Überdenken der Peak Oil These: Die wirklichen Herausforderungen sind Investition und Nachhaltigkeit, nicht Verfügbarkeit
Bild rechts © Peakoil.com: Es scheint, als ob die Intensität der Debatte um Peak Oil, obwohl sie niemals ganz verschwindet, mit dem Niveau der Ölpreise korreliert ist.
Hinweis der Redaktion:
Allein im "Green River Formation" Vorkommen (> 3 Billonen Barrel) in den USA steckt mehr Öl, als die derzeitigen gesicherten Weltölreserven ausmachen. "200 Year Supply Of Oil In One Single Shale Formation" Details dazu hier-. In Deutschland allerdings verboten (hier).
Wieder und immer wieder taucht eine Frage bei der Energiedebatte auf: „Wann wird das Öl alle?“ oder „wann ist Peak Oil erreicht?“ Implizit schwingt hier die Angst mit, dass uns nach diesem kritischen Moment eine Katastrophe ohnegleichen bevorsteht. Nach einigem Zögern wegen der hoch emotionalen Natur vieler Diskussionen über Peak Oil habe ich mich entschlossen, die Herausforderung anzunehmen und meine Ansichten in einer Präsentation vorzustellen, und zwar auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem CEO [= dem leitenden Direktor] bei Total, Christophe de Margerie, auf dem jüngsten Welt-Erdöl-Kongress in Doha im Dezember 2011. Diese Präsentation liegt diesem Artikel zugrunde.
Höhepunkte in der Debatte
Bevor ich meine Schlüsselpunkte darlege, möchte ich einige der vorherrschenden Beobachtungen zum Thema Peak Oil beschreiben, die mir aufgefallen sind. Zunächst scheint es, als ob die Intensität der Debatte um Peak Oil, obwohl sie niemals ganz verschwindet, mit dem Niveau der Ölpreise korreliert ist. Sie erreichte ihren jüngsten Höhepunkt, als die Ölpreise in der ersten Hälfte des Jahres 2008 sehr hoch lagen und weiter stiegen, in jenem infamen ‚annus horribilis’ [= lat. Schreckliches Jahr] exzessiver Ölpreisschwankungen. Wagenladungen voller Artikel erschienen mit der Aussage, dass der Welt dieses Mal das Öl ausgehen wird; dass die Preise bald 200 Dollar oder mehr betragen würden, usw. Heute ist die Intensität der Debatte geringer, kocht aber bei fast jeder Energiekonferenz wieder hoch.
Zweitens, historisch lässt sich kaum bestreiten, dass die Vorhersage des Höhepunktes der Ölproduktion seit dem Beginn des Ölzeitalters in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein stets wiederkehrendes Thema ist, worauf Daniel Yergin und andere hingewiesen haben. Analysten konnten in den Jahren 1948, 1956, 1974, den frühen achtziger Jahren sowie 2007/2008 ‚Höhepunkte’ in der Debatte um Peak Oil ausmachen.
Drittens, die Definition dessen, was da seinen Höhepunkt erreicht oder nicht, macht eine Menge aus. Sprechen wir über die Versorgung aus Nicht-OPEC-Staaten, Rohölförderung oder, noch relevanter, flüssige Treibstoffe einschließlich unkonventionellen Öls (Ölsande, Schweröl, Schieferöl), Erdgasflüssigkeiten (Natural Gas Liquids, NGL), Gasverflüssigung (gas-to-liquid, GTL), Biotreibstoffe? Das macht einen gewaltigen Unterschied. Damit oft in Verbindung stehend (explizit oder implizit) ist die Vermutung, dass dem Höhepunkt der globalen Ölproduktion ein schneller und tiefer Rückgang folgt (entsprechend der Form der berühmten Glockenkurve in einem individuellen Gebiet) nebst allen unerwünschten Implikationen. Allerdings ist unklar, warum wir nach Erreichen des Höhepunktes der globalen Ölproduktion nicht auf einem hohen Niveau während der dem Höhepunkt folgenden Dekaden verbleiben können. Die Implikationen für die Energiepolitik sind in diesem Falle drastisch unterschiedlich.
Die Macht der Technologie
Merkwürdigerweise wird die Macht der Technologie vor allem außerhalb der Ölindustrie erheblich unterschätzt. Die globale Ausbeutungsrate beträgt derzeit 35%, und es ist wohlbekannt, dass nur eine Zunahme um 1% der globalen Ausbeutungsrate schon 2 Jahre Extraölverbrauch mit der gegenwärtigen Rate bietet. Wir wissen, dass Kompanien in einigen wichtigen Bereichen eine Rate von 50% oder mehr aus den Reservoirs herausholen, und zwar durch den Gebrauch neuer Technologien wie erweiterter Ölausbeute (enhanced oil Recovery, EOR) und 3D-Seismik (z. B. Statoil auf dem norwegischen Kontinentalschelf, Saudi Aramco in küstennahen Ölfeldern in Saudi-Arabien). Die wichtige Implikation hiervon ist natürlich außer der Entdeckung neuer Ölvorkommen ein gewaltiges Aufwärtspotential in Ausbeutungsraten, da bereits existierende Technologien immer breiter angewendet und neue Technologien entwickelt werden. Wenn der Ölpreis relativ hoch bleibt, gibt es eine sehr starke Motivation, die Ausbeutungsrate zu erhöhen, selbst in gegenwärtigen Reservoirs, in denen die Ausbeutung teuer ist.
Die Macht der Technologie ist auch dann hoch relevant, wenn es um die Entdeckung neuer Quellen geht: Man denke an Tiefwasserbohrungen offshore (z. B. das pre-salt Reservoir [?] in Brasilien), die Arktis, Gas- und Kohleverflüssigung, Ölsande, Schweröl, Schieferöl und festes Öl [tight oil ?] Hinsichtlich der Geographie wird auch regelmäßig übersehen, dass in großen Gebiete des Nahen und mittleren Ostens (selbst in Ländern wie Saudi-Arabien und Irak) sowie in Afrika immer noch weitgehend unentdeckte Vorkommen lagern. Wir bestaunen derzeit die noch nie da gewesene ‚stille’ Schiefergas-Revolution in den USA mit seinen gewaltigen Auswirkungen auf die globalen Gasmärkte – eine Revolution, die sich sehr gut auch nach Asien und eventuell auch Europa ausbreiten kann (vor allem Osteuropa). Unabhängig von der Tatsache, dass die gewaltigen Vorkommen von Schiefergas faszinierende Möglichkeiten bieten, im Transportsektor Anwendung zu finden (und folglich das Öl ersetzen), könnte eine ähnliche Kombination von Technologien wie Fracking und horizontale Bohrungen sehr gut signifikante Vorkommen von Schiefer- und festem Öl erschließen, wie wir es derzeit im Bakken-Feld im US-Bundesstaat Nord-Dakota erleben. Diese Formation allein erzeugt schon mehr als das OPEC-Land Ecuador. Hier könnten wir weitere Überraschungen erleben, was ein Grund dafür ist, dass einige Industriekapitäne von einer ‚Renaissance für Petroleum’ reden. Wie auch immer dem sei, die unbestreitbare Tatsache lautet, dass die Barrieren der Ölförderung durch eindrucksvolle technologische Entwicklungen in der Ölindustrie immer weiter nach hinten verschoben werden. Auf den Punkt gebracht wird von seriösen Experten kaum bestritten, dass die Menschheit bisher etwa 1 Billion Barrel Öl verbraucht hat, dass es jedoch immer noch konventionelle und unkonventionelle Vorkommen möglicherweise in einer Größenordnung von 3 bis 4 Billionen Barrel gibt.
Es gibt jedoch einen wichtigen Vorbehalt. Obwohl Technologien zur Verfügung stehen, die für die Entwicklung immer neuer Vorkommen zur Verfügung stehen, betrifft es in fast allen diesen Fällen technologisch herausfordernde Projekte, dass sie viel teurer in der Ausbeutung sind, um das Öl auf den Markt bringen. Dies ist zunehmend selbst im Nahen Osten der Fall, welches traditionell ein Gebiet billiger Kosten ist. In vielen Projekten mit einer relativ geringen Ausbeute liegt der Preis über 80 Dollar pro Barrel; in der Folge gibt es den oft gehörten Slogan, dass ‚die Zeit billigen Öls vorbei ist’. Es scheint viel Wahrheit in diesem Einzeiler zu stecken, und offensichtlich hat dies langfristig sehr ernste Konsequenzen für die Ölpreise, da die Kosten geringerer Förderung im Verhältnis zur zunehmenden Nachfrage mit der Zeit eine grundlegende Determinante der langzeitlichen Ölpreise ist. Mehr und mehr lesen wir von ‚schwierig’ oder ‚hart’ zu gewinnendem und damit teurem Öl. In vielen Fällen sind die neuen Ölreserven wie Ölsande und Schieferöl auch eine ernste Herausforderung der Umwelt, die kontrolliert und überwunden werden müssen, was die Kosten ebenfalls nach oben treibt.
Endlich, aber massenhaft
Natürlich ist es unbestritten, dass Öl letztendlich eine endliche Ressource ist, die eines Tages alle sein wird. Allerdings scheint dieser Tag noch sehr weit weg zu sein, tatsächlich sogar weiter weg, als wir noch vor 10 oder 20 Jahren gedacht haben. Das US Geological Survey schätzt, dass sich die ausbeutungswürdigen Ressourcen seit den frühen achtziger Jahren beinahe verdoppelt haben, wobei die Zunahme des Ölverbrauchs nur etwa ein Drittel der neu gefundenen Vorkommen ausmacht. Die Zunahme der Ressourcen ist primär eine Folge technologischer Fortschritte, die es uns erlauben, jetzt existierende Ölvorkommen viel effektiver auszubeuten („die Reserven wachsen“), ein Faktor, der in der öffentlichen Diskussion oft ignoriert wird.
Eher öfter als seltener konzentriert sich die Debatte auf das vermeintliche Fehlen neuer Ölfunde im Vergleich zur gegenwärtigen Ölproduktion. Tatsächlich gab es während der letzten Jahre einen signifikanten Anstieg signifikanter neuer Funde, aber das muss man richtig einordnen, indem man die Schlüsselrolle des Zuwachses der sofort ausbeutbaren Reserven anerkennt. Schauen wir in Gestalt seriöser Agenturen auf die derzeitigen Schätzungen der unmittelbar ausbeutbaren Ressourcen, erkennen wir, dass die meisten davon bei oder nahe einem Allzeithoch liegen.
Allerdings hört man in der öffentlichen Diskussion wegen der fehlenden Bestätigung von dritter Seite immer wieder ernste Zweifel an der Stichhaltigkeit dieser Schätzungen. In vielen Ländern werden die Schätzungen über Reserven und Ressourcen aus verständlichen Gründen streng geheim gehalten. Aber diese Tatsache impliziert keineswegs automatisch, dass deshalb die tatsächlichen Reserven niedriger sind als die offiziellen Zahlen. Das ist unlogisch, aber oftmals entweder explizit oder implizit zu hören.
Theoretisch kann man sich genauso viele Anreize ausdenken, die Reserven zu unterschätzen wie sie zu überschätzen. Die Wahrheit ist, dass alle relevanten internationalen Energieorganisationen wie die International Energy Agency (IEA), OPEC, das International Energy Forum (IEF) und die US Energy Information Administration (EIA) darin übereinstimmen, dass es noch viele Jahrzehnte lang gut ausreichende Ölreserven geben werde. Ihre Szenarien implizieren, dass die Ölproduktion bis zum Jahr 2035 ein Niveau von 96 bis 110 Millionen Barrel pro Tag erreichen kann. Präziser, dies bezieht sich auf eine weit gefasste Definition von Öl, einschließlich aller Arten von Flüssigkeiten neben dem Rohöl. Schaut man nur auf das Rohöl, befinden wir uns den meisten Szenarien zufolge bereits global nahe dem Peak der Rohölförderung.
Und was ist nun mit Peak Oil?
Heißt das alles, was oben gesagt wurde, dass wir keinen Peak der Ölversorgung im weitesten Sinne sehen werden? Nein, heißt es nicht. Wir müssen immer noch berücksichtigen, dass Peak Oil irgendwann in der Zukunft eintritt. Dies könnte einerseits infolge von Rückschlägen bei der Suche und der Ausbeutung ausreichender Ressourcen vor dem Hintergrund steigender Ölnachfrage der Fall sein, oder weil unzureichende Investitionen getätigt werden, um die bestehenden Ressourcen zu entwickeln.
„Sollten die Ölpreise weiterhin so hoch bleiben, gibt es einen starken Anreiz, Energie und Treibstoff immer effizienter zu verbrauchen“. © ZeroHedge.com
Die letzte Möglichkeit könnte ein ernster Faktor sein, der die notwendige Steigerung der Ölproduktion behindert, und zwar die sicherlich bisher nicht da gewesene ökonomische und politische Unsicherheit in der Welt. Die IEA schätzt den Investitionsbedarf in Öl bis zum Jahr 2035 mit einer Größenordnung über 10 Billionen Dollar ein. Etwa 75% dieser Investitionen muss schlicht und einfach dafür aufgewendet werden, den Rückgang der Ölförderung aus bestehenden Vorkommen zu kompensieren. Eine Kürzung dieser Ölinvestitionen könnte in Zukunft die Zunahme der Ölproduktion verhindern, wie es im Deferred Investment Case der IEA illustriert wird [etwa: Eine Rechnung, die zeigt, was bei einer Verringerung der Investitionen passiert. A. d. Übers.]
Die Nachfrage könnte vor der Versorgung die Spitze erreichen
Dass die globale Nachfrage nach Öl noch vor der Versorgung ihren Höhepunkt erreichen kann, wurde unter Anderem von John Browne angesprochen, dem früheren geschäftsführenden Direktor von BP und zuletzt von Ali Al-Naimi, dem Ölminister von Saudi-Arabien, und zwar in einer offiziellen Veröffentlichung des World Petroleum Congress’ in Doha im Dezember 2011. Mit den fortwährend hohen Ölpreisen gibt es einen starken Anreiz, treibstoff- und energieeffizienter zu werden und Ersatzstoffe für Öl zu suchen, besonders in den Nicht-Transport-Bereichen. Schon jetzt gibt es Berichte über sinkende Nachfrage bei bestimmten Anwendungen. Setzt sich dieser Trend fort, würde dies einen signifikanten Rückgang der Nachfrage nach Öl bedeuten, besonders in Ländern, in denen die Verbraucher teilweise von den Auswirkungen hoher Ölpreise infolge von Subventionen verschont bleiben. Diese Länder müssten ihre Haushaltsbelastung reduzieren und sich in Richtung der Weltmarktpreise bewegen.
Im Transportsektor lässt sich Öl nur sehr schwer ersetzen, aber selbst dort können hohe Ölpreise zu einer Förderung von Biotreibstoffen, Hybriden, Elektroautos und Erdgasfahrzeugen führen. Gleichzeitig gibt es noch ein gewaltiges Potential für mehr Energieeffizienz, das zum großen Teil in einer Zeit hoher Ölpreise ausgeschöpft wird. Sollte Öl großenteils auf den Transportsektor begrenzt sein und die Energieeffizienz noch erheblich zunehmen, kann es gut sein, dass wir demnächst in eine Situation kommen, in der das globale Ölangebot größer ist als die Nachfrage.
Dringender Bedarf, die öffentliche Sichtweise zu ändern
Die öffentliche Auffassung von Peak Oil in den meisten Gebieten von Europa und den USA ist gefährlich düster und weit entfernt von den faktenbasierten, oben beschriebenen Verhältnissen. Selbst viele hoch gebildete Menschen glauben, dass das Öl drauf und dran ist zu versiegen, wenn nicht gleich, dann doch in einigen Jahrzehnten. Die Fähigkeit der Technologie bei der Verbesserung der Ausbeutungsrate und des Auffindens neuer Ölfelder wird systematisch unterschätzt (‚es ist die Technologie, Dummkopf!’). Dies ist so trotz der eindrucksvollen Entwicklung der gesamten Ölindustrie seit der Entdeckung von Öl.
Teilweise wird die Konfusion jedoch auch durch eine schlampige Analyse oft komplizierter technischer Konzepte verursacht wie das Verhältnis von Reserven und Produktion [the R/P (reserves-to-production) ratio]. Dies wird oft salopp mit den Worten ‚wir haben noch Öl für vierzig Jahre’ beschrieben, ohne dass man dazusagt, dass dies lediglich eine theoretische, auf der völlig unrealistischen Hypothese beruhende Annahme ist, dass nicht ein einziges zusätzliches Barrel Öl entdeckt und den Reserven hinzugefügt wird. Natürlich wissen wir, dass das R/P-Verhältnis seit Jahrzehnten trotz der stetig steigenden globalen Ölnachfrage nicht signifikant zurückgegangen ist, aber den meisten Menschen außerhalb von Industrien ist das nicht klar. Die Ölindustrie muss zusammen mit Akademien und Politikern einen viel besseren Job machen, die Bevölkerung über die realen Fakten des globalen Öls und deren Herausforderungen zu informieren. Bei diesen Herausforderungen geht es weniger um die physische Verfügbarkeit von Öl, sondern darum, ein geeignetes Umfeld zu schaffen, die Märkte zeitnah mit Öl zu versorgen wie früher schon angedeutet, und natürlich um die Herausforderung, den Umweltfußabdruck des Verbrauchs und der Produktion von Öl signifikant zu reduzieren, einschließlich durch CCS. Investitionen und Nachhaltigkeit sind die wirklichen Herausforderungen hinsichtlich des Öls, nicht die Verfügbarkeit.
Noé van Hulst
About the author
Noé van Hulst is Director of the Energy Academy Europe, based in Groningen, The Netherlands. He is former Secretary-General of the International Energy Forum (IEF) and former Director Long-Term Co-operation and Policy Analysis at the International Energy Agency, as well as former Director General Energy at the Ministry of Economic Affairs in the Netherlands.
Das Original ist zuerst in der European Energy Review erschienen:
Übersetzt von Chris Frey Eike