von der Planung bis zum Verschluss des Endlagers einem kontinuierlichen Optimierungsprozess mit periodischen Sicherheitsüberprüfungen unterworfen werden.
Was geschah nach der Auswahl des Endlagerstandortes Gorleben?
In den Jahren 1979 bis 1983 wurden am Rand des Salzstockes Erkundungsbohrungen niedergebracht und somit übertägig erkundet[11]. Ab 1986 wurden auf der Basis des Bergrechts zwei Erkundungsschächte niedergebracht und Infrastrukturbereiche eingerichtet. Die untertägige Erkundung des Salzstockes begann 1998 durch Umfahrung des Einlagerungsbereiches im Nordosten des Salzstockes. Die Beschränkung auf dieses Gebiet war erforderlich, weil der Bund nur für diesen Teil des Salzstockes die so genannten Salzrechte besitzt. Über die Salzrechte im südwestlichen Teil des Salzstockes verfügt Graf Bernstorff. Diese Salzrechte geben dem Besitzer das Recht, das Salz zu fördern. Ohne Abtretung seiner Salzrechte ist auch eine anderweitige Nutzung des Salzstockes untersagt. Am Ende 1998 waren in 840 Meter Tiefe des Salzstockes etwa 7 Kilometer Strecken mit einer Höhe von 8 Metern und 16 Meter Breite aufgefahren worden. Parallel zu den bergmännischen Auffahrungen wurden insgesamt 11 km Erkundungsbohrungen bzw. geotechnische Bohrungen zur Untersuchung des stofflich-strukturellen Inventars des Salzstocks ausgeführt. Für Planung, Errichtung und Betrieb von Endlagern bedient sich der Bund der „Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE).
Der spätere Vorwurf, es hätte keine Öffentlichkeitsbeteiligung gegeben, ist nicht haltbar. Unmittelbar nach der Benennung des Standortes Gorleben durch die niedersächsische Landesregierung erfolgte eine umfassende Information der zuständigen kommunalen Gremien und der Öffentlichkeit über das Vorhaben. Von Anfang an bestand am Standort Gorleben die Zustimmung der Kommunen zur Aufnahme der Erkundungsarbeiten. 1979 fand eine öffentliche Anhörung (Rede/Gegenrede) der niedersächsischen Landesregierung zum NEZ aber auch zur Standortentscheidung statt, die auch Gegner des Vorhabens einbezog.
Zur Unterstützung der kommunalen Gremien wurde die Gorleben-Kommission Ende 1977 eingerichtet. Sie hat bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1991 in über 70 Tagungen sowie in einer Reihe von öffentlichen Vorträgen und Diskussionen die relevanten geowissenschaftlichen, ökologischen, technischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Erkundung des Salzstockes Gorleben behandelt. Darüber hinaus hat sie sich mit finanziellen Fragen wie Strukturhilfen für die Region, Ausgleich für Nachteile der Landwirtschaft und ausgewählten Fragen im Rahmen der Projektabwicklung befasst. In der Gorleben-Kommission waren alle relevanten politischen Parteien, Behörden und das Landvolk vertreten. Außerdem wurden ab 1978 Vertreter der örtlichen Bürgerinitiative sowie ab 1980 Vertreter der Elbe-Jeetzel-Zeitung (EJZ) zu den Sitzungen hinzugezogen.
Das Bundesamt für Strahlenforschung richtete zeitgleich ein Informationsbüro in Gartow (Nachbarort von Gorleben) ein. Die Befahrung des Erkundungsbergwerkes wurde für Interessierte von Beginn an gefördert.
10 Jahre lang ruhte die Erkundung des Salzstockes Gorleben
Der Regierungswechsel zum Ende 1998 brachte eine für die künftige Kernenergie- und Entsorgungspolitik drastische Zäsur: Allen Kernkraftwerken wurde nur noch eine begrenzte Stromerzeugung zugestanden, nach Erreichen der für jedes Kernkraftwerk vorgegeben maximalen Strommenge muss das Kernkraftwerk stillgelegt werden, der Transport abgebrannter Brennelemente zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien wurde rechtlich untersagt, stattdessen mussten Zwischenlager am Standort der Kernkraftwerke errichtet werden und die Erkundung des Salzstockes Gorleben wurde ab Oktober 2000 für mindestens 3 längstens jedoch 10 Jahre unterbrochen (Moratorium). Nur drei bis vier Jahre weiterer Erkundung hätte es bedurft, um eine abschließende Eignungsaussage über den Salzstock als Endlager machen zu können.
Als Grund für das Moratorium wird die Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen angeführt. In der Vereinbarung[12] mit den Energieversorgungsunternehmen erklärt die Bundesregierung unter anderem:
„Die analytisch bestimmten Hebungsraten des Salzstockes lassen erwarten, dass im Hinblick auf mögliche Hebungen auch in sehr langen Zeithorizonten (größenordnungsmäßig 1 Mio. Jahre) nicht mit hierdurch verursachten Gefährdungen zu rechnen ist. Es wurden keine nennenswerten Lösungs-, Gas- und Kondensateinschlüsse im Älteren Steinsalz gefunden. Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Gebirge und damit die Barrierenfunktion des Salzes wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben zwar nicht entgegen.“
Eine durchaus sachgerechte und vor allem positive Bewertung der Erkundung auf der Basis bislang vorliegender Ergebnisse. Dann heißt es jedoch weiter in der zitierten Vereinbarung:
„ Allerdings sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der laufenden internationalen Diskussion die Notwendigkeit, die Eignungskriterien für ein Endlager fortzuentwickeln und die Konzeption für die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu überarbeiten. Der Stand von Wissenschaft und Technik und die allgemeine Risikobewertung haben sich in den letzten Jahren erheblich weiter entwickelt; dies hat Konsequenzen hinsichtlich der weiteren Erkundung des Salzstockes in Gorleben.“
Die diesem Zitat nachfolgend genannten Fragestellungen sind als Begründung für diese Auffassung völlig ungeeignet. Es handelt sich nämlich bei diesen Fragestellungen um konzeptionelle und vor allem um sicherheitstechnische Sachpunkte, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens zu klären sind und geklärt werden müssen, nicht aber in der Erkundungsphase, die im Bergrecht betrieben wird. Somit kann das Moratorium nur als unverantwortliche politische Verzögerungstaktik interpretiert werden.
Damit nicht genug: Diese aufgeworfenen Fragen hätten ja eines Tages geklärt werden können und dann müsste der Salzstock weiter erkundet werden. Also gab die Bundesregierung die politische Devise aus, der Standort Gorleben sei vorrangig unter politischen Aspekten ausgewählt worden und die angewandten Auswahlkriterien würden aktuellen internationalen Kriterien nicht mehr genügen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Eignungshöffigkeit des Salzstockes von der gleichen Bundesregierung bestätigt worden ist und das Projekt in der Standortgemeinde über die Parteigrenzen hinweg nach wie vor hohe Akzeptanz hat. Die Zustimmung wurde unter anderem im Juli 2000 mit einer Resolution an den BMU zur Aufhebung des Moratoriums und während der Regierungsbildung im Oktober 2005 mit Schreiben an die verantwortlichen Spitzenpolitiker dokumentiert.
Von der rot-grünen Bundesregierung wurde die Forderung erhoben, ein Standortauswahlverfahren unter Einbeziehung alternativer Standorte durchzuführen, um den „bestmöglichen“ Endlagerstandort zu finden. Eine stringente Auswahl eines „bestmöglichen“ Standortes ist – logischerweise – somit die Forderung nach etwas Unmöglichem und folglich nicht realisierbar.
Mit der Maßgabe, ein nachvollziehbares Verfahren für die Suche und die Auswahl von Standorten zur Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle in Deutschland zu entwickeln, richtete der Bundesumweltminister im Februar 1999 den „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“ ein. Die Empfehlungen des Arbeitskreises wurden 2002 veröffentlicht[13]. Im Ergebnis wurden keine wirklich neuen Erkenntnisse gewonnen, die nicht bereits auch bei der Standortauswahl Gorleben in Betracht gezogen worden sind. Die entwickelten Auswahlkriterien und das vorgeschlagene Auswahlverfahren sind objektiv lediglich darauf ausgerichtet, möglichst eignungshöffige Standorte für die weitere Erkundung vorauszuwählen. Da aber geologische Systeme nicht normierbar sind, kann eine belastbare Bewertung der Endlagergeeignetheit letztlich erst nach abgeschlossener untertägiger Erkundung und auf der Basis eines angepassten Endlagerkonzeptes durch standortbezogene Sicherheitsanalysen erfolgen[14].
Eine internationale Überprüfung oder Evaluierung des AkEnd – Berichtes – wie vom BMU angekündigt – fand bislang nicht statt.
Mit Beginn des Moratoriums wurde das Informationsbüro in Gartow geschlossen. Eine Befahrung des ruhenden Salzbergwerkes war für Besucher sehr stark eingeschränkt worden. Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie dann betrieben wurde, richtete sich ausnahmslos gegen die Eignung des Standortes Gorleben.
Das in den Jahren 1998 bis 2006 vom Bundesumweltminister geforderte und betriebene Ein-Endlager – Konzept hatte im Grunde genommen nur das eine Ziel, das Endlager Konrad politisch und faktisch „zu beerdigen“. Denn schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle sollten nach diesem Konzept in einem Endlager untergebracht werden, in Konrad aber war die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle von vornherein ausgeschlossen worden. Nur sehr unwillig setzte sich beim BMU die Erkenntnis durch, dass auch aus Sicherheitsgründen eine getrennte Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle vorzuziehen ist.
Im Oktober 2010 wurde die Erkundung wieder aufgenommen. „Ziel ist es, vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse eine nachvollziehbare Prognose abzugeben, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein sicheres Endlager am Standort Gorleben möglich ist.“[15] Dazu soll ein umfängliches dreidimensionales geologisches Lagerstättenmodell erstellt werden. Das wegen der neuen Standortsuche bis 2012 befristete Erkundungsprogramm umfasst (lediglich) den Abschluss der in 2000 unterbrochenen Arbeiten im Erkundungsbereich 1 sowie die Aufnahme von Arbeiten im angrenzenden Erkundungsbereich 3. Unabhängige internationale Experten sollen anschließend die Ergebnisse der vorläufigen Sicherheitsanalyse bewerten. Dieses durchaus sachgerechte Vorgehen verwirrt in Anbetracht des unten skizzierten Standortauswahlgesetzes.
Ist ein Standortvergleich zwischen verschiedenen Wirtsgesteinen zielführend?
Die im vorangehenden Abschnitt pauschal angesprochenen Fragen, die das Moratorium begründen sollen, wurden näher definiert, spezifiziert und nach Ausschreibung und Auftragsvergabe zwischen 2002 bis 2005 bearbeitet. Dabei sollten alle in Deutschland möglichen Wirtsgesteine vergleichend in die Beantwortung einbezogen werden. Im Synthesebericht des BfS[16] heißt es:
„Als wesentliches Ergebnis der Untersuchungen ist festzuhalten, dass die Möglichkeiten und Grenzen eines generischen Vergleichs von Wirtsgesteinen aufgezeigt und eine Beantwortung der 12 Fragestellungen erreicht wurde. Danach gibt es kein Wirtsgestein, das grundsätzlich immer eine größte Endlagersicherheit gewährleistet. Für alle in Deutschland relevanten Wirtsgesteine können angepasste Endlagerkonzepte entwickelt werden. Ein Vergleich verschiedener Optionen ist nur im Vergleich konkreter Standorte und Endlagerkonzepte möglich.“
Die Suche des „bestmöglichen“ Endlagers durch vergleichende Standortuntersuchungen ist faktisch unmöglich, da durch die Variabilität geologischer Formationen sowie die beabsichtigte Einbeziehung unterschiedlicher Wirtsgesteine (Salz, Ton, Granit) grundsätzlich unterschiedliche Endlagerkonzepte (technisch und geotechnisch) erforderlich sind. Die Bewertung der Endlagersicherheit kann daher nur für einen konkreten Standort auf der Grundlage des Gesamtkonzeptes erfolgen. Der beste Standort könnte somit allenfalls gefunden werden, wenn alle in Betracht kommenden Standorte untertägig untersucht und umfassend analysiert werden. Ein Vergleich der Ergebnisse ist dennoch wegen der Komplexität der Systeme nicht objektivierbar, ein eindeutiges Ranking ist daher nicht möglich[17].
Eine vergleichende Standortuntersuchung würde bei realistischer Bewertung des Zeitbedarfes der einzelnen Verfahrensschritte frühestens ab 2050 zu einem Endlager führen. Die Lösung der Endlagerfrage wäre damit auf die nachfolgenden Generationen verschoben und daher schon aus ethischer Sicht nicht zu vertreten.
Beachtenswert: Eine untertägige Erkundung mehrerer Standorte mit dem Ziel den „besten“ Standort zu finden, ist auch international weder Stand von Wissenschaft und Technik noch wird in anderen Ländern ein derartiges Vorgehen angestrebt. International werden Vergleiche im Rahmen von Standortauswahlverfahren allenfalls auf der Basis der Ergebnisse von übertägigen Erkundungen beziehungsweise Bohrungen wie in Finnland und Schweden im Sinne einer Standortvorauswahl durchgeführt.
Welche Regionen in Deutschland für die Endlagerung radioaktiver Abfälle überhaupt nur geeignet sind, belegt ein Bericht der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe aus dem Jahr 2006[18].
Bei der Erforschung von Salzstöcken als potenzielle Endlagerformation für radioaktive Abfälle ist die BGR nach eigenem Bekenntnis international führend. Geowissenschaftler untersuchten Salz und Ton. Kristalline Gesteine (Granit) werden aufgrund der ungünstigeren geologischen Verhältnisse im Vergleich zu den Salzstöcken und den Tonformationen in Deutschland als Wirtsgesteine für die Endlagerung radioaktiver Abfälle nicht favorisiert. Danach liegt die Mehrzahl der in Frage kommenden Standorte in Niedersachsen. Die Studie belegt zudem, dass Salzgestein als Wirtsgestein gegenüber Ton Vorteile aufweist.
Das Resümee aus diesen Untersuchungen kann nur lauten: Das politisch-taktische Bestreben der Regierungen seit 1998, den bestmöglichen Endlagerstandort durch vergleichende Standortuntersuchungen zu finden, ist gescheitert, hat keine sachliche Grundlage mehr und ist einer zügigen und ergebnisorientierten Lösung der Endlagerfrage abträglich.
In vergleichbarer Weise äußerte sich das Niedersächsische Umweltministerium[19]:
„Nach Auffassung Niedersachsens würde die vom Bundesumweltministerium in Betracht gezogene Nutzung alternativer Wirtsgesteine als Salz in Deutschland die Bereitstellung eines Endlagers um Jahrzehnte verzögern und wäre daher im Sinne der Verantwortung unserer Generation nicht zielführend. Kristallingesteine wie z.B. Granit weisen wasserführende Spalten und Klüfte auf und besitzen daher nur eine unzureichende Dichtfunktion. Über Tongestein liegen in Bezug auf die Endlagerung wärmeentwickelnder Abfälle bislang nur unzureichende Kenntnisse vor. Außerdem ist Tongestein in der Regel nicht standfest. Sowohl für Kristallin-, als auch für Tongestein müsste die für Salz bestehende, weit entwickelte Endlagertechnologie grundlegend überarbeitet werden. Zudem müssten neue Behälter- und Handhabungskonzepte entwickelt und erprobt werden, über die in Deutschland so gut wie keine Erfahrungen vorliegen.“
Nach 35 Jahren ein Standortauswahlgesetz?
Es ist unbegreiflich, dass sage und schreibe 35 Jahre nach der Standortentscheidung für Gorleben die Bundesregierung ein Gesetz plant, das den gesamten mehrstufigen Standortauswahlprozess der 60er und 70er Jahre, die gut 20-jährigen über- und untertägigen Erkundungen des Salzstockes Gorleben und seine dokumentierte Eignungshöffigkeit zu ignorieren scheint und sie mit einem vom Gesetz ausgelösten Prozess wieder bei Null anfangen will. Das ist keinem Bürger zu vermitteln – vielleicht nur denen, die schon immer gegen den Standort Gorleben demonstrierten. Sie haben anscheinend erreicht, was sie wollten, denn § 20 des Standortauswahlgesetzes ist zu entnehmen:
„Die laufende bergmännische Erkundung des Salzstockes Gorleben wird mit In-Kraft-Treten des Gesetzes, spätestens bis 31.12.2012 beendet. Das Erkundungsbergwerk wird bis zur Standortentscheidung nach dem Standortauswahlgesetz unter Gewährleistung aller rechtlichen Erfordernisse und der notwendigen Erhaltungsarbeiten offen gehalten…..Die vorläufige Sicherheitsuntersuchung des Standortes wird ohne eine Eignungsprognose für den Standort Gorleben eingestellt.“
In der Zielsetzung des Gesetzentwurfes[20] heißt es:
„Für die Einrichtung eines Endlagers für insbesondere wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle sollen ein Standortauswahlverfahren mit umfassender Erkundung und Untersuchung kodifiziert und die Standortentscheidung durch den Gesetzgeber zur Voraussetzung für die Durchführung des anschließenden Zulassungsverfahrens gemacht werden. Es wird ein vergleichendes Standortauswahlverfahren neu eingerichtet, das im Hinblick auf die Sicherheit auf die Ermittlung des bestmöglichen Standortes in Deutschland gerichtet ist. Die Erkundung erfolgt nach den gesetzlich vorgegebenen Kriterien.“
Woran mangelte es denn bisher? Zukünftig soll „wissenschaftsbasiert und transparent“ gearbeitet werden. Im Umkehrschluss würde das heißen, dass 35 Jahre lang dilettantisch gearbeitet wurde. Und dafür mussten die Abfallverursacher 1,5 Milliarden Euro zahlen? Merken die Politiker eigentlich nicht, dass sie sich selbst und ihre eigenen Behörden blamieren? Es werden aber auch weiterhin die gleichen Sachbearbeiter sein, die das Gesetz anzuwenden haben, auch wenn die bisherige Behördenstruktur laut Gesetzentwurf durch eine neue ersetzt werden soll. Politische Glaubwürdigkeit sieht anders aus.
Es klingt geradezu zynisch und unglaubwürdig, wenn es an anderer Stelle des Arbeitspapiers heißt:
„Damit kommen Bund und Länder, auch im Hinblick auf künftige Generationen, ihrer Verantwortung für den langfristigen Schutz von Mensch und Umwelt vor den Risiken von radioaktiven Abfällen nach.“
Der Gesetzgeber meint, mit diesem Gesetz die „gesellschaftlichen Konflikte, die im Zusammenhang mit der Entsorgung entstanden sind, zu entschärfen.“ Die bisherigen Erfahrungen sprechen dagegen.
Ganz im Gegenteil: Kritische Bürger von alternativen Standorten werden durch die politische Abwendung von Gorleben und dem Erfolg der dortigen Gegner geradezu ermuntert, sich gegen eine Endlagerung in ihrem Umfeld zur Wehr zu setzen. „Gorleben ist überall“ lautete das Motto der Demonstranten. Das Gesetz wird an ihrer Überzeugung nichts ändern.
Bewertung
Ein Standortauswahlverfahren und damit ein Standortvergleich sind nach den gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland nicht vorgesehen und nicht erforderlich. Das bestätigte eindeutig und ausdrücklich das OVG Lüneburg in seinem Urteil zum „Konrad-Verfahren“ vom 08.03.2006. Für ein Endlager gilt wie bei kerntechnischen Anlagen der Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Die Prüfung der dazu notwendigen Voraussetzungen und Maßnahmen sind Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens.
Das Land Niedersachsen, dem die Planfeststellung obliegt, hat nach der Normstruktur der atomrechtlichen Planfeststellung nach Atomgesetz zu prüfen und zu entscheiden, ob die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere ob die erforderliche Vorsorge gegen Schäden nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erbracht ist. Mit dieser Verweisung auf den Stand von Wissenschaft und Technik ist eine ständige Anpassung der Genehmigungsvoraussetzung an den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt und damit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes die bestmögliche Verwirklichung eines dynamischen Grundrechtschutzes verbunden.
Nach einer vom Vorhabensträger getroffenen Standortauswahl ist die Entscheidung über den Standort nur dann zu überprüfen, wenn Erkenntnisse vorliegen, dass die Schutzziele des Atomgesetzes an diesem Standort nicht oder nicht sicher eingehalten werden können – was erst in einem Planfeststellungsverfahren geprüft wird – oder wenn sich ein anderer Standort als besser geeignet aufdrängt. Dass sich ein anderer Standort aufdrängt, ist praktisch auszuschließen, da aufgrund der bisherigen Untersuchungstiefe und den vorliegenden Erkenntnissen über den Salzstock Gorleben nur bei einem vergleichbaren Erkundungsgrad eine Bewertung im Sinne des Aufdrängens möglich ist. Ohne vergleichbare Erkundungstiefe und erst recht ohne untertägige Erkundungsergebnisse ist ein Standortvergleich nur spekulativ möglich[21].
Wäre es andererseits überhaupt möglich, von mehreren vollständig erkundeten Standorten anhand standortspezifischer Sicherheitsanalysen und auf der Grundlage der jeweiligen Endlagerkonzeption, den sichersten zu ermitteln? Da die vielfältigen geomechanischen, hydrogeologischen und geochemischen Wechselwirkungen und Prozesse im Endlager sowie den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten über Betrachtungszeiträume bis zu einer Million Jahre nicht exakt vorhergesagt werden können, werden sehr konservative Annahmen, in der Regel auch konservative Szenarien in den Berechnungen zu Grunde gelegt. Diese geben dann zwar die Gewähr, dass die zu erwartenden Auswirkungen im Falle eines geeigneten Standortes unterhalb der sehr stringenten Sicherheitsanforderungen liegen, können jedoch keinen unmittelbaren Maßstab für die Endlagersicherheit liefern, der für einen Standortvergleich herangezogen werden kann. Zusätzlich wird die Vergleichbarkeit dadurch praktisch unmöglich gemacht, dass auch die Auswahl abdeckender Szenarien standortspezifisch erfolgen muss und damit für jeden Standort andere Konservativitäten zu Grunde gelegt werden. Am Ende läge nur eine scheinbare Rangfolge der Endlagerstandorte vor, die durch den Vergleich kaum vernünftig quantifizierbarer Restrisiken zustande käme, die wiederum auf sehr unwahrscheinlichen Extremszenarien basieren.[22]
Die aktuell mit dem Standortsauswahlgesetz angestrebte Neuerkundung von weiteren potenziellen Standorten würde eine Verzögerung der Endlagerung von hochaktiven Abfällen um mindestens 35-40 Jahre bedeuten. Dieses kann keine ernsthafte und verantwortbare Alternative zur abschließenden Erkundung von Gorleben darstellen, auch in Anbetracht von zusätzlichen Kosten in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Zudem sind die befristeten Genehmigungen der Zwischenlager radioaktiver Abfälle in Betracht zu ziehen, was den Ländern als Problem auf die Füße fallen wird, wenn kein Endlager rechtzeitig zur Verfügung steht.
Wie aber passen auf der einen Seite die oben genannte Erstellung einer seit Oktober 2010 laufenden vorläufigen Sicherheitsanalyse Gorleben mit einer Aussage über die Eignung des Salzstockes als Endlager und das Standortauswahlgesetz zusammen, wodurch parallel weitere Standorte untersucht werden sollen?
Wozu die Erkundung weiterer Standorte, wenn die vorläufige Sicherheitsanalyse die bisherige Eignungshöffigkeit des Gorleben Salzstockes erneut bestätigen sollte und wie ist die Erkundung in Anbetracht des erwähnten OVG Lüneburg – Urteils zu Konrad sachlich-fachlich zu rechtfertigen?
Was wird hier gespielt, wenn es auf der Internetseite des BMWi vom Juli 2012 unter eben dieser Sicherheitsanalyse heißt:
„Ziel ist es, nach Feststellung der Eignung des Salzstocks Gorleben ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten und das Endlager für insbesondere hochradioaktive Abfälle in Deutschland zu errichten und um das Jahr 2030 in Betrieb zu nehmen.“[23]
Das ist konform mit dem Koalitionsvertrag, nicht aber weist der Vertrag ein Standortauswahlgesetz aus. Solange keine konkreten Schritte – zum Beispiel mit einem Planfeststellungsverfahren – unwiderruflich eingeleitet werden, solange können Politiker nachfolgender Legislaturperioden immer wieder neue Maßstäbe der Standortsuche setzen, auch das Gesetz wird sie erfahrungsgemäß daran nicht hindern.
Wer soll für die zusätzlichen Kosten des Standortvergleichs in Milliardenhöhe – insbesondere bei einer für Gorleben positiven vorläufigen Sicherheitsanalyse – aufkommen? Die Abfallverursacher müssen nach einer diesbezüglichen Verordnung für den „notwendigen Aufwand“ aufkommen. Wie lässt sich bei geeignetem Salzstock Gorleben ein Standortvergleich als „notwendiger Aufwand“ begründen? Stellt sich nicht vielmehr die Frage nach der Verhältnismäßigkeit?
Soll mit dem Standortauswahlgesetz mit dem Blick auf Wahlen nicht bewusst die Endlagerplanung verzögert und hintergründig Klientelpolitik betrieben werde?
Wie soll aufgrund der über Jahrzehnte verzögerten Endlagererrichtung die entsprechend langfristige Zwischenlagerung abgebrannter Brennelenente und hochradioaktiver Abfälle überzeugend begründet werden, wo doch deren Endlagerung in tiefen geologischen Formationen politisch als die sicherste Entsorgung propagiert wurde?
Seit April 2010 geht der Erste Untersuchungsausschuss (Gorleben) des Deutschen Bundestages „der Frage nach, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung, sich bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll auf den Standort Gorleben zu beschränken, zu politischen Einflussnahmen oder Manipulationen gekommen ist.“ Die im Internet veröffentlichten Sitzungsprotokolle des Ausschusses über die Sachverständigenanhörungen lassen nach nunmehr 60 Sitzungen den Schluss zu, dass die Auswahl des Standortes Gorleben und die Salzstockerkundung mit fundiertem wissenschaftlichen Sachverstand betrieben und ohne eine politische Einflussnahme vorgenommen worden sind, fachlich und politisch folglich nicht zu beanstanden sind.
Bei gleichzeitig positivem Ausgang der vorläufigen Sicherheitsanalyse zum Salzstock Gorleben gibt es kein überzeugendes, vertretbares Argument mehr für weitere Standorterkundungen und für ein Standortauswahlgesetz. Für den Salzstock Gorleben heißt das, seine Erkundung zu Ende führen und danach unverzüglich ein Planfeststellungsverfahren einleiten.
September 2012
Dr- Klaus Tägder
[1] BMWi, Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland – Das Endlagerprojekt Gorleben -, Oktober 2008
[2] – dito –
[3] – dito –
[4] Gorleben als Entsorgungs- und Endlagerstandort. Der niedersächsische Auswahl- und Entscheidungsprozess. Mai 2010. Diese Darstellung wurde erst nach Zugänglichkeit einschlägiger Akten möglich.
[5] (wie Fußnote 1)
[6] (wie Fußnote 1)
[7] Verbleib oder Rückholung der Gebinde wird gegenwärtig intensiv erörtert.
[8] Bundestagsdrucksache 16/2963
[9] www.bmu.de/atomenergie_ver_entsorgung/endlagerung/sicherheitsanforderungen
[10] – dito –
[11] www.endlagerung.de, Von 1979 bis 1983 wurden insgesamt 477 km seismische Profile zur Bestimmung des Schichtaufbaus und der Tektonik aufgenommen sowie 322 Pegelbohrungen (ca. 80 m tief), 44 Salzspiegelbohrungen (260 m tief), 4 Tiefbohrungen (ca. 2000 m tief) und zwei Schachtbohrungen (knapp 1000 m tief) abgeteuft.
[12] Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000
[13] AkEnd, Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Empfehlungen des AkEnd – Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte, Dezember 2002
[14] GNS, Endlagerung von radioaktiven Abfällen. Standortauswahl/Standortvergleich. Auswertung und Zusammenstellung von Daten, Fakten und Berichten, 2006
[15] BMU, http://gorlebendialog.de/sicherheitsanalyse/doc
[16] BfS Konzeptionelle und sicherheitstechnische Fragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wirtgesteine im Vergleich. Synthesebericht. Salzgitter, 4.11.2005
[17] (wie Fußnote 14)
[18] BGR, Endlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland. Untersuchung und Bewertung von Regionen mit potenziell geeigneten Wirtgesteinsformationen, August 2006
19 Niedersächsisches Umweltministerium, Fortentwicklung/Aktualisierung der niedersächsischen Position zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 22.12.2004
[20] Entwurf eines Artikelgesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze, Arbeitsfassung Stand 13.06.2012
[21] (wie Fußnote 14)
[22] wie Fußnote 14: Diese Aussage bezieht sich zwar auf das AkEnd – Verfahren, wäre aber auf die im Gesetzentwurf angestrebten Maßnahmen übertragbar.
[23] www.bmwi.de/DE/Themen/Energie/Energietraeger/uran-kernenergie
Über den Autor:
Berufliche Tätigkeiten u.a als:
– wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Nuklearmedizin der Med. Hochschule Hannover zuständig für den Betrieb des Forschungsreaktors und diverse nuklearmedizinische Entwicklungen/Untersuchungen (6 Jahre)
– Sachverständiger beim TÜV Hannover, Bereich Kerntechnik, überwiegend als Projektleiter für das vormals geplante Nukleare Entsorgungszentrum Gorleben und für das Castor – Zwischenlager (7 Jahre)
– Geschäftsführer des Wirtschaftsverbandes Kernbrennstoff – Kreislauf e.V., Bonn und Berlin (26 Jahre)
Wissensgebiete:
– Strahlenphysik (Strahlenschutz, -wirkung, -messungen, -abschirmungen)
– Kerbrennstoffe (Verarbeitung, Anreicherung, Wiederaufarbeitung, Kernmaterialkontrolle)
– Anlagensicherheit, Objektschutz
– Radioaktive Abfälle (Behandlung, Transporte, Lagerung, Endlagerung)
– Atomrecht, Strahlenschutzrecht