Deutsche Journalisten verstellen sich! Isländischer Genforscher berichtet über seine Erfahrungen
Neugierig sein, heißt auch hartnäckig sein. Beispielsweise um ein Interview mit dem isländischen Genforscher Kári Stefánsson zu bekommen. Denn der hat von deutschen Journalisten die Nase gestrichen voll. Mit gutem Grund. Das Interview hier für Achgut-Leser als kleiner Appetitmacher auf das Neugier.de Island-Heft, das Sie hier bestellen können. Darin gibts noch viel mehr für Freunde unkonventionellen Denkens. Ein weiteres streitbares Interview mit dem isländischen Walfänger Kristiján Loftsson und eine Fotoreportage vom (live erlebten) Ausbruch des Vulkans Grimsvötn. Schriftsteller Bernhard Lassahn begab sich mit Käptn Blaubär auf eine Island-Kreuzfahrt und der Architekt Einar þorsteinn Ásgeirsson erklärt das Gehemnis seiner Kugelhäuser.
Und hier das Interview von Henryk Broder mit Kári Stefánsson über seine Erfahrungen mit deutschen Journalisten, die Genforschung und den Lieben Gott.
Pieces of Shit
Neugier.de : Kári, Sie können deutsche Journalisten nicht ausstehen. Trotzdem sprechen Sie mit uns, was wir wirklich zu schätzen wissen. Warum ist Ihnen unsere Truppe so unsympathisch?
Kári Stefánsson: Das liegt einfach daran, dass sie offensichtlich andere Anstandsregelnhaben als die Journalisten im Rest der Welt. Deutsche Journalisten verstellen sich. Sie haben keine Skrupel zu täuschen und zu verschleiern, auf was sie in Wahrheit hinauswollen. Das widerspricht völlig den ethischen Grundsätzen des professionellen Journalismus. Wenn Sie mit einem angelsächsischen oder einem skandinavischen Journalisten sprechen, wird er Ihnen immer klar sagen, was er wissen will, worauf er hinaus will, was der Fokus seiner Geschichte ist. Deutsche Journalisten sind leider in kultureller Hinsicht ignorant. Ihre Geschichten sind immer sehr germano-zentrisch und sie machen ihre deutsche Weltsicht zum alleinigen Maßstab für die Beurteilung von Sachverhalten. Ich erinnere mich an einen Artikel, den einer Ihrer deutschen Journalisten-Kollegen über Island geschrieben hat. Er trug den Titel „Peepshow im Land der Wikinger“. Doch wo war die Peepshow? Die Leidenschaft der Isländer in Sachen Genealogie wurde kurzerhand zur Peepshow gemacht. Island führt einen Stammbaum der ganzen Nation – und dies wurde als Peepshow abqualifiziert. Aus der Tatsache, dass unsere Nation es in Ordnung findet, zu wissen, wer mit wem verwandt ist, wurde eine exhibitionistische Zurschaustellung gemacht. In meiner Erfahrung mit deutschen Journalisten gab es leider keine einzige Ausnahme. Ich habe mit Journalisten aller großen deutschen Tageszeitungen und fast aller Fernsehsender gesprochen. Und wirklich jeder einzelne von ihnen verhielt sich gleich.
Sie wissen wenig und wissen dabei alles besser?
Ich will mir kein Urteil über das Fachwissen deutscher Journalisten erlauben. Ich möchte nur sagen, dass sie alle ohne Ausnahme Arschlöcher („Pieces of shit“) sind. Vielleicht sind sie sehr gebildete Arschlöcher, aber das ist mir gleich.
Und Ihnen ist noch nie jemand begegnet …
Ich habe noch keinen anständigen deutschen Journalisten kennengelernt! Das ist wirklich seltsam …
Könnte das etwas mit dem deutschen Nationalcharakter zu tun haben?
Es ist eigenartig. Wenn Sie die deutsche Kultur betrachten – wir haben ihr so viel zu verdanken. Wir haben ihr unsere Weltanschauung zu verdanken. Wenn wir die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts betrachten – da gab es diese ungeheuere Kreativität in den Wissenschaften. Im Grunde haben die Deutschen unser heutiges Weltbild erschaffen. Ihnen haben wir einen großen Teil der musikalischen Werke zu verdanken und einiges an guter Literatur. Deutschland hat viel Gutes hervorgebracht. Natürlich gab es auch einige weniger glückliche, von Arroganz und Selbstgerechtigkeit geprägte Beiträge zu unserer Kultur, einige Weltkriege zum Beispiel. Heute gibt es viel Positives in Deutschland. Die Kunstszene in Berlin. Berlin ist die Kunsthauptstadt der Welt geworden und hat damit New York und London abgelöst. Ihr seid also nicht ohne Vorzüge. Obwohl mir die Welt ohne Euch besser gefallen würde.
Na toll. Gibt es noch was Gutes über die Deutschen zu sagen?
Die Deutschen haben sehr viel isländische Literatur übersetzt. Sie sind sehr angetan von unserer Literatur. Und in Deutschland gibt es ebenso viele Islandponys wie in Island. Vielleicht sogar mehr. Wenn man sich eine Nation wie die Deutschen ansieht – eine sehr gebildete Nation relativ kluger Menschen –, so lebt sie immer noch im Schatten des zweiten Weltkrieges. Deshalb ist jeder so bemüht, sich politisch korrekt zu verhalten. Sie möchten der Welt zeigen, dass sie eigentlich nicht das Volk waren, das die Juden ausrotten wollte, dass sie eigentlich nicht das Volk waren, das in Polen einmarschiert ist, dass sie eigentlich nicht das Volk waren, das so gewaltsam vorging. Deswegen wirkt das Verhalten der Deutschen in vielerlei Hinsicht so unnatürlich. Sie sind katholischer als der Papst und ziemlich verklemmt. Adolf hat sie immer noch fest im Griff. Es ist interessant zu sehen, wie die schönen Künste es auf verschiedene Art und Weise schaffen können, die Menschen aus dieser Misere zu befreien.
Hat diese Einstellung auch einen Einfluss auf die Wissenschaft in Deutschland?
Eigentlich hat die Wissenschaft in Deutschland ihre Krise überwunden. Lange Zeit konnte gerade in meiner Disziplin, der Genetik, nicht gearbeitet werden, weil Genetik ein Schimpfwort war. Jahrelang haben die Deutschen Ethikkonferenzen abgehalten, die einzig und allein dazu dienten, mich einzuladen und dann mit faulen Eiern zu bewerfen. Aber jetzt sind sie bereit und beginnen, im Bereich Humangenetik zu forschen. Trotzdem belastet sie dieses Thema immer noch. Und das ist eigentlich merkwürdig, weil Humangenetik im Prinzip eine rein deskriptive Disziplin ist. Man verändert nichts, man beschreibt nur, wie der Mensch aufgebaut ist – basierend auf den Informationen, die im Genom enthalten sind. Trotzdem furchten sich die Deutschen immer noch ein wenig vor diesem Thema. Es gibt fünf, sechs verschiedene Forschergruppen in Deutschland, die vernünftige Arbeit leisten.
Manche nennen Sie den Einstein des 21. Jahrhunderts. Andere behaupten, Sie wären kein Einstein, sondern Frankenstein. Wie sehen Sie sich selbst?
Das meiste davon hat nichts mit mir zu tun. Es hat mit den Kontroversen um das Thema Genetik zu tun. Während man vor 14, 15 Jahren darüber stritt, ob man Populationsgenetik betreiben soll, haben wir einfach begonnen, auf diesem Gebiet zu forschen. Ich habe vorgeschlagen, Populationsgenetik in einer Großstudie zu erforschen. Das hat vorher außer uns noch keiner getan und seitdem auch nicht.
Ist niemand in Ihre Fußstapfen getreten?
Jetzt versuchen es viele – auf der ganzen Welt versuchen sie zu reproduzieren, was wir hier geleistet haben. Aber als ich das Projekt vorschlug, hielten es die Leute für eine Zukunftsvision von George Orwell. Man befürchtete, dass Menschen ausgebeutet würden, dass Menschen damit geschadet werden könnte, dass wir die Privatsphäre von Menschen ausspionieren und sie ausnutzen würden. Nichts davon hat sich in den letzten 15 Jahren bewahrheitet. Im Gegenteil, die Hälfte aller wichtigen Erkenntnisse in der Humangenetik stammt aus dieser Zeit und unser Beitrag ist wahrscheinlich so groß wie der des Rests der Welt zusammengenommen. Deshalb fangen die Leute an, unsere Arbeit jetzt als eine sehr produktive Sache zu betrachten, die relativ harmlos ist.
Wie viele Menschen haben an der Studie teilgenommen?
Ungefähr 130.000 Menschen – ein Grossteil der isländischen Erwachsenen. 95 Prozent der Personen, die wir zur Teilnahme eingeladen hatten. Wir haben ausreichend Material für unsere Untersuchungen gewonnen. Wir sammeln keine Moleküle, sondern Informationen über das menschliche Leben. Wir betreiben solide Forschung. Wir sind einfach Wissenschaftler. Und eines dürfen Sie nicht vergessen: Wissenschaft floriert eher im Chaos und nicht durch rationale Überlegungen. Sie hängt eher von Intuition als von logischer Analyse ab.
Haben Sie herausgefunden, warum es uns gibt?
Nein. Ich bin weit davon entfernt, das zu begreifen. Es bereitet mir schweres Kopfzerbrechen, herauszufinden, warum wir existieren. Ich könnte Ihnen viele Gründe nennen, warum es uns nicht geben sollte … Bedenken Sie einmal: Was Ihnen die Fähigkeit zu denken verleiht, sind heute, 65 Jahre nach Ihrer Geburt, die Informationen, die zusammengefügt wurden, als die Eizelle Ihrer Mutter mit Hilfe Ihres Vaters befruchtet wurde und dieses neue Genom, diese neue Konstellation
von Chromosomen entstand. Das ist der Grund, warum Sie sind, wer Sie sind. Was könnte also wichtiger sein, als herauszufinden, wie diese Informationen uns zu dem machen, was wir sind.
Welchen Einfluss hat die Erziehung, die Umwelt …
Die Art und Weise, wie Sie auf Ihre Umwelt reagieren, wird von Ihren Genen gesteuert. Natürlich hat die Umwelt einen Einfluss auf Sie. Aber wie Umfeld A sich auf Mensch B auswirkt – im Gegensatz zu der Wirkung von Umfeld C auf Mensch D –, liegt am Unterschied in den Genomen. Man kann nicht vor sich selbst fliehen. Die Tatsache, dass Ihr Leben nicht vorhersehbar ist, bedeutet aber nicht, dass es Willensfreiheit gibt.
Das bedeutet?
Wenn Sie das genetische Profil eines Menschen im Kindesalter analysieren, können Sie im Prinzip auf dieser Basis ein personalisiertes Gesundheitsvorsorge- Programm erstellen, das darauf abzielt, zu verhindern, dass eine wahrscheinliche Krankheit tatsächlich ausbricht.
Sie arbeiten mit …
Wir arbeiten mit ungefähr 150 Universitäten weltweit, wir haben Mitarbeiter in jeder Großstadt in Europa, wir haben eine bedeutende Anzahl von Kooperationen in Deutschland, für die Erforschung von allen möglichen Krankheiten, unsere Forschungspartner sind die Universitäten.
Wie sieht es mit Designer-Babys aus?
Das ist ein extrem kompliziertes Thema, weil es hier um Selektion geht. Es geht um die Frage, ob es richtig ist, eine Meinung darüber zu haben, wie Menschen zu sein oder nicht zu sein haben. Wir sind sehr zielstrebig darin, wie wir die Umwelt nutzen wollen, damit sie einen Einfluss auf die Entwicklung von Menschen hat. Deshalb können wir nicht behaupten, dass wir keine Meinung dazu haben, wie unsere Kinder werden sollen. Aber der Gedanke, Erkenntnisse aus der Genforschung zur Verbesserung von Menschen einzusetzen, beunruhigt uns. Der Begriff der Eugenik wurde von Galton geprägt, der ein Schüler Darwins war. Dann kam Herr Adolf daher und veränderte die Art und Weise, wie man diesen Begriff betrachtete. Ich finde die „Zucht“ von Menschen geschmacklos. Und ich denke, dass es gewisse biologische Gründe dafür gibt, keine an die heutige Welt hervorragend angepasste Herrenrasse zu züchten – weil sich die Welt verändert. Einmal angenommen wir würden den perfekten Menschen definieren …
… einen Allzweckmenschen, in Einheitsgrösse …
Ja, das gab es schon. Es ist klar, dass man den perfekten Menschen über die Umwelt, wie sie heute ist, definieren würde. Ein Mensch, der in der heutigen Umwelt funktionieren und überleben könnte. Und dann würde es so einen Vulkanausbruch geben, der alles verändert. Wenn alle Menschen gleich wären, dann wären wir schlecht auf die nächste Katastrophe vorbereitet. Weil man Katastrophen nicht vorhersagen kann. Der beste Weg, uns Menschen, unsere Spezies, auf das Überleben der nächsten Katastrophe vorzubereiten, ist, uns auf dem gesamten Globus zu verteilen. Uns so vielen verschiedenen Umweltbedingungen wie möglich auszusetzen. Wenn man an das Überleben der Gattung Mensch denkt, sollte man davon absehen, den perfekten Menschen definieren zu wollen. Und wir sollten alle Versuche vermeiden, den perfekten Menschen zu erschaffen und aus allen Menschen dieses perfekte Wesen machen zu wollen. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die nächste Katastrophe zu überleben, sollten wir so viel Vielfalt wie möglich schaffen. Der perfekte Mensch würde eine unglaublich langweilige Welt hervorbringen. Stellen Sie sich einmal vor, alle Menschen wären so wie Sie, das wäre die Hölle! Aber wir sollten alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ein langes Leben in Gesundheit zu führen.
Glauben Sie an Gott?
An Gott zu glauben, ist keine Lösung für mich. Wenn ich durch den Glauben an Gott eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung hätte – das wäre natürlich sehr praktisch. Selbst wenn ich einer der Glücklichen wäre, die an Gott glauben, die glauben, dass Gott das Universum erschaffen hat, dann würde es mir trotzdem nicht bei der Beantwortung der Frage helfen, wer Gott erschaffen hat. Woher wir kommen und wohin wir gehen, das sind sehr schwierige Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Die Frage, wie alles anfing, ist ein erkenntnistheoretischer Albtraum.
Wir können uns das Nichts nicht vorstellen. Wir können uns nicht vorstellen, wie aus Nichts etwas werden konnte. Deshalb ziehe ich es vor, im Rahmen meiner Arbeit das Leben zu erforschen, nachdem es entstanden ist und nicht zu untersuchen, was geschehen ist, bevor Leben entstand oder, wenn Sie an Gott glauben, bevor das Leben erschaffen wurde.
Warum sind Sie nach Island zurückgekehrt, nachdem Sie lange Zeit in den USA gearbeitet und geforscht haben?
Meine Familie lebt seit 1.100 Jahren hier. Und meine Familie ist einigermaßen gut
an diesen Ort angepasst. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ich diesen Ort liebe.
Ich gehöre einfach hierher. Ich könnte Ihnen lang und breit erklären, was mir an
Island alles missfällt. Dies ist eine popelige, kleine Nation.
Auch nicht popeliger als größere Nationen.
Durch die Nähe zueinander kann man sich schlecht verstecken. Und es ist sehr
schwer, über gewisse Dinge hinwegzusehen, wenn man so dicht beieinander lebt.
Auszug aus der Zeitschrift “Neugier.de” (http://www.neugier.de), ein Projekt des Autoren-Blogs “Die Achse des Guten” (http://www.achgut.com ) unter anderen mit Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner und Michael Miersch. Neugier.de wurde soeben mit dem renommierten internationalen red dot-Designpreis als “best of the best” ausgezeichnet. Die jüngste Ausgabe „Made in Iceland“ wurde auf dem Island-Pavillon der Frankfurter Buchmesse präsentiert.
Mit freundlicher Genehmigung. Der Beitrag erschien zuerst auf ACHGUT
Nachtrag – aus eigener Erfahrung:
Nach einem Telefoninterview mit einer gewissen Frau Jeanne Rubner von der Süddeutschen Zeitung erschien von ihr der Artikel
http://www.sueddeutsche.de/wissen/klimaskeptiker-wir-brauchen-keine-klimaforscher-1.6518
Überflüssig darauf einzugehen, was in dieser journalistischen Jauche meinen tatsächlichen Antworten am Telefon entsprach. Die nicht stubenreine Bezeichnung von Kári Stefánsson "piece of …" wird von mir zwar in Erinnerung an eine gute Kinderstube nicht gebilligt, ist aber verständlich. Eine ähnliche Erfahrung machte ich mit dem ZEIT-Journalisten Reuter, der nach vielen sehr freundlichen und höflichen Kontakten den gehässigen Artikel
http://www.zeit.de/2010/48/U-Klimaskeptiker
verfasste. Dieser Beitrag hatte wenigstens einen hübschen Stil und war kein plump-dummes Machwerk. Darum sei ihm vergeben, einem guten Stil lasse ich fast alles durchgehen. Man macht schon so seine lehrreichen menschlichen Erfahrungen als Anfangsopfer von Schreiberlingen – allerdings nicht lange.
Prof. Dr. Horst-Joachim Lüdecke
EIKE-Pressesprecher