Nuklearunfall Fukushima – einfach und genau erklärt!

 
Info IV Update vom 26.3.11
New Scientist Blog zur Hintergrudnstory dieses Artikels von Joseph Oehmen:

„How Josef Oehmen’s advice on Fukushima went viral“ (hier)

 
Info III vom 16.3.11 
Update zum Fukushima-Störfall von Klaus Humpich hier
und hier ein Kommentar auf dem Blog der Webseite der TAZ taz.de  „Hirnschmelze“ von Detlef Guertler
Info II vom 15.3.10 
Wegen des Aufsehens den dieser Artikel im Internet erregt hat, wurde er vom offiziellen MIT NSE Nuclear Information Hub übernommen und in modifizierter Form erneut ins offizielle MIT Netz gestellt. Sie finden ihn hier
Info I vom 15.3.10
Der Artikel wurde am 12.3.11 in Netz gestellt. Inzwischen ist viel Schlimmes in Japans Kernkraftwerken passiert. Damit stimmen einige Äußerungen bzw. Hoffnungen in dem Beitrag, nicht mit der Realität überein. Wir arbeiten an einem Update!
 

Text

Neben den verlässlichen Quellen wie IAEA und WNN gibt es eine unglaubliche Menge von Desinformation und Übertreibungen im Internet und den Medien über die Situation im Kernkraftwerk Fukushima. Im BNC Diskussionsforum „- BNC post Discussion Thread – Japanese nuclear reactors and the 11 March 2011 earthquake – werden viele technische Einzelheiten berichtet, auch regelmäßige Aktualisierungen. Aber wie steht es mit einer Zusammenfassung für Laien? Wie bekommen die meisten Menschen eine Vorstellung davon, was wann passierte und welche Konsequenzen daraus folgen?
Im Folgenden gebe ich eine Zusammenfassung der Lage wieder, die Dr. Josef Oehmen am 12.3.11 geschrieben hat, ein Wissenschaftler am MIT, Boston. Er ist ein promovierter Wissenschaftler, dessen Vater ausgiebig Erfahrung in der deutschen Kernkraft-Industrie gesammelt hat. Dieser Beitrag ist zuerst von Jason Morgan heute Nachmittag gesendet worden, und er hat mir freundlicherweise erlaubt, den Beitrag hier wiederzugeben. Ich halte es für sehr wichtig, dass diese Information weithin verstanden wird.Ich schrieb meinen Text am 12. März, um Sie zu beruhigen wegen der Probleme in Japan in Bezug auf die Sicherheit von Kernkraftwerken. Vorneweg: die Lage ist ernst, aber unter Kontrolle. Und der folgende Text ist lang! Aber Sie werden nach der Lektüre mehr über Kernkraftwerke wissen, als alle Journalisten auf der Welt zusammengenommen.

Es hat keine signifikante Abgabe von Radioaktivität stattgefunden und es wird auch keine geben!

Mit „signifikant“ meine ich eine Strahlungsmenge, die man –  sagen wir mal – auf einem Langstreckenflug aufnimmt, oder wenn man ein Glas Bier trinkt, das aus einer Gegend mit hoher natürlicher Hintergrundstrahlung kommt.
Ich lese jede Nachricht über den Vorfall seit dem Erdbeben. Es hat keine einzige (!) Meldung gegeben, die genau und fehlerfrei gewesen wäre (Teil des Problems ist auch die japanische Schwäche der Informationspolitik). Mit „fehlerfrei“ beziehe ich mich nicht auf tendenziösen Atomkraft-Nein-Danke-Journalismus – wie er heutzutage ganz normal ist. Ich meine offensichtliche Irrtümer über die Physik und die Naturgesetze, wie auch grobe Fehlinterpretationen von Fakten, weil ein offensichtlicher Mangel besteht an grundlegendem Verständnis, wie Kernreaktoren gebaut und betrieben werden. Auf CNN habe ich einen 3-seitigen Bericht gelesen mit je einem Fehler pro Absatz.
Zuerst ein paar grundlegende Dinge, bevor wir ins Eingemachte gehen.
 

Bauart des Fukushima Kernkraftwerks

Das KKW Fukushima hat sogenannte Siedewasser-Reaktoren, engl. kurz BWR (= Boiling Water Reactor). Siedewasser-Reaktoren ähneln einem Dampfkochtopf. Der Kernbrennstoff heizt das Wasser, das Wasser kocht und erzeugt Dampf, der Dampf treibt dann Turbinen, die Elektrizität erzeugen. Dann wird der Dampf heruntergekühlt und rück-kondensiert in Wasser. Das Wasser wird im Kreislauf wieder zurückgeschickt und erneut vom Kernbrennstoff erhitzt. Der Dampfkochtopf wird mit etwa  250 °C betrieben.
Kernbrennstoff ist Uran-Oxid. Uran-Oxid ist ein keramischer Stoff mit dem sehr hohem Schmelzpunkt von etwa 3000 °C. Der Treibstoff wird als Pellets hergestellt (man stelle sich kleine Röhrchen etwa so groß wie Legosteine vor). Diese Stückchen werden in ein langes Rohr aus  Zirkonium-Legierung gesteckt und dicht versiegelt. Letzteres hat einen Schmelzpunkt von 2200 °C. Das Ergebnis heißt Brennstab. Die Brennstäbe werden in größeren Bündeln zusammengefasst und eine Anzahl von Bündeln werden in den Reaktor gesteckt. Alle Bündel zusammen heißen „Kern“. (engl.: “the core”)
Die Zirkoniumhülle ist der erste Schutzwall (engl.: „Containment“). Hier wird der radioaktive Brennstoff von der Außenwelt abgeschottet.
Dann wird der Kern in den Druckbehälter (engl.: „pressure vessel“) gesteckt. Das ist der Dampfkochtopf, wie oben erwähnt. Der Druckbehälter ist der zweite Schutzwall. Er besteht aus einem massiven Stück Topf, der so gebaut worden ist, dass er den Kerntemperaturen von mehreren hundert Grad °C standhält. Das ist für Situationen vorgesehen, wo [bei einem Ausfall] die Kühlung zu einem gewissen Zeitpunkt wiederhergestellt werden kann.
Die gesamte „Hardware“ des Kernreaktors – der Druckbehälter und alle Rohre, Pumpen, Kühlmittel(Wasser)-Speicher werden dann hinter dem dritten Schutzwall eingeschlossen. Der dritte Schutzwall ist hermetisch (luftdicht) abgeschlossen, in einem sehr dicken Behältnis von härtestem Stahl. Der dritte Schutzwall wurde für einen einzigen Fall entworfen, gebaut und getestet: Auf unbestimmte Zeit einen komplett geschmolzenen Kern zu umschließen. Zu diesem Zweck ist ein großes und dickes Stahlbetonbecken unter den Druckbehälter (zweiter Schutzwall) geschoben und mit Graphit gefüllt. Alles befindet sich innerhalb des dritten Schutzwalles. Das ist der sogenannte „Kernkäfig“ (engl.: „core catcher“). Wenn der Kern schmilzt und der Druckbehälter birst (und gegebenenfalls schmilzt) wird hier der geschmolzene Brennstoff und alles andere Material aufgefangen. Der Kernkäfig ist so gebaut, dass sich der Kernbrennstoff verteilt und abkühlen kann.

Korrektur CoreCatcher: Diese japanischen AKW haben keine Core Catcher, sind aber aus Gründen des Erdbebenschutzes auf massive Gesteinsschichten gebaut. Mit Dank an Leser DH und andere

Dieser dritte Schutzwall wird anschließend vom Reaktor-Gebäude umgeben. Das Reaktor-Gebäude ist eine äußere Hülle, die nur dazu gedacht ist, Schutz gegen das Wetter zu bieten, sonst nichts. (Dieser Teil ist durch die Explosion zerstört worden, mehr dazu später).

Grundlagen der nuklearen Reaktionen

Uranbrennstoff erzeugt Hitze durch Atomspaltung. Große Uran-Atome werden in kleiner Atome gespalten. Dadurch entsteht Hitze plus Neutronen (ein Atomteilchen). Wenn ein Neutron ein anderes Uranatom trifft, zerteilt sich dieses und erzeugt noch mehr Neutronen und so weiter. Das nennt man eine nukleare Kettenreaktion.
Wenn man also eine Menge von Brennstäben aneinander packte, gäbe es rasch eine Überhitzung und nach etwa 45 Minuten ein Schmelzen der Brennstäbe. Es muss hier gesagt werden, dass Kernbrennstoff in einem Kernreaktor niemals eine Atomexplosion wie in einer Atombombe verursachen kann. Ein Atombombe zu bauen, ist wirklich sehr schwierig (fragen Sie mal im Iran nach). In Tschernobyl wurde die Explosion verursacht durch exzessiven Druckaufbau, eine Knallgasexplosion und den nachfolgenden Bruch aller Schutzwälle. Dadurch wurde geschmolzenes Kernmaterial in die Umwelt geschleudert (es war eine „schmutzige Bombe“). Warum das in Japan überhaupt nicht passieren kann, lesen Sie später.
Die Reaktor-Ingenieure benutzen zur Steuerung der Kettenreaktion sogenannte „Steuerstäbe“ (engl.: „moderator rods“). Die Steuerstäbe fangen die Neutronen ein und unterbrechen die Kettenreaktion sofort. Ein Kernreaktor ist so gebaut, dass im Normalbetrieb alle Steuerstäbe herausgefahren sind. Das Kühlwasser nimmt die Hitze auf (und wandelt sie in Dampf und Elektrizität um), im gleichen Maße, wie der Kern die Hitze erzeugt. Es gibt eine große Sicherheitsmarge bei der Standardbetriebstemperatur von 250 °C
Das Problem ist, dass nach der Einführung der Steuerstäbe und dem Abstoppen der Kettenreaktion der Kern noch weiter Hitze erzeugt. Im Uran ist die Kettenreaktion „gestoppt“. Aber eine Menge von radioaktiven Zwischenelementen war vom Uran bei der Spaltung erzeugt worden, besonders Cäsium und Jod-Isotope. Das heißt radioaktive Isotope dieser Elemente, die sich weiter in kleinere, nicht-radioaktive Atome spalten und dabei Hitze erzeugen. Sie werden nicht mehr weiter vom Uran erzeugt (nachdem der Uranzerfall durch Einfahren der Bremsstäbe gestoppt ist) und werden immer weniger. Der Kern kühlt sich im Verlauf mehrerer Tage ab, bis diese radioaktiven Zwischenelemente zerfallen sind.

Diese Restwärme verursacht derzeit die Kopfschmerzen.

Also besteht die erste „Art“ von radioaktivem Material aus dem Uran in den Brennstäben und den Zerfalls-Zwischen-Produkten, in die sich das Uran spaltet. Alles geschieht innerhalb der Brennstäbe (Cäsium und Jod).
Nun wird noch eine zweite Art von radioaktivem Material erzeugt, außerhalb der Brennstäbe. Der allergrößte Unterschied vorweg: Diese radioaktiven Materialien haben eine sehr kurze Halbwertzeit, d. h. sie zerfallen sehr rasch in nicht-radioaktives Material. Mit „rasch“ meine ich binnen Sekunden! Wenn also solche Radioaktivität in die Außenwelt gelangt, JA, Radioaktivität ist ausgetreten, und NEIN, die ist überhaupt nicht gefährlich. Warum? Weil sie sich schon in nicht-radioaktive Elemente zerteilt haben, während sie „RADIOAKTIVE KERNTEILCHEN“ buchstabiert haben. Diese radioaktiven Elemente sind N-16, das radioaktive Isotop (oder die Version) von Stickstoff (in der Luft). Die anderen sind Edelgase wie Xenon. Woher sind die gekommen? Wenn Uran zerfällt, erzeugt es ein Neutron (siehe oben). Die meisten dieser Neutronen werden auf andere Uranatome treffen und die Kettenreaktion aufrecht erhalten. Einige aber verlassen den Brennstab und treffen auf Wassermoleküle die im Wasser gelöste Luft. Dann kann ein nicht-radioaktives Element das Neutron einfangen und selber radioaktiv werden. Wie oben schon beschrieben, wird es rasch (binnen Sekunden) das Neutron wieder loswerden und zu seiner schönen Ursprungsform zurückkehren.
Diese zweite Art von Strahlung ist sehr wichtig, wenn wir später über die in die Umwelt abgegebene Radioaktivität sprechen.

Was ist in Fukushima passiert

Ich möchte die Hauptpunkte zusammenfassen. Das Erdbeben in Japan war 7 Mal stärker als das schlimmste Erdbeben, für welches das Kernkraftwerk ausgelegt war. (Die Richter-Skala ist logarithmisch, der Unterschied zwischen 8,2 – dafür war die Anlage ausgelegt – und den tatsächlichen 8,9 beträgt 7 mal, nicht 0,7). Ein Lob für die japanischen Ingenieure. Alles hielt stand.
Als die Erde mit einer Stärke von 8,9 (jetzt auf 9,0 hochgestuft) bebte, schalteten sich alle Kernreaktoren automatisch ab. Binnen Sekunden nach Beginn des Bebens fuhren die Bremsstäbe in den Kern und die Kettenreaktion des Urans stoppte. Jetzt musste das Kühlsystem die Restwärme abführen. Die Restwärme beträgt etwa 3% der Wärmelast im Normalbetrieb.
Das Erdbeben hatte die externe Stromzufuhr des Kernreaktors zerstört. Das ist einer der ernsthaftesten Störfälle in einem Kernkraftwerk und dementsprechend widmet man sich dem „Blackout“ der Anlage mit äußerster Sorgfalt beim Entwurf des Notstromversorgung. Der Strom wird zum Betreiben der Pumpen für die Kühlung benötigt. Nach Abschalten des Kraftwerks liefert es ja keinen Strom mehr für den Eigenbedarf.
Das ging für etwa eine Stunde gut. Eine Reihe von Notstromdieseln schaltete sich auf und erzeugte die nötige Elektrizität. Dann kam der Tsunami, viel größer als man vorhergesehen hatte, als die Anlage gebaut worden war (siehe oben: Faktor 7). Der Tsunami fegte die Diesel-Notstromaggregate weg.
Beim Entwurf eines Kernkraftwerks folgen die Ingenieure einer Philosophie namens „Tiefen-Verteidigung“. Das bedeutet zuvörderst, dass man alles so baut, dass es der größten anzunehmenden Katastrophe standhalten kann. Sodann, dass die Anlage so entworfen wird, dass man mit jedem Unfall (wenn er denn trotzdem passiert) nacheinander fertig werden kann. Ein Tsunami, der die gesamte Notstromversorgung wegfegt, ist so ein Fall. Die letzte Verteidigungslinie besteht darin, alles innerhalb des Reaktors hinter den dritten Schutzwall zu packen, mit allem drin, was auch immer gefährlich werden könnte: Bremsstäbe ein- oder ausgefahren, Kern geschmolzen oder nicht.
Nach Ausfall der Diesel-Generatoren haben die Reaktor-Bediener die Notbatterien angeschaltet. Die Batterien sind als Rückfallmöglichkeit für die Notstromerzeugung vorgesehen gewesen, um den Kern für 8 Stunden zu kühlen. Das hat funktioniert.
Innerhalb der 8 Stunden musste eine weitere Stromversorgung gefunden und angeschlossen werden. Das Stromnetz war wegen des Erdbebens ausgefallen. Die Diesel-Notstrom-Aggregate vom Tsunami zerstört. Also wurden mobile Diesel-Notstrom-Aggregate herangeschafft.
Und von da an ging es mächtig schief. Die externen Notstromgeneratoren konnten nicht an das Anlagen-Stromnetz angeschlossen werden (Die Steckverbindungen passten nicht). Daher konnte nach dem Leeren der Batterien die Restwärme nicht mehr abgeführt werden.
Jetzt führten die Bediener ein Notfall-Verfahren durch, das für den „Verlust der Kühlung“ vorgesehen ist. Es ist ein Schritt in der „Tiefenverteidigung“. Eigentlich hätte der Strom für die Kühlung nicht völlig ausfallen dürfen, aber es geschah dennoch, daher zogen sich die Bediener auf die nächste Verteidigungslinie zurück. So schrecklich das auch für uns klingen mag, es ist Bestandteil des alltäglichen Sicherheitstrainings der Bediener, alles durchzuspielen bis zur Kernschmelze.
Zu diesem Zeitpunkt hat man eine Kernschmelze befürchtet. Weil der Kern (nach Stunden oder Tagen) schmelzen wird, wenn die Kühlung nicht wiederhergestellt werden kann und dann käme die letzte Verteidigungslinie, der Kernkäfig, zugleich dritter Schutzwall, ins Spiel.
Doch noch wollte man zu diesem Zeitpunkt die Kern-Erhitzung steuern und sicherstellen, dass der erste Schutzwall (Die Zirkonium-Röhren mit dem Kernbrennstoff) und der zweite Schutzwall (der Druckbehälter) intakt und so lange wie möglich im Betrieb bleiben sollten, um den Ingenieuren die Zeit zum Reparieren des Kühlsystems zu verschaffen.
Weil das Kühlen des Kerns eine komplizierte Sache ist, hat der Reaktor verschiedene Kühlsysteme, jedes in mehrfacher Auslegung (das Reaktorwasser-Reinigungs-System, das Abführsystem für die Zerfallswärme, die Kühlung der Kern-Ummantelung, das Ersatz-Flüssigkeitskühlsystem, das Notkühlsystem für den Kern). Welches davon wann versagte oder auch nicht, ist derzeit nicht klar.
Jetzt stellen Sie sich unseren Dampfkochtopf auf dem Herd vor, niedrige Hitze, aber immer noch eingeschaltet. Die Bediener nutzen jede ihnen noch verbliebene Kühlkapazität, um so viel wie möglich Hitze abzuführen, aber der Druck steigt an. Jetzt gewinnt die Sicherstellung des ersten Schutzwalles oberste Priorität (die Temperatur der Brennstäbe unter 2200°C halten), als auch des zweiten Schutzwalles, des Druckbehälters.  Um den Druckbehälter zu erhalten (zweiter Schutzwall), musste der Druck zeitweilig reduziert werden. Weil die Fähigkeit dazu in einem Notfall so wichtig ist, hat der Reaktor 11 Druck-Reduzier-Ventile. Der Bediener muss nun anfangen, immer wieder Dampfdruck abzulassen. Die Temperatur zu diesem Zeitpunkt betrug etwa 550°C.
Das ist der Punkt, an dem die Meldungen von einem „Strahlungsleck“ zu kursieren begannen.

Ich glaube, oben erklärt zu haben, warum das Dampfablassen theoretisch das gleiche ist, wie Strahlung in die Umwelt abzulassen, auch warum das so ist, und warum es nicht gefährlich ist. Der radioaktive Stickstoff wie auch die Edelgase stellen keine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar.
Irgendwann bei diesem Druckablassen ereignete sich die Explosion. Die Explosion fand außerhalb des dritten Schutzwalles (der „letzten Verteidigungslinie“) im Reaktorgebäude statt. Man erinnere sich: das Reaktorgebäude hat keine Funktion zur Zurückhaltung von Radioaktivität. Noch ist nicht klar, was passierte, aber hier ist ein wahrscheinlicher Ablauf: Die Bediener hatten sich für das Ablassen von Dampf aus dem Druckbehälter entschieden, aber nicht direkt in die Umwelt, sondern in den Raum zwischen dem dritten Schutzwall und dem Reaktorgebäude (um dem Dampf mehr Zeit zur Entspannung zu geben). Das Problem dabei ist, dass bei der hohen Temperatur, die der Kern inzwischen erreicht hatte, die Wassermoleküle sich in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen konnten  – in hochexplosives Knallgas. Und das ist ja dann auch explodiert, außerhalb des dritten Schutzwalles und zerstörerisch für das Reaktorgebäude. Diese Art von Explosion fand in Tschernobyl statt, aber innerhalb des Druckbehälters, der schlecht konstruiert war und unsachgemäß von den Bedienern gesteuert wurde. Das ist in Fukushima niemals eine Gefahr gewesen. Das Knallgasproblem ist ein großes, wenn man ein Kraftwerk konstruiert (es sei denn, man ist Sowjet-Russe). Deshalb wird der Reaktor so entworfen, dass das nicht innerhalb der Schutzummantelung passieren kann. Es passierte außerhalb und unabsichtlich, aber es passierte. Es geschah und stellte keine Gefahr für den Schutzwall dar.
Der Druck war unter Kontrolle, als der Dampf abgelassen wurde. Wenn man nun den Dampfkochtopf weiter erhitzt, fällt der Wasserspiegel immer weiter. Über dem Kern stehen mehrere Meter Wasser, damit er erst nach Ablauf von einiger Zeit (Stunden, Tage) freigelegt wird. Wenn die Brennstäbe oben frei sind, werden die freien Bereiche die kritische Temperatur von  2200 °C nach etwa 45 Minute erreichen. Dann wird der erste Schutzwall versagen, der Zirkoniummantel.
Und das fing nun an. Die Kühlung war nicht wiederhergestellt, als in sehr begrenztem Umfang Schäden an der Brennstoff-Umhüllung eintraten. Das Brennstoff-Material war immer noch intakt, aber die umgebende Zirkonium-Hülle fing an zu schmelzen. Jetzt vermischten sich einige Zwischenprodukte des Uranzerfalls – radioaktives Cäsium und Jod – mit dem Dampf. Das große Problem, Uran, war immer noch unter Kontrolle, weil die Uranbrennstäbe bis zu 3000 °C aushalten.
Es scheint, dass dies das Startsignal für einen großen „Plan B“ war. Die geringen Mengen von gemessenem Cäsium sagten den Bedienern, dass der erste Schutzwall an einem der Brennstäbe irgendwo nachgab. „Plan A“ war gewesen, wenigsten eins der normalen Kühlsysteme wiederherzustellen, um den Kern zu kühlen. Warum das schief ging, wissen wir nicht. Eine mögliche Erklärung ist, dass der Tsunami auch das Frischwasser verschmutzte oder wegspülte, das für das normale Kühlsystem gebraucht wird.
Das im Kühlsystem benutzte Wasser ist sehr rein und demineralisiert (wie destilliertes) Wasser. Der Grund für die Benutzung von reinem Wasser ist die oben erwähnte Aktivierung durch Neutronen vom Uran: Reines Wasser wird kaum aktiviert, es bleibt praktisch frei von Radioaktivität. Das hat überhaupt keine Auswirkungen auf den Kern – dem ist es egal, wovon er gekühlt wird. Für die Bediener und die Mechaniker ist es aber schwieriger, mit aktiviertem (d. h. leicht radioaktivem Wasser) umgehen zu müssen.
Plan A hatte also versagt – Kühlsystem kaputt oder zusätzliches reines Wasser nicht mehr verfügbar – also ging es mit Plan B weiter. So scheint es abgelaufen sein:
Um eine Kernschmelze zu verhindern, holten die Bediener Meerwasser für die Kühlung des Kerns. Ich bin mir nicht sicher, ob sie den Druckbehälter (den zweiten Schutzwall) geflutet haben oder den dritten Schutzwall, indem sie die Brennstäbe unter Wasser setzten. Das spielt hier aber keine Rolle.
Wichtig ist, dass der Kernbrennstoff jetzt abgekühlt wurde. Weil die Kettenreaktion schon seit längerer Zeit aufgehört hatte, wurde nun nur noch wenig Restwärme erzeugt. Die große Menge von Kühlwasser reichte für die Aufnahme der Hitze aus. Weil das sehr viel Wasser war, erzeugte der Kern überhaupt nicht mehr genügend Druck. Dem Seewasser wurde Borsäure zugesetzt. Borsäure ist ein flüssiger „Bremser“ wie der Steuerstab. Wenn es noch irgendwelchen Atomzerfall gibt, fängt das Bor die Neutronen ein und beschleunigt die Abkühlung des Kerns.
Die Anlage stand kurz vor einer Kernschmelze. Was schlimmstenfalls passiert wäre: Wenn kein Meerwasser zur Verfügung gestanden hätte, hätten die Bediener immer wieder Wasserdampf ablassen müssen, um den Druckaufbau zu verhindern. Der dritte Schutzwall wäre dann komplett abgedichtet worden, um bei der Kernschmelze die Freisetzung von radioaktivem Material zu verhindern. Nach der Kernschmelze hätte man eine Zeitlang abwarten müssen, bis das radioaktive Material innerhalb der Ummantelung zerfallen gewesen wäre. Das Kühlsystem wäre wiederhergestellt worden und der geschmolzene Kern auf eine handhabbare Temperatur heruntergekühlt worden. Die Ummantelung hätte innen gesäubert werden müssen. Dann hätte die schwierige Aufgabe des Trennens des geschmolzenen Kerns von der Ummantelung in Angriff genommen werden müssen. Dabei wären die Bruchstücke des nun wieder festen Brennstoffes zur Wiederaufarbeitung transportiert werden müssen. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Schäden wäre der Block der Anlage entweder repariert oder abgewrackt worden.
Was heißt das nun alles?
* Die Anlage ist jetzt in sicherem Zustand und das wird so bleiben.
* Japan hatte einen INES Level 4 Unfall: Das ist ein Nuklearunfall mit lokalen Folgen. Schlimm für den Betreiber, dem das KKW gehört aber für niemanden sonst.
* Etwas Radioaktivität wurde freigesetzt, als das Druckgefäß gelüftet wurde. Alle radioaktiven Isotope aus dem aktivierten Dampf sind weg (zerfallen). Ganz wenig Cäsium wurde freigesetzt, auch Jod. Falls Sie zum Zeitpunkt der Druckablassung auf dem Kamin der Anlage gesessen hätten, müssten Sie jetzt mit dem Rauchen aufhören, um ihre vorherige Lebenserwartung zurückzubekommen. Die Cäsium und Jod-Isope sind auf das Meer geblasen worden und dort verschwunden.
* Am ersten Schutzwall hat es begrenzten Schaden gegeben. Daher sind geringe Mengen von Cäsium und Jod auch hier ins Kühlwasser ausgetreten, aber kein Uran oder anderes schmutziges Zeug. (Uran-Oxid ist nicht wasserlöslich). Es gibt Vorrichtungen, um das Kühlwasser zu behandeln. Radioaktives Cäsium und Jod werden entfernt und als radioaktiver Müll zur Endlagerung gebracht.
* Das zur Kühlung benutzte Meerwasser wird geringfügig aktiviert sein. Weil die Bremsstäbe vollständig heruntergekommen sind, wird es keine Uran-Kettenreaktion geben. Deshalb wird es auch keine durch Uranzerfall hervorgerufene weitere Aktivierung geben. Die radioaktiven Zwischenprodukte (Cäsium und Jod) sind bereits jetzt schon zum großen Teil verschwunden, weil der Uranzerfall schon längere Zeit gestoppt ist. Das führt zu einer weiteren Verminderung der Aktivierung. Unter dem Strich wird eine geringe Aktivierung des Meerwassers verbleiben, sie wird von den Reinigungseinrichtungen entfernt werden.
* Das Meerwasser wird im Laufe der Zeit von “normalem” Kühlwasser ersetzt werden
* Der Reaktorkern wird herausgeholt und in eine Aufarbeitungseinrichtung verbracht werden, wie bei einem normalen Brennstoffwechsel.
* Die Brennstäbe und die gesamte Anlage werden auf mögliche Schäden überprüft werden. Das wird etwa 4-5 Jahre dauern.
* Die Sicherheitssysteme aller japanischen Anlagen werden verbessert werden, so dass sie einem 9,0 starken Erdbeben und Tsunami (oder noch mehr) standhalten .
* Ich glaube, das größte Problem wird ein ausgedehnter Strommangel sein. Etwa die Hälfte von Japans Kernkraftwerken wird wahrscheinlich inspiziert werden müssen, damit wird die Energieerzeugungskapazität des Landes um 15% gesenkt. Wahrscheinlich werden im Betrieb befindliche Gaskraftwerke einspringen müssen, die normalerweise nur zur Ergänzung der Spitzenlast und zuweilen auch der Grundlast eingesetzt werden. Dadurch werden in Japan die Stromrechnungen teurer, es kann auch zu Stromknappheit während der Spitzenlastzeiten kommen.
Wenn Sie informiert bleiben wollen, dann nutzen Sie nicht die gewöhnlichen Medien, sondern die folgenden Webseiten:
http://www.world-nuclear-news.org/RS_Battle_to_stabilise_earthquake_reactors_1203111.html
Discussion Thread – Japanese nuclear reactors and the 11 March 2011 earthquake
http://ansnuclearcafe.org/2011/03/11/media-updates-on-nuclear-power-stations-in-japan/
Barry Brook & Dr. Josef Oehmen
Den Originalartikel finden Sie hier
Die Übersetzung besorgte Helmut Jäger EIKE
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Update 15.3.11: Hier finden Sie sachliche Informationen zur Situation in Japan