Vertrauensverlust in die Wissenschaft
Die Öffentlichkeit verliert das Vertrauen in die Wissenschaft
Walter Russell Mead
Wir bei Via Meadia sind uns nicht so sicher, ob das nur in rechten Kreisen gilt. Als wir uns kürzlich damit beschäftigten, ging es darum, dass Umweltschützer weltweit Jahrzehnte sorgsamer wissenschaftlicher Forschung über die Sicherheit genetisch veränderter Organismen anprangerten. mit trüben Aussichten für die Entwicklung in Afrika. Auch haben wir eine ausgesprochene Rechenschwäche bei demokratischen Politikern feststellen müssen, die glauben, dass das Versprechen auf hohe Renten für gewerkschaftlich organisierte Arbeiter ohne dafür Geld zurückzustellen, eine Vorgehensweise ist, die schon irgendwie gut ausgehen wird.
Es gibt für die intellektuellen Eliten nichts Schöneres, als die Narrheiten und Irrtümer der tumben Amerikaner draußen auf dem platten weiten Land aufzuzählen und zu beklagen, dergestalt dass im akademischen Leben und auch anderswo das Gerede vom sinkenden Vertrauen in die Wissenschaft als ein sinkendes Vertrauen in den Verstand überhaupt begriffen wird – als Signal für die ansteigende Flut der Dummheit, gegen die wir aufgeklärte Geister unaufhörlich ankämpfen müssten.
Sind die Dinge aber wirklich so einfach?
Ein Teil des Skeptizismus ist die Skepsis gegen den Journalismus, nicht die Skepsis in die Wissenschaft, das hat sich der Journalismus selbst zuzuschreiben.
Und da gibt es auch das Problem der Schwarmgeisterei: Menschen, die sich einer großen Aufgabe verpflichtet fühlen (oft im Umweltschutz) verdrehen und überzeichnen wissenschaftliche Schlussfolgerungen bis zum Geht-nicht-Mehr. In diesen Zusammenhang gehört der unsägliche Rajendra Pachauri, Leiter des UNO-Klimarats, der bekanntlich Leute als „Voodoo-Wissenschaftler“ bezeichnete, die nicht seine falsche Meinung wegen des Schrumpfens der Himalaja-Gletscher teilten.
Unglücklicherweise ist da noch mehr am Werk.
Im vergangenen Mai 2011 wurde die Harvard University vom Skandal um den Professor Marc Hauser heimgesucht. Hauser war ein hochverdienter Forscher, ständig von den Studenten zu einem der beliebtesten Professoren gewählt, noch dazu Direktor des ‚Herz-Kopf-und-Verstand-Programms‘ der Universität und Vorreiter auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie. Er war aber auch ein Betrüger, der Daten bei Experimenten manipulierte und schließlich von seinen eigenen Doktoranden ertappt und angeschwärzt wurde. Als die Wahrheit ans Licht kam, erhielt er Lehrverbot und wurde unehrenhaft von Harvard entlassen.
Der Fall Hauser ist überhaupt kein Einzelfall. Sieben Monate später hat die New York Times von den Schwindeleien des bekannten holländischen Psychologen Diederik Stapel berichtet, der es schaffte, die führenden Fachjournale und die besten Wissenschaftsjournalisten an der Nase herumzuführen (auch die von der Times), in dem er Artikel auf Artikel mit gefälschten Ergebnissen schrieb:
Der Psychologe Diederik Stapel von der Tilburg University beging akademischen Betrug in “einigen Dutzend” veröffentlichten Papieren, viele davon waren von respektablen Journalen angenommen worden, Journalisten berichteten darüber.
So berichteten am Montag die drei holländischen Institutionen, wo er arbeitete: die Universitäten von Groningen, Amsterdam, Tilburg…
Über ein Dutzend der von ihm betreuten Dissertationen sind also fragwürdig, wie die Untersuchungkomission mitteilte. Sie hatte ehemalige Studenten, Ko-Autoren und Kollegen befragt. Dr. Stapel hat etwa 150 Papiere veröffentlicht, viele davon nur zu dem Zweck, Aufsehen bei den Medien zu erregen.
Die Times hat diesen Vorfall in einen weiteren, verstörenden Kontext gestellt.
Der Skandal betrifft ein ganzes Jahrzehnt von Forschungsarbeit, er ist das letzte Glied in einer Kette von unangenehmen Überraschungen auf einem Gebiet, von dem Kritiker und Statistiker sagen, es bedürfe dringend einer Veränderung bei der Art, wie Forschungsergebnisse behandelt würden. In den vergangenen Jahren haben Psychologen Unmengen von Forschungsergebnissen über Rassenvorurteile, Intelligenz und sogar übersinnliche Wahrnehmungen veröffentlicht, die keiner Überprüfung standhielten. Offener Betrug mag ja selten sein, sagen die Experten, aber sie geben zu, dass Dr. Stapel von einem System profitierte, das den Forschern gestattet, nahezu im Geheimen zu arbeiten und Daten so zu verdrehen, dass sie das hergeben, was gefunden werden soll. Und das alles ohne besonders fürchten zu müssen, das es herauskommt.
“Das große Problem ist, dass es gang und gäbe ist, dass die Forscher ihre Arbeit aufpeppen, um aus dem, was sie wirklich herausfanden, eine interessantere Geschichte zu machen,“ sagte Jonathan Schooler, Psychologe an der University of California, Santa Barbara. “Es ist fast schon so, dass jeder ’doped’. Um dranzubleiben, muss man ’dopen’.”
Korrupte, inkompetente Wissenschaftler? Laxe Forschungsstandards? Systematisch mangelhafte Fachbegutachung? Derartige Problem sind leider alles andere als selten. Vorfälle wie der mit Stapel, die Berichte von Forschungsergebnissen von der evidenz-basierten Medizienbewegung über die Unzuverlässigkeit eines Großteils der medizinischen Wissenschaft, dazu Studien wie die von Leslie John in Psychological Science (Sie enthüllte, das die überwiegende Mehrheit der Psychologen in fragwürdige Forschungspraktiken verwickelt ist, und dass je einer aus zehn die Daten fälscht) – ganz zu schweigen von den vielen alarmistischen Übertreibungen von vielen Klimaforschern – das alles zeigt, dass in vielen Fällen die Wissenschaftler ganz allein selbst dafür verantwortlich sind, wenn das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Arbeit schwindet. Trägheit, Politisierung der Ergebnisse, glatte Fälschungen: Die in vielen unserer wichtigsten Disziplinen tätigen Wissenschaftler haben ihre eigenen Fächer diskreditiert. Jeder weitere Stapel oder Hauser stärkt die Stimmen der Wissenschaftsskeptiker – zu Recht.
Ach ja, da gibt es ja noch ein kleines weiteres Problem: die Wirtschaftswissenschaften. Von allen Sozialwissenschaften erfreuen sie sich des höchsten Ansehens in der akademischen Welt, wie auch draußen. Doch schon seit 2008 zeigt sich ein fühlbarer Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit, dass die ökonomische Disziplin nützliche Erkenntnisse hervorbringen könnte. Zu jeder gegebenen Zeit kann man qualifizierte, berühmte und verdiente Wirtschaftswissenschaftler finden für jede nur denkbare wirtschaftspolitische Empfehlung: Ist Skeptizismus angesichts der großspurigen Behauptungen der Ökonomen wirklich ein Zeichen von geistiger Unbedarftheit?
Ein schlimmer Sachstand, fürwahr. Die Fragestellungen in den sogenannten “weichen” Wissenschaften zielen in die Mitte unserer Selbstfindung als menschliche Wesen – in das Wesen unserer moralischen Urteile – auf die unbewussten, unseren bewussten Handlungen zugrunde liegenden Vorurteile, darauf, wie unsere Weltsicht unsere Umweltwahrnehmungen beeinflusst. Das sind die entscheidenden Fragen für die Wissenschaft.
Wenn aber wissenschaftliche Daten zu Knete werden in den Händen von skrupellosen Forschern, die nicht Erkenntnis sondern persönliches oder politisches Fortkommen suchen, dann wird das Fundament und der Grund unterspült. Und da befinden wir uns heute allzuoft.
Ernsthafte Selbsterkenntnis und Aufräumarbeit sind nötig, wenn die akademische Welt ihr Ansehen wiederherstellen will. Die Standards müssen verschärft werden, die Veröffentlichung der Forschungsdaten muss Pflicht werden, die Fachbegutachtung in den „weichen“ Wissenschaften muss anspruchsvoll sein.
Wir hoffen, dass der offenkundige Verlust des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Wissenschaft wie ein herbeigesehntes Fanal für eine Reform wirkt. Eine Lösung ist nur möglich, wenn die Eliten selbst einsehen, dass es ihr eigenes Problem ist. Die Einsicht beginnt mit der Anerkennung der simplen aber tief beunruhigenden Wahrheit:
Marc Hauser war nicht der ganz seltene Einzelfall. Ihn aber hat’s erwischt.
(Original hier)
Zum Autor auszugsweise aus WIKEPEDIA:
Walter Russell Mead ist James Clarke Chace Professor of Foreign Affairs and Humanities am Bard College und externer redaktioneller Mitarbeiter am The American Interest Magazin. Er gilt in der amerikanischen politischen Optik als Demokrat.
Übersetzung: Helmut Jäger, EIKE