Afrikagate!

Die Geschichte von Afrikagate beginnt im Jahr 2007. Verbunden mit der Veröffentlichung einer Zusammenfassung des vierten IPCC-Sachstandberichtes (“Synthesis Report”) begann der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri, die folgende Passage in seine Reden und Stellungnahmen zu integrieren (u.a. am 22.9.2009 in New York):

In Africa, by 2020, between 75 and 250 million people are projected to be exposed to water stress due to climate change, and in some countries yields from rainfed agriculture could be reduced by up to 50%.

Dies erregte die Aufmerksamkeit des britischen, klimaskeptischen Bloggers Richard North und des Journalisten Jonathan Leake (Sunday Times), die sich fragten, ob es denn für eine derartige Behauptung eine seriöse wissenschaftliche Quelle gäbe. Ausgehend von dem Ergebnis ihrer Recherchen entstand eine längliche Auseinandersetzung, die in den letzten Jahren in zahlreichen Blogs und Zeitungen in vielen Ländern ausgetragen wurde und deren vorläufigen Höhepunkt in Deutschland der Rechtsstreit zwischen der Journalistin Irene Meichsner und dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf darstellt. Über diesen Konflikt hat der Journalist Markus Lehmkuhl hier umfassend berichtet und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Durch die Berichterstattung auf der Klimazwiebel wurde ich nun darauf aufmerksam, wie sich im Laufe der Jahre das Thema der Auseinandersetzung verändert hat.
Leake und North stellten nämlich ursprünglich den zweiten Halbsatz von Pachauris Darstellung in den Mittelpunkt ihrer Kritik. Die Aussage, in einigen afrikanischen Ländern könnten die landwirtschaftlichen Erträge von nicht künstlich bewässerten Feldern um bis zu 50% zurückgehen, beruht tatsächlich nur auf einer Sekundärquelle aus der sogenannten durch unabhängige Experten ungeprüften “grauen” Literatur. Im Auftrag einer kanadischen Umweltlobbygruppe wurden hier Studien aus drei nordafrikanischen Ländern zusammengefasst (Marokko, Tunesien, Algerien), mit denen vor allem ein Impuls für den Aufbau von Bewässerungssystemen in der dortigen Landwirtschaft gesetzt werden sollte. Nun sind alle drei Länder eher kleine bzw. dünnbesiedelte Wüstenstaaten. Inwieweit ausgerechnet diese als Symbole für eine globale Bedrohung durch Dürren aufgrund eines hypothetischen menschgemachten Klimawandels herangezogen werden können oder sollten, kann man durchaus hinterfragen. Statt zu schreiben “Studien halten einen Ernterückgang von bis zu 50% in Marokko, Tunesien und Algerien für denkbar, sollte nicht in neue Bewässerungssysteme investiert werden”, kommuniziert das IPCC außerdem einen Ernterückgang von bis zu 50% in “einigen Ländern”, sollte nicht der Klimawandel bekämpft werden.
Die Causa Meichsner versus Rahmstorf aber entzündete sich vor allem am ersten Halbsatz.
Wo also stammen die 75-200 Millionen gefährdeten Menschen eigentlich her? In der “Summary for Policymakers” des “Synthesis Reports” gibt es dazu nur die Tabelle SPM 2 mit der folgenden Aussage zu Afrika:

By 2020, between 75 and 250 million of people are projected to be exposed to increased water stress due to climate change.

Es existieren also Projektionen (mithin keine Prognosen), in denen von 75 bis 250 Millionen Menschen gesprochen wird, die unter einem gegenüber heute erhöhten Wassermangel leiden könnten. Eine Quellenangabe fehlt. Schaut man in die Synthese selbst, so findet sich dort auf Seite 50 (Abschnitt 3.3.2) dieselbe Aussage, aber erneut ohne Quellenangabe. Man wird auf den Report der Arbeitsgruppe 2, Abschnitt 9.4 verwiesen:

In some assessments, the population at risk of increased water stress in Africa, for the full range of SRES scenarios, is projected to be 75-250 million and 350-600 million people by the 2020s and 2050s, respectively (Arnell, 2004). However, the impact of climate change on water resources across the continent is not uniform. An analysis of six climate models (HadCM3, ECHAM4-OPYC, CSIRO-Mk2, CGCM2, GFDL_r30 and CCSR/NIES2) and the SRES scenarios (Arnell, 2004) shows a likely increase in the number of people who could experience water stress by 2055 in northern and southern Africa (Figure 9.3). In contrast, more people in eastern and western Africa will be likely to experience a reduction rather than an increase in water stress (Arnell, 2006a).

Das klingt schon etwas differenzierter. Und jetzt wissen wir auch (nachdem wir ausgehend von Pachauris Reden drei dicke Dokumente durchsucht haben), woher die Zahlen stammen. Aus einer Studie von Nigel W. Arnell, Climate change and global water resources: SRES emissions and socio-economic scenarios, die 2004 im Journal Global Environmental Changes erschien.
Grundlage der Untersuchung von Arnell sind die vier Emissionsszenarien, die das IPCC in seinem vierten Sachstandsbericht zur Grundlage der Zukunftsprojektionen gemacht hat, diese werden mit den Kürzeln A1, A2, B1 und B2 beschrieben. Diese vier Szenarien enthalten jeweils unterschiedliche Annahmen über die zukünftigen ökonomischen und demographischen Entwicklungen. Auch ohne jeden Klimawandel wird die Zahl der von Wassermangel bedrohten Menschen in Afrika aufgrund der Bevölkerungszunahme bis 2025 steigen. Von heute wahrscheinlich etwa 200 Millionen (1995: 134 Mio.) auf 340 (A1, B1), 381 (A2) oder 295 Millionen (B2).
Arnell kreuzt nun diese vier ökonomischen Szenarien mit sechs Klimamodellen (die so kryptische Bezeichnungen wie HadCM3, ECHAM4 oder CSIRO aufweisen) zu 14 Kombinationen, um letztlich Auswirkungen eines potentiellen Klimawandels auf die Wasserversorgung für größere Regionen in einem ausgedehnten Zukunftsraum zu projizieren. Seine Ergebnisse findet man in Tabelle 11 und Tabelle 12 der Veröffentlichung. Die erste Tabelle enthält die Zahl an Menschen, für die sich in den Projektionen durch den angenommenen Klimawandel Dürrerisiken erhöhen könnten. Und die Extremwerte finden sich bei der Kombination von “B2″ mit “HadCM3″ als 74 bis 239 Millionen.
Bestätigt dies die Angaben im IPCC-Bericht? Mitnichten. Denn es gibt ja noch die zweite Tabelle. Wenn sich durch den Klimawandel die Niederschlagsmuster ändern, gibt es Gewinner und Verlierer. Die Anzahl der Gewinner, also der Menschen, die durch den Klimawandel im Jahr 2025 geringeren Risiken ausgesetzt sein werden, ergibt sich bei B2-HadCM3 zu 66 bis 132 Millionen. Diese Zahl wird durch das IPCC nicht kommuniziert.
Von allen 14 Projektionen weisen vier (A2-GFDL, A2-CCSR, B2-GFDL und B2-CCSR) einen positiven Nettoeffekt auf, in ihnen ist die Zahl der Betroffenen mit sinkenden Risiken in Afrika größer als die Menge der mit steigenden – immer verglichen mit einer Welt ohne Klimawandel. Am ausgeprägtesten ist hier B2-CCSR mit minus 22 Millionen. Den schlechtesten Nettowert findet man bei B2-CSIRO mit plus 200 Millionen. Dies bestätigt die von Markus Lehmkuhl gefundenen Werte. Nicht nur enthält uns das IPCC diese Zahlen vor, sie scheinen von den Wissenschaftlern nicht einmal wahrgenommen worden zu sein, wie die Replik des PIK auf Lehmkuhl belegt:

 ”Dagegen  schreibt  Lehmkuhl,  die  Arnell‐Studie  „weist  für  Afrika  aus,  dass  […]  zwischen  minus  23  und  plus  200  Millionen  Menschen  von  erhöhter  Wasserknappheit“  betroffen  wären.  Derartige  Zahlen  finden  sich  nicht  in  der  Arnell‐Studie  und  sind  laut  Aussage  von  Nigel  Arnell  wissenschaftlich  falsch.”

Ist Ihnen noch etwas aufgefallen? Richtig, Arnells Projektionen setzen im Jahr 2025 ein. Im vierten IPCC-Sachstandsbericht werden daraus die “2020s”, im zusammenfassenden Report ist man dann schon bei “bis 2020″ angekommen. Der Wunsch nach Dramatisierung ist auch spürbar in der Aufrundung der Bruttozahlen auf 75 bis 250 Millionen.    
Climategate ist der Beleg für die bei einigen Klimaforschern verbreitete Haltung, man müsse wissenschaftliche Ergebnisse politisch instrumentalisieren, um der grünen Ideologie der “Nachhaltigkeit” zum Durchbruch zu verhelfen. Die anderen “Gates” – Hurrikangate, Himalayagate und eben auch Afrikagate – verdeutlichen die Taktik der Vorgehensweise. Aus der ausgewerteten Literatur wird nur selektiv zitiert. Man übertreibt, in dem man Risiken mit konkreten Zahlenwerten belegt, immer ein wenig dramatischer, als es die für Leser der Zusammenfassungen schwer zu identifizierende Quelle vorgibt. Positive Zukunftsaussichten hingegen verbirgt man hinter unkenntlichmachenden Wortnebeln – sofern man sie überhaupt anspricht. Oft werden auch Formulierungen konstruiert, die willfährige Journalisten zu Übertreibungen einladen. Was man natürlich stillschweigend toleriert, denn es dient ja der “guten Sache”.
So nutzt Pachauri die Aussage über Afrikas Dürrerisiken bis heute in obiger Formulierung, jüngst erst zur Eröffnung der Klimakonferenz in Durban. Und in der deutschen Presse findet man dann nicht selten Übersetzungen wie diese:

“Unseren Berechnungen nach werden in Afrika bis 2020 zwischen 75 und 250 Millionen Menschen Opfer von Wassermangel, der dem Klimawandel zuzuschreiben ist”, betonte der Vorsitzende des Weltklimarats, Rajendra Pachauri. Allein die landwirtschaftlichen Erträge drohten vielerorts um 50 Prozent zu sinken.

Aus Risiken werden ganz schnell reale Tote. In nur acht Jahren und natürlich “vielerorts”. Dieser Journalist wird sicher keinen bösen Brief aus Potsdam erhalten.
P.S.: Bemerkenswert ist die Betrachtung von Arnells Tabelle 10. Hier werden die Gewinner und Verlierer des Klimawandels in den 14 Projektionen global aggregiert. Tatsächlich übersteigt nur in einer einzigen Projektion (A1-HadCM3) die Zahl der Verlierer die der Gewinner (um 180 Millionen). Alle dreizehn anderen sehen global eine teils erhebliche Verbesserung der Wasserversorgung durch den Klimawandel gegenüber einer Welt ohne diesen. In A2-ECHAM4 beträgt die Nettozahl der Profiteure gar 1,7 Milliarden. Wo im IPCC-Report findet man diese Zahl? Ich habe gar nicht erst gesucht, vielleicht kann einer der Leser weiterhelfen…
Dr. Peter Heller Science Sceptical

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