Ist dieser Wissenschafts-Ketzer ein Genie oder ein Spinner?
"Die Liste der Ketzer, die wegen ihrer umstürzenden Ideen zunächst verfolgt wurden, aber dann doch Recht behielten, wird immer länger. Vor einem Monat hat Daniel Shechtman den Nobel-Preis für die Entdeckung der Quasi-Kristalle bekommen. Während der längsten Zeit seiner Berufskarriere war ihm gesagt worden, dass er sich irre." Selbst einer der herausragendsten wissenschaftlichen Denker des 20. Jahrhunderts, der Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling hatte ihn mit den Worten verunglimpft, Quasi-Kristalle existierten nicht, wohl aber Quasi-Wissenschaftler.
Ridley führt weitere Beispiele für Wissenschaftler an, deren Theorien zunächst abgelehnt wurden, weil sie gängigen Erklärungen widersprachen: die Mediziner Barry Marshall (Entdeckung der Ursache von Magengeschwüren), Ignaz Semmelweiß (Verbreitung von Kindbettfieber durch die Geburtshelfer) und den Geowissenschaftler Alfred Wegener (Kontinentaldrift). Dann fragt Ridley, welcher heutige Wissenschafts-Ketzer nobelpreisverdächtig wäre. Den dänischen Astrophysik-Professor Henrik Svensmark hält er für einen solchen Kandidaten. Svensmark vermutet seit 1997, dass das Magnetfeld der Sonne das Erdklima beeinflusst, indem es die Atmosphäre vor kosmischer Strahlung abschirmt. Kosmische Strahlung führt nach Svensmark zur Wolkenbildung und Verdichtung. Wolken wiederum schirmen die Erdoberfläche von der Sonneneinstrahlung ab und führen so zur Abkühlung. Seine Hypothese ist, dass ein großer Anteil der natürlichen Klimaschwankungen während der vergangenen Millionen Jahre aus Veränderungen der Sonnenaktivität herrührten.
Svensmark wird als Ketzer angesehen, weil er mit seiner Theorie all denen widerspricht, die uns davon überzeugen wollen, dass die heutigen Klimaänderungen vorwiegend menschengemacht und nicht natürlichen Ursprungs wären. Seine Theorie wird abgelehnt. Die Ablehnung durch eine Mehrheit von Wissenschaftlern allein kann aber kein Gegenbeweis sein. Einige vielversprechende kürzliche Experimente am CERN deuten darauf hin, dass sich Dr. Svensmark sehr wohl als ein Dr. Shechtman entpuppen könnte.
Ob Svensmark in einer Reihe mit den zunächst als Ketzer abgelehnten Wissenschaftlern wie Shechtman, Marshal, Galileo, Darwin, Einstein steht, kann allerdings nicht nur aus der Tatsache abgeleitet werden, dass er sich gegen hergebrachte Erklärungsmuster wendet. Denn nach Ridleys Einschätzung hätten rund 90 Prozent aller großen Wissenschaftler als Häretiker angefangen. Die Gesamtzahl der Häretiker sei aber viel größer und es träfe daher umgekehrt nicht zu, dass 90 Prozent aller Häretiker später Recht behielten.
Die Zukunft wird zeigen, ob Svensmark Recht hat. Die jüngsten Forschungsergebnisse am CERN jedenfalls scheinen ihn zu bestätigen.
Matt Ridley; Originalbeitrag hier